Kommentar: Die Räumung in Lützerath sendet falsche Signale
Der NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung" von Markus Feldenkirchen ("Der Spiegel")
Es sind problematische Bilder, die die Räumung des Dorfes Lützerath am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus seit Tagen produziert. Sie, die Bilder von weggetragenen Menschen, von Abgeführten, von brennenden Barrikaden oder demolierten Autos haben eine verstörende Signalwirkung.
Da konnten diejenigen bemitleidenswerten Polizistinnen und Polizisten, die diese Räumung durchführen müssen, noch so geschickt, noch so behutsam vorgehen. Es wirkt zutiefst anachronistisch, wenn bewaffnete Männer und Frauen in dunkler Montur anrücken, um gegen jene vorzugehen, die richtigerweise verhindern wollen, dass noch mehr fossile Energie genutzt wird und der Klimawandel weiter beschleunigt wird. Mit dieser Räumung entsteht der Eindruck, als bekämpfe der Staat mit aller Macht den Klimaschutz. Als kämpfe er für das Falsche.
Die Vernichtung von Lützerath ist nicht logisch vermittelbar
Das tut er ganz nüchtern betrachtet auch. Da können die Spitzen der Grünen ihren Kompromiss-Deal mit RWE noch so preisen, der leider unabwendbar gewesen sei und obendrein noch viele Vorteile mit sich bringe: Dass dank dieses Deals viele Tonnen Braunkohle unter der Erde bleiben werden. Dass fünf andere Dörfer stehen bleiben dürfen. Trotzdem ist die Vernichtung von Lützerath und die Gewinnung weiterer Braunkohle nicht logisch vermittelbar.
Würden die Grünen den Klimaschutz so ernst nehmen, wie sie öffentlich bekunden, hätte ihre Führung konsequenter handeln müssen. Vor langer Zeit schon. Wenn verstörende Bilder wie in Lützerath entstehen, ist das bereits ein Beleg für und ein Eingeständnis von politischem Versagen. Dann liegt ein massives Versäumnis vor. Es ist falsch, diese letzten Reste Braunkohle auch noch aus der Erde schaufeln zu wollen.
Deshalb ist es richtig, mit Protesten auf diesen Irrsinn aufmerksam zu machen, zu dokumentieren, dass man nicht einverstanden ist, mit zivilem Ungehorsam und passivem Widerstand. Zumal es in einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung heißt, eine Abbaggerung weiterer Dörfer sei nicht mehr nötig, um den Kohlebedarf zu decken.
Die Fehler wurden vor allem in der Vergangenheit gemacht
Es ist ein verheerendes Signal, wenn man in Zeiten allerhöchster Klima-Not mehr Kohle verstromt statt weniger oder am besten gleich gar nichts - Russlands Krieg hin, Gaspreise her. Stattdessen hätten alle Alternativen gesucht werden müssen: noch stärkeres Energiesparen etwa. Oder, zur Not und auf Zeit, auch ein bisschen mehr Atomkraft. Nur weil die Räumung von Lützerath juristisch bestätigt wurde, ist sie jedenfalls nicht richtig.
Aber, und das sollte auch erwähnt werden, nur weil sie falsch ist, ist nicht jedes Mittel des Protests recht. Friedlicher Widerstand ist legitim, Gewalt nicht. Denn auch wenn man sich moralisch überlegen und im Recht fühlt: Es gibt Grenzen der Rechtmäßigkeit. Egal wie groß und wie berechtigt der Frust über die Politik ist.
Die Fehler wurden vor allem in der Vergangenheit gemacht. Aber diese Räumung sollte eine Lehre für die Zukunft sein. Dass solche Situationen, in denen sich Klimaretter und die Staatsmacht wie Feinde gegenüberstehen, antizipiert und verhindert werden müssen. Vor allem aber: Dass es von nun an keine halbgare, zögerlich-zaghafte Klimapolitik mehr geben darf. Dass der Ausbau von Erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarkraft maximal beschleunigt werden und absolute Priorität haben muss.
Lehren aus Lützerath
Damit dies gelingt, können ebenfalls Lehren aus Lützerath gezogen werden. Denn Proteste von erbosten Bürgern gab und gibt es auch gegen die Einrichtung einer Infrastruktur für Erneuerbare Energien. Gegen das Aufstellen von Windrädern einerseits. Noch viel stärker aber gegen all die Trassen und Leitungen, die noch verlegt werden und Speicher, die noch gebaut werden müssen, um ein alternatives Stromnetz zu schaffen, das auch wirklich funktioniert. Und es wird in Zukunft vermutlich sogar mehr von diesen Protesten geben.
Die politische Überzeugungsarbeit für den Bau dieser Infrastruktur sollte jedenfalls schleunigst beginnen. Damit wir demnächst nicht wieder Bilder sehen wie dieser Tage in Lützerath. Mit der bewaffneten Staatsmacht auf der einen und Vertretern von Bürger- oder Naturschutzinitiativen auf der anderen Seite. Die Energie, die aktuell von den Demonstrierenden in Lützerath ausgeht, wird auch in Zukunft gebraucht. Dann aber nicht gegen den Abriss eines Dorfes, sondern für den Bau von klimafreundlichen Energiequellen!
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