Silvesterfeuerwerk: Umweltbundesamt und Soziologe gegen Verbot

Stand: 29.11.2023 18:20 Uhr

Sollte privates Silvesterfeuerwerk verboten werden? Vor allem nach gewalttätigen Ausschreitungen am vergangenen Jahreswechsel hat auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) für ein bundesweites Böllerverbot plädiert. Anders sahen es die Gesprächspartner bei NDR Info Live zum Thema.

Das Jahresende naht und schon jetzt scheint klar: Silvester wird laut. Bis September wurden rund 24.400 Tonnen Feuerwerkskörper nach Deutschland importiert - vier Mal so viel wie im vergangenen Jahr. Für viele ist das bunte Spektakel ein Lichtblick in der dunklen Jahreszeit, ein Gemeinschaftserlebnis. Ein Bündnis aus Umwelt- und Tierschützern sowie Polizeigewerkschaftern fordert dagegen ein allgemeines Böllerverbot. Denn auch im vergangenen Jahr waren die Notaufnahmen wieder voll mit Verletzten - und Einsatzkräfte waren von Randalieren mit Raketen und Böllern angegriffen worden. Davon berichtete bei NDR Info Live auch Thorsten Kraatz von der Feuerwehr Hamburg. Auffällig sei auch gewesen, dass selbst kleine Kinder sich beim privaten Böllern teils schwer verletzten. Dennoch verspreche er sich von einem generellen Böllerverbot nicht viel, unerlaubtes Material würde es trotzdem geben. Man solle selbst darauf achten, dass man vernünftig mit Feuerwerk umgehe. Sein Tipp: So lange man noch nüchtern ist, sollte man sich die Gebrauchsanleitung durchlesen.

Soziologe: Silvesterfeuerwerk als Gemeinschaftserlebnis

Auch der Soziologe und Pyrotechniker Felix Martens hält nichts davon, privates Feuerwerk generell zu verbieten. Auch den Tierschutz-Aspekt ließ er im Gespräch nicht gelten, sondern berichtete von seinen Erfahrungen, dass man Haustiere an die lauten Böller-Geräusche gewöhnen könne. Aus soziologischer Sicht benannte er einen von - aus seiner Sicht - vielen Aspekten, die Feuerwerk für Menschen faszinierend macht: "Feuerwerk an Silvester ist zunächst etwas Individuelles, das aber auch verbindet - ein sozialer Resonanzraum. Das ist etwas Wertvolles." Im Alltag seien wir vielen gesellschaftlichen Zwängen unterworfen. Das einmal im Jahr kollektive, aber dennoch kontrollierte "Ausrasten" sei ein weltweites Phänomen. An Regeln der Rücksicht müsse man sich natürlich dennoch halten.

Umweltbundesamt: Feinstaubbelastung rechtfertigt kein generelles Böllerverbot

Ein Argument der Gegner von Silvesterfeuerwerk ist der Umweltaspekt. Doch Ute Dauert vom Umweltbundesamt relativierte die Gefahr einer Gesundheitsbelastung. "Da zur gleichen Zeit, am gleichen Ort von vielen Menschen Feuerwerk abgebrannt wird, haben wir kurz nach Mitternacht die höchsten Feinstaubkonzentrationen eines Jahres. Das bezieht sich auf stündliche Werte. Da haben wir bis zu 1.000 Mikrogramm pro Kubikmeter Feinstaub in der Luft. Aber: Wir haben in dieser Nacht in etwa ein bis zwei Prozent dessen, was in ganz Deutschland im ganzen Jahr freigesetzt wird." Für Menschen mit Lungenvorerkrankungen könnten aber diese sehr hohen Spitzen in der Silvesternacht dennoch zu akuten Problemen führen.

Wie groß ist die Begeisterung für privates Böllern?

Wollen überhaupt noch so viele Menschen mit privatem Feuerwerk das neue Jahr begrüßen? Bei einer nicht repräsentativen Umfrage unter den Instagram-Userinnen und -Usern von NDR Info sprachen sich 73 Prozent gegen ein Böllerverbot an Silvester aus. Zu einem anderen Ergebnis kommt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov: Demnach sind nur 14 Prozent der Befragten "voll und ganz" für das traditionelle Silvesterfeuerwerk.

Niedersachsen: Feuerwerk-Verbotszonen statt allgemeines Böllerverbot

Als bisher einziges norddeutsches Bundesland hat sich Niedersachsen klar positioniert: Innenministerin Daniela Behrens sprach sich gegen ein allgemeines Böllerverbot aus. "Ich beobachte durchaus mit Sorge, dass jährlich Tausende Menschen Verletzungen durch Feuerwerkskörper erleiden und damit zum Jahreswechsel auch die Rettungskräfte und die Polizei immer stark gefordert sind", sagte die SPD-Politikerin. Zudem hätten Böller eine unrühmliche Rolle bei den Silvesterkrawallen im vergangenen Jahr gespielt. Die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger würden aber friedlich und verantwortlich mit dem Feuerwerk am Silvesterabend umgehen. Fraglich sei auch, ob ein Verbot die Krawallmacher überhaupt treffe, weil diese häufig ohnehin verbotenes Feuerwerk einsetzten. "Ich halte daher die Einrichtung von Feuerwerksverbotszonen durch die Kommunen, insbesondere durch die größeren niedersächsischen Städte, für zielführender", sagte Behrens.

Hamburg: Böller-Verbotszonen werden wohl nicht ausgeweitet

In Hamburg wird es an Silvester höchstwahrscheinlich keine zusätzlichen Böller-Verbotszonen geben. Im vergangenen Jahr war Feuerwerk rund um die Binnenalster und auf dem Rathausmarkt verboten. Weitere Verbote ließen sich nicht rechtssicher begründen, heißt es in einem Bericht von Innensenator Andy Grote (SPD) an die Hamburgische Bürgerschaft. Denn dazu müsste man klar eine erhöhte Gefahr für Leib und Leben absehen können.

Mecklenburg-Vorpommern: Kein Feuerwerk nahe brandgefährdeten Gebäuden

Auch in Mecklenburg-Vorpommern zeichnet sich bislang kein allgemeines Böllerverbot ab. Grundsätzlich ist das Abbrennen von Feuerwerk in der Nähe von Reetdächern und anderen brandgefährdeten Objekten wie Scheunen oder Holzlagern verboten. Weitere Einschränkungen gibt es im Kreis Nordwestmecklenburg, dort darf in einigen kleineren Orten gar nicht geböllert werden. Auch in Teilen von Wismar gilt ein Feuerwerksverbot. In Greifswald gelten Einschränkungen in der Innenstadt und in Wiek, vor allem im Bereich brandgefährdeter Gebäude. Die Stadt Barth hatte im vergangenen Jahr das Feuerwerk im Hafen untersagt, voraussichtlich wird das auch in diesem Jahr ähnlich geregelt. Außerdem darf nicht in unmittelbarer Nähe von Krankenhäusern, Kinder-, Alten- und Pflegeheimen, Kirchen und Tankstellen geböllert werden - das gilt landesweit. Einige Städte wie Schwerin weisen explizit darauf hin. Noch haben aber nicht alle Städte und Ämter in Mecklenburg-Vorpommern über konkrete Regelungen entschieden. Die größte Stadt des Landes, Rostock, kündigt das für die kommenden zwei Wochen an.

Schleswig-Holstein: Auf vielen Nordseeinseln ist Feuerwerk traditionell verboten

In Schleswig-Holstein war nach der Corona-bedingten Pause im vergangenen Jahr Feuerwerk wieder erlaubt - aber auch hier nicht überall. Laut Sprengstoffverordnung sind Böller und Raketen in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen sowie besonders brandempfindlichen Gebäuden - beispielsweise Tankstellen oder Reetdachhäuser - verboten. Traditionell ist auf vielen Nordseeinseln Feuerwerk verboten. Jeder Kreis, jede Stadt und jede Gemeine in Schleswig-Holstein kann zusätzlich eigene Verbotszonen festlegen. Für den kommenden Jahreswechsel liegen dazu noch keine Informationen vor.

Weitere Informationen
Vermüllte Straßen mit jede Menge Überbleibseln von Feuerwerk, Böllern und Verpackungen auf einer Straße und einem Gehweg. © Picture Alliance Foto: Torsten Sukrow

Trotz Ausschreitungen: Behrens gegen Böllerverbot an Silvester

Eine Mehrheit der Menschen gehe friedlich und verantwortlich mit Feuerwerk um, sagte Niedersachsens Innenministerin. mehr

Ein Banner in der Altstadt von Lüneburg weist eine Zone aus, in der das Anzünden von Feuerwerk untersagt ist. © picture alliance/dpa | Philipp Schulze Foto: Philipp Schulze

Silvester 2023 in Niedersachsen: Hier ist Feuerwerk verboten

Lilienthal hat wegen der Hochwasser-Lage ein Verbot ausgerufen. In anderen Orten ist die Alt- oder Innenstadt betroffen. mehr

Ein Polizist sichert in der Silvesternacht eine Straße in Hamburg. © TV Newskontor Foto: Screenshot

Silvester-Gewalt: Hamburger Polizei durchsucht Wohnungen

Der Verdacht richtet sich gegen drei Jugendliche. Die Beamten stellten Beweismittel in Wohnungen in Hausbruch sicher. mehr

Ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr mit dem Schriftzug Notfallrettung / Krankentransport. © NDR Foto: Julius Matuschik

13-Jähriger bei Explosion von Feuerwerk schwer verletzt

Der Junge hatte einen Böller-Blindgänger gefunden und angezündet. mehr

Heiko Sander spricht den Hamburg Kommentar. © NDR

Kommentar: Ursachen der Gewalt gegen Einsatzkräfte bekämpfen

Die Täter hart zu bestrafen und Böller zu verbieten - das hilft nicht gegen die Gewalt gegen Retter, meint Heiko Sander. mehr

Daniel Günther im Interview. © Screenshot
2 Min

Attacken mit Feuerwerkskörpern: Was sind die Konsequenzen?

In Peine will die Polizei zukünftig öfter auf Streife sein. Auch in Hamburg, SH und MV geht die Aufarbeitung weiter. 2 Min

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) © NDR

Grote: Gewalt gegen Einsatzkräfte kein reines Silvester-Problem

Laut Hamburgs Innensenator Andy Grote zeigen verschiedene Gruppen ein hohes Gewaltpotenzial - nicht nur an Silvester. mehr

Polizeibeamte mit Schutzhelmen und Warnwesten. Im Hintergrund Feuerwerk. © picture alliance/dpa | Clemens Heidrich Foto: Clemens Heidrich

Polizei Hannover ermittelt nach Silvester-Ausschreitungen

Mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren gegen Randalierer. Pistorius fordert eine schnelle Verurteilung der Täter. mehr

Ein Mann schaut skeptisch in die Kamera. Hinter ihm sind Raketen am Himmel und eine verbundene Hand zu sehen. © NDR
18 Min

Gefährliches Feuerwerk an Silvester

Polenböller im Netz kaufen und zünden - Dürfen die das? Reporter Viktor Kupka macht sich auf die Suche. 18 Min

Buntes Feuerwerk über einem See. © fotolia Foto: Sherri Camp

Feuerwerkshersteller will Raketen und Co. plastikfrei machen

Das Unternehmen Comet aus Bremerhaven will künftig Kunststoffe bei Pyrotechnik und Verpackungen vollständig vermeiden. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | NDR 90,3 Aktuell | 30.11.2023 | 06:00 Uhr

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Ein Fahrer der Verkehrsgesellschaft Rheinbahn ist im Rückspiegel zu sehen, während er einen Bus durch die Stadt steuert. © picture alliance Foto: Oliver Berg

Bye bye, Babyboomer! In diesen Jobs werden sie fehlen

Die geburtenstarken Jahrgänge gehen nach und nach in Rente. Wo im Norden und in welchen Branchen wird der Mangel am stärksten spürbar? mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?