"Zero Waste"-Citys: Wie zwei Städte fast ohne Müll leben wollen
Die Stadt Kiel ist Deutschlands erste zertifizierte "Zero Waste"-City. "Zero Waste" bedeutet: null Müll. In Deutschland ist diese Bewegung noch Neuland - europaweit machen schon viele Gemeinden und Städte mit. Als Vorreiter gilt Roubaix in Frankreich.
Kiel hat ehrgeizige Ziele: Bis 2035 soll die Gesamtabfallmenge pro Einwohner und Jahr um durchschnittlich 15 Prozent sinken. Die Restmüllmenge soll im gleichen Zeitraum sogar halbiert werden. Durch weniger Verpackungsproduktion und -entsorgung will die schleswig-holsteinische Stadt so die Treibhausgas-Emissionen verringern und Ressourcen schonen.
Kiel ist die erste offizielle "Zero Waste"-City in Deutschland
Als erste Stadt in Deutschland hat sich Kiel dem internationalen Netzwerk "Zero Waste Europe" angeschlossen und gemeinsam mit seinen Bürgerinnen und Bürgern ein Zero-Waste-Konzept mit mehr als 100 Maßnahmen zur Abfallvermeidung erstellt. Seit 2020 wird an der Umsetzung gearbeitet, Abfälle gar nicht erst entstehen zu lassen und Rohstoffe in einer Kreislaufwirtschaft zu nutzen.
"Wir machen jede Menge Aktionen, um am Ende noch höchstens 50 Kilogramm Restabfall pro Person und Jahr zu haben. Das ist ein langer Weg, aber ein ganz wichtiger Schlüssel, um besser mit den Ressourcen umzugehen", sagte Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) NDR Info.
So will Kiel Müll reduzieren
Die Aktionen reichen von Aufklärung in Kitas und Schulen über plastikfreies Einkaufen bis zu einer Neuregelung des Abfallgebührensystems, um finanzielle Anreize zu schaffen. "Wir können die Gesellschaft so organisieren, dass fast kein Restabfall anfällt", meint Kämpfer. "Die Techniken und Methoden sind alle da - Abfall zu trennen, ihn nicht zu deponieren, ihn am besten gar nicht entstehen zu lassen. Unsere Ignoranz und unsere Bequemlichkeit stehen dagegen." Deshalb müsse man es den Leuten so einfach wie möglich machen, Müll zu vermeiden. Auf der Kieler Woche habe es dieses Jahr deshalb zum Beispiel Mehrwegbecher an den Getränkeständen sowie öffentliche Trinkwasserspender gegeben.
"Zero Waste"-Vorbild: Roubaix in Frankreich
Es den Bürgern einfach machen - so ist auch die nordfranzösische Stadt Roubaix gestartet, als sie sich 2014 der "Zero Waste"-Bewegung anschloss. Damals prägte Müll das Stadtbild und Mülltrennung war für viele Einwohner ein Fremdwort. Heute gilt Roubaix als Vorreiter in Sachen Müllvermeidung. Auf der Suche nach einer innovativen Zukunftsperspektive hat sich die Stadt dazu entschieden, eine ökologische Transformation zu vollziehen.
Den Start machten 100 Familien, die in Workshops lernten, weniger Müll zu produzieren. Eine der ersten Teilnehmerinnen war Magdalène Deleporte, die in einem Vier-Personen-Haushalt lebt. "Meine Mülltonne wog damals nach drei Tagen fünf Kilo. Nach sechs Monaten, in denen ich mich mit Workshops beschäftigt und vor allem mein Kaufverhalten beobachtet habe, sind wir in einer Woche auf weniger als ein Kilo gekommen", beschreibt sie den "Lernerfolg".
Ihre Familie spare darüber hinaus etwa 150 Euro im Monat durch die eigene Herstellung von Shampoo, Deo und Zahnpasta. Somit mache sich die Teilnahme am "Zero-Waste"-Programm auch finanziell bemerkbar.
"Zero Waste" in Roubaix: Sozialer Aspekt besonders wichtig
Deleporte arbeitet mittlerweile als Expertin für Müllvermeidung bei dem Projekt. Für sie stehen besonders die sozialen Aspekte der Bewegung im Vordergrund: "Es gibt wirklich ein totales Engagement bei allen Akteuren der Stadt. Alle Schulen und die ganze Verwaltung sind dabei." Ein Schwerpunkt liege dabei auf der Unterstützung für Familien. "Wir wissen, dass unser Projekt ihnen im Alltag helfen kann. Wir können ganz konkret Begleitung und Hilfe anbieten."
Die "Zero-Waste"-Bewegung hat sich auch im Stadtbild niedergeschlagen: in öffentlichen Gärten gibt es Bildungsangebote rund um das Thema Landwirtschaft und Ökologie. In großen Holzboxen an den Straßen können Bürgerinnen und Bürger ihre Obst- und Gemüse-Abfälle entsorgen - so produziert die Stadt eigenen Kompost. All diese kleinen Aktionen sollen zu einem großen Umbruch führen, wie Alexandre Garcin, der stellvertretende Bürgermeister, NDR Info erklärt hat: "Unser Ziel ist die Einführung einer neuen Wirtschaft, der Kreislaufwirtschaft, geworden, die viele Arbeitsplätze schafft."
Kreislaufwirtschaft als Zukunftsmodell
Der Weg dorthin führt über die Müllreduzierung. In Roubaix landen pro Jahr und Einwohner 240 Kilo Restmüll in der Verbrennungsanlage. Die "Zero-Waste"-Familien kommen im Jahr durchschnittlich nur auf 70 Kilo pro Person.
"Wir können also unsere Abfallproduktion wirklich sehr stark reduzieren und schaffen damit viele positive Aspekte: Man gibt weniger Geld aus, es ist besser für die Wirtschaft und letztlich hat es auch positive Effekte auf die Gesundheit, weil wir bewusster und besser konsumieren", erklärt Garcin.
"Was da in Roubaix passiert ist, ist ähnlich wie bei uns", sagt Kiels Bürgermeister Kämpfer. Er sieht der Zukunft ebenso positiv wie realistisch entgegen: Tatsächlich gar keinen Müll zu verursachen, was "Zero Waste" wörtlich bedeutet, sei ein sehr weiter Weg - "aber lassen sie uns erst einmal die Hälfte schaffen. Das kriegen wir auf alle Fälle hin."