Corona: 3-D-Drucker gegen medizinische Engpässe
Die Zahl der geheilten Corona-Patienten in Italien nimmt zu und es gibt etwas weniger Ansteckungen. Dennoch ist die Lage nach wie vor angespannt: Es mangelt nicht nur an Personal und Intensivbetten, auch die Medizintechnik ist knapp. Geräte können nicht mehr eingesetzt werden, weil Einzelteile fehlen, die nicht geliefert werden können. Doch es gibt Lichtblicke: In der italienischen Provinz Brescia hat eine pragmatische Initiative dazu geführt, dass Teile aus dem 3-D-Drucker in Beatmungsgeräten zum Einsatz kommen. Auch deutsche Unternehmen haben angekündigt, ihre Drucker dafür einsetzen zu wollen, wie die NDR Info Perspektiven berichten.
Emanuele Galesi ist Journalist. Als Redakteur bei der Lokalzeitung Giornale di Brescia wurde er innerhalb kürzester Zeit vom Lokalredakteur zum Krisenreporter: "Die Lage hier in Brescia ist schrecklich. Es ist eine totale Katastrophe. Es gibt 7.500 Leute, die infiziert sind, und es werden jeden Tag mehr." Seine Stadt Brescia gilt als beliebtes Ziel für Touristen und als drittgrößte italienische Industrieregion. Momentan geht dort gar nichts mehr. Die Lombardei ist mit am stärksten vom Coronavirus betroffen. Allein dort sind, nach aktuellem Stand, schon 3.400 Opfer zu beklagen. "Es gibt keinen Platz mehr in den Krankenhäusern. Und die Ärzte erzählen, dass sie jeden Tag entscheiden müssen, welche Menschen sie retten wollen und welche sie sterben lassen müssen. Die Ärzte weinen am Ende des Tages, weil sie ihre Arbeit nicht machen können."
Motto: Handeln statt Klagen
Im Krankenhaus von Brescia arbeiten über 6.000 Menschen, von denen bereits 300 an Covid-19 erkrankt sind. Wie die italienische Zeitung "La Repubblica" berichtet, wird nun bei allen Mitarbeitern täglich Fieber gemessen. Was die Lage zusätzlich erschwert: Es fehlt an Teilen für die medizinische Technik. "Ein Krankenhaus in einem Dorf in der Nähe von Brescia hat um Hilfe gebeten. Ihnen fehlten Ventile für ihre Beatmungsgeräte", berichtet Emanuele Galesi. Die Hersteller können dem aktuellen Bedarf nicht gerecht werden. Ohne die Ventile können aber einige Maschinen nicht mehr weiterlaufen - eine Extremsituation. Trotzdem wollte Emanuele sich nicht einfach ergeben: "Man kann nicht immer nur jeden Tag über die Toten und die neuen Kranken berichten. Man muss auch etwas machen. Also haben wir als Zeitung einen Artikel geschrieben und gefragt, wer helfen kann, dieses Ventil zu bauen."
Hilfe aus dem Fab-Lab
Die Antwort kam prompt aus einem sogenannten Fab Lab. Das sind offene Werkstätten, in denen jeder an CNC-Fräsen oder 3-D-Druckern arbeiten kann. Bisher war das vor allem ein Gegenentwurf zur Wegwerfgesellschaft. Statt ein Gerät zu entsorgen, gehen Tüftler gerne in ein Fab Lab und drucken sich das kaputte Teil einfach selber aus. Dass dieses Prinzip auch in einer Notsituation helfen kann, hat Massimo Temporelli, Gründer des Fab Labs in Mailand, schnell erkannt. Er aktivierte sein Netzwerk und noch am selben Tag war ein Partner aus der Industrie gefunden. Der 3-D-Drucker wurde direkt ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde das fehlende Teil neu designed und produziert. Innerhalb weniger Stunden konnten schon zehn Menschen mit einer Maschine beatmet werden, die das selbst hergestellte Teil nutzte. Der Pragmatismus wirkte ansteckend. Kurz darauf hatte ein Arzt die Idee, eine Tauchmaske als Beatmungsgerät zu benutzen.
Deutsche Forscher machen mit
Der französische Sportartikelhersteller Decathlon ist eine Art Supermarkt für Freizeitsportler. Dessen Tauchmasken werden in Brescia nun mit Hilfe selbst ausgedruckter Teile zu medizinischem Zubehör umgebaut - und das zog weitere Kreise. In der Industrie-4.0-Szene läuft vieles nach dem Open-Source Prinzip. Das heißt: Wissen und Daten werden gern geteilt. So kam es, dass man auch am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) anfing, mit den Druckvorlagen zu experimentieren. Andreas Bohle, leitender Ingenieur beim DLR, erzählt, wie es dazu kam: "Wir haben uns dann frei verfügbare 3-D-Modelle aus dem Internet besorgt. Das ist die Grundlage, die man für den 3-D-Druck braucht. Das hat sich überschnitten mit einer Anfrage der Europäischen Kommission, ob wir als DLR in der Lage wären, solche Teile im 3-D-Druck Verfahren herzustellen.“
Copyright vs. Menschenleben
Andreas Bohle hatte mittlerweile schon mehrere Anfragen für den Druck von medizinischem Zubehör. Krankenhäuser aus Wolfenbüttel und aus dem Allgäu haben sich bei ihm gemeldet: "Was wir herstellen können und was auch nachgefragt wird, ist dieser Spritzschutz, ein Schild aus Plexiglas, das man sich vors Gesicht klappen kann. Das wird offensichtlich in den Krankenhäusern mit Intensivbetten benötigt."
Natürlich spielen in diesem Zusammenhang auch Patente und Copyrights der Hersteller eine Rolle. TÜV und DEKRA haben zumindest schon mal die Möglichkeit für ein verkürztes Verfahren aufgesetzt, damit die Prüfung schneller ablaufen kann. "Wenn es wirklich so kommt wie in Italien, befinden wir uns ja in einem akuten Notstand. Klar kann da jetzt jemand sagen: Ich hab da ein Copyright drauf, das darfst du nicht. Auf der anderen Seite würde dann vielleicht ein Mensch nicht überleben."
Daimler und VW wollen einsteigen
Die großen Hersteller wollen sich lieber absichern, bevor es richtig losgehen kann: Auch Daimler und VW haben angekündigt, Teile aus dem 3-D-Drucker für medizinische Zwecke herstellen zu wollen. Wann das der Fall sein wird, wollte ein Sprecher von VW aber aktuell noch nicht sagen. Die Prüfung könne noch eine Weile dauern. "Der Unterschied liegt da einfach in den Dimensionen. Die wollen sicherlich in Tausenden Stückzahlen produzieren. Das können wir beim DLR natürlich nicht."
Verband will unterstützen
Spectaris, einer der drei deutschen Verbände für Medizintechnik, begrüßt die Entwicklung als solidarische Geste und hat auf seiner Seite eine Matchmaking-Plattform eingerichtet. Hier werden Unternehmen aufgelistet, die sich gemeldet haben weil sie bei der Produktion von Medizintechnik unterstützen wollen. Andreas Bohle betont die Chancen, die sich aus der Lage ergeben: "Ich denke, dass es gut ist, auch mal zu zeigen, dass Forschung, sich auch mit sehr realen Themen auseinandersetzen kann und dafür Lösungen anbietet."