Pistorius würdigt NATO als Garant für Freiheit und Sicherheit
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist zurzeit beim NATO-Gipfel in Washington. Auf NDR Info würdigte er das Bündnis als Garant für Freiheit und Sicherheit - und rief die Partner-Länder dazu auf, die Ukraine noch stärker zu unterstützen.
"75 Jahre NATO" - das Bündnis hat den Geburtstag am Dienstagabend mit einem großen Festakt gewürdigt. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vertritt der gebürtige Osnabrücker Pistorius beim NATO-Gipfel Deutschland. Beherrschendes Thema der Gespräche der Staats- und Regierungschefs sowie der Verteidigungsminister wird der Krieg in der Ukraine sein. US-Präsident Joe Biden kündigte bereits ein zusätzliches Patriot-Luftabwehrsystem der USA für die Ukraine an. Pistorius sprach mit NDR Info unter anderem über die Rolle Deutschlands und der NATO in dem von Russland begonnenen Krieg gegen die Ukraine und über die Zukunft der Bundeswehr.
Herr Pistorius, vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und in dieser Bedrohungslage: Ist Ihnen überhaupt zum Feiern zumute?
Boris Pistorius: Na ja, gefeiert in dem Sinne wird hier nicht. Es gibt einen Empfang, es gibt ein Dinner, aber im Wesentlichen sind es Arbeitstermine, die hier stattfinden - zur Ukraine, zu den neuen NATO-Plänen. Also: Es wird gearbeitet, das ist keine Party, wie man sie sich vielleicht vorstellen mag. Und trotzdem muss man ehrlicherweise sagen, dass die NATO 75 Jahre alt wird und dass es sie gibt, ist ein Umstand, für den wir sehr dankbar sein können - in Deutschland allemal, aber auch darüber hinaus. Die NATO hat 75 Jahre - und tut das auch in Zukunft - dafür gestanden, dass Freiheit und Frieden in Sicherheit möglich sind, soweit die NATO das gewährleisten kann. Und das hat sie getan.
Was ist die größte Herausforderung, vor der die NATO jetzt steht?
Pistorius: Als jemand, der den Kalten Krieg noch sehr bewusst erlebt hat, stehen wir jetzt wieder vor der großen Herausforderung, dass die größte Bedrohung für den euro-atlantischen Raum und darüber hinaus bis in die Arktis von Russland ausgeht - das beweist der Krieg, in dem Putin gegen die Ukraine völkerrechtswidrig und maximal brutal - wie jetzt gerade auch der Raketenangriff auf das Kinderkrankenhaus bewiesen hat - vorgeht. Das alles zeigt: Wir haben es leider wieder mit einer Bedrohung für die Sicherheit, des NATO-Territoriums, der NATO-Mitgliedstaaten zu tun - zumindest potenziell. Darauf müssen wir uns einstellen. Das ist seit Februar 2022 zentrale Aufgabe der NATO, der Verteidigungsminister und der Regierungschefs, dafür zu sorgen, dass die Weichen richtig und rechtzeitig gestellt werden, damit man das wieder kann, was früher in Zeiten des Kalten Krieges notwendig war, nämlich abschrecken und im Ernstfall auch verteidigen zu können.
Die Ukraine wehrt sich mit westlicher Hilfe gegen die russischen Angriffe. Wie groß ist die Gefahr, dass die NATO in diesen Krieg hineingezogen wird und wir auf einen Dritten Weltkrieg zusteuern?
Pistorius: Ich glaube, es gibt ja zum einen diejenigen, die das wirklich befürchten. Und es gibt diejenigen, die diese Angst gerne auch verstärken und herbeireden. Diese Gefahr besteht nicht, weil alle NATO-Mitgliedstaaten, alle Unterstützerstaaten der Ukraine sich völlig darüber im Klaren sind, dass die Grenze zur Kriegsbeteiligung nicht überschritten werden darf und überschritten werden wird. Wir unterstützen die Ukraine mit allem, was geht. Das ist völkerrechtlich völlig klar und sauber abgegrenzt und abgeklärt. Da gibt es gar keine Zweifel, und deswegen muss man sich darüber wirklich keine Gedanken machen.
Sie sagen, Sie unterstützen die Ukraine mit allem was geht. Derzeit reicht es für die Ukraine aber nicht für einen militärischen Befreiungsschlag. Ist das überhaupt das Ziel bei dieser militärischen Unterstützung?
Pistorius: Wir tun ja tatsächlich alles, was geht. Wir können aber gleichzeitig auch nicht alle unsere Bestände leerräumen, das gilt für die Bundeswehr genauso wie die anderen Nationen auch. Das wissen auch unsere ukrainischen Partner sehr klar. Aber natürlich wäre es an der ein oder anderen Stelle gut, wenn wir noch mehr liefern könnten. Aber das hängt am Ende auch an den Möglichkeiten der Rüstungsindustrie, die in manchen Bereichen, in manchen Systemen einfach nicht schneller liefern kann, weil die Kapazitäten nicht größer sind, als sie sind. Und deswegen muss es unser Bestreben sein, zum Beispiel im Feld "Luftverteidigungssysteme" mehr zu machen. Da ist Deutschland ganz vorne dabei. Wir sind im Übrigen, das muss man noch einmal unterstreichen, schon seit geraumer Zeit mit größtem Abstand weltweit nach den USA und vor allen anderen der größte Unterstützer der Ukraine und in Europa allemal der größte. Gleichzeitig gibt es aber nach wie vor deutlichen, notwendigen, dringenden Bedarf in der Ukraine für mehr Luftverteidigungssysteme. Wir haben drei Patriot-Systeme abgegeben. Das dritte ist gerade in der Ukraine angekommen. Andere haben weniger gemacht, andere ziehen jetzt nach. Da muss mehr passieren, um insbesondere die Infrastruktur, die kritische, aber auch die Energieversorgung und Krankenhäuser und anderes in der Ukraine wirksam zu schützen. Das ist jetzt die zentrale Aufgabe und gleichzeitig die Belieferung mit Artillerie-Munition, um den Abwehrkampf an den Fronten weiterführen zu können.
Wird von diesem NATO-Gipfel, von diesem Jubiläumsgipfel, etwas Konkretes ausgehen, was die Ukraine als nächsten Schritt bekommen wird?
Pistorius: Darüber laufen die Gespräche auf Ebene der Regierungschefs, daran bin ich nicht unmittelbar beteiligt. Ich gehe davon aus, dass es eine Bekräftigung geben wird dessen, was in Vilnius bereits beschlossen worden ist. Und alle sind sich darüber einig, dass die Zukunft der Ukraine in der NATO liegt. Und das wird sich sicherlich auf die ein oder andere Weise noch einmal verstärkt hier im Schlusskommunique wiederfinden.
Auch auf die Bundeswehr kommen neue Aufgaben zu. Doch das Plus im Haushaltsentwurf für den Verteidigungsetat ist deutlich geringer ausgefallen als von Ihnen gefordert. 1,2 Milliarden Euro statt sechs Milliarden, was Sie genannt haben. Da waren Sie ja schon auch ärgerlich, das haben Sie deutlich gemacht. Hat Sicherheit dann doch nicht oberste Priorität in Deutschland, wie vom Kanzler immer versprochen wird?
Pistorius: Also, der Kanzler hat immer wieder betont, zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz und auch im Bundestag, dass ohne Sicherheit alles andere nichts ist. Und das müssen wir uns immer vor Augen führen in der neuen Bedrohungslage, in der wir uns zusammen mit den NATO-Partnern befinden. Aber klar ist, es gibt gleichzeitig begrenzte Möglichkeiten. Das gilt nicht nur in Deutschland, das gilt auch in anderen Ländern und es geht um Prioritätensetzung. Ich bleibe dabei: Ich hätte mir eine andere Prioritätensetzung gewünscht, weil es nicht nur darum geht, das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen, das jetzt abgebildet ist bis 2028 und darüber hinaus. Sondern es geht auch darum, dass auch beschafft werden kann. Und dazu braucht es eben auch Ausweisung von Geld in den Einzelplänen für 2025 bis 2027, weil wir sonst eben nicht in der Geschwindigkeit und in dem Umfang bestellen, also beschaffen können, wie es notwendig wäre angesichts von Zeitenwende und Bedrohungslage. Denn: Alles was wir bestellen hat bei den meisten Systemen Lieferzeiten von ein, zwei, drei Jahren und bei den großen Systemen - wie Fregatten und anderem - eben auch sechs bis acht Jahre. Das heißt, das muss jetzt ausgelöst werden, damit es zur Verfügung steht, dann wenn wir es brauchen, um wirksam abschrecken zu können. Und das ist der Auftrag.
Der Verteidigungshaushalt soll, so hat es auch der Kanzler auch gesagt, von 2028 an noch mal steigen auf 80 Milliarden Euro. Wissen Sie schon, woher das Geld kommen soll?
Pistorius: Nein, aber das ist auch jetzt nicht der Zeitpunkt dafür. Das ist ja durchaus normal, dass die Finanzplanung über das eigentliche Haushaltsjahr und das darauf folgende hinausgeht. Das ist ja normal, dass das noch nicht im Konkreten hinterlegt werden kann, weil ja auch zukünftige Parlamente noch ein Wörtchen mitzureden haben. Klar muss nur sein, dass diese 80 Milliarden Euro gewissermaßen die Untergrenze dessen sind, was gebraucht wird, wenn das Sondervermögen aufgebraucht sein wird, was Ende 2027 der Fall ist. Und wenn wir weiter beschaffen können, eben auch bis in die 2030er-Jahre hinein, dann braucht es einen Aufwuchs. Und dann hängen zwei Prozent eben natürlich am Bruttoinlandsprodukt. Und natürlich ist die Zwei-Prozent-Marke wichtig, darüber hinaus zu kommen, auch gegenüber den NATO-Verbündeten. Aber es bedeutet eben gleichzeitig immer auch, dass wir das machen können, was wir machen müssen, damit wir unseren Auftrag erfüllen können, nämlich einen möglichen Aggressor, eine mögliche Bedrohung abzuschrecken, indem wir glaubhaft zeigen, wir können und werden uns verteidigen - und hoffen doch, es nie tun zu müssen.
Ich will noch mal ins Innere der NATO schauen: Der Gipfel fällt in die heiße Phase des US-Wahlkampfs. Was würde ein Sieg von Donald Trump, der die NATO und die Hilfe für die Ukraine kritisch sieht, für das Bündnis bedeuten?
Pistorius: Das ist eine Frage, mit der man sich natürlich beschäftigen muss. Aber ich will auch sehr deutlich sagen: Es hilft uns nicht, und es wäre falsch, den inneramerikanischen Wahlkampf jetzt zu füttern mit unseren Befürchtungen und unseren Theorien und Szenarien, wie es denn danach weitergehen könnte. Wir sind gut beraten als Europäer und wir als Deutschland, als größter NATO-Partner in Europa, unsere Hausaufgaben zu machen, nämlich für unsere eigene Sicherheit mehr zu leisten. Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass die USA in Zukunft so oder so weniger machen in Europa - egal, wer Präsident wird. Weil es mehr Engagement der USA geben wird im Indopazifik zum Beispiel. Aber deswegen ist es umso wichtiger, dass wir unseren Partnern zeigen, dass wir bereit und in der Lage sind, für uns selber ein Stück weit mehr zu sorgen und gleichzeitig unsere Bündnisverpflichtung nicht aus dem Auge verlieren. Deswegen nehmen wir ja zum Beispiel Teil gerade in Alaska an der größten Luftwaffenübung, die es seit Jahrzehnten gegeben hat mit den USA, Spanien, Kanada und Frankreich. Wir zeigen damit, dass wir auch diesen Teil des Bündnisgebietes, nämlich die Grenze zur Arktis von Kanada und den USA sehr, sehr ernst nehmen. Denn Russland liegt auf der anderen Seite der Behringstraße. Also: Auch dadurch zeigt man, dass man die Bündnisverpflichtung ernst nimmt. Und das ist eine Botschaft, die nimmt auch Donald Trump zur Kenntnis.
Mit Amtsinhaber Joe Biden wäre es sicher einfacher für die westlichen NATO-Partner. Doch es gibt erhebliche Zweifel an dessen Gesundheitszustand, das ist ein großes Thema in diesen Tagen. Sorgen Sie sich auch um die Diensttauglichkeit des Oberbefehlshabers der US-amerikanischen Streitkräfte?
Pistorius: Das ist nicht meine Aufgabe, mir darüber Gedanken zu machen. Und ich sehe mich auch nicht in der Lage und oder auch nicht willens, die Meldungen darüber in den Medien zu kommentieren. Das ist nicht meine Angelegenheit.
Das Interview führte Stefan Schlag, NDR Info.