Sommer, Sonne, Corona? Erkältungswelle rollt auch im Norden
So viele Menschen wie nie im Sommer sind aktuell erkältet und melden sich krank, Corona-Tests sind mitunter vergriffen: Die Erkältungswelle rollt auch im Norden, Hausarztpraxen haben gut zu tun.
"Wir haben unglaublich viele Infekt-Patienten zurzeit", sagt Katharina Apelt-Glitz, Hausärztin mit eigener Praxis im schleswig-holsteinischen Schenefeld. Sie schaffe es in ihrer normalen Sprechstundenzeit gar nicht, alle Patienten, die akut Termine brauchen, zu sehen. "Ich bin ganz froh, dass man die telefonische Krankschreibung noch machen kann." Viele hätten einen hohen Leidensdruck: "Die sind wirklich richtig krank. Die haben Husten, Halsschmerzen, Fieber, massive Abgeschlagenheit." Ihre Patienten hätten "normale" Erkältungen, aber vermehrt auch Corona.
Die meisten Leute machten jedoch keine Tests mehr. "Wenn ich dann sage: 'Lassen Sie uns einen Test machen!' Dann sind die Leute ganz erstaunt und sagen 'Das kann ja nicht Corona sein, Corona ist ja vorbei.'" Politisch sei zwar das Ende der Pandemie verkündet worden, doch habe man die Menschen nicht ausreichend darüber aufgeklärt, dass Corona weiterhin überall präsent ist und man zu jeder Jahreszeit daran erkranken kann. Auch jetzt im Sommer: "Wir haben eine Covid-Welle, das ist eindeutig", so Apelt-Glitz.
Noch nie so viele Atemwegsinfekte im Sommer wie in diesem Jahr
Bundesweite Daten bestätigen diese Einschätzung. Derzeit sind für die Jahreszeit ungewöhnlich viele Menschen krank. Sie leiden an Erkältungssymptomen, haben Schnupfen, Husten, Fieber - und das oft wochenlang. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) haben sich seit Bestehen des Infekt-Beobachtungsportals im Jahr 2011 noch nie so viele Menschen im Sommer krankgemeldet wie in diesem Jahr. Aktuell sind es laut RKI-Wochenbericht gut fünf Millionen Menschen bundesweit, die von einer akuten Atemwegserkrankung betroffen sind.
Nach wochenlangem Anstieg hat sich die Gesamtzahl der Erkrankten in der vergangenen Woche erstmalig nicht erhöht - möglicherweise wegen der Schulferien in einigen Bundesländern. Die meisten der Erkrankungen werden durch die sogenannten Rhinoviren ausgelöst, besser bekannt als klassische Schnupfenerreger. Ihr Anteil, so zeigt es der aktuelle RKI-Wochenbericht, liegt bei rund 21 Prozent. Weil das Immunsystem durch das Masketragen während der Pandemie-Zeit lange keinen Kontakt mit den Erregern hatte, laborieren viele Erkrankte mit Husten, Schnupfen und Fieber deutlich länger herum als in anderen Sommern.
Corona-Anteil von 17 Prozent bei den Erkrankten
Seit gut vier Wochen nimmt darüber hinaus die Zahl der Corona-Infektionen zu, wie die Meldezahlen des RKI und das Abwassermonitoring zeigen. Sie machen aktuell rund 17 Prozent der gemeldeten Krankheitsfälle aus. In der Vorwoche waren es noch zwölf Prozent.
Anstieg der Infektzahlen auch in Hamburg und Niedersachsen
Auch in Hamburg steigt die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen. "Wir merken, dass unsere Infektsprechstunden wieder voller sind", sagt Jana Husemann, Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbands. "Wir merken es auch durch Ausfälle in den Praxisteams, die erkältungsbedingt sind." In einigen Apotheken in der Hansestadt seien Corona-Tests ausverkauft gewesen, sagt Apothekerin Dorothee Dartsch: "Wir haben dann nachbestellt." Jetzt gebe es wieder ausreichend davon.
In Niedersachsen werden seit einigen Wochen ebenfalls wieder mehr Covid-19-Fälle in Laboren nachgewiesen. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg laut Landesgesundheitsamt von nahezu 0 auf 4,8. Während der Corona-Pandemie war die Inzidenz eine wichtige Größe zur Einschätzung des Infektionsgeschehens. Da nur noch vergleichsweise selten auf das Virus getestet werde, liege der tatsächliche Wert wohl um einiges höher.
Omikron-Subvariante KP.3 greift um sich
Den beobachteten Anstieg der Corona-Infektionen erklären Forschende mit der Sub-Variante des Virus, die zurzeit in Deutschland unterwegs ist. Sie heißt KP.3 und macht bereits über die Hälfte der Neuinfektionen aus. Sie ist zwar vermutlich etwas ansteckender als die vorherigen Varianten, aber nicht besonders gefährlich. Weder steigt bisher die Anzahl der schweren Krankheitsverläufe an, noch nehmen die Krankenhauseinweisungen zu.
Das liege laut Hausärztin Apelt-Glitz vor allem daran, dass die meisten Menschen mindestens doppelt geimpft seien. "Auch wenn man den Impfschutz nicht regelmäßig auffrischt, ist die Grundimmunisierung mit zwei bis drei Impfungen und meist mehreren Infektionen so, dass sie einen bewahrt vor einem schweren Verlauf und Tod."
"Jede Infektion vermeiden": Ärztin rät weiter zum Masketragen
Ein Problem sei jedoch, dass man sich so leicht anstecken könne. In ihrer Praxis liefen deshalb weiterhin die Luftfilter und die Angestellten trügen Maske. In Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen sei das jedoch nicht mehr vorgeschrieben. "Ich finde es skandalös, dass man bei so hohen Inzidenzen, die man ja nur noch durch Abwasserdaten und RKI-Meldedaten erfassen kann, in Gesundheitseinrichtungen keine Maske mehr vorschreibt." Aus ihrer Sicht sollte man daher selbst weiterhin darauf achten, sich in geschlossenen Räumen mit vielen Leuten zu schützen. "Das ist völlig aus dem Sinn", kritisiert Apelt-Glitz.
Corona werde nie einfach nur eine Atemwegserkrankung sein wie zum Beispiel ein grippaler Infekt. "Es ist eine Multi-Organ-Erkrankung, eine Gefäßentzündung mit einem Risiko für kardio-vaskuläre Komplikationen und einer anhaltenden Immunveränderung, die dazu führt, dass man auch andere Infektionen leichter bekommt", so die Hausärztin. Daher die Devise: möglichst jede Infektion vermeiden.
Auffrischungsimpfung im Herbst empfohlen
Ab September sollen die an die neuen Flirt-Varianten angepassten Impfstoffe verfügbar sein. "Ich empfehle eine Auffrischimpfung, vor allem für ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen oder deren letzte Impfung oder Infektion schon länger her ist", sagt Apelt-Glitz.
Das Risiko für Long-Covid liege bei Ungeimpften bei bis zu zehn Prozent, bei Geimpften sinkt es auf unter fünf Prozent. "Trotzdem ist das natürlich immer noch hoch", sagt Apelt-Glitz. Zudem bringe jede erneute Corona-Infektion ein Risiko für Long-Covid mit und schwäche zudem das Immunsystem. Und das unabhängig davon, ob gerade Winter oder Sommer ist. "Es hält sich nachhaltig das Märchen, Corona sei saisonal und in den Wintermonaten verstärkt. Wir haben immer wieder Wellen in Abständen von vier Monaten. Das hat mit der Jahreszeit überhaupt nichts mehr zu tun."