Rabe zu IGLU-Studie: "In Familien wird zu wenig gelesen"
Laut IGLU-Studie hat jedes vierte Kind in der vierten Klasse große Schwierigkeiten beim Lesen. Für Hamburgs Schulsenator Ties Rabe ist der Hauptgrund, dass in den Familien zu wenig gelesen werde. Hier müssten die Schulen eingreifen, sagte er auf NDR Info - doch dafür müssten dort Prioritäten verschoben werden.
Die am Dienstag in Berlin veröffentlichte Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) zeigt, dass 25 Prozent der Kinder in dieser Altersstufe 2021 nicht die entsprechende Lesekompetenz hatten, die eigentlich für einen weiteren Schulbesuch nötig wäre. Für Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) spiegelt sich hier zum einen eine gesamteuropäische Entwicklung: "Deutschland vollzieht mit, was in ganz Europa passiert. Die Leseleistung sinkt", sagte Rabe am Mittwoch im Interview auf NDR Info. Das sei jedoch kein Grund sich auszuruhen. Denn der Grund für die sinkenden Leistungen sei nicht nur bei den langen Schulschließungen während der Corona-Pandemie zu suchen, sondern die Ursache liege tiefer: "Wir haben immer mehr Kinder, die zuhause nicht lesen, in deren Familien auch nicht gelesen wird".
Rabe: Schulsystem hat Lesen nicht genug Platz eingeräumt
Dazu trage die Veränderung der Schülerschaft bei, in der immer mehr Kinder mit Zuwanderungshintergrund seien, die zuhause nicht Deutsch sprechen. "Das Schulsystem hat sich bislang darauf verlassen, dass zuhause und im Umfeld Deutsch gesprochen und auch gelesen werde. Das können wir bei vielen Kindern nicht mehr voraussetzen", sagte Rabe. In Deutschland liege der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund mittlerweile bei 30 Prozent. "Deshalb muss die Schule dem Lesen hier eine größere Priorität einräumen." Die Übung müsse verstärkt in den Schulen stattfinden.
In diesem Punkt sieht der Schulsenator einen Hinweis in der Studie, "der wirklich alarmierend für Deutschland ist". In allen europäischen Ländern werde im Verlauf einer Schulwoche rund 200 Minuten im Unterricht gelesen. "Deutschland ist hier ein einsames Land, wo kaum gelesen wird in der Schule", sagte Rabe. "Wir haben diesem Üben zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, da müssen wir ran."
Prioritäten in der Schule müssen neu gesetzt werden
Um mehr Leseförderung in der Schule zu erreichen, müssten Prioritäten verändert werden. Aus Sicht von Rabe seien die Anforderungen an die Schule in der Vergangenheit stetig gestiegen. "Schule soll ganz viele Dinge reparieren, sie soll zur Werte-Erziehung beitragen, sie soll das Miteinander stärken, die Verkehrserziehung sicherstellen. Über die Vielzahl dieser Anforderungen haben wir vergessen, dass die Grundlagen immer mehr in den Hintergrund rücken." Unter Grundlagen versteht Rabe Lesen, Schreiben und das sichere Beherrschen der Grundrechenarten und des logischen Denkens.
"Man muss hier auch den Mut haben, die Aufmerksamkeit zu verschieben", sagte Rabe. Hamburg habe zum Beispiel in einem Drittel der Grundschulen eingeführt, dass die Kinder zusätzlich zum normalen Unterricht täglich 20 Minuten lesen. Damit habe Hamburg "enormen Erfolg" gehabt und sei im Vergleich der Bundesländer vom 14. Auf den dritten Platz vorgeschnellt.