Klimawandel: Mit einem Elbesperrwerk gegen steigende Meeresspiegel?
Aktuelle Studien zum Klimawandel bieten allen Grund zur Sorge. Treten die schlimmsten Szenarien ein, wären die Auswirkungen durch einen stark erhöhten Meeresspiegel auch in Norddeutschland immens. Deswegen nimmt eine alte Debatte Fahrt auf: Brauchen wir in Zukunft ein Elbesperrwerk?
Es sei nicht mehr die Frage, ob ein Elbesperrwerk gebaut werden müsse, sondern wann und wo, sagt Extremwetter-Experte Frank Böttcher. Das ist seine Schlussfolgerung aus dem aktuellen Klimareport des IPCC, dem zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen. Der Bericht sagt bis zum Ende des Jahrhunderts im Extremfall einen Anstieg des Meeresspiegels von bis zu 1,70 Meter gegenüber der vorindustriellen Zeit voraus. Das wären 1,50 Meter mehr im Vergleich zu heute, so Böttcher.
"Ich glaube irgendwann wird die Diskussion über das Elbesperrwerk in konkrete Planung übergehen müssen", sagt Böttcher. Die Alternative wäre, die gesamte Elbe mit riesigen Bauwerken zu schützen. Niedersachsen etwa möchte seine Deiche an der Küste um einen halben Meter erhöhen als Schutz gegen erhöhte Meeresspiegel und entsprechend heftigere Sturmfluten. Das koste aber langfristig viel mehr, als irgendwann ein Elbesperrwerk zu bauen.
Jahrzehntelange Planung nötig - Milliardenkosten
Eine vom Bundesumweltministerium geförderte Machbarkeitsstudie an der Technischen Uni Hamburg untersucht seit einigen Monaten die Voraussetzungen und Auswirkungen eines Elbesperrwerks. Die können sehr großflächig sein. Denn wenn der Meeresspiegel steigt und es möglicherweise in Folge des Klimawandels zu stärkeren und häufigeren Stürmen kommt, dann sind auch steigende Sturmflutwasserstände in den Ästuaren zu erwarten.
Ästuare sind die Bereiche eines Flusses, die von Ebbe und Flut beeinflusst werden. An der Elbe werde also der Abschnitt von Cuxhaven bis Geesthacht betrachtet, erläutert Wasserbau-Ingenieur Peter Fröhle. Das Elbesperrwerk ist in diesem Projekt eine von vielen Hochwasserschutzlösungen, die untersucht werden. "Wenn es um ein mögliches Elbesperrwerk geht, dann betrachten wir natürlich auch verschiedene Standorte. Das kann im Bereich der Mündung liegen. Das kann im Bereich der unteren Elbe liegen. Oder das kann eben auch entsprechend nah an Hamburg liegen", sagt Fröhle. In Abhängigkeit von dem jeweiligen Standort würden dann die Auswirkungen auf Wasserstände, Ökologie und bezogen auf die Kosten bewertet.
Ein Elbesperrwerk bei Brunsbüttel zum Beispiel wäre ein riesiges Bauwerk, da der Fluss dort über zwei Kilometer breit ist. Ein Bauwerk dieser Dimension würde nicht nur Milliarden kosten, sondern müsste auch über Jahrzehnte geplant und gebaut werden.
Steigender Meeresspiegel hat Auswirkungen: Salzwasser im Grundwasser
Bis 2050 sollte klar sein, wo ein Elbesperrwerk bis 2080 gebaut werden könnte, mahnt Böttcher. Denn aktuell schreite der Klimawandel rasant voran, der Meeresspiegel steige zunehmend. "Je höher der Meeresspiegel ist, umso stärker drückt das Wasser in die Flüsse hinein", sagt Böttcher. "Gleichzeitig muss das Wasser aus den Flüssen aus dem Hinterland ja auch auf die andere Seite, also in die Nordsee und Ostsee abfließen." Die Zeitfenster würden immer kleiner, je höher der Meeresspiegel steigt. Böttcher malt konkrete Folgen aus: "Irgendwann kommt dann der Punkt, dass so viel Salzwasser die Elbe hinaufdrückt, dass im Alten Land in Teilen kein Obst mehr angebaut werden kann, weil das Salzwasser auch ins Grundwasser hineindrückt."
Umweltschützer fürchten immense Auswirkungen auf die Natur
Ein Elbesperrwerk hätte aber ebenso immense Auswirkungen. Unter anderem Malte Siegert vom NABU Hamburg warnt aus ökologischer Sicht vor drastischen Folgen. Er plädiert daher dafür, auch andere Optionen öffentlich zu diskutieren. "Die Frage, ob die Elbe immer so tief bleiben muss, wie sie jetzt gebaggert worden ist, mit den zunehmenden Tidehüben, das muss man noch mal diskutieren", sagt Siegert. Er wünsche sich eine Diskussion zwischen Wissenschaft, Naturschutzverbänden und Wirtschaft, weil die Unterschiede bei den Bewertungen sehr stark seien.
Hafenwirtschaft: "Uneingeschränkte Erreichbarkeit ist existenziell"
Für die Hafenwirtschaft etwa steht die gute Erreichbarkeit im Vordergrund. "Die uneingeschränkte Nutzung der Elbe als Schifffahrtsweg ist nicht nur für den Hamburger Hafen, sondern für alle norddeutschen Häfen existenziell, da diese über den Nord-Ostsee-Kanal miteinander verbunden sind", sagt Norman Zurke, Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg. Wegen der Notwendigkeit einer uneingeschränkten Erreichbarkeit habe man vor mehr als 200 Jahren auch das Konzept eines Dockhafens verworfen und sich für einen offenen Tidehafen entschieden. "Diese vor mehr als 200 Jahren getroffene Entscheidung hat den Aufstieg Hamburgs zu einem Welthafen überhaupt erst ermöglicht", sagt Zurke.
Einen Austausch zu einem möglichen Elbesperrwerk habe es mit der Hafenwirtschaft bisher noch nicht gegeben. "Vor diesem Hintergrund warten wir auf die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie, um beurteilen zu können, ob ein solches Bauwerk die Schifffahrt und die norddeutschen Häfen negativ beeinträchtigen würde", so Zurke.
Internationale Beispiele für Sperrwerke - Studienergebnisse in zwei Jahren
Bei der Sperrwerks-Lösung können die Forscher auch von positiver und negativer Erfahrung mit ähnlichen Bauten profitieren. "Es gibt an einigen Ästuarien in Deutschland und weltweit Sperrwerke - das Emssperrwerk oder das Eidersperrwerk sind Beispiele an der Nordsee", sagt Wasserbau-Ingenieur Fröhle. Das Speerwerk am Nieuwe Waterweg in Rotterdam oder das vor der Lagune in Venedig seien internationale Beispiele. "Da schauen wir dann natürlich genau hin", sagt Fröhle. Gleichwohl gelte: "Jedes Ästuar ist ein Unikat - eins zu eins lässt sich die Erfahrung nicht übertragen."
Die Ergebnisse der Hamburger Studie sollen in zwei Jahren vorliegen. Nicht nur Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, auch die Hafenwirtschaft will dann auf Grundlage der Ergebnisse diskutieren, wie man sich zu künftigen Küstenschutzmaßnahmen positionieren will. Dann wird die Debatte noch einmal Fahrt aufnehmen, ob ein Elbesperrwerk wirklich die beste Lösung ist.