Mitreden! Deutschland diskutiert

Mit welchen Reformen wird Deutschland wieder handlungsfähig?

Montag, 24. März 2025, 20:15 bis 22:00 Uhr, NDR Info

Überbordende Bürokratie, schlampig gemachte Gesetze, verloren gegangene Innovationskraft: Der deutsche Staat hat mannigfaltige Probleme - und braucht nach Ansicht vieler Experten umfassende Reformen, etwa in Behörden und Verwaltung. Was sind Ihre Ideen, Vorschläge und Forderungen? Das wollten wir von Ihnen wissen bei "Mitreden! Deutschland diskutiert".

Moderator Christian Orth begrüßte als Gäste:

Julia Jäkel
Managerin, Aufsichtsrätin und Autorin der "Initiative für einen handlungsfähigen Staat", deren Zwischenbericht sie gemeinsam mit Andreas Voßkuhle, Peer Steinbrück und Thomas de Maizière in diesem Monat vorgelegt hat.

Prof. Dr. Jasmin Riedl
Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München, arbeitet unter anderem zu gesellschaftlicher Polarisierung sowie zu politischen Institutionen und Akteuren.

Dr. Beate Ginzel
Referatsleiterin "Digitale Stadt" im Leipziger Dezernat Wirtschaft, Arbeit und Digitales

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Der Fliesenleger Sven Kirchhoff arbeitet an einem Tisch. © NDR Foto: Svenja Nanninga

Bürokratie statt Hobelbank - die Sorgen der Handwerker

Die Auftragsbücher vieler Betriebe sind zwar gut gefüllt, doch sie klagen über viel Bürokratie. Mit der Folge keinen Nachfolger zu finden. extern

Vorschriften, die kaum jemand versteht. Anträge, die zig Bewilligungsstellen passieren. Sozialleistungen, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Dass es hierzulande ein Bürokratie-Problem gibt, gilt als unumstritten. Oder wie es Lutz Goebel, der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats, im Herbst formuliert hat: "Deutschland ist und bleibt ein kompliziertes Land, das sich eingemauert hat in einer Vielzahl von Regeln und Verfahren."  

Der moderne Staat als Ziel

Zwar hat sich zuletzt etwas getan. Als ein Positivbeispiel gilt das von der Ampelregierung auf den Weg gebrachte Wachstumschancengesetz. Einzelne Bundesländer haben Gesetze zum Abbau von Bürokratie beschlossen; viele Städte und Gemeinden bemühen sich um bürgerfreundliche Lösungen, ermöglichen etwa digitale Bauanträge und vereinfachen ihre Online-Plattformen.

Doch nicht nur Handwerk, Industrie, Verbraucherschützer und - laut Umfragen auch die meisten Bürger - meinen: Das sei noch zu wenig, große Reformen müssten her. Die im vergangenen Jahr ins Leben gerufene "Initiative für einen handlungsfähigen Staat" ist ebenfalls dieser Ansicht. Sie hat in ihrem nun vorgelegten Zwischenbericht die Strukturen analysiert und darauf basierend 30 Empfehlungen abgegeben, die auf einen grundlegenden Kurswechsel in Behörden, Politik und Gesellschaft abzielen.

"Initiative für einen handlungsfähigen Staat"

Die Schirmherrschaft liegt bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Sie verfolgt laut Selbstauskunft keine Eigeninteressen.
Die Initiatoren sind:
Julia Jäkel, Medienmanagerin
Peer Steinbrück (früherer Bundesfinanzminister, SPD)
Thomas de Maizière (früherer Bundesinnenminister, CDU)
Andreas Voßkuhle (ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts).
Unterstützt und finanziert wird sie von den Stiftungen:
Fritz Thyssen, Hertie, Mercator und der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS

30 Empfehlungen, um Deutschland wieder "fit zu machen"

So fordert die Initiative etwa transparent erarbeitete, gründlicher formulierte und innovationsoffenere Gesetze mit sogenannter Experimentierklausel; grundsätzlich müsse man weg von einer "Absicherungsmentalität". Die Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Kommunen sollten klarer verteilt, Datenschutzregeln gelockert, Zuständigkeiten für Sozialleistungen gebündelt werden.

Ein zentrale Online-Plattform solle Sozialleistungen künftig bereitstellen, ein Ministerium für Digitales und Verwaltung müsse geschaffen, ein Nationaler Bildungsrat gegründet werden. Der Staat? Solle stärker als Investor auftreten, Mitarbeitern in Verwaltungen bessere Perspektiven aufzeigen, sich dort auch stärker für Seiteneinsteiger öffnen. 

Diese und andere große Reformen müssten aber nicht nur gut erklärt werden, sondern dem "Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger Rechnung tragen" - ohne allen gefallen zu müssen. Weitermachen wie bisher könne Deutschland in Zeiten rasanter weltweiter Veränderungen auf jeden Fall nicht, sagt Mitinitiatorin Julia Jäkel: "Es gibt eine Vielzahl eklatanter Dysfunktionalitäten." Doch wie können diese reduziert werden?

USA: Umbau mit der "Kettensäge"

Die Initiative hat die, so heißt es, "Gelingensbedingungen" im Blickpunkt und hält Erfolg nur im Einklang mit Mitarbeitern, Umwelt und Demokratie für möglich. Die Stadt Leipzig verfolgt einen solchen Ansatz: KI soll hier auch dazu dienen, Mitarbeiter von monotonen Aufgaben zu entlasten. Andere Kommunen gehen ähnliche Wege. Ein radikaler Staatsumbau wie in den USA oder in Argentinien unter den "Kettensägen-Männern" Elon Musk und Javier Milei gilt hingegen kaum einem als Vorbild.

Was nicht bedeutet, dass die neuesten Reformvorschläge für Deutschland allen gefallen. Sozialstaatsexperte Winfried Süß vom Zentrum für Zeithistorische Forschung zum Beispiel sprach beim MDR von einem "nicht besonders geglückten Versuch, eine einfache Antwort auf komplizierte Fragen zu finden". Dennoch: Die möglichen neuen Koalitionäre von Union und SPD stehen in engem Austausch mit den "Reformern" um Julia Jäkel - gut möglich, dass sich viele Empfehlungen der Initiative im Koalitionsvertrag so oder so ähnlich wiederfinden.

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