Kleiderberge durch Corona: Innatura vermittelt Sachspenden
In den wegen Corona geschlossenen Läden bleibt bergeweise Kleidung liegen. Das gemeinnützige Unternehmen Innatura vermittelt die Ware an Bedürftige und Hilfsorganisationen.
Hochrechnungen zufolge bleiben in Deutschland jedes Jahr 230 Millionen Textilien bei den Herstellern und Händlern liegen, die nicht verkauft werden können. Manches davon landet als Ramschware im europäischen Ausland. Meistens wird die Kleidung geschreddert oder vernichtet. Durch die Corona-Krise hat sich diese Lage noch weiter verschärft. Die gemeinnützige GmbH Innatura hat es sich zum Ziel gesetzt, neuwertige Waren vor der Vernichtung zu retten und an soziale Einrichtungen zu vermitteln. Innatura funktioniert dabei als Bindeglied zwischen den Spendern und den Empfängern.
Maßstäbe der Modeindustrie sind das Problem
Winter-Parkas, Kinder-Klamotten, Berufsbekleidung und Fleece-Jacken sind nur einige Artikel, die Innatura-Gründerin Juliane Kronen in den vergangenen Monaten vor der Vernichtung retten und an soziale Einrichtungen weiterreichen konnte. Modeartikel gelten als verderbliche Ware. Die Produktionsgeschwindigkeit der Fast-Fashion-Industrie falle vielen Herstellern und Händlern seit einem Jahr auf die Füße, erklärt die ehemalige Unternehmensberaterin: "Viele Sachen können aufbewahrt oder eingelagert werden - auch wenn das mit hohen Kosten verbunden ist. Bei bis zu 24 neuen Kollektionen im Jahr wird aber immer mehr produziert, als tatsächlich gekauft werden kann. Ich hoffe, dass die Taktgeschwindigkeit nach Corona ein bisschen reduziert werden wird. Aber ich befürchte, dass die Industrie da genauso weitermachen wird wie vorher."
Wertschätzung als ethische Verpflichtung
Fast jeden Tag bekommt Kronen zurzeit Anrufe von Herstellern, Importeuren, Händlern und Läden, die ihre Textilien loswerden wollen. Vermitteln kann sie nur fabrikneue Ware, am besten in großen Mengen, und praktische Artikel, die im sozialen Sektor auch nachgefragt sind. Modische oder einzelne Artikel aus Boutiquen etwa kommen für die Vermittlungsplattform nicht in Frage. Für die Firmen gibt es unterschiedliche Beweggründe, mit Innatura zusammenzuarbeiten. Der Berliner Unternehmer Markus Lukasson, der mit seinem früheren Unternehmen an Innatura gespendet hat, sah es als ethische Verpflichtung, die Produkte nicht zu vernichten: "Wirtschaftlich hat es keinen Sinn gemacht, zu spenden. Es hat auch kaum Image-Gewinn gebracht, zu spenden, denn den überwiegenden Teil der Konsumenten interessiert das nicht. Man spendet, weil man als Unternehmer anderen helfen möchte."
Systematisches Spenden erleichtern
Auch andere Sachspenden vermittelt Innatura: Für andere Firmen wie Beiersdorf oder Procter & Gamble sind diese Spenden ein wichtiger Bestandteil in der Nachhaltigkeits- oder der Corporate Social Responsibilty-Strategie, in der sie aufzeigen können, inwieweit das Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernimmt. Amazon ist momentan der zweitgrößte Spender bei Innatura. Laut Pressesprecher Ole Wulff macht Innatura den Unternehmen das systematische Spenden leichter: "Innatura hat für Unternehmen wie Amazon einen tollen Prozess geschaffen, um Sachspenden an tausende gemeinnützige Organisation spenden zu können. Damit wird das Spenden von Produkten für uns einfach viel leichter skalierbar. Außerdem wissen wir bei Innatura einfach, dass die Produkte genau dort ankommen, wo sie gebraucht werden."
Entsorgung ist günstiger als Spenden
Bei sehr vielen anderen Unternehmen allerdings kommt es gar nicht erst zu einer Kooperation. Denn auf die gespendete Ware wird 19 Prozent Umsatzsteuer fällig, wie Juliane Kronen erklärt: "Wir machen leider die Erfahrung, dass zwei von drei Unternehmern, die sich bei uns nach der Spendenmöglichkeit erkundigen, später wieder einen Rückzieher machen. Wenn sie verstanden haben, wie sie das Ganze verbuchen müssen und Umsatzsteuer abführen müssen, entscheiden sie sich aus wirtschaftlichen Gründen doch für die Entsorgung." Eine Tonne T-Shirts zu verbrennen kostet weniger als 100 Euro. Selbst wenn man den Wert der Shirts bei einem Euro ansetzen würde, wären für den Spender schon knapp 1.000 Euro fällig. Einige Firmen schrecken vor dem Spenden auch aus Sorge zurück, ihre Markenartikel könnten auf dem Schwarzmarkt landen.
Einsatz für mehr soziale Teilhabe
Innatura garantiert den Unternehmen die Weitergabe an soziale Einrichtungen. Für Gründerin Juliane Kronen geht es neben der Nachhaltigkeit auch um soziale Teilhabe finanziell schlechter gestellter Menschen. Soziale Einrichtungen können die Produkte zu günstigen Konditionen bei Innatura erwerben: "Wir bekommen von den Empfänger-Organisationen eine geringe Vermittlungsgebühr, sagen wir mal 5 bis 10 Prozent vom Marktpreis. Wir werden aber immer auch zu etwa einem Drittel auf Geldspenden angewiesen sein."
Forderung: Umsatzsteuer-Befreiung auf Sachspenden
Seit 2013 hat Innatura etwa 100.000 Textilien und sonstige Waren im Gesamtwert von 28 Millionen Euro weitervermittelt. Schätzungen zufolge werden jedes Jahr in Deutschland neuwertige Waren im Wert von 7 Milliarden Euro vernichtet. Innatura kann also nur einen kleinen Beitrag leisten. Für Gründerin Kronen wäre noch Luft nach oben, doch dafür müsse ihrer Meinung nach die Politik Lösungen finden. Gemeinsam mit einem breiten Bündnis fordert Innatura daher eine Umsatzsteuer-Befreiung von Sachspenden. Genau das machen Länder wie Frankreich vor: Ab Jahresende wird dort das Entsorgen einwandfreier Produkte verboten. In Deutschland soll es infolge der Corona-Krise immerhin eine vorläufige Lösung geben. Die gilt allerdings nur für den stationären Handel - und damit für Textilien, die bereits in den Läden liegen.