Strom und Wärme: Das dänische Gedser ist längst auf dem grünen Weg
In Dänemark ist vieles energiepolitisch umgesetzt, was hierzulande umstritten ist. Zwischen 70 bis 80 Prozent des Stroms werden aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Es gibt klimaneutrale Fernwärmesysteme und ein intelligentes Stromnetz.
Wer von Rostock mit der Fähre nach Dänemark übersetzt, landet in Gedser an der Südspitze der Insel Falster. Das kleine Hafenstädtchen hat gerade noch 700 Einwohner und steckt seit dem Niedergang der Fischerei und des Eisenbahnfährverkehrs im Strukturwandel. Das Durchschnittsalter der Einwohner ist hoch und die Einkommen vergleichsweise niedrig. Aber die Gegend rund um die südlichste Stadt Dänemarks verfügt auch über reichlich Wind, Sonne und Biomasse. Deshalb hat die Energiewende hier früh begonnen.
Vor 20 Jahren: Damals größter Offshore Windpark "Rødsand" geht ans Netz
Vor knapp 20 Jahren ging in der Ostsee vor Gedser "Rødsand" ans Netz, der damals größte Offshore-Windpark der Welt. Obwohl die Anlagen nur zehn Kilometer von der Küste entfernt stehen, gab es kaum Widerstand. Drei Tage im Jahr standen die Turbinen seit Inbetriebnahme im Durchschnitt still. Zwei von insgesamt 72 Windrädern sind bislang dauerhaft ausgefallen - wegen Problemen mit den Fundamenten. Mittlerweile hat der Windpark seine geplante Lebensdauer erreicht. "Stellmotoren müssen häufiger mal ausgetauscht und Hydrauliklecks abgedichtet werden. Ansonsten läuft der Park mit wenig Stillstand, weil wir ihn sehr sorgfältig warten", konstatiert Ingenieur Lars Hendriksen. Er gehört zum 22-köpfigen Wartungsteam. Betreiber und Mehrheitseigentümer von "Rødsand" ist der halbstaatliche Energiekonzern Ørsted, Weltmarkführer bei Offshore-Wind.
Heißwasserspeicher: Warme Dusche dank Stroh
Weithin sichtbar ist auch der turmhohe Heißwasserspeicher am östlichen Stadtrand von Gedser. In einer unscheinbaren Industriehalle stehen zwei Öfen, die Stroh verbrennen. Es stammt ausschließlich von Landwirten aus der Umgebung. Das Stroh erhitzt Wasser, dass in einem Tank gespeichert wird. Alles ist fernüberwacht, funktioniert auch ohne Personal vor Ort. Die Lohnkosten sind in Dänemark hoch. In Gedser hängen 380 Häuser am Fernwärmenetz, über 80 Prozent aller Haushalte, obwohl es keine Anschlusspflicht gibt. Der Wärmepreis liegt pro Wohnung und Monat bei ungefähr 100 Euro und bei knapp unter 200 Euro bei Einfamilienhäusern. Kenneth Prehn vom Betreiber REFA, einer kommunalen Energiegesellschaft, erklärt die Prinzipien: "Es geht um den kollektiven Gedanken, um Klimaschutz und natürlich ums Geld. Der Preis für die Wärme darf nicht höher sein als die tatsächlichen Kosten. Es geht hier also nicht um Profit, sondern darum, die Leute zuverlässig und kostengünstig mit Wärme zu versorgen - und das seit über 40 Jahren schon." Die neueste Investition, ein Feld mit Solarthermieanlagen, liegt etwas versteckt hinter Hecken. Die Anlage erzeugt aufs Jahr gerechnet 20 Prozent der Energie. Auch deshalb ist der Fernwärmepreis in Gedser seit nunmehr sechs Jahren stabil, trotz Ukraine-Krieg und Energiekrise.
Wärmepumpen auf Pump
Die teuren Fernwärmeleitungen reichen nur bis zum Stadtrand. In den Nachbardörfern und in den Sommerhausgebieten an der Ostküste Falsters heizen die meisten Leute mit Wärmepumpen. Die Preise starten bei 2.000 bis 3.000 Euro für einfache Luft-Luft Geräte und reichen bis 20.000 bis 30.000 Euro für aufwendige Luft-Wasser Systeme, erklärt Bjarne Lund-Carøe. Der selbstständige Elektromeister installiert seit vielen Jahren Wärmepumpen, auch schon im eigenen Haus in Marielyst. "Wem Geld für den Umbau fehlt, der geht zur Bank und holt sich einen Kredit", berichtet der Fachmann. Denn seit zehn Jahren ist ein Einbau von neuen Gas- und Ölheizungen in Dänemark verboten. Bjarnes Meinung nach gibt es bei der Umrüstung kein Patentrezept, sondern nur individuelle Lösungen, je nach Haus und dessen Nutzung. Auch in Dänemark fehlen qualifizierte Handwerker. "Ich könnte jeden Tag fünf Systeme installieren, habe aber nur zwei Hände und einen Mitarbeiter", sagt er.
Mit schlauen Stromzählern sparen
Bjarne glaubt aber auch, dass eine Energie- und Wärmewende in einem kleinen Land einfacher durchzuführen ist als in einem großen. Dänemark produziert außerdem viel Windstrom und verfügt bereits über ein intelligentes Stromnetz. Das bedeutet, dass Stromzähler fernablesbar sind, sie erlauben stundengenaue Abrechnungen. Die dänischen Strompreise schwanken, tagsüber und nachts kostet eine Kilowattstunde etwa acht Cent, bis zu 40 Cent sind es zwischen 17 und 20 Uhr. Wer Stromfresser wie Waschmaschine, Wärmepumpe oder Autoladestation bei niedrigen Strompreisen einschaltet, spart viel Geld. Dadurch ist der durchschnittliche Strompreis in Dänemark deutlich gesunken, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Wie sich der Preis in den nächsten 24 Stunden entwickelt, erfahren Verbraucher von ihrem regionalen Stromanbieter per App oder im Internet.
Investitionen in Energiewirtschaft in strukturschwacher Region
Im kleinen Gedser denken sie ihre Zukunft noch mal ganz neu. Der ehrenamtliche Stadtverein, Gedser Bylaug, hat sich ein milliardenschweres Großprojekt überlegt, das hunderte Arbeitsplätze schaffen soll. "Energiø Gedser" (Energieinsel Gedser). Das ist eine künstlich aufgeschüttete Insel, die südöstlich der Stadt fächerförmig in die Ostsee ragen soll, mit dutzenden Windrädern, die Strom für 750.000 Menschen produzieren können, inklusive Wasserstofffabrik. Ein entsprechender Brief mit Bitte um Unterstützung ist bei der Regierung in Kopenhagen bereits eingegangen. Kritik daran gibt es kaum. Ob dieses ambitionierte Projekt jemals umgesetzt wird, ist dennoch unsicher. Sicher hingegen ist: Die Leute im strukturschwachen Süden Dänemarks sehen ihre Zukunft in der Energiewirtschaft, auch weil sie damit gute Erfahrungen gemacht haben.