Integrationslehrer arbeiten zu Billiglöhnen
"Wo hast Du früher gelebt? Wo lebst Du heute?“ schreibt Integrationslehrerin Bahar Kruse an die Tafel und gibt einen Tennisball aus. "Früher habe ich im Irak gelebt“ antwortet ein junger Flüchtling, "heute ich lebe in Deutschland" - "lebe ich in Deutschland", korrigiert Kruse freundlich - und der Ball wandert zum nächsten Kursteilnehmer. Spielerisch erobern sie sich die neue Sprache.
Bahar Kruse liebt ihren Beruf und weiß aus persönlicher Erfahrung, wie wichtig das ist, was sie täglich macht. Vor rund 10 Jahren ist die 34-jährige Lehrerin aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Sie hat 2005 selbst einen Integrationskurs besucht. "Ich weiß, welche Wege sie gehen müssen und wie anstrengend das ist." Sie freut sich, dass sie so auch Vorbild und Ansporn sein kann für ihre Kursteilnehmer. Und wenn Bahar Kruse ehemalige Kursteilnehmer kleine Nachrichten schicken, ihr erzählen, dass sie einen Studienplatz gefunden haben, eine Arbeitsstelle, dann weiß sie, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hat. Eigentlich ist sie in ihrem Traumberuf angekommen.
Krank werden unmöglich
Doch jetzt will sie wieder weg. Sie hat keine Wahl, erzählt die alleinerziehende Mutter. Zu wenig bleibt ihr zum Leben. Pro Unterrichtsstunde in der Volkshochschule erhält sie 23 Euro. Das klingt zunächst ganz gut. Doch wie die meisten ihrer Kollegen arbeitet sie als freie Honorarkraft. "Allein für die Krankenkasse muss ich ungefähr 400 Euro im Monat bezahlen, dazu kommt noch die Rentenversicherung." Außerdem muss sie von dem Honorar Bücher und Arbeitsmaterialen bezahlen. Da bleiben am Ende gerade einmal knapp 1.000 Euro übrig. Wenn Ferien sind, ist es noch weniger. Auch wenn ihre Kinder krank sind, und sie zu Hause bleiben muss, bekommt sie kein Geld. Dass sie auch selbst einmal krank wird, daran sei gar nicht zu denken.
Volkshochschulen wandern Integrationslehrer ab
Der Leiter der Volkshochschule Hannover Land muss hilflos zusehen wie ihm Integrationslehrer abwandern. Bahar Kruse ist nicht die erste. Und das zu einem Zeitpunkt, wo Martin Kurth händeringend neue Integrationslehrer sucht. Denn seit die Zahlen der Flüchtlinge steigen, werden bundesweit Lehrer mit der Zusatzqualifikation "Deutsch als Fremdsprache" gesucht. Die Wartelisten für Integrationskurse sind lang, mittlerweile gebe es bereits Wartelisten für die Warteliste. Eigentlich, so hat er errechnet, bräuchte er in diesem Jahr doppelt so viele Lehrer wie im vergangenen Jahr. Eine kaum lösbare Aufgabe: "Das klappt nicht", sagt Martin Kurth.
Integrationskurssystem in Gefahr
Bereits im November hatten die Deutschen Volkshochschulen, die ja einen großen Teil der Integrationskurse vor Ort sicherstellen, Alarm geschlagen. Sie warnten vor einem Engpass bei Integrationskursen von Flüchtlingen und forderten, Lehrkräfte müssten angemessen entlohnt werden. Dazu müssten die Pauschalen, die über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an die Träger bezahlt werden, deutlich erhöht werden. Nur so könnten die dringend benötigten Lehrkräfte dauerhaft gebunden werden. Ansonsten könne die flächendeckende Versorgung mit Integrationskursen nicht mehr gewährleistet werden.
Beim für die Integrationskurse zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verweist man darauf, dass man bereits etwas mehr Geld zur Verfügung gestellt habe. Auch der Mindesthonorarsatz für die Lehrer, den das BAMF festschreibt, sei um drei Euro von 20 auf 23 Euro angehoben worden. Allein seit September 2015 habe das Bundesamt 8.000 zusätzliche Lehrkräfte ins System gelassen. "Wenn die alle starten, dann sollte das auf jeden Fall ausreichen", sagt Benjamin Beckmann, Leiter des Referats Integrationskurse beim Bundesamt.
Sie starten aber nicht alle: Ute Mareik ist eine dieser neu zertifizierten Lehrerinnen. Sie wird ihren Job aber nicht antreten. „Die wollen die Integration zu einem Tarif, zu dem kein Mensch, der rechnen kann, Vollzeit arbeiten würde“, sagt sie. Erst spät sei ihr klargeworden, dass sie sich als freie Dozentin zu 100 Prozent renten- und krankenversichern muss. „Das sind dann einfach relativ hohe Beträge. Das müssen andere Leute auch tun, Handwerker beispielsweise, aber die haben natürlich einen ganz anderen Stundensatz. Ich weiß nicht, ob Sie vielleicht einen Handwerker kennen, der für 24 Euro/Std. arbeitet.“ Inzwischen arbeitet sie an einer staatlichen Schule, wo sie besser bezahlt wird.
Integration gefährdet?
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist man dennoch zuversichtlich, dass die Integration der Flüchtlinge gelingen wird. "Wir haben genügend Lehrer zugelassen am Markt. Jetzt ist gerade eine sehr dynamische Situation da. An allen Ecken und Enden wird ausgebaut", heißt es beim Bundesamt vage.
Inzwischen stellen einige Kommunen die Integrationslehrer fest an, obwohl sie sich das eigentlich nicht leisten können. Aber nur so können sie momentan verhindern, dass ihnen die Integrationslehrer alle abwandern.