Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne - v.l.n.r.) kommen gemeinsam aus dem Schloss Meseberg in Brandenburg © dpa-Bildfunk Foto: Kay Nietfeld/dpa
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Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne - v.l.n.r.) kommen gemeinsam aus dem Schloss Meseberg in Brandenburg © dpa-Bildfunk Foto: Kay Nietfeld/dpa
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Kommentar zur Bilanz der Ampel-Koalition: Drei sind einer zu viel

Stand: 09.12.2022 16:51 Uhr

Seit einem Jahr regieren SPD, Grüne und FDP gemeinsam Deutschland. Wie fällt die Bilanz der Ampelkoalition aus? Und welche Zukunft hat dieses Dreier-Bündnis?

Von Christoph Schwennicke, freier Autor

Bei Theaterkritiken und Buchbesprechungen ist es so: Ein Verriss schreibt sich weitgehend von selbst. Eine Hymne auch. Schwieriger wird es, wenn der Roman oder die Inszenierung Stärken und Schwächen aufweist. Die Beurteilung also differenzierter ausfallen muss, wenn es fair und redlich zugehen soll.

So verhält es sich auch mit dem Urteil über die Ampelkoalition nach deren erstem Jahr unter Bundeskanzler Olaf Scholz. Als brillant und über jeden Zweifel erhaben wird sie niemand wahrnehmen, dessen politische Sinne ungetrübt sind von politischer Neigung zu dieser oder jener teilnehmenden Partei. Aber ist die Ampel so schlecht, wie sie ein Jahr nach der Bundestagswahl in den Umfragen dasteht und teilweise gemacht wird?

Start unter extremen Bedingungen

Fakt ist: Lange nicht oder vielleicht noch nie hat eine Bundesregierung unter derart extremen Bedingungen die Arbeit aufgenommen. Eine Pandemie wütete noch im Land und bedrohte dessen kollektive Gesundheit und die Wirtschaft, da brach am 24. Februar dieses Jahres ein entfesselter russischer Präsident einen Krieg gegen ein Nachbarland los, von dem sich auch Deutschland nicht fernhalten konnte: Nicht politisch, nicht ökonomisch, und mittelbar auch nicht militärisch. Ansatzweise vergleichbar war vielleicht noch der Start von Rot-Grün 1998 - als sich eine Regierung aus zwei "Nie-Wieder-Krieg-Parteien" unversehens als Akteur im Balkankrieg wiederfand. Aber diese Regierung unter Gerhard Schröder verlor nach nicht einmal einem Jahr auch schon ihre innere Statik, als Oskar Lafontaine sein Amt als Finanzminister hinwarf und in sein heimisches Saarland floh.

Hohem Druck bislang standgehalten

Christoph Schwennicke © Cicero/Andrej Dallmann Foto: Andrej Dallmann
Dem äußeren Druck im ersten Regierungsjahr habe die Ampel standgehalten, bilanziert Christoph Schwennicke.

Die Regierung von Olaf Scholz und dessen Vizekanzlern Christian Lindner und Robert Habeck hält dagegen dem enormen äußeren Druck bisher stand. Die Ampel hat das Land, bis dahin abhängig von russischem Gas wie kein anderes auf der Welt, am Laufen gehalten. Die Speicher sind voll, die Heizungen in den Haushalten heizen, und die Industrie kann produzieren, und der Strom fällt nicht aus. Das mögen vor dem 24. Februar Selbstverständlichkeiten gewesen sein. Jetzt ist es eine Leistung.

Zwei grundsätzliche Probleme kennzeichnen diese Regierung dennoch. Eines geht vor allem auf den Bundeskanzler zurück. Das zweite und erheblichere auf die Grünen und die FDP.

Scholz kann - oder will - nicht reden

Olaf Scholz redet nicht gern. Jedenfalls wirkt er oft so, als sei ihm das lästig. Und wenn er redet, sagt er sehr meistens nichts dabei. Seine Gabe der verschachtelten Phrasen und Binsen reicht noch über jene seiner Vorgängerin Angela Merkel hinaus - und die war schon verdammt gut in dieser Disziplin. Der Vorteil dieses wohltemperierten und tonlos vorgetragenen Nichts ist, dass man ihn bei nichts packen kann. Der Nachteil ist, dass Sinn und Zweck des jeweiligen Handelns nicht nachvollziehbar werden. 

Nirgendwo wurde das so deutlich wie bei den Waffenlieferungen an die Ukraine. Beeindruckend war, wie sich Scholz vom ungestümen Aktionismus eigener Koalitionäre wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Toni Hofreiter sowie dem früheren ukrainischen Botschafter nicht treiben ließ, sondern besonnen blieb und alles aufs Engste mit den Verbündeten, vor allem den USA, abstimmte. Trotzdem war Deutschland, inzwischen nachweislich einer der Meistlieferanten von schwerem militärischen Gerät an die Ukraine, in den Ruf des Drückebergers und Zauderers geraten und hat sich davon bis heute nicht richtig befreit. Die Gründe liegen auch in der Maulfaulheit des Bundeskanzlers, eine Lustlosigkeit des Kommunizierens, die von periodischen Anfällen der Großspurigkeit und Hybris noch konterkariert und verschlimmert wird.

Grüne und FDP mit struktureller Unvereinbarkeit

Das zweite und noch tiefere Problem der Ampel gründet in der strukturellen Unvereinbarkeit der beiden anderen Koalitionspartner. Grüne und Gelbe hatten sich und der Außenwelt etwas vorgemacht in der Phase der Koalitionsverhandlungen, in der sie so taten, als hätten sie sich im Zuge dessen endlich näher kennen- und damit schätzen gelernt.

Das mag auf der persönlichen Ebene sogar stimmen. Auf der inhaltlichen Ebene stimmt es nicht. FDP-Chef Christian Lindner lag mit seiner vor der Wahl getätigten Aussage richtig: Dass ihm für das Zustandekommen und Funktionieren eines Ampel-Bündnisses die Phantasie fehle. Er ist dann das Wagnis dennoch eingegangen, weil er kein zweites Mal in Folge eine Option aufs Regieren vorbeiziehen lassen konnte.

Der Druck wird die Koalition trotzdem zusammenhalten

Jetzt verhaken sich Grün und Gelb immer wieder lustvoll ineinander. Beharren auf ihren Standpunkten, die unselig ideologisch grundiert sind. Natürlich wäre es im Zuge des Ukraine-Kriegs energiepolitisch doppelt richtig gewesen, mindestens ein temporäres Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen. UND mindestens die drei noch aktiven Atomkraftwerke im Land bis auf weiteres laufen zu lassen. Aber die FDP ließ von ihrem Freiheitsfetisch nicht ab, auf deutschen Autobahnen die Tachonadel weiter an den Anschlag fahren zu dürfen. Und die Grünen ließen nur eine minimale Abweichung vom Fahrplan des Atomausstiegs zu. Bei so viel Sturheit zu Lasten des Nutzens fasst sich der Rest der Welt beim Blick auf Deutschland an den Kopf.

Es ist daher festzuhalten: Sozialliberal würde vermutlich gehen. Rot-Grün auch. Aber Rot-Grün-Gelb geht nicht. Weil Gelb und Grün für ein funktionierendes Bündnis zu wenig zusammenpassen. Drei sind hier einer zu viel.  

Der Druck der Verhältnisse wird diese Koalition dennoch für die Dauer der Legislaturperiode zusammenhalten.

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NDR Info | Kommentar | 11.12.2022 | 09:25 Uhr

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