"Die lassen sich die Zähne machen": Empörung in MV über Merz-Aussage
CDU-Chef Friedrich Merz hat mit seinen umstrittenen Äußerungen zur medizinischen Versorgung von abgelehnten Asylbewerbern Empörung ausgelöst. Er bekommt aber auch Unterstützung aus seinem CDU-Landesverband.
Anderthalb Wochen vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen sorgt der CDU-Vorsitzende und Chef der Unions-Bundestagsfraktion Friedrich Merz für neuen Wirbel in der Migrationsdebatte. Merz hatte die Bundesregierung gestern im privaten Sender "Welt" zu schärferen Maßnahmen aufgefordert. Der Christdemokrat hatte mit Blick auf die ärztlichen Leistungen für abgelehnte Asylbewerber behauptet, sie würden "die volle Heilfürsorge" bekommen.
Flüchtlingsrat MV: Mutwillige Stimmungsmache
Merz legte mit diesem Satz nach: "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine." Der Flüchtlingsrat in Mecklenburg-Vorpommern kritisierte die Aussagen als "mutwillige Stimmungsmache". Merz kenne offenbar die Rechtslage nicht, so die Vorsitzende Ulrike Seemann-Katz. Asylbewerber, die noch im Verfahren seien, könnten sich ebenso wie abgelehnte Asylbewerber "die Zähne gar nicht machen lassen".
"Analoge Leistungen" nur für wenige
Diese Gruppe habe nur Anspruch auf Schmerzbehandlung, das bedeute: "Im äußersten Fall wird der Zahn gezogen - fertig", so Seemann-Katz. Das sehe das Asylbewerberleistungsgesetz vor. Diese eingeschränkte Leistung sei "sehr kritikwürdig". Nur Asylbewerber, die nach 18 Monaten ohne eigenes Verschulden noch immer keinen Bescheid hätten, könnten sogenannte "analoge Leistungen" erhalten. Laut dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung ist diese Gruppe den übrigen Krankenversicherten "nahezu" gleichgestellt. Das sei aber die große Ausnahme, so Seemann-Katz.
SPD-Fraktionschef empört über Merz-Aussagen
Der Fraktionschef der SPD in MV, Julian Barlen, zeigte sich empört über Merz. Der CDU-Chef versuche "mit Falschaussagen die AfD rechts zu überholen". Das sei unwürdig, weil Merz keine Lösungen für die Herausforderungen liefere. Asyl und Migration ließen sich nicht mit Populismus regeln, sondern nur mit verantwortlicher Politik. Dazu gehöre eine humanitäre Verpflichtung und Integration. Wichtig sei aber auch, so Barlen, "die Beachtung der organisatorischen Grenzen und wirksame Regeln auch für Rückführungen".
Nordkirche: Missgunst und Neid "nicht hilfreich"
Einen "neuen Tiefpunkt in der Debatte" sieht die Grünen-Abgeordnete Constanze Oehlrich. Merz biete keine Lösungen. Die CDU entferne sich stattdessen von der Verfassungswirklichkeit und vom Asylbewerberleistungsgesetz. "Da ist eben nicht geregelt, dass sich jeder neue Zähne machen lassen kann", so Oehlrich. Merz rede "Quatsch". Die Äußerungen des Christdemokraten spielten auch eine Rolle bei der Landessynode der evangelischen Nordkirche in Lübeck. Ohne Merz beim Namen zu nennen, sagte Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt, Äußerungen in der gegenwärtigen Debatte um Asyl und Migration, die Missgunst und Neid beförderten, seien in keiner Weise zu akzeptieren. "Hilfreich sind sie schon gar nicht", erklärte sie unter dem Applaus der Mitglieder des Kirchenparlaments.
Amthor attackiert Bundesinnenministerin Faeser
Unterstützung bekam Merz von seinen Parteifreunden aus Mecklenburg-Vorpommern. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor reagierte mit einer Gegenattacke auf die Kritiker wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Die hatte Merz ebenfalls Falschbehauptungen vorgeworfen. Faeser solle Merz keine "Haltungsnoten" geben, sondern ihren Job in der Migrationspolitik erledigen. Das Gesundheitssystem stehe wie Kitas und Schulen unter dem Druck "irregulärer Zuwanderung". Die Bundesregierung müsse diese Migration steuern und begrenzen.
AfD gibt sich gelassen
Eher amüsiert beobachtet die AfD in MV die Debatte. Landtagsfraktionschef Nikolaus Kramer meinte, Merz versuche auf der AfD-Welle zu reiten. "Das ist eine sehr populistische Äußerung und eher eine Neiddebatte", so Kramer. Er habe Terminschwierigkeiten in Zahnarztpraxen nicht beobachtet. Statt eines Klein-Klein müsse es um große Lösungen gehen, beispielsweise um einen Schutz der EU-Außengrenzen. AfD-Landeschef Leif-Erik Holm meinte, Merz habe zwar recht, aber er werde seine Aussagen nach der Kritik ohnehin bald wieder zurücknehmen. "Er rudert ja immer wieder zurück", so Holm.
Experten widerlegen Aussagen von Merz
Eine Art Schlusspunkt setzte die Bundeszahnärztekammer in Berlin: Dass sich Geflüchtete massenhaft in Deutschland die Zähne machen lassen, das geht im Regelfall nicht, sagte Kammerpräsident Christoph Benz. Die Aussagen von Merz könne man nicht bestätigen. "In Zahnarztpraxen bekommt man eigentlich ziemlich zeitnah einen Termin. Nur im ländlichen Raum, wo es viel weniger Praxen gibt, kann die Terminvergabe etwas länger dauern", so Benz. Das liege dann aber an der geringeren Zahnarztdichte.