Razzia gegen "Reichsbürger" in acht Bundesländern - auch im Norden
In acht Bundesländern sind Ermittler am Donnerstagmorgen gegen mutmaßliche "Reichsbürger" vorgegangen. Auch in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen durchsuchte die Polizei mehrere Objekte.
Bundesweit gebe es insgesamt 20 Beschuldigte. Ihnen werde die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Rund 280 Einsatzkräfte waren den Angaben zufolge in acht Bundesländern im Einsatz. Dabei seien mehrere Objekte durchsucht worden. Nach Angaben der Behörden wurde umfangreiches Beweismaterial wie Computer, Laptops und Smartphones sichergestellt, das nun ausgewertet werde. Zudem seien eine Schreckschusswaffe und Reizstoffgeräte gefunden worden.
Keine Festnahmen bei Razzia
Unter Leitung der Generalstaatsanwaltschaft München waren bei den Razzien Polizisten auch in den drei norddeutschen Ländern Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein im Einsatz - darüber hinaus in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg. Schwerpunkt der Aktionen war mit zehn Objekten das Land Baden-Württemberg. Der mutmaßliche Rädelsführer sei bereits vor zwei Jahren festgenommen worden. Weitere Festnahmen habe es bei der Razzia am Donnerstag nicht gegeben.
Frau aus Cuxhaven Bildung krimineller Vereinigung vorgeworfen
In Schleswig-Holstein gab es laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) an zwei Orten Untersuchungen: im Kreis Segeberg und in der Stadt Heide im Kreis Dithmarschen. In Hamburg und Niedersachsen handelte es sich jeweils um ein Objekt. Die Durchsuchung in Niedersachsen fand laut Landesinnenministerium bei einer Frau in Cuxhaven statt. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte, der Frau werde die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Bayerns Innenminister: "Reichsbürger sind nicht nur skurrile Spinner"
Die Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren sollen beispielsweise versucht haben, ganze Behörden mit massenhaften Anrufen und E-Mails lahmzulegen. Zudem seien Behörden-Mitarbeiter massiv beleidigt und bedroht worden, teilweise sogar mit dem Tode. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, "Reichsbürger" könnten nicht nur "skurrile Spinner" sein, sondern auch gefährliche Straftäter. Zu konkreten Übergriffen sei es aber bislang nicht gekommen.
Die Beschuldigten verabredeten sich nach Angaben der Ermittler zu ihren Vorhaben in mehreren Kanälen des Messenger-Dienstes Telegram, die von den Behörden seit Anfang 2021 beobachtet werden. Der Betreiber dieser Kanäle sei bereits im November 2021 festgenommen worden, es handle sich um einen 58-Jährigen aus der bayerischen Stadt Olching. Im April 2022 sei Anklage gegen ihn erhoben worden. Das Verfahren laufe noch.
"Reichsbürger" lehnen die Bundesrepublik ab
"Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Ähnlich denken sogenannte Selbstverwalter: Sie verstehen sich als dem Staat nicht zugehörig und erklären sich daher für unabhängig oder gar ihren "Austritt" aus der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Aussagen begründen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" meist pseudojuristisch oder pseudohistorisch. In Teilen bedient sich die Szene auch eines geschichtsrevisionistischen Gedankenguts sowie antisemitischer Argumentationsmuster, einschließlich der Leugnung des Holocaust.
Verfassungsschützer beobachten, dass die Szene wächst
Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" im Jahr 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu, 2.000 mehr als im Vorjahr. Auch für Schleswig-Holstein zeigten Zahlen des Verfassungsschutzes einen Zuwachs: Demnach gab es im Jahr 2022 landesweit 640 "Reichsbürger", 160 mehr als im Jahr zuvor. In Hamburg wurden der Szene im vergangenen Jahr insgesamt 340 Personen zugerechnet. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen schätzt, dass es im Land etwa 900 auffällig gewordene "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gibt.