Pflege Report: Mängel bei der Heimkontrolle
"Unsere Mutter ist ja nicht mehr in der Lage gewesen einen Löffel oder eine Gabel in die Hand zu nehmen", erzählt Esther Schweizer. Ihre Mutter war in einem Hamburger Pflegeheim untergebracht. "Es gab dann so eine Situation, das werde ich auch im Leben nicht mehr vergessen, weil sie hat dann wie so ein Kind, immer ihre Hand genommen und ihre Finger zu diesem Suppenteller geführt, und versucht, diese Suppe rauszukriegen." Fassungslos spricht Esther Schweizer eine Pflegerin an: "Ich sag: was machen wir jetzt? Und dann gucken sie letztendlich in ein Gesicht einer Pflegekraft, die sie fast genauso hilflos angeguckt, wie die eigene Mutter."
Hilflosigkeit bei allen Beteiligten
Genauso hilflos fühlen sich tatsächlich viele Pflegekräfte. "Manche Bewohner brauchen eine halbe Stunde für ein halbes Glas Wasser, wie sollst du denn das machen? Wenn du zehn Bewohner hast. Und die sollen am Tag mindestens einen Liter trinken. Das sind fünf Becher. Schafft man gar nicht. Ich hatte Angst, wenn die austrocknen, das ist einfach die Angst davor, dass etwas passiert und ich bin dafür verantwortlich", berichtet uns Martina Schmidt, die jahrelang in einem Pflegeheim gearbeitet hat.
Heimaufsicht kann sanktionieren
Eigentlich dürfte es diese und viele andere Mängel in den Pflegeheimen gar nicht geben. Dafür gibt es Kontrollbehörden: die Heimaufsicht. Sie muss im Sinne der Heimgesetze der Länder pro Jahr gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen in Pflegeheimen vornehmen. Mit dem Heimgesetz sollen die Würde, sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner von Heimen vor Beeinträchtigungen, geschützt werden. So soll die Heimaufsicht als staatliche und unabhängige Prüf- und Kontrollinstanz überwachen, dass die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, aber auch die Qualität der Betreuung und Pflege in der jeweiligen Einrichtung sicherstellen. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkasse (MDK) prüft in den norddeutschen Ländern, aber im Auftrag der Pflegekassen. Sie kontrollieren nur, ob die vertraglich vereinbarten Pflegeleistungen erbracht werden.
Im Gegensatz zum MDK kann die Heimaufsicht bei Mängeln in den Heimen als staatliche Behörde auch sanktionierend eingreifen. Die Maßnahmen variieren je nach Schweregrad: von Beratungen über Anordnungen, Aufnahmestopps bis hin zu Schließungen.
Karte: Prüfungen der Heimaufsicht in Norddeutschland 2015 - 2017
Mangelhafte Kontrolle
Nach Recherchen von Panorama 3 ist in den norddeutschen Bundesländern die Kontrolle teilweise mangelhaft. Die Stadt Kiel beispielsweise erreichte im Jahr 2017 nur eine Prüfquote von 55 Prozent. Konkret: Von 27 Heimen kontrollierte die Heimaufsicht nur 15 Heime, obwohl sie in allen eine Regelprüfung hätte durchführen müssen. Im Landkreis Segeberg wurden von 79 vorgeschriebenen nur 38 Regelprüfungen durchgeführt. Das ist eine Prüfquote von nur 48 Prozent. So ergeht es auch der Heimaufsicht im Landkreis Storman. Auch sie haben nur 55 Prüfungen von 68 vorgeschriebenen geschafft. Das liegt bei den meisten Landkreisen daran, dass zu viele sogenannte anlassbezogene Prüfungen hinzugekommen sind.
Hilferufe aus den Heimen
Die Heimaufsicht musste so oft auf akute Beschwerden und Hilferufe aus den Heimen reagieren, dass sie dadurch mit ihren vorgeschriebenen Prüfungen nicht mehr nachkamen. Andreas Rehberg von der Heimaufsicht in Storman bestätigt das: "Der Pflegenotstand kommt bei uns an, vor allem dadurch, dass wir eine große Zahl von Beschwerden haben." Rehberg sagt, er habe das Problem, "dass wenn man es bildhaft sagen möchte, wir wirklich nur noch zum Löschen rausfahren und nicht mehr dazu in der Lage sind, was die Feuerwehr vorbeugenden Brandschutz nennt, das schaffen wir nicht mehr." Immerhin schaffen sie jetzt eine neue Stelle, um so wieder mehr Regelprüfungen schaffen zu können.
Hamburg: Prüfquote 2016 nur bei acht Prozent
In Hamburg ist der Befund mangelnder Kontrolle noch erschreckender. So betrug nach Recherche von Panorama 3 die Prüfquote hier 2016 gerade einmal acht Prozent. Im Jahr 2017 wurden nur 22 Prozent der Hamburger Heime mit einer Regelprüfung kontrolliert. 2017 wurden im Bezirk Hamburg Mitte von 45 Heimen kein einziges wie vorgeschrieben geprüft. Im Bezirk Wandsbek liegt die Prüfquote nur bei 9,7 Prozent, hier sind von 103 Prüfungen nur zehn durchgeführt worden, im Bezirk Bergedorf sind nur vier von 24 vorgeschriebenen Prüfungen absolviert worden. Die Begründungen in Hamburg sind ebenfalls eine zu hohe Anzahl an anlassbezogenen Prüfungen, aber auch fehlendes Personal in der Heimaufsicht.
Bremen kommt mit vorgeschriebenen Prüfungen nicht nach
In Bremen sind nach Panorama 3 Recherchen die Prüfquoten ähnlich schlecht wie in Hamburg. Für das Jahr 2017 hat die Stadt noch keine Angaben gemacht. Aber im Jahr 2016 sind von 191 vorgeschriebenen Regelprüfungen nur 46 durchgeführt worden, das ist eine Prüfquote von 24 Prozent. Auch Bremen muss zu viele anlassbezogene Prüfungen vornehmen, so dass die Heimaufsicht mit ihren vorgeschriebenen Prüfungen nicht nachkommt. Insgesamt hat das Land im Jahr 2016 sogar 245 Prüfungen durchgeführt, davon aber eben nur 46 Regelprüfungen und 199 anlassbezogene Prüfungen.
In Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern schafften die Heimaufsichten ihre vorgeschriebenen Prüfungen.