Stand: 30.07.2020 17:53 Uhr

Kommentar: Die Monate der Wahrheit kommen noch

Die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben im Frühjahr zu einem beispiellosen Wirtschaftseinbruch in Deutschland geführt. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, fiel das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um 10,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Für das laufende Quartal hoffen Ökonomen auf eine Rückkehr zum Wachstum. Auf dem Arbeitsmarkt hat sich die Lage bereits etwas stabilisiert. Wo stehen wir mit unserer Wirtschaft zur Mitte des Jahres?

Ein Kommentar von Jörg Pfuhl

Jörg Pfuhl © NDR Foto: Klaus Westermann
Jörg Pfuhl meint, dass die wirtschaftlichen Folgen einer zweiten Welle vermutlich besser verkraftbar wären.

Der Einbruch der deutschen Wirtschaft ist beispiellos. Zweistellig, das gab es noch nie. Mehr als doppelt so stark wie in der Finanzkrise. "Nun ist sie amtlich, die Jahrhundert-Rezession", heißt es bei der Deka-Bank.

Kein Wunder, wenn große deutsche Konzerne reihenweise Milliardenverluste schreiben, von Volkswagen über Airbus bis zur Deutschen Bahn. Das Minus von gut zehn Prozent in der deutschen Wirtschaftsleistung gibt einen Fingerzeig, was auf den Arbeitsmarkt noch zukommen mag.

Kurzarbeit verdeckt das Schlagloch

Dort scheint ja noch alles so halbwegs im Lot: "Saisonüblich", so sagt die Bundesanstalt für Arbeit, sei der kleine Anstieg bei den Arbeitslosen. Mit Corona habe er nichts zu tun - noch nicht. Denn aktuell verdeckt die Kurzarbeit noch das Schlagloch. Irgendwann wird der Arbeitsmarkt da reinrumpeln.

Im Oktober könnte es so weit sein - gar nicht wegen einer zweiten Welle, die hoffentlich ausbleibt. Sondern weil all jene Firmen, die eigentlich heute schon pleite sind, ihre Insolvenz dann auch anmelden müssen. Corona-bedingt ist diese Anmeldepflicht aktuell ausgesetzt, bis Ende September. Oktober und November also werden Monate der Wahrheit - für die Pandemie und für ihre wirtschaftlichen Folgen.

Deutschland ist kreditwürdig

Es gibt auch ein paar Nachrichten, die hoffnungsvoll stimmen: Es sind heute weniger Menschen in Kurzarbeit als noch im Frühjahr. Der IFO-Index, also die Stimmung in den Manageretagen, steigt wieder seit nun drei Monaten. Auf eine zweite Welle wäre Deutschland besser vorbereitet - es gibt mehr Testcenter, mehr Masken und eine Warn-App. Die wirtschaftlichen Folgen einer zweiten Welle wären vermutlich besser verkraftbar.

Auch muss Deutschland noch keine Angst haben, ob es sich all seine Ausgaben leisten kann, die Milliarden für Konjunkturprogramme, für Kurzarbeit, für Überbrückungshilfen. Es ist zwar alles auf Pump, aber das Land ist kreditwürdig, noch eine ganze Weile.

Angst vor wirtschaftlichem Totalschaden

Bange machen könnte eher eine andere Frage: Ob das deutsche Geschäftsmodell noch funktionieren wird, wenn die Pandemie vorbei ist. Denn die Industrie steckte ja schon vor Corona in einer Rezession. Die Automobil-Hersteller haben die Mobilitätswende verschleppt, die Deutsche Bahn hatte schon vor Corona kein Geld für nötige Investitionen - und so viele Flugzeuge, wie Airbus zuvor produziert hat, wurden und werden in Wahrheit gar nicht gebraucht.

Ein bloßer Betriebsunfall ist diese Rezession deshalb nicht. Hauptsache, sie wird kein Totalschaden.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 30.07.2020 | 17:08 Uhr

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