Pflege Report: Die Ohnmacht der Angehörigen
Esther Schweizer hat lange überlegt, ob sie ihre Geschichte noch einmal erzählen möchte. Nur ungern erinnert sie sich an den Sommer im Jahr 2016. Es ist eine Geschichte über die Hilflosigkeit in Pflegeheimen, wie sie viele Angehörige erleben. Rückblickend begann alles kurz nach dem Einzug der Mutter in ein Hamburger Pflegeheim. Die Familie erschrickt: Die Mutter, demenzkrank, wirkt zunehmend verändert, sie baut rapide ab. Esther Schweizer fragt sich, ob ihre Mutter durch die Pflegekräfte ausreichend versorgt wird. "Ich musste meiner Mutter wie ein Kleinkind alles einflößen und da ist niemand, wer macht das dann?"
Bekommt ihre Mutter genug zu essen, zu trinken? Sie beobachtet, dass Pflegekräfte offenbar überfordert sind. Immer wieder fragt sie beim Pflegepersonal nach, bekommt aber so gut wie nie eine befriedigende Antwort. "Ich hab nachher etwas gemacht auch aus reiner Hilflosigkeit, dass ich meine Mutter mit samt dem Rollstuhl in die betreffende Station gefahren habe zu der Pflegedienstleitung habe gesagt, das ist unsere Mutter. Schauen Sie bitte wie sieht unsere Mutter aus?", schildert Esther Schweizer ihre Verzweiflung.
"Hoffnungslos überlastet"
Dass sie sich oft hilflos, ohnmächtig und ausgeliefert fühlen, davon erzählen viele Angehörige. Hilfe suchen sie in Pflegestützpunkten, wie in Norderstedt im Kreis Segeberg. Hier berät Ulrich Mildenberger sie bei Problemen und Notlagen. In den Gesprächen berichten sie von zu wenig Personal, zu wenig Zeit und Zuwendung und Pflegemängeln in Heimen. Oft haben Betroffene das Gefühl nicht durchzudringen, nicht angehörig zu werden, Angst, als Querulanten abgestempelt zu werden.
Ulrich Mildenberger erfährt hier jeden Tag wie angespannt die Situation in Pflegeheimen ist. Überall fehlt Personal. Und die Pflegekräfte, die es gibt, sind oft hoffnungslos überlastet. "Die haben einfach wenig Zeit, manchmal zwölf Dienste am Stück, sind schlecht besetzt, von Personal her. Dann werden Personalagenturen eingesetzt, die Mitarbeiter schicken. Die Mitarbeiter kennen die Bewohner, die Struktur nicht. Das verschärft die Situation weiter. Das setzt dann einen richtigen Teufelskreis in Gang", so Mildenberger.
Die Reißleine ziehen
Knapp einen Monat nach dem Einzug ins Heim zieht die Familie Schweizer die Reißleine. Die Mutter wird in ein anderes Heim gebracht. Dort stellen Ärzte und Pfleger Anzeichen einer Dehydrierung fest, sie bekommt Infusionen und Spezialernährung. Erst nach dem Auszug ihrer Mutter haben sie die Kraft die Hamburger Heimaufsicht zu alarmieren. Sie denken dabei auch an die Menschen, die noch dort sind. Bei den folgenden unangemeldeten Kontrollen stellt die Heimaufsicht dann auch Pflegemängel fest, verhängt einen sofortigen Aufnahmestopp. Zwei Wochen nach ihrem Auszug stirbt die Mutter von Esther Schweizer.
Heute versichert das Heim: Man habe die von der Heimaufsicht geforderten Maßnahmen inzwischen "nachweisbar umgesetzt". Und den Kontakt zu den Angehörigen "weiter optimiert". Auf unsere schriftlichen Fragen zum Fall Schweizer - keine Antworten. Auch ein Interview war bislang nicht möglich.
Panorama 3 sendet am 13.3.2018 Folge 2 des Pflegereports. Dann kommen die Pflegekräfte zu Wort. Schildern den Pflegenotstand in Heimen aus ihrer Perspektive.