Netzexperte Beckedahl: "Wer X noch nutzt, unterstützt Elon Musk"
Die Bilder der Tech-Giganten bei der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump gingen um die Welt. Viele empfinden seither neues Unbehagen beim Verwenden beliebter Apps wie WhatsApp und Facebook oder beim Nutzen von X. Dabei gibt es Alternativen, die auch Netzexperte Markus Beckedahl empfehlen kann.
Der Student Marius Nürenberg aus Göttingen hat es satt. Wie viele andere Nutzerinnen und Nutzer des Messenger-Dienstes X hat er seit längerer Zeit das Gefühl, die App habe sich unter Elon Musk verändert. Er sieht viele rechts-konservative Inhalte, viel Werbung, viele Bots. Früher hat sich Nürenberg auf X gerne über seine Lieblingsthemen informiert und ausgetauscht: Schach und Regionalligafußball. Heute findet er die Plattform kaum noch nutzbar, ist genervt von den Accounts, die ihm angezeigt werden: "Diese ganzen Tweets, die einem reingespült werden in der letzten Zeit: von Elon Musk, von Accounts von der AfD, denen ich nicht folge", erzählt er. "Und dann habe ich eben beschlossen: Ich lass das sein."
Er ist damit einer von vielen, die der Plattform seit der Übernahme durch Tesla-Chef Musk in Deutschland den Rücken zuwenden - vom Fußballverein FC St. Pauli bis hin zum Account des Niedersächsischen Landtags. Doch für viele Social-Media-Fans ist ein solcher Boykott gar nicht so leicht, sie sind gewöhnt an ihre Apps - zum Chatten, Videos gucken, Nachrichten konsumieren. Manche versuchen den Verzicht jetzt trotzdem, seit "Big Tech" rund um Meta, Musk und Google auf Kuschelkurs mit dem neuen US-Präsidenten gegangen ist.
Beckedahl: "Tragen Verantwortung für Apps, die wir nutzen"
Im NDR Info Interview erläutert Netzexperte Markus Beckedahl, wie sich X unter Musk verändert hat, welche Alternativen - auch zu WhatsApp und Google - es gibt - und warum aus einstigen IT-Helden und -Genies Opportunisten geworden sind.
Herr Beckedahl, wie hat sich Twitter verändert, seit es Elon Musk gehört und in X umbenannt wurde?
Markus Beckedahl: Wir sehen auf X, dem früheren Twitter, eine massive Diskursveränderung nach rechts außen. Viele ehemals geblockte Neonazis senden dort wieder. Elon Musk selbst als Besitzer zeigt mit seinem eigenen Nutzungsverhalten, dass rechtsextreme, verschwörungsideologische Meinungsäußerungen dort vollkommen akzeptiert und okay sind. Als Vorbild zeigt er auch anderen, dass sie sich ähnlich verhalten können - und das machen sehr viele. Das heißt, es gibt sehr viel Hass und Hetze gegen Andersdenkende. Immer mehr Menschen verlassen X, weil es dort einfach keine friedliche, konstruktive Kommunikationsumgebung mehr gibt.
Meta-Chef Mark Zuckerberg hat kürzlich angekündigt, bei Facebook und Instagram aufs Fakten-Checken zu verzichten. Beobachten Sie auf den Meta-Plattformen schon Ähnliches wie bei X?
Beckedahl: Es gab infolge der Inauguration von Donald Trump in Washington eine große Irritation, als auf Instagram verschiedene Suchbegriffe wie "Liberals" oder "Democrats", also Demokraten und Liberale, einfach nicht mehr in der Suchfunktion auffindbar waren. Nun leben wir in Zeiten, wo sowohl möglich sein könnte, dass dies eine politische Zensur von dem Unternehmen selbst ist oder auch nur kaputte, automatisierte Systeme, die verrückt geworden sind. Was bei dieser Technologie, die einfach nicht vertrauenswürdig genug ist, durchaus vorkommen kann, denn diese automatisierten Systeme werden eingesetzt, weil man Personal einsparen möchte. Menschen könnten das, was andere als Meinung äußern, viel besser bewerten als ein Algorithmus, der sehr häufig Satire nicht erkennen kann. Mir macht die Auflösung des Fact-Checking in den USA weniger Sorgen. Aber Meta hat ja gleichzeitig auch angekündigt, seine eigenen inhaltlichen Richtlinien aufzugeben mit dem Verweis auf Themen wie Migration und Gender. Mit anderen Worten sind zukünftig Diskriminierung und Rassismus in weiten Teilen auf Meta-Plattformen wieder akzeptiert. Das wird dazu führen, dass Menschen sich das Recht rausnehmen, bei diesen sehr polarisierenden Themen über die Stränge zu schlagen und gegen andere mit Hass vorzugehen.
Wenn man jetzt diese ganzen Entwicklungen problematisch findet, diese Apps aber auf dem Handy hat: Was bedeutet das für die eigene App-Nutzung? Worauf sollte man als Nutzer oder Nutzerin jetzt achten?
Beckedahl: Wir tragen alle eine Verantwortung dafür, welche Apps wir nutzen und welche Apps wir damit auch stärker machen und welche Unternehmen und Besitzer hinter diesen Apps wir damit stärker machen. Denn durch jeden Klick, durch jede Sekunde Aufmerksamkeit, die wir einzelnen Apps schenken, erhöhen wir den Wert dieser Apps für die Besitzer. Wer heutzutage noch X nutzt, unterstützt dabei Elon Musk und fördert damit auch die rechtsextremen verschwörungsideologischen Äußerungen von Musk auf der Plattform, weil diese Plattform nur so wertvoll ist, weil viele Menschen sie immer noch nutzen.
Es gibt auch die Meinung, dass man für den politischen Diskurs auch weiterhin bei X sein müsste, weil wir uns ansonsten in digitale Wohlfühlzonen begeben würden. Entziehen wir uns auf den anderen Plattformen also der Auseinandersetzung?
Beckedahl: Ich kenne die Argumentation, dass man auch auf X dagegenhalten muss, dass man bleiben muss, dass man seine Meinung auch auf solchen Plattformen kundtun muss. Allerdings gehe ich auch nicht auf eine Neonazi-Demo, um dort für demokratische Werte einzutreten.
Sind Sie denn selber noch bei X?
Beckedahl: Ich habe noch einen Account, den ich nicht gelöscht habe, weil das Archiv dieses Accounts von vielen Wissenschaftlerinnen in den letzten 20 Jahren genutzt wurde, um die Arbeit der digitalen Zivilgesellschaft zu dokumentieren. Wenn ich den löschen würde, würden diese Links verschwinden.
Ich nutze X aber nicht mehr aktiv, um etwas zu posten, weil ich einfach Elon Musk keine Daten mehr schenken möchte. Zu meiner Aufgabe als Journalist gehört aber, da ab und an reinzuschauen und die Suchfunktion zu nutzen, um zu gucken, was andere gepostet haben. Wenn ich aber nicht als Journalist arbeiten würde, hätte ich das auch alles schon hinter mir gelassen und alle Daten gelöscht.
Welche Alternativen zu X gibt es? Und was unterscheidet sie?
Beckedahl: Wir haben gerade zwei große Konkurrenten zu den üblichen überwachungskapitalistischen Plattformen, also Plattformen wie Facebook, X und Instagram, die mit unseren Daten Geld verdienen, indem sie uns total überwachen, um uns personalisierte Werbung auszustrahlen. Diese beiden Alternativen sind auf der einen Seite das sogenannte Fediverse. Die Idee dahinter ist, dass Open Source, also gemeinwohlorientierte Infrastrukturen, von allen betrieben werden können. Das können Institutionen sein, das können Privatpersonen sein, die eigene Server aufsetzen. Die Server kommunizieren miteinander und das ist eine dezentrale datenschutzfreundliche Open-Source-Öffentlichkeit, die sich da entwickelt, wo auch beispielsweise immer mehr Institutionen aktiv sind wie Behörden und teilweise auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ein Beispiel ist Mastodon, wo man sich nach dem Prinzip des Microblogs wie auch beim früheren Twitter mit sehr vielen Menschen austauschen kann, ohne aber Elon Musk die eigenen Daten zu schenken.
Dann gibt es noch die Plattform Bluesky, die auch ein ähnliches Protokoll hat, was eine Dezentralität ermöglichen würde, wo aber im Moment erst mal ein Unternehmen dahinter steht. Es möchte ein ganz anderes Geschäftsmodell machen und ausprobieren, ob auch eine digitale Welt möglich ist, in der es nicht mit der totalen Bewachung der Nutzerinnen einhergeht, um denen Werbung auszuspielen. Es ist auch geplant, das demnächst dezentral zu öffnen, sodass wir uns entscheiden können: Nutzen wir jetzt die Server des Unternehmens Bluesky oder nutzen wir andere Server?
Und wie funktioniert das Geschäftsmodell dann? Wie verdient man damit Geld?
Beckedahl: Ja, das ist die spannende Frage bei Bluesky. Im Moment hat das Unternehmen viele Spenden und Risikokapital, um auszuprobieren, ob man beispielsweise über Verkauf von bestimmten Namen, über eine Verifizierung Geld verdienen kann - also mit allem, was nicht mit Überwachung der Nutzerdaten zu tun hat. Es gibt aber auch ein Crowdfunding, also eine Spendenkampagne, um eine Stiftung zu finanzieren, die sich zukünftig darum kümmert, dass diese dezentralen Infrastrukturen mit Bluesky betrieben werden können, die sich also um die Technik im Hintergrund kümmert und gewährleistet, dass das gemeinwohlorientiert betrieben wird und nicht ein einzelnes Unternehmen diese Kommunikationsinfrastruktur kontrollieren kann.
Wie verhält es sich bei Plattformen wie WhatsApp und Instagram, die von noch sehr viel mehr Leuten genutzt werden? Gerade WhatsApp ist ja für viele wahrscheinlich schwer ersetzbar.
Beckedahl: Wenn Ihnen Sorgen macht, wie Mark Zuckerberg in den vergangenen Wochen agiert, um sich mit Trump gutzustellen, dann sollten Sie überlegen, welche von Zuckerbergs Plattformen Sie tatsächlich noch nutzen sollten. Viele nutzen nach wie vor WhatsApp. Ich nutze es nicht. Denn es gibt viel bessere Alternativen wie beispielsweise den Open-Source-Messenger Signal. Der ist auch kostenlos. Signal ist Ende-zu-Ende verschlüsselt. Hinter Signal steckt keine Firma, die uns überwacht, die quasi unsere Daten verwertet, mit wem wir wann kommunizieren, sondern hinter Signal steckt eine Stiftung, die die Weiterentwicklung dieses sicheren Messengers fördert und finanziert. Signal funktioniert dabei genauso wie WhatsApp. Mit anderen Worten: Wir sollten uns immer selbst bewusst machen, mit welchen Diensten wir kommunizieren und ob es Alternativen gibt. Und gerade bei Messengern ist Signal eine sehr gute Alternative zu WhatsApp.
Wer verantwortet denn Signal?
Beckedahl: Hinter Signal steckt eine gemeinwohlorientierte Stiftung, die lustigerweise auch mitfinanziert wurde von einem der Gründer von WhatsApp. Die haben ja für viele Milliarden seinerzeit WhatsApp an Meta, damals noch Facebook, verkauft. Einer der Gründer hat dann 50 Millionen Dollar in diese Stiftung gesteckt, damit eine datenschutzfreundliche Alternative geschaffen werden kann, die sicher ist und gerade nicht damit Geld verdient, dass unsere Daten gesammelt und gerastert werden und uns Werbung ausgestrahlt wird.
Selbst wenn ich als Privatperson wechseln möchte, weil ich mich mit den bisherigen Apps unwohl fühle, ist ja nicht zwangsläufig mein ganzer Freundeskreis davon überzeugt. Wie kann man den Freundeskreis überzeugen, dass der Gruppenchat jetzt umziehen sollte auf Signal?
Beckedahl: Es ist tatsächlich so, dass wir Gewohnheitstiere sind als Menschen. Das heißt, viele von uns können sich gar nicht vorstellen, dass es mal etwas anderes gibt als WhatsApp. Allerdings sollte uns auch bewusst sein, dass die meisten von uns vor zehn oder 15 Jahren noch gar nicht wussten, dass so etwas existiert. Wir könnten natürlich WhatsApp löschen und allen unseren Kontakten mitteilen: Ich bin ab sofort über dieselbe Nummer über Signal erreichbar. Wenn ihr mit mir kommunizieren wollt, helfe ich euch gerne, Signal zu installieren, aber ihr erreicht mich nur noch darüber. Man muss schon erste Schritte machen, man kann auch mit anderen Menschen darüber reden. Man kann ja auch darüber sprechen, wenn man Unbehagen fühlt, dass man jetzt gerade Plattformen nutzt von Menschen, wo eine Person wie Mark Zuckerberg bestimmen kann, welche Regeln bei WhatsApp gelten. Und der immer reicher wird, indem er Trump finanziert, indem er Trump unterstützt. Wenn man für sich und seine eigenen Werte eintritt und sagt "Nein, das möchte ich nicht unterstützen", dann haben wir die Wahlfreiheit, zumindest bei WhatsApp zu sagen: "Ich verzichte darauf".
Telegram ist ja auch mal als Alternativ-Messenger gehandelt worden. Was ist Ihre Meinung hierzu?
Beckedahl: Ich halte Telegram für keine bessere Alternative als WhatsApp. Telegram ist sogar noch schlimmer, da ist sogar Mark Zuckerberg noch vertrauenswürdiger als die Betreiber, die hinter Telegram stecken. Und WhatsApp ist sogar noch sicherer als das, was Telegram anbietet. Wenn Sie also bisher geglaubt haben, Telegram wäre ein sicherer, vertrauenswürdiger Messenger, dann denken Sie noch mal nach und löschen Sie am besten den Messenger.
Und was ist mit Plattformen, die Instagram ersetzen könnten oder TikTok?
Beckedahl: Wer auf Bilder und Videos steht, kommt leider momentan nicht wirklich an Instagram oder TikTok vorbei. Da gibt es noch keine Alternativen. Aber ich hoffe, dass Alternativen geschaffen werden, die nach anderen Geschäftsmodellen funktionieren. Die möglicherweise gemeinwohlorientiert betrieben werden, damit wir auch zukünftig Videos und Bilder teilen, konsumieren, kommunizieren können, ohne dass ein Unternehmen alleine davon profitiert und die Regeln auch alleine festsetzt.
Würden Sie auch bei Suchmaschinen Alternativen zum dominanten Google empfehlen? Da kommt man ja wahrscheinlich noch schwieriger raus, oder?
Beckedahl: Google hat ein riesiges Monopol für die Suche - vor allem auf dem deutschen Markt. Dabei gibt es Alternativen. Wer Google in vergleichbarer Qualität, nur Datenschutz-freundlicher nutzen möchte, kann beispielsweise startpage.de verwenden. Da ist ein Datenschutzfilter vorgespannt und greift aber auf die Google-Suche und die Google-Ergebnisse zurück. Es gibt auch DuckDuckGo, eine Suchmaschine, die Server in der Europäischen Union hat und andere Ergebnisse liefert. Und es gibt die deutsche Meta-Suchmaschine Metager, die verschiedene Suchmaschinen anfragt, die Ergebnisse bündelt und einem zurückgibt. Man sollte sich bewusst sein: Mit jeder Anfrage, die wir an Google stellen, verbessern wir die Google-Suche und sichern das Monopol. Das heißt, wir müssen auch gucken, dass wir Alternativen eine Chance geben, damit wir gerade nicht alle dieselbe Plattform, dieselbe Suchmaschine nutzen, die dann einfach zu mächtig wird und bestimmen kann, welche Realität sich uns abbildet.
Warum, glauben Sie, kuscheln all diese Tech-Bosse jetzt so sehr mit US-Präsident Trump?
Beckedahl: Wir erleben gerade, dass sehr viele Unternehmer, die auch ein bisschen als Helden und Genies in den Medien dargestellt worden sind, sich als Opportunisten erweisen. Sie wollen ganz viel Geld verdienen und verbrüdern sich mit denjenigen, die gerade an der Macht sind - auch in der Hoffnung, dass sie noch mehr Geld verdienen können. Zum Beispiel, wenn sie weniger Gesetze beachten müssen oder wenn sich Gesetze ändern. Und sie wollen von der Trump-Regierung unterstützt werden gegen die Europäische Union, die gerade versucht, unsere Regeln und unsere Werte gegenüber diesen allmächtigen Konzernen durchzusetzen. Da scheint es sich zu lohnen, wenn man sich unter den Schutzschirm von US-Präsident Trump begibt und ihm Geld schenkt.
Das Gespräch führte Konstanze Nastarowitz.