Energiewende am Meer: Lieber Großwärmepumpe als Kohle
In der dänischen Küstenstadt Esbjerg entsteht gerade eine neuartige Meerwasser-Wärmepumpe. Sie soll ab kommenden Jahr das örtliche Kohlekraftwerk überflüssig machen. Die dänische Königin wird voraussichtlich zur feierlichen Einweihung kommen. Was macht das Projekt so besonders? Und: Ist es ein Vorbild für Norddeutschland?
Die kleine Stadt Esbjerg liegt im Südwesten Dänemarks, direkt an der Nordsee. Rund 70.000 Menschen leben dort. Reich geworden durch Ölvorkommen vor der Küste, setzt die Stadt jetzt auf die Offshore-Windindustrie: Der Hafen ist ein Umschlagplatz für Windräder, die in der Nordsee errichtet werden.
Klimafreundliche Energie ist ohnehin ein großes Thema. So entsteht vor Ort gerade eine einzigartige Anlage: die größte Meerwasser-Wärmepumpe der Welt. Bürgermeister Jesper Frost Rasmussen ist begeistert von dem 300-Millionen-Euro-Projekt: "Ich bin jedes Mal ganz aufgeregt, wenn ich die Anlage besichtige. Mir ist bewusst, dass wir hier an der Geschichte der Zukunft schreiben."
Das Kohlekraftwerk ist nicht gut für die Klimabilanz
Die riesige Wärmepumpe soll einen wesentlichen Teil dazu beitragen, das alte Kohlekraftwerk in der Stadt überflüssig zu machen. Der Zeitplan ist ehrgeizig: Bis Ende Juni 2024 soll die neuartige Anlage fertig sein, damit dann das Kohlekraftwerk abgeschaltet werden kann.
Jesper Frost Rasmussen, seit knapp sechs Jahren Bürgermeister von Esbjerg, ist optimistisch, dass alles rechtzeitig fertig wird. Er ist kein typischer Berufspolitiker, sondern vor allem Ingenieur. Bevor er Bürgermeister in seiner Heimatstadt wurde, hat er neun Jahre lang die örtlichen Stadtwerke geleitet, die jetzt die Wärmepumpe bauen lassen.
Eine klimagerechte Gesellschaft im Blick
Und obwohl Rasmussen keiner grünen Partei angehört, hat er als Bürgermeister 2020 mitbeschlossen, dass die Stadt bis 2030 klimaneutral werden soll. "Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir leben und Energie erzeugen", sagt er im NDR Info Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise". "Ich denke, die meisten Dänen haben das vor ein paar Jahren realisiert. Als Politiker würden wir nun Ärger bekommen, wenn wir nicht die Entscheidungen treffen, die eine klimagerechte Gesellschaft ermöglichen."
"Irgendjemand muss ja mal loslegen"
Mit der Großwärmepumpe sollen in Esbjerg auf einen Schlag 25.000 Haushalte klimafreundliche Wärme bekommen - so viele bekommen bislang ihre Wärme vom Kohlekraftwerk. "Wir leisten hier Pionierarbeit. Niemand konnte vorhersagen, was es kosten wird und wie lange das Ganze dauern wird", sagt Rasmussen. "Aber irgendjemand muss ja mal loslegen, und das haben wir in Esbjerg gemacht."
Das Problem war anfangs: Für solch eine Großanlage gab es kein Vorbild. Doch dann haben sich Ingenieure von MAN Energy Solutions der Herausforderung gestellt. Das Unternehmen, das zum Volkswagen-Konzern gehört, will sich angesichts der Klimakrise wandeln: Grüne Technik soll bis 2030 für zwei Drittel des Umsatzes sorgen.
So funktioniert die Meerwasser-Wärmepumpe
Da Esbjerg direkt an der Nordsee liegt, wollen die Ingenieure für die Wärmepumpe das Meerwasser nutzen. Die Anlage funktioniert im Prinzip wie eine Wärmepumpe im Wohnhaus: Sie nutzt die Wärme ihrer Umgebung - manchmal kommt die Wärme aus der Luft, manchmal tief aus der Erde. Und in Esbjerg kommt sie eben aus dem Meer. Das Wasser wird von Pumpen im Hafen in sechs Metern Tiefe angesaugt, pro Sekunde können dies 4.000 Liter Wasser sein.
An Land wird dem Meerwasser dann rund drei Grad Wärme entzogen. Diese Wärme wird wiederum von einem Kältemittel - in diesem Fall CO2 - aufgenommen, das dabei verdampft - und anschließend verdichten Kompressoren dieses CO2-Gas wieder, dabei erhitzt es sich weiter: So lassen sich durch die Kompressoren im großen Maßstab hohe Temperaturen erreichen. Mit dem Gas wird schließlich das Wasser für die Fernwärme-Heizungen erhitzt. Das abgekühlte Meerwasser landet über Rohre rund 700 Meter entfernt wieder in der Nordsee.
An windstillen Tagen hilft ein Pellet-Kraftwerk
Die Kompressoren sind die größten Stromfresser im System. Aber die Stadt kann auf die Windenergie von den großen Offshore-Windparks vor der Küste zählen. Gerade im Winter produzieren die Windräder sehr viel Strom, der für die Großwärmepumpe genutzt werden kann. Für windschwache Tage gibt es auf dem Gelände einen riesigen Warmwasser-Tank als kurzfristige Reserve. Zudem ist ein Pellet-Heizkraftwerk mitgedacht, das ebenfalls für Wärme sorgen soll. Meerwasser-Wärmepumpe und Pellet-Heizkraftwerk ersetzen zusammen das Kohlekraftwerk. Allein mit der neuen Großwärmepumpe können nach Angaben von MAN pro Jahr rund 60.000 bis 100.000 Tonnen klimaschädliches CO2 eingespart werden.
Viele Wärmepumpen-Projekte in Norddeutschland
Lässt sich das Vorhaben in Esbjerg - Großwärmepumpe und Fernwärme - möglicherweise auf deutsche Städte übertragen? "Ja, das ist ein Vorbild-Projekt, das auch in Deutschland sicherlich Nachahmer finden wird - und es auch schon tut", sagt Matthias Sandrock. Er ist Geschäftsführer des Hamburg Instituts und berät unter anderem Städte und Gemeinden bei ihrer kommunalen Wärmeplanung. "Es kommen etliche große Projekte, auch von den Fernwärme-Versorgern, die derzeit geplant werden. Darunter sind auch Meerwasser-Wärmepumpen. Ich weiß es aus Flensburg, aus Kiel und aus Rostock. Es gibt viele Städte, die gerade darüber nachdenken." So plant Hamburg beispielsweise Deutschlands größte Abwasser-Wärmepumpe. Mit der Anlage könnten rein rechnerisch 39.000 Wohnungen mit klimafreundlicher Fernwärme versorgt werden.
"Wir werden mit Anfragen überhäuft"
"Wir stehen bei den Großwärmepumpen noch relativ am Anfang. Aber die Entwicklung ist rasant. Ich sehe da große Chancen", sagt Sandrock. Diese Chancen sieht auch der Konzern MAN, der mit Anfragen geradezu überhäuft wird. "Wir kriegen jede Woche fünf bis zehn Anfragen aus der ganzen Welt, die mehr über unsere Wärmepumpen wissen möchten", berichtet MAN-Manager Raymond Decorvet. "Das freut uns natürlich sehr. Wir werden in den kommenden Jahren genügend zu tun haben."
Großwärmepumpen: Ein schlafender Riese
Zumal auch die Bundesregierung die Fernwärme pusht. Das Ziel: jedes Jahr 100.000 Gebäude neu ans Netz anschließen. Bis 2045 soll sich die Zahl der angeschlossenen Gebäude so verdreifachen. Und dabei könnten Großwärmepumpen eine große Rolle einnehmen. Deutschland könnte bis zum Jahr 2045 seinen gesamten Wärmebedarf durch den Einsatz von Großwärmepumpen decken. So steht es in einer kürzlich veröffentlichten Studie vom Fraunhofer Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie. Dort heißt es: "Unter den nachhaltigen Wärmetechnologien ist die Großwärmepumpe sicherlich der schlafende Riese."
Warten auf die Königin
Viele schauen deshalb gespannt nach Dänemark, wie sich die Großwärmepumpe im Hafen von Esbjerg macht - wenn die Anlage im normalen Betrieb läuft. Angekündigt hat sich auch schon die dänische Königin Margrethe II. - sie wird das prestigeträchtige Projekt mit royalem Glanz einweihen.