Flüchtlingsunterkunft Upahl - eine Lösung, die keiner will
Upahl in Nordwestmecklenburg: Bis zu 400 Flüchtlinge in einem 500 Einwohner-Dorf. Weder der Landrat noch die Einwohner wollen das - und trotzdem wird das Containerdorf gebaut. Wie konnte es dazu kommen?
Er habe schlaflose Nächte und einen Kloß im Hals. So beginnt Nordwestmecklenburgs Landrat Tino Schomann (CDU) seine Rede vor dem Kreistag am 26. Januar. Vor der Tür stehen 700 Demonstranten, eine kleine Gruppe versucht, in das Gebäude zu gelangen. Zu groß, keine Infrastruktur, Angst vor Kriminalität. Die Argumente im Kreistag und vor der Tür sind in weiten Teilen identisch. Am Ende der Sitzung geben die Abgeordneten grünes Licht für das Container-Dorf in Upahl, das eigentlich keiner will.
Ist der Bund schuld?
"Der Bund muss begrenzen und steuern, muss die illegale Migration stoppen und muss die Abschiebeoffensive endlich starten, um auch Kapazitäten freiwerden zu lassen", sagt Landrat Schomann nach der Sitzung in den ARD-Tagesthemen. 20 bis 30 "Zuweisungen" bekommt der Landkreis Nordwestmecklenburg jede Woche. Gemeint sind Menschen, Flüchtlinge. Ende Januar befinden sich 685 Menschen im Asylverfahren in Nordwestmecklenburg. Im Landkreis Vorpommern-Rügen sind es 1.508. "Der Bund muss endlich die Lage der Kommunen erkennen", so Schomann. Auch Stefan Sternberg (SPD), Landrat von Ludwigslust-Parchim, hält einen Flüchtlingsgipfel für sinnvoll. "Wir brauchen dringend Hilfe vom Bund, doch da kommt nichts", sagt der Vorsitzende des MV-Landkreistages, Heiko Kärger (CDU).
Tatsächlich ist die Zahl der Flüchtlinge 2022 hoch. Blendet man ukrainische Kriegsflüchtlinge aus, die keinen Asylantrag stellen müssen, ergeben sich folgende Zahlen: 4.900 Asylsuchende kommen 2022 nach Mecklenburg-Vorpommern. Eine hohe Zahl - doch 2015 kamen etwa 20.000 Flüchtlinge ins Bundesland. Seitdem jedes Jahr bis zu 2.800. Fünf Jahre lang hatten die Landkreise Zeit, sich auf die Situation vorzubereiten - oder der Bund?
Der Bund verweist auf die Genfer Flüchtlingskonvention und auf den Bedarf an Zuwanderung. Doppelt so viele Menschen wie jedes Jahr ankommen würden gebraucht, um den Fachkräftemangel zu stoppen, sagt zum Beispiel das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Aufgabe heißt Ausbildung und Integration. Und so antworten die Landkreise in MV trotz 22.000 zusätzlicher Flüchtlinge aus der Ukraine zurückhaltend auf die Frage, ob sie sich überfordert fühlen. So klar wie Landrat Schomann äußert sich keiner.
Ist das Land schuld?
Im Kreistag am 26. Januar in Grevesmühlen wird die Frage laut, ob man nicht einfach einen Aufnahmestopp verhängen kann. "Das Flüchtlingsaufnahmegesetz verpflichtet die Landkreise zur Aufnahme und Unterbringung", heißt es aus dem Landratsamt in Wismar. "Die Frage nach einem Rechtsbruch stellt sich dem Landrat nicht", so ein Sprecher des Kreises. Am 13. Dezember 2022 beklagt Schomann, dass die Verteilung von Flüchtlingen im Land nicht gerecht sei. Nordwestmecklenburg habe mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als die geforderten zehn Prozent. Das Land müsse eine solidarische Verteilung gewährleisten.
Zwei Monate später nutzt Schomann den Verteilschlüssel wiederum als Rechtfertigung für die Flüchtlingsunterkunft in Upahl: Der Landkreis müsse 600 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge haben, habe aber nur 370 in der Haffburg - einer Unterkunft in Wismar. Da seien andere Landkreise besser, so Schomann. Die Frage, ob der Verteilschlüssel gerecht sei, beantworten alle anderen Landräte und Bürgermeister kreisfreier Städte mit einem "im Großen und Ganzen ja".
Das Land gibt den Druck an die Landkreise weiter. Eine Sprecherin des Innenministeriums drückt das so aus: "Die Landkreise und kreisfreien Städte wurden durch das Innenministerium M-V wiederholt für die Erweiterung ihrer Unterbringungskapazitäten sensibilisiert." Das Land bezahlt die Unterkünfte und setzt damit Anforderungen an die Größe. So müssen mindestens 150 Flüchtlinge Platz finden. Deutlich weniger als in Upahl geplant.
Ist Nordwestmecklenburg selber schuld?
"Da wurde auch gepennt", sagt Schomann im Kreistag. Und meint seine Vorgängerin im Amt, Kerstin Weiss (SPD). Im Landkreis seien in den vergangenen Jahren zu wenig Unterkünfte geschaffen worden, so Schomann. 2022 spitzte sich die Lage durch die Flüchtlinge aus der Ukraine zu. Der Landrat sucht nach Unterkünften und fühlt sich im Stich gelassen: "Es gab nur Neins", sagt Schomann im Kreistag. Kommunen, Ämter und Hilfsorganisationen sehen das anders. Es gab Alternativen zu Upahl, doch der Kreis hätte diese abgelehnt.
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen: Die Stadt Schönberg bietet eine Fläche auf einer alten Mülldeponie an. "Sowohl die Bodenbelastung als auch die Beschaffenheit als steiler Hügel machten die Nutzung unmöglich", sagt ein Sprecher des Kreises dazu. In Groß Stieten soll ein ehemaliges Wohnheim als Unterkunft für 50 Flüchtlinge genutzt werden. Nach dem das bekannt wird, protestieren die Anwohner. Der Kreis zieht zurück - der Brandschutz sei nicht ausreichend heißt es dann. Danach ein Hotel in Gägelow. Erneut Widerstand durch die Gemeinde. In der Gemeindevertretung sitzt seit 2004 die stellvertretende Ministerpräsidentin Simone Oldenburg (Die Linke). Sie ist zugleich stellvertretende Bürgermeisterin. In Dassow ist dem Kreis eine Fläche neben einem Supermarkt zu klein. Genauso eine Fläche in Benz.
In Grevesmühlen scheitern nach Angaben des Kreises gleich drei Ideen. Ein Pachtangebot eines Privateigentümers konnte nach Kreisangaben aufgrund baurechtlicher Vorgaben nicht genutzt werden. Eine weitere Fläche soll angefragt worden sein, der Eigentümer habe bis zum heutigen Tag keine Entscheidung getroffen. Die geplante Fläche Börzower Weg wurde aufgrund der begrenzten Pachtdauer von maximal einem Jahr verworfen.
Upahl als letzte Alternative?
Allerdings soll die jetzt geplante Unterkunft in Upahl auch nur für ein Jahr errichtet werden. Nur gibt es hier bereits eine Option auf Verlängerung. Upahl scheint die letzte Alternative zu sein: ein Grundstück, das dem Kreis gehört und damit seine Nutzung bestimmt. Doch ganz so spontan ist die Idee zu einer Flüchtlingsunterkunft in Upahl nicht entstanden. Die Kreisverwaltung hatte nach eigener Auskunft das Grundstück bereits seit Herbst 2022 im Blick. Aufgrund einer "Fördermittelzweckbindungsfrist" wurde das Grundstück wieder verworfen. "Nachdem nun der Druck deutlich gestiegen ist und diese Zweckbindungsfrist verstrichen ist, kam mit Zustimmung des Landes das Grundstück im Gewerbegebiet aufgrund fehlender Alternativen in den Fokus", so Schomann. Er fügt unserer Anfrage noch hinzu: "Die Option wurde damals wie heute als nicht optimal angesehen und wurde deshalb erst jetzt durch den noch höheren Druck zum Finden einer Lösung konkret." Eine Lösung, die keiner will und trotzdem kommt.