VIDEO: Parteieintritte nach Demos: Maria Maaß ist Neumitglied bei den Grünen (2 Min)

Parteien erleben Eintrittswelle: Was sind die Gründe?

Stand: 02.02.2024 16:55 Uhr

Fast alle Parteien freuen sich aktuell über viele Neumitglieder. Auch Maria Maaß und Antje Hebel aus Hamburg sind vor Kurzem eingetreten - die eine bei den Grünen, die andere bei der AfD. Was sind ihre Gründe?

von Carolin Fromm, Tim Diedrichs und Ann-Brit Bakkenbüll

Maria Maaß aus dem ländlichen Hamburg-Kirchwerder ist frisches Grünen-Mitglied. "Der wachsende Rechtsextremismus macht mir wahnsinnige Angst", sagt die Logopädin. Anfang Januar habe sie sich noch gefragt, warum das so wenige Menschen störe. "Wir haben Hakenkreuze in der Nachbarschaft gehabt, Freundinnen hatten rassistische Begegnungen. Und ich hatte das Gefühl, die Stimmung wird immer aufgeputschter."

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Die Correctiv-Recherche, die aufdeckte, dass AfD-Politiker und Neonazis über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland sprachen, habe dieses Grundgefühl bestätigt und sie bestärkt, etwas zu tun. Also setzte die 40-Jährige sich an den Computer und füllte das Antragsformular der Grünen aus.

Antje Hebel will die Gesundheitspolitik gestalten

Antje Hebel, Neumitglied der AfD Hamburg © NDR Foto: Carolin Fromm
Antje Hebel will die Gesundheitspolitik der AfD Hamburg mitgestalten.

Antje Hebel aus dem städtischen Hamburg-Wandsbek ist neu in der AfD. Ihr Thema ist Gesundheitspolitik: "Da hängt mein Herzblut dran." Die 50-Jährige arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Intensivkrankenpflegerin. Viel Eigenverantwortung, technische Herausforderungen, im Team arbeiten: "Das macht unheimlich Spaß." Doch von Jahr zu Jahr sei mehr Personal abgebaut worden. Deswegen wolle sie sich engagieren.

Mehrfach hatte sie anderen Parteien ihre Anliegen geschrieben - doch nie eine Antwort erhalten. Auch nach der Pandemie sei im Krankenhaus nichts besser geworden. Das habe sie enttäuscht. Bei der AfD sieht Hebel bisher wenig Expertise bei Gesundheitsthemen - diesen Freiraum möchte sie gestalten. Im Dezember ist die bisherige Wechselwählerin in die Partei eingetreten.

Mehr Mitgliedsanträge seit den Demos

Hebel und Maaß sind zwei von derzeit vielen Partei-Neumitgliedern. Denn nach den Correctiv-Enthüllungen gingen nicht nur Hunderttausende Menschen in Deutschland gegen Rechtsextremismus und die AfD auf die Straße. Es treten auch vermehrt Menschen in politische Parteien ein. Alle Bundesparteien außer der FDP bestätigen NDR Info, seit Mitte Januar deutlich mehr Mitgliedsanträge zu erhalten.

Außer FDP: Landesverbände im Norden haben Zuwachs

Zahlreiche Landesverbände aus Norddeutschland bestätigen diesen Trend. Zwar würden endgültige Zahlen erst in einigen Wochen vorliegen, da Neumitglieder von den Kreisverbänden aufgenommen und geprüft würden. Doch die Zahl der Online-Anträge deutet den Zuwachs an.

So haben alle Landesverbände außer der FDP, die auf die Anfrage von NDR Info geantwortet haben, nach eigenen Angaben Zuwächse zum Vorjahr zu verzeichnen. Die Landesverbände der CDU konnten keine genauen Zahlen mitteilen, da sie diese nur monatsweise erfassen würden und der Januar noch nicht vorliege. "Grundsätzlich gehen wir aber im Januar 2024 von einem positiven Trend bei der Mitgliederentwicklung aus", schreibt die CDU Niedersachsen.

Auch die SPD-Landesverbände nennen keine konkreten Zahlen. Die SPD in Hamburg erhalte derzeit etwa "zwei- bis dreimal so viele Mitgliedsanträge" wie in den Vorjahren. Auch in Schleswig-Holstein hätten etwa doppelt so viele Menschen einen Beitrittsantrag gestellt wie im Monatsdurchschnitt. Bei der Linken in Niedersachsen sei der "Abwärtstrend" seit dem Austritt von Sahra Wagenknecht gestoppt. Die Zahlen würden steigen. Nur die FDP in Hamburg und Schleswig-Holstein verzeichnet keinen Zuwachs.

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Parteienforscher: Mehr Parteieintritte während intensiver Debatten

Der Zuwachs bei den Parteien sei zu erwarten gewesen, erläutert der Düsseldorfer Parteienforscher Thomas Poguntke: "Während intensiver öffentlicher Debatten und in Zeiten von Polarisierung treten vermehrt Menschen in Parteien ein."

Auch die AfD in Hamburg und Niedersachsen verzeichnete nach Angaben der Pressesprecher "einen starken Mitgliederzuwachs". Genaue Zahlen wolle man später selbst veröffentlichen. In Mecklenburg-Vorpommern wachse die Partei ebenfalls, heißt es aus der Geschäftsstelle. Parteienforscher Poguntke findet auch dies wenig überraschend. "Die harten Angriffe auf die AfD führen dazu, dass manche derjenigen, die ihr nahestehen, sagen: 'Jetzt erst recht.' Denn sie bewerten die Angriffe als übertrieben."

Hebel zu Potsdamer Treffen: Damit kann ich mich nicht identifizieren

AfD-Neumitglied Antje Hebel findet, dass das Potsdamer Treffen, über das Correctiv berichtete, ein privates Treffen gewesen sei - es stehe nicht für die Partei. Von den dort besprochenen Deportationsplänen grenze sie sich ab. Hätte sie Zeit gehabt, wäre sie vielleicht auch auf die Demo gegangen, ergänzt sie. "Ich bin nicht rechtsradikal. Da kann ich mich auch nicht mit identifizieren. Und ich finde es auch schade, dass man so pauschalisiert und es auf die ganze Partei überträgt." Bisher habe sie bei den Parteitreffen in Hamburg keinen Rassismus miterlebt.

Rechtsextremismus-Experte Feldmann: AfD Hamburg hat sich radikalisiert

Doch auch Hamburger AfD-Mitglieder wie Bernd Baumann sind in der Kritik. Der Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag verteidigte kürzlich das Rufen der völkischen und ausländerfeindlichen Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" im Bericht aus Berlin. Die AfD wird als Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz beobachtet und als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. "Die AfD sticht in Hamburg zwar im Bundesvergleich nicht mit besonders radikalen Tönen hervor, doch auch die Hamburger AfD ist in den vergangenen Jahren den Weg der Bundespartei zur rechtsextremen Wahlpartei mitgegangen", erläutert NDR Rechtsextremismus-Experte Julian Feldmann. "Die AfD ist auch in Hamburg nicht mehr die Partei von Gründer Bernd Lucke, sondern hat sich in den Jahren immer weiter nach rechts radikalisiert."

Vielfalt findet Hebel gut

Neumitglied Hebel betont, dass ihr Vielfalt wichtig sei. In ihrem Beruf habe sie viel Kontakt zu Menschen verschiedener Kulturen, Religionen und Mentalitäten. Sie betont, dass es hilft, wenn Pflegerinnen und Pfleger die Sprache der Patienten sprechen. "Das ist auf jeden Fall ein Gewinn. Nicht nur im Krankenhaus." Sie findet nicht, dass die AfD Vielfalt ablehnt. "Auch, dass sie islamfeindlich sind, das stimmt überhaupt gar nicht."

In ihrem Grundsatzprogramm beschreibt die AfD Muslime allerdings als Gefahr.

Der Islam gehört nicht zu Deutschland. In seiner Ausbreitung und in der Präsenz einer ständig wachsenden Zahl von Muslimen sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung. Aus dem Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland

Hebel betont, dass sie generell nicht allem im Parteiprogramm zustimme. Dass das Schöne an der Politik sei, im Dialog zu bleiben. "Jeder hat seine Meinung und die muss man sich auch anhören." Bisher hat sie noch niemandem erzählt, dass sie nun AfD-Mitglied ist. Sie wollte sich erst mal selbst sicher sein. Bei den bisherigen Fragestunden und Umtrünken der Partei fühlte sie sich willkommen.

Von anderen Parteien enttäuscht

In die AfD eingetreten ist sie, weil sie Vertrauen in die alten Parteien verloren habe. Diese empfindet Hebel als eingefahren und starr. Das betreffe auch die Themen Gesundheit. Bisher vernachlässige die AfD das Thema Gesundheit zwar auch. Das eröffne ihr jedoch Spielraum für Veränderung, meint sie. "Mich hat eigentlich keine Partei so richtig überzeugt. Aber ich sehe für mich persönlich Potenzial in der AfD. Und ich denke, da habe ich die besten Möglichkeiten, mich aktiv einzubringen und wirklich was zu bewegen."

Wegen der Gesundheitspolitik in die AfD einzutreten wie Hebel, sei eher ungewöhnlich, sagt Parteienforscher Poguntke. "Themen, die die Leute zur AfD bringen, sind in der Regel EU-Skepsis, Migration, das Klima und die Ablehnung des Heizungsgesetzes. Gesundheitspolitik spielt keine große Rolle."

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Maria Maaß: Die Grünen verstehen Diversität als Chance

Maria Maaß hat das Thema Rassismus zum Parteimitglied gemacht. Seit dem 18. Januar ist sie nun offiziell eine Grüne. Sie habe sich herzlich aufgenommen und verstanden gefühlt, erst mal nur bei Online-Sitzungen zugehört. "Es ist auch spannend, plötzlich da so drin zu sein und mitzubekommen, was im Bundestag wirklich passiert."

Maaß ist Mutter von drei Kindern, war in der Flüchtlingshilfe engagiert, ging auf Demos. Über eine Parteimitgliedschaft dachte sie schon länger nach. Rassismus und Inklusion - das sind ihre Themen. Und als Hühnerhalterin vom Land auch Klimaschutz. Daher seien es die Grünen geworden: "Ich möchte nicht, dass meine Kinder in einer rassistischen Welt leben müssen. Die Grünen haben meiner Ansicht nach verstanden, dass Diversität eine Chance ist und sprechen dabei den Menschen ihre Gleichheit nicht ab." Mit ihr seien zwei Freundinnen eingetreten, ohne vom Eintritt der anderen zu wissen.

Ein Gefühl von Bedrohung

Maria Maaß, Neumitglied der Grünen Hamburg © NDR Foto: Tim Diedrichs
Gegen Rassismus und für Vielfalt: Dafür will Maria Maaß sich bei den Grünen einsetzen.

"Dass es Menschen gibt, die behaupten: Ein Drittel der Menschen, die ich liebe, müssen bitte das Land verlassen. Das war schon einschneidend", sagt Maaß. Es löse ein Gefühl der Bedrohung in ihr aus und habe die Frage aus Schulzeiten zurückgebracht: "Wie konnten meine Urgroßeltern das zulassen? Und jetzt stell ich mir die Frage: Was muss ich machen, um nicht das Gefühl zu haben, das zuzulassen?"

Trotzdem gefällt ihr nicht alles, was die Grünen derzeit in der Bundesregierung entscheiden. "Sowas wie das Abschiebungsgesetz: Das hat mich dann fast wieder austreten lassen", sagt sie. Es sei für sie eine Annäherung an rechts gewesen, die sie für falsch halte. "Aber ich verstehe, dass man in der Ampel Kompromisse eingehen muss."

Wählen gehen sei das Wichtigste

Maaß versteht die Sorgen vieler Menschen. Auch für ihre Familie sei es schwieriger geworden, den Lebensstandard zu halten. Sie frage sich, wie sie mehr arbeiten und den Kindern trotzdem gerecht werden könne. "Aber ich kann absolut nicht verstehen, wie man daraus schließt, dass Menschen mit Migrationshintergrund oder solche, die nicht arbeiten können, daran Schuld sein sollen."

Ihr sei nicht wichtig, dass die Menschen in Parteien eintreten, sondern, dass sie wählen gehen. "Jeder kennt Nicht-Wähler und sollte mit ihnen sprechen. Das ist eine Aufgabe für jeden von uns", sagt Maaß.

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