Ideenreich gegen das Ladensterben ankämpfen
Immer mehr kleine, inhabergeführte Läden in den Städten müssen schließen. Der Grund ist altbekannt: zu hohe Mieten, wachsende Konkurrenz aus dem Onlinehandel, große Filialketten. Zum Teil hat das fatale Konsequenzen für das Stadtbild. Auch auf dem Land gibt es Schwund. In den kleinen Orten finden sich kaum noch Lebensmittelläden, Postfilialen, Bäcker und andere nützliche Geschäfte. Die großen Discounter verdrängen die lokale Infrastruktur. Mit viel Einsatz setzen sich aber in einigen Orten Menschen dafür ein, ihre Dorfläden zu retten. Die "NDR Info Perspektiven" mit Reportagen aus der Stadt und vom Land.
Die Seilwinderstraße in der Innenstadt von Hannover liegt eigentlich sehr günstig, die Straße verläuft parallel zur Fußgängerzone am Hauptbahnhof. Doch bietet sich ein trauriges Bild: blinde Schaufensterscheiben, verrammelte Ladentüren, schreiend bunte Neonschilder mit der Aufschrift: "Räumungsverkauf!".
Das älteste Geschäft der Stadt, Lederwaren Rissmann, machte letzten Monat dicht - nach 281 Jahren. Der Herrenausstatter Signum? Geschlossen! Der Möbelladen Be urban? Vergangenheit! Dessen Besitzer, Volker Christof Urban, verkauft seine exotischen Echtholzmöbel jetzt in einem Laden in Hannover-Laatzen, eine halbe Stunde von der Innenstadt entfernt. 3.600 Euro Miete im Monat musste Urban zuletzt für das kleine Ladengeschäft in der Innenstadt zahlen. Dann brach der Umsatz ein. Der Laden habe sich einfach nicht mehr gerechnet, sagt er. In Laatzen habe er die zehnfache Ladenfläche zur Verfügung - für einen viel geringeren Quadratmeterpreis.
Gesichtslose Innenstädte
Also gibt es bald nur noch Ein-Euro-Läden, Modeketten und Drogeriemärkte in der Innenstadt? Er sei da pessimistisch, sagt Hans-Joachim Rambow vom Einzelhandelsverband Niedersachsen-Bremen. Nicht nur Hannover, auch Städte wie Oldenburg oder Osnabrück würden langsam veröden. Der Hauptfeind der kleinen Läden seien die Online-Shopper. Diese würden sich zwar im Laden beraten lassen, aber dann doch im Internet bestellen. Der Preis sei entscheidend.
Onlinehandel ist Problem und Lösung gleichzeitig
Viele Läden setzten nun auch verstärkt auf das Internet. "KaufLust" heißt zum Beispiel ein Web-Portal, das mehrere kleine Einzelhändler der Landeshauptstadt online präsentiert und aufruft zu "Buy local" - also: Kaufe vor Ort!
Nicht nur in Niedersachsen, auch in den anderen norddeutschen Bundesländern ist das Sterben der kleinen Geschäfte ein Problem. Auch der Stadtstaat Hamburg ist betroffen, die Ladenmieten sind mit die höchsten in ganz Deutschland. In Kürze schließt hier zum Beispiel der Kult-Laden Hundertmark, zum Sortiment gehören Cowboystiefel und Biker-Jacken. Das Individuelle des Kiezes gehe langsam verloren, klagt ein Besucher. Der Stadtteil nehme Schaden, wenn die kleinen, besonderen Läden alle schließen würden.
Ladenmieten in den Großstädten sinken teilweise
Sven Bechert ist Immobilienmakler bei Grossmann & Berger. Er beobachtet: Die Hamburger Vermieter reagieren auf den Leerstand inzwischen mit sinkenden Mieten, vor allem in der teuren Innenstadt. "So haben wir zum Beispiel am Neuen Wall acht freie Ladenflächen im Angebot. Da kann sich der Interessent aussuchen, wo er hingeht. Das müssen die Eigentümer im Wettbewerb für sich erkennen und gehen dann mit der Miete runter. Toplagen sind davon nicht betroffen. Aber bei den Standardflächen spürt man das schon, da gehen die Mieten zehn bis 20 Prozent runter."
In Hannover ist davon noch nicht viel zu spüren. Möbelhändler Urban wird ein wenig wehmütig, wenn er an seinen Innenstadtladen denkt. Es müsste ja nicht gleich die beste Lage sein, sagt er: "Aber eine gute Lage mit einem entsprechenden Mietpreis. Dann würde ich auch in die Innenstadt zurückgehen. Aber aktuell ist das für Hannover nicht möglich."
Die Perspektive
Ortswechsel. Im Dorfladen in Bolzum, 20 Kilometer südöstlich von Hannover gelegen, gibt es fast alles. Cornflakes und Tesafilm, frische Brötchen und Zeitungen, Bio-Joghurt und Zigaretten. Ein großzügiger, heller Raum in einem Fachwerkhaus - ein Supermarkt im Miniaturformat. Die Kunden schätzen vor allem das regionale Angebot: "Eier aus dem Nachbardorf, Honig vom Imker, das ist schon toll. Und man kann am Sonntagvormittag einkaufen gehen, wenn man zum Beispiel was vergessen hat."
Ein Laden als Dorfmittelpunkt
Mütter mit Kinderwagen, Bauarbeiter, Rentner, Schüler, das ganze Dorf kommt hierher - nicht nur, um einzukaufen. Dem Laden angegliedert ist ein kleines Café, neues Herzstück von Bolzum und Treffpunkt für die Dorfbewohner. Vor der Eröffnung des Ladens im Jahr 2015 gab es in dem 1.300-Einwohner-Ort gar nichts mehr, der letzte Bäcker hatte sich 2012 verabschiedet.
Frauke Lehrke hat das Bürger-Projekt "Dorfladen" mit ins Leben gerufen. "Vor ein paar Jahren hat man sich hier noch beim Hundespaziergang getroffen, oder auf dem Friedhof beim Blumengießen. Jetzt weiß man: Im Laden trifft man immer jemanden. Ich kann mich hier spontan auf einen Kaffee hinsetzen, frühstücken, oder Geburtstage hier feiern. Gerade für die Älteren ist das wichtig."
Dorfbewohner unterstützen den Laden
Um das Eigenkapital von 75.000 Euro zusammenzubringen, verkauften die Initiatoren um Frauke Lehrke Anteilsscheine. 202 Dorfbewohner machten mit, sie sind nun stille Teilhaber des Geschäfts. Sieben Festangestellte gibt es mittlerweile, unterstützt von etwa 20 Ehrenamtlichen. Ohne deren Engagement würde der Laden auch gar nicht laufen, sagt Lehrke. Doch auch wenn die Ideale, nicht das Geld im Vordergrund stehen: Trotzdem müssen ausreichend Kunden für den dringend benötigten Mindestumsatz sorgen - und zwar langfristig. "Das ist ganz wichtig für einen Dorfladen, dass wir im Gespräch bleiben", sagt Lehrke. "Wir müssen immer wieder etwas Neues anbieten. Zum Beispiel hatten wir eine Weinprobe, oder eine mobile Mosterei kam vorbei, wo die Leute mit ihren eigenen Äpfeln Saft mosten konnten. So müssen die Leute immer wieder hierher kommen, um zu gucken: Was gibt’s denn Neues?"
Initiativen auch in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern
Der Dorfladen Bolzum ist Teil des bundesweiten Dorfladen-Netzwerks, etwa 15 Läden in Eigenregie werden dort allein in Niedersachsen aufgezählt. Doch auch in den anderen norddeutschen Bundesländern gibt es Initiativen, denn fast überall ist das Ladensterben inzwischen ein echtes Problem. Die Landesregierung Schleswig-Holstein zum Beispiel hat 12,5 Millionen Euro für das Dorfladen-Konzept "Markt Treff" zur Verfügung gestellt. Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spricht von einem "enormen Effekt" des Programms. "Knapp 40 Orte machen mit, die jetzt eine stabile Infrastruktur bekommen haben. Das Modell ist stark nachgefragt. Da kann man vergleichsweise wenig Geld doch viel Gutes tun."
Ein Modell, das Schule machen sollte
In Mecklenburg-Vorpommern machten in den vergangenen zehn Jahren 1.200 Land-Läden dicht, meist verdrängt von großen Lebensmittel-Discountern. Das Land fördert jedes Jahr etwa sechs neue Dorfläden, oft auf Genossenschaftsbasis. Wenn die Läden sterben, dann stirbt auch das Dorf, weiß auch Frauke Lehrke vom Bolzumer Dorfladen. Sie hofft, dass ihre Erfolgsgeschichte Schule macht.