Balow: Ein Dorf in MV gibt Kindern eine Stimme
"Ein Dorf für Kinder - ein Dorf für alle" heißt es auf der Webseite des Ortes Balow in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist nicht nur ein Slogan, sondern wirklich Programm. Seit über 30 Jahren werden die Jüngsten im Ort aktiv in die Gestaltung der Dorfgemeinschaft einbezogen.
Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention Anfang der 1990er-Jahre ratifiziert. Darin steht, dass Kinder das Recht auf Gewaltfreiheit haben, das Recht auf Schutz vor Krieg und Flucht sowie das Recht auf persönliche Entfaltung. In Balow, einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern an der Grenze zu Brandenburg, nimmt man das sehr ernst. Hier dürfen Kinder aktiv mitgestalten und mitbestimmen - und das passiert auf einem sehr professionellen Level.
Mehr Zuzug als Abwanderung
Balow ist ein Ort mit 300 Einwohnern im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Während andere Orte über wenig Einwohner, mangelnden Zusammenhalt und nicht genügend junge Leute klagen, ist es hier anders. Familienzuzug, Sportangebote, eine Grundschule mit einem ganz frischen Neubau - das alles sucht man in vielen anderen Orten vergeblich.
Kriemhild Kant ist seit 30 Jahren die Bürgermeisterin von Balow. Ihr nächstes Projekt ist die Neugestaltung des Schulhofs. Dazu haben die Kinder im Rahmen eines Workshops Ideen geliefert. Greta, Thea und Theo, alle zehn Jahre alt, waren auch dabei. "Wir haben uns zusammengesetzt, weil wir den Schulhof erneuern wollen und weil wir neue Spielgeräte haben wollen. Und wir haben ganz viele Wünsche", sagt Thea. Theo zeigt eine Zeichnung: "Hier haben wir einen Swimmingpool mit einer Rutsche und ein Klettergerüst und einen Hindernisparcours."
Lasertag und ein Swimmingpool?
Vor den Kindern liegen sieben DIN-A4-Ausdrucke mit ihren Ideen. Eine Künstliche Intelligenz hat die Bilder dazu erstellt. Zu sehen ist ein großes Blumenbeet, eine Lasertag-Spielarena und ein Swimmingpool mit Haifischen. Die Zehnjährigen beraten darüber sehr ernsthaft und wägen ab, was sinnvoll ist und was unrealistisch.
Die Bürgermeisterin erklärt: "Man muss aufeinander zugehen, abwägen, gucken, was überhaupt möglich ist." Dabei fällt der Pool mit den Haien bei Schülerin Thea durch. Die Haie müssten schließlich irgendwohin und der Pool brauche eine entsprechende Pflege. Zu diesem Ergebnis sind die Kinder von allein gekommen - durch Abwägen und Diskussionen. So lernen sie schon von Kindesbeinen an, was Demokratie bedeutet.
Niedrigschwellige Angebote
Das Rezept der Bürgermeisterin, die alle in Balow bei ihrem Vornamen Kriemhild nennen, ist: einfach machen! "Bei schönem Wetter wären wir heute noch mal rausgegangen und hätten geguckt, welche Spielgeräte am besten bespielt oder genutzt werden, aber bei dem Schnee heute ist das ein bisschen schlecht", sagt sie. Auch wenn es draußen schneit: In der Stube hocken, das gibt es in Balow nicht.
100 Meter neben der Schule steht eine blaue BMX-Bahn, die aussieht wie eine ebenerdige Rutsche in einem Spaßbad. Ole und Matts waren an der Entwicklung beteiligt: "Die Bahn steht noch nicht so lange. Ole und ich haben angesprochen, dass wir uns das wünschen, und dann wurde es auch umgesetzt." Entstanden ist das Ganze im Jugendrat. Das ist auch eines der Credos in Balow: niedrigschwellige Angebote. Statt komplizierter Beteiligungsverfahren gibt es hier Workshops, einen Kinderrat und einen Skatertreff.
Vandalismus? Fehlanzeige!
Auffällig ist, dass die Kinder besonders verantwortungsvoll mit den Dingen sind, die sie selbst mit geschaffen haben. So auch mit ihrem neuen Sportplatz. Heute entfernen sie den Schnee von der Bahn. Bislang gab es auch noch keine Unfälle bei den jungen Bikern, nur einige blaue Flecken.
Was können andere Orte von dem kleinen Balow in Mecklenburg-Vorpommern lernen?
Bürgermeisterin Kriemhild Kant setzt wie immer auf Dialog. Es sei nicht das Ziel, es Balow gleichzutun. Vielmehr müsse man voneinander lernen und neugierig bleiben: "Wir lernen auch von anderen Gemeinden und deren Ideen. Bei uns in Balow wird vieles nicht ganz genau so umgesetzt und umgedreht genauso. Es muss einfach individuell passen." Kommunikation, auch über die Dorfgrenzen hinaus, sei dabei ein wichtiges Mittel.
Alle Generationen an einen Tisch bringen
Wirklich gut könne es nur dann laufen, wenn man alle ins Dorfleben einbezieht, so die Bürgermeisterin - die Neu-Zugezogenen genauso wie die, die seit Generationen dort wohnen - und vor allem die Jüngsten. Hört man sich im Ort um, wird schnell klar, dass die Geschichte Balows in einem Punkt sehr besonders ist: Auch schon vor der Wende hat es hier viele Menschen gegeben, die sich engagiert haben. Und nach der Wende habe man nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern versucht, das Gute zu bewahren. Gemeinwohl ist dabei ein wichtiges Stichwort. Ressourcen im sozialen Bereich müsse man laut Kant bündeln und zusammenbringen. Sie legt großen Wert darauf, auch ältere Menschen miteinzubeziehen. Positiver Nebeneffekt: Generationskonflikte überwinden sich so von ganz allein.
Zutrauen und Selbstwirksamkeit
Ein weiterer Faktor, der Balow zu einem Vorzeigeort macht, ist der Mut zum Risiko und ein gewisses Grundvertrauen. "Beteiligung heißt, dass man am Ende nicht weiß, was dabei rauskommt", erklärt Kriemhild Kant. Die Kinder werden hier wirklich nach ihrer Meinung gefragt. Teilweise müssen sie sich im Rat mit komplizierten Ingenieurs-Plänen auseinandersetzen, um ein Vorhaben zu durchdringen, oder sie müssen Projekte vor Gremien vorstellen. Dieses Zutrauen bewirkt etwas in den Kindern.
Beim Thema Beteiligung ist laut Gesetz tatsächlich wenig vorgeschrieben. In Balow möchte man schon den Jüngsten auf Augenhöhe begegnen - und die bloße Anwesenheit von Kindern sei eben keine Beteiligung. Darauf legt Bürgermeisterin Kant großen Wert. Wer sich etwas wünscht, der müsse eben auch etwas dafür tun. Und ein weiterer Grundsatz hilft auch, wenn man Menschen zum Mitmachen bringen möchte: Der Aufwand muss sich in Grenzen halten. Denn: Wer sich von Anfang an erschlagen fühlt, fängt gar nicht erst an. Es sind viele kleine Maßnahmen, die auch anderswo im ländlichen Raum für mehr Lebensqualität sorgen können.