Pressefreiheit verteidigen: Bedrohte Journalisten im Gespräch

Stand: 11.09.2023 20:34 Uhr

Heute startet die erste Hamburger Woche der Pressefreiheit. Zum Auftakt sprach Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni mit prominenten Gästen aus dem In- und Ausland. Der russische Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow sagte, unabhängigen Journalismus gebe es in Russland nicht mehr.

Der Journalist Dmitri Muratow war aus Moskau nach Hamburg gereist und eröffnete das Gespräch mit Moderator Zamperoni gleich mit einer Einschränkung: Er dürfe hier in Hamburg nur das sagen, was ihm auch in Moskau erlaubt sei zu sagen. Der Chefredakteur der von Russland verbotenen "Nowaja Gaseta" lebt noch in Russland und kehrt dorthin auch wieder zurück. Im Anschluss zeigte der russische Journalist Fotos seiner angegriffenen und stark verletzten Kollegin Jelena Milaschina und forderte Aufklärung von den russischen Behörden. Mit Blick auf die Lage in seiner Heimat sagte er: "Die Geschichte des unabhängigen Journalismus ist vorbei."

Dündar: Es wird schwer für mich, in die Türkei zurückzukehren

Auch der türkische Journalist Can Dündar erzählte von der Unterdrückung unabhängiger Berichterstattung in der Türkei. "Hoffen Sie, bald in die Türkei zurückkehren zu können?", fragte Zamperoni. Vor der letzten Wahl habe er diese Hoffnung gehabt, antwortete der ehemalige Chef der "Cumhuriyet". "Es ist fast unmöglich, in einer Autokratie eine Wahl zu gewinnen, während der Autokrat noch im Amt ist und die Medienlandschaft kontrolliert. So wird es nicht einfach für mich werden, in das Land zurückzukehren", antwortete Dündar. Der in Deutschland im Exil lebende Journalist werde auch hier von Erdogan-Unterstützern angegriffen, sagte er.

Pressefreiheit auch in Deutschland gefährdeter

Die Pressefreiheit ist nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland unter Druck. "Es gibt eine allgemeine Vertrauenskrise, die uns betrifft", sagte Jan Hollitzer, der Chefredakteur der "Thüringer Allgemeine", im Gespräch mit Ingo Zamperoni. Der Thüringer Redaktion werde vorgeworfen, gesteuert zu werden. Mittlerweile würden auch Reporter nach Recherchen beschimpft. Ein Kollege wurde sogar körperlich angegriffen und bedroht.

Auch Radikalisierung im Netz und Echokammern tragen zur Bedrohung der Pressefreiheit bei. Welche Rolle dabei Algorithmen und Soziale Medien spielen, erklärte Radikalisierungs-Expertin Huberta von Voss. Die wachsende Polarisierung sei eine zunehmende Gefahr für die Demokratie, da sie politisches Handeln erschwere.

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Can Dündar im Gespräch mit Ingo Zamperoni © Jann Wilken

1. Hamburger Woche der Pressefreiheit: Alle Infos

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Ingo Zamperoni begrüßte als Gäste unter anderem:

Dmitri Muratow

Dmitri Muratow im Gespräch bei NDR Info © NDR
Dmitri Muratow wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Dmitri Muratow ist Chefredakteur und Herausgeber der größten unabhängigen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta". Im Jahr 2021 erhielt er den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen um die Förderung der Meinungsfreiheit sowie des unabhängigen Journalismus. Seit 2000 wurden sechs Journalisten und Mitarbeiter der Zeitung getötet, darunter die Enthüllungsreporterin Anna Politkowskaja.

Russland hatte Muratow zuletzt zum "ausländischen Agenten" erklärt. Das russische Justizministerium teilte Anfang September mit, der Journalist habe "ausländische Plattformen genutzt, um Meinungen zu verbreiten, die darauf abzielen, eine negative Haltung gegenüber der Außen- und Innenpolitik der Russischen Föderation zu bilden". Einzelpersonen oder Gruppen, die mit dieser an den Sowjet-Begriff "Volksfeinde" erinnernden Bezeichnung gelistet werden, müssen ihre Finanzierungsquellen offenlegen. Zudem sind sie verpflichtet, alle Veröffentlichungen - einschließlich Einträge in Onlinenetzwerken -  entsprechend zu kennzeichnen. Am 28. März 2022 stellte die "Nowaja Gaseta" ihr Erscheinen vorläufig ein; am 5. September 2022 wurde ihr die Drucklizenz entzogen. Zahlreiche Redaktionsmitglieder leben mittlerweile außerhalb von Russland.

Can Dündar

Can Dündar © picture alliance/dpa | Annette Riedl Foto: Annette Riedl
Der türkische Journalist Can Dündar ging ins Exil nach Deutschland.

Er war Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" und lebt seit 2016 im deutschen Exil - um Haft und Verfolgung türkischer Behörden zu entgehen.

Im Mai 2015 hatte "Cumhuriyet" eine Recherche über Waffenlieferungen der türkischen Regierung an islamistische Milizen in Syrien veröffentlicht. Seine Reportage "Hier sind die Waffen, die Erdogan leugnet" war für die türkische Justiz Grund genug, Dündar zunächst zu verhaften und anzuklagen. Er kam wieder frei, dennoch wurde ihm wegen vermeintlicher Spionage und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung der Prozess gemacht.

Dündar verließ die Türkei nach einem Attentatsversuch auf ihn. Seitdem lebt er in Berlin, hat mit "Özgürüz" eine neue Zeitung gegründet und schreibt auch für deutsche Medienhäuser.

Anton Troianovski

Der Russland-Korrespondent der "New York Times" reiste für seine Recherchen und Berichte viel durch Russland. Jetzt allerdings arbeitet er von Berlin aus. Zu groß ist die Sorge, verhaftet zu werden - so, wie sein Freund Evan Gershkovic vom "Wall Street Journal".

Seitdem Gershkovic in Haft sitzt - mittlerweile mehr als hundert Tage - reisen westliche Journalisten in Russland nur noch mit Anwälten durchs Land - oder sie recherchieren beispielsweise aus Berlin, wie Anton Troianovski.

Huberta von Voss

Huberta von Voss © NDR
Wie wird man im Netz radikalisiert? Dazu forscht Huberta von Voss.

Die Wissenschaftlerin und Journalistin arbeitet am "Institute für Strategic Dialogue". Sie forscht über Radikalisierung im Netz und beschäftigt sich mit der Frage, wie Extremisten ihre Anhänger mobilisieren. Und wie geraten Nutzerinnen und Nutzer aus der "Mitte der Gesellschaft" in Räume des Internets, in denen sie radikalisiert werden können? Immer mehr Menschen richten sich heute in ihren Filterblasen ein. Das Internet, so von Voss, sei der wichtigste Debattenort unserer Gesellschaft. Daher fordert sie, es als unsere gemeinsame Aufgabe zu sehen, dass der digitale Raum nicht den lautesten und aggressivsten Stimmen gehöre.

NDR Info unterstützt Pressefreiheit

Unabhängige Berichterstattung und die freie Arbeit von Journalistinnen und Journalisten sind weltweit so stark bedroht wie lange nicht - auch in Deutschland. NDR Info steht seit 25 Jahren für Meinungsfreiheit und kritische Recherchen. Für uns ist Information ein Menschenrecht.

Als Partner der "1. Hamburger Woche der Pressefreiheit" lädt NDR Info auch im Namen der Initiatoren - der Körber-Stiftung und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius - zum Auftakt auf das NDR Gelände in Hamburg-Lokstedt.

VIDEO: Andreas Cichowicz: "Wir zeigen, wie wir die Pressefreiheit verteidigen" (5 Min)

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 11.09.2023 | 11:30 Uhr

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