Stand: 13.03.2018 13:56 Uhr

Pflege Report: Die Hilflosigkeit der Pflegekräfte

von Anne Ruprecht

Alles begann vor sieben Jahren, da war Martina Schmidt* gerade aus Bayern nach Norddeutschland gezogen: Mit 47 wollte sie noch einmal eine neue Ausbildung anfangen. Naiv war sie nicht, sie wusste es würde nicht leicht werden. Jahrelang hatte Martina Schmidt davor schon bei einem Pflegedienst im Büro gearbeitet, jetzt wollte sie in die Praxis. "Ich war mit dem Herzen dabei ja. Für mich war's eigentlich mein Traumjob", erzählt sie. Eigentlich heißt die heute 53-Jährige anders. Ihren richtigen Namen möchte sie hier nicht nennen. Aber ihre Geschichte will sie erzählen.

VIDEO: Pflege-Report: Die Hilflosigkeit der Pflegekräfte (8 Min)

Keine Zeit für Menschlichkeit

Sie wollte mit Menschen arbeiten. Doch sie merkte schnell: für Menschlichkeit blieb viel zu oft keine Zeit. "Es ist immer nur das minimalste Personal eingeteilt. Also man ist immer an der Grenze." Die Personalnot in der Pflege war ihr Alltag. Es war ein Teufelskreis, erzählt sie, fällt einer aus, sind die verbleibenden Pfleger schnell überlastet. "Dann fällt der zweite aus und so entwickelt sich das weiter."

Zu wenig Zeit, zu wenig Personal. Ein Dauerzustand. Schnell kann Pflege da gefährlich werden. Denn die Bewohner sind ohnehin schwach und anfällig. Sie hat sich angestrengt, Überstunden gemacht und aufgerieben. Doch es war am Ende oft nicht genug. "Manche Bewohner brauchen eine halbe Stunde für ein halbes Glas Wasser", erzählt Martina Schmidt, "wie sollst du denn das machen? Wenn du zehn Bewohner hast. Und die sollen am Tag mindestens 800ml bis ein Liter trinken. Das sind fünf Becher. Schafft man gar nicht." Sie hatte oft Angst, sagt sie: "Wenn die austrocknen! Dass etwas passiert. Und ich bin dafür verantwortlich."

Welche "Frau Meier" ist die richtige?

Pfleger bei der Arbeit mit einer Patientin. © Imago
Häufig keine Zeit: Pfleger bei der Arbeit mit einer Patientin.

So geht es vielen engagierten Pflegekräften. Die Personalnot, der vielzitierte Pflegenotstand ist ihr Alltag. Dort wo der Personalmangel besonders groß ist, werden in der Pflege Leiharbeiter eingesetzt. Über die Jahre haben sie schnell zehn, zwanzig, dreißig Heime in ganz Norddeutschland von innen gesehen. Auch sie erleben Pflege oft als Teufelskreis.

Wenn das halbe Haus besetzt sei mit Fremdfirmen, mit Leiharbeitern, könne das nicht gut gehen, berichtet eine Pflegekraft, die seit Jahren in der Leiharbeit tätig ist. "Das ist Stress für die Bewohner, für Angehörige und für Mitarbeiter", berichtet sie. Zu oft fehle es an einer vernünftigen Übergabe. Das könne schnell gefährlich werden: "Man weiß nichts von den Bewohnern, die Bewohner sind dement und ich muss Medikamente verteilen. Ich stehe im Speiseraum und rufe: Frau Meier! Und es stehen drei Damen auf."

Dramatische Zustände - jeden Tag

Der alltägliche Pflegenotstand liefert meist keine skandalösen Bilder, die täglichen Dramen vollziehen sich langsam und leise. "Ein bisschen zu wenig Flüssigkeit hier, ein bisschen zu wenig Kalorien da, und dann führt das ganz schnell das eine zum anderen." So erzählen es viele Pflegekräfte. In der vorgeschriebenen Pflege-Dokumentationen der Bewohner ist davon häufig nichts zu lesen. "Das kommt täglich eigentlich vor, dass man Dinge dokumentiert, die man nicht getan hat. Man bekommt aber auch den Druck von den Vorgesetzten, dass man das zu dokumentieren hat."

Gegenüber Panorama 3 aber berichten die Pflegekräfte von Bewohnern die stürzen, weil zu wenig Personal da ist, von Menschen, die über Stunden in ihren Exkrementen liegen und vor allem davon, wie alltäglich würdelose Pflege ist, wenn zu wenig Personal und Zeit da ist.

Tränen und Erschöpfung

Das zehrt an den Kräften und der Seele. "Ich hab oft auf Arbeit schon geheult, und auch zuhause geweint", sagt eine Pflegerin. Es könne doch ein so schöner Beruf sein, sagt sie - eigentlich. Am Ende hat sie der Altenpflege den Rücken gekehrt: "Wenn ich einfach weitermache und in diesem System mitspiele, hab ich total viel auf dem Gewissen. Das konnte ich einfach nicht mit mir vereinbaren."

Auch Martina Schmidt hat ihren Traumjob wieder aufgegeben. Sie sagt, es ging einfach nicht mehr. Überlastet und ausgebrannt sei sie gewesen. Der Traumjob endete für sie im Burnout. Martina Schmidt wollte eigentlich etwas verändern, doch es ging über ihre Kräfte. Den Politikern, die nichts tun, denen würde sie gerne sagen, "dass ich mich im Stich gelassen fühle. Nicht nur ich sondern auch die Bewohner die alten Menschen die so viel getan haben, die Deutschland mit aufgebaut haben, die lässt man jetzt alleine."

*Name von der Redaktion geändert

Panorama 3 sendet am 20.3.2018 Folge 3 des Pflegereports.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 13.03.2018 | 21:15 Uhr

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