Aquaponik und Hydroponik: Revolution der Landwirtschaft?
Salat, der im Abwasser wächst, und Kräuter, die nie die Sonne sehen? Mit Aquaponik und Hydroponik kann die Landwirtschaft nachhaltig revolutioniert werden. Forscher an der Uni Rostock wissen, wie.
Professor Harry Palm von der Universität Rostock denkt bei der Arbeit grundsätzlich dreigleisig. In seiner Versuchsanlage für Aquaponik an der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät gibt es alles in dreifacher Ausführung. Die Hallen mit den massiven blauen Fischtrögen, die grauen Rohrleitungen, die von den Fischen ins Gewächshaus führen, und auch die Pflanztische für Basilikum, Efeu oder Weizengras sind in drei Kategorien eingeteilt: schwach, mittel und stark. "Das hat mit unserer Hauptfragestellung zu tun", erklärt der Wissenschaftler. "Was passiert eigentlich, wenn ich doppelt so viel Futter in so eine Anlage gebe? Bedeutet das auch, dass ich doppelt so viel Nitrat im Wasser habe?" Professor Palm und sein Team suchen nach dem idealen Verhältnis zwischen Fischen und Pflanzen ihrer Versuchsanlage.
Fische und Pflanzen in einer WG
Die Aquaponik verbindet Fischzucht und Pflanzenanbau. In Rostock leben afrikanische Welse sozusagen in einer WG mit Basilikum und anderen Versuchspflanzen. Und wie in einer WG üblich, profitieren beide voneinander. Was die Fische im Wasser hinterlassen, dient den Pflanzen als Nährstoff. Die Pflanzen wiederum reinigen das Wasser aus den Zuchtbecken – davon profitieren die Fische. Klingt simpel, ist in der Praxis aber recht komplex. So sind zum Beispiel Bakterien nötig, um die Hinterlassenschaften der Fische für die Pflanzen verwertbar zu machen. Und längst nicht alle Pflanzen sind für das WG-Leben geeignet, räumt Harry Palm ein. "Mit Petersilie haben wir Probleme gehabt, auch Pak Choi ist schwierig. Weizengras dagegen funktioniert sehr gut. Es ist teilweise nicht richtig vorhersehbar."
Das Ziel: Ware für den Supermarkt produzieren
Die Versuchsanlage in Rostock ist eine der größten ihrer Art in Deutschland. Es geht dort nicht nur um die Frage, welches Verhältnis von Fischen und Pflanzen zu einer optimalen Nährstoffversorgung führt, sondern auch um die Frage, wie die Pflanzen diese Nährstoffe am besten aufnehmen können. Je nach Versuch strömt das Wasser aus den Fischbecken in regelmäßigen Abständen über die Tische mit den eingetopften Pflanzen. In einem anderen Gewächshaus werden die frei liegenden Wurzeln nur mit dem Fischwasser benebelt. Und gleich nebenan schwimmen Töpfchen mit jungen Basilikum-Pflanzen auf Styroporplatten auf den Becken, die Wurzeln treiben dabei im Wasser. Das Ziel: Erkenntnisse sammeln für die Anwendung der Aquaponik im industriellen Maßstab. "Die Pflanzen müssen natürlich in einer sehr guten Qualität produziert werden", erklärt Professor Palm und denkt dabei an Supermarkt-Ware aus aquaponischem Anbau. "Einen Basilikum mit hellgelben Blättern kauft niemand." Quasi nebenbei haben die Forscher in Rostock bei ihren Versuchen übrigens bemerkt, dass die afrikanischen Welse in der WG mit den Pflanzen nicht nur vom sauberen Wasser profitieren, sondern dass es ihnen besser geht als Tieren in reinen Aquakulturen. Ein Effekt, den Harry Palm noch genauer untersuchen möchte: "Wir wissen noch nicht, welche Verursacher dahinterstehen, ob es bakterielle Prozesse sind. Aber die Fische sind gesünder, wenn wir Pflanzen im Kreislauf haben."
Aquaponik schont Böden und Fischbestände
Geht es nach dem Landwirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern, dann wird das Bundesland im Nordosten Deutschlands künftig Vorreiter bei der Aquaponik in Deutschland sein. Für Professor Palm liegen die Vorteile des Verfahrens auf der Hand. Nicht nur dass die Zucht von Fischen in künstlicher Umgebung die natürlichen Fischbestände schont. Der Wasserkreislauf zwischen Zuchtbecken und Gewächshäusern sorgt auch dafür, dass Nitrate aus der Fischzucht und künstliche Dünger aus dem Pflanzenanbau gar nicht erst in die Umwelt gelangen können und Gewässer und Böden belasten.
Fisch gewinnt als Nahrungsmittel an Bedeutung
Hinzu kommt, dass Fisch angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung als Nahrungsmittel immer wichtiger werden dürfte, meint Harry Palm. "Man muss auch weltweit denken. Ein Fisch hat pro Kilogramm Filet den geringsten Wasser- und auch den geringsten Futterverbrauch im Vergleich zu Huhn, Schwein und Rind." Auch die Welternährungsorganisation FAO rechnet für die Zukunft mit einer stark steigenden Nachfrage nach Fisch. Kommerzielle Fischfarmen gelten daher als der Bereich der Tierproduktion mit dem stärksten Wachstumspotenzial. In Deutschland stammen bisher allerdings nur etwa drei Prozent des konsumierten Fischs aus heimischen Aquakulturen. Mecklenburg-Vorpommern sieht sich daher als Wegbereiter und setzt sich unter anderem für ein Bio-Siegel für Fische aus aquaponischen Anlagen ein – das gibt es bisher nämlich nicht. Die Fische aus der Versuchsanlage in Rostock gedeihen jedenfalls schon mal prächtig. Mit einigen von ihnen hat Professor Palm sogar schon den Sushi-Selbstversuch gemacht.