Bürgergeld: Verursachen schärfere Regeln einen "Drehtüreffekt"?
Nach der Sommerpause wird sich der Bundestag mit den geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld befassen. Sie betreffen Arbeitsweg, Meldepflicht beim Jobcenter und Strafen bei Ablehnung von Jobs. Wie kommen diese Pläne bei den Menschen an, die Bürgergeld beziehen?
Marc steht vor dem Jobcenter in Hamburg-Mitte. Seinen Nachnamen möchte er uns nicht sagen. Auch wie lange er schon Bürgergeld bekommt, bleibt sein Geheimnis. Gleich hat er einen Termin. Die finanzielle Unterstützung - für ihn aber nur ein Übergang, sagt er. Die aktuelle Debatte um die Verschärfung der Sanktionen sieht er mit gemischten Gefühlen: "Verschärfungen für Leute, die sich darauf ausruhen - okay. Die Frage ist: Werden dadurch wirklich die Arbeitsunwilligen herausgefiltert oder wird es Leuten schwer gemacht, die nur übergangsweise Hilfe benötigen?"
Verschärfungen betreffen verschiedene Bereiche
Geplant ist unter anderem, dass ein Arbeitsweg von drei Stunden (hin und zurück) für Betroffene künftig als machbar eingestuft wird - bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden. Das Jobcenter soll im Umkreis von 50 Kilometern nach einem Arbeitsplatz für Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld suchen. Ausnahmen gelten für Menschen, die sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern.
Härtere Strafen bei Ablehnung einer Arbeit
Härtere Strafen soll es laut SPD, FDP und Grünen auch für Menschen geben, die eine Arbeit ablehnen. "Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ablehnt, wird mit erhöhten Kürzungen des Bürgergeldes rechnen müssen", heißt es in dem Entwurf zur Wachstumsinitiative des Bundes. In diesem Fall könnten die monatlichen Leistungen um 30 Prozent für die Dauer von drei Monaten gekürzt werden. Gekürzt werden sollen auch Leistungen für Menschen, die nebenher schwarzarbeiten. Sie müssten dann ebenfalls drei Monate lang mit rund 30 Prozent weniger Geld rechnen.
Eigenes Schonvermögen soll früher angetastet werden
Bevor Betroffene Bürgergeld erhalten, sollen sie zunächst ihr eigenes Vermögen aufbrauchen. Es gibt aber ein Schonvermögen, das innerhalb einer Karenzzeit nicht angetastet wird. Diese Frist hat die Ampelregierung jetzt von zwölf auf sechs Monate herabgesetzt. Der Betrag für das Schonvermögen liegt aktuell bei 40.000 Euro. Für jede weitere Person in einem Haushalt kommen 15.000 Euro dazu.
Mehr als eine Million Bürgergeld-Empfänger im Norden
Mehr als eine Million Menschen bezieht nach Angaben der Arbeitsagenturen in Norddeutschland Bürgergeld. Etwa ein Viertel davon sind Kinder. In den Flächenländern leben gut 6,5 Prozent der Bevölkerung von den Sozialleistungen. Im Stadtstaat Hamburg ist aktuell jeder Zehnte darauf angewiesen.
Bislang nur sehr wenige Sanktionen
In der Diskussion ist oft von den sogenannten Totalverweigerern die Rede. Also Menschen, die jegliche Arbeit ablehnen, die ihnen angeboten wird. Tatsächlich sind das aber nur sehr wenige. Im Februar gab es laut Arbeitsagentur Nord beispielsweise 571 Sanktionen in Mecklenburg-Vorpommern - bei 111.014 Bürgergeldbeziehern. Das entspricht etwa 0,5 Prozent. Da aber einige Menschen mehrfach sanktioniert wurden, liegt der Anteil an Sanktionierten also noch unter einem halben Prozent. Grund für die Sanktionen waren laut Arbeitsagenturen in der Zeit von März 2023 bis Februar 2024 in 85 bis 90 Prozent der Fälle Meldeversäumnisse - also Termine und Fristen, die von den Betroffenen nicht eingehalten werden.
Experten warnen vor "Drehtüreffekt"
Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei spricht bei der Diskussion um die Verschärfungen von einer Scheindebatte und warnt vor dem sogenannten Drehtüreffekt. "Unter Androhung von Sanktionen werden häufig Jobs angenommen, die nicht zu den Lebenssituationen der Menschen passen. Kurze Zeit später sind sie wieder im Jobcenter", so Steinhaus.
Zahl der Jobaufnahmen seit Bürgergeld-Einführung rückläufig
Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist seit der Einführung des Bürgergeldes die Jobaufnahme um rund sechs Prozent gesunken. Enzo Weber vom IAB sieht daher Handlungsbedarf: "Die wissenschaftlichen Studien zeigen klar: Wenn sanktioniert wird, dann erhöht das sehr deutlich die Arbeitsaufnahme und das auch schon im Vorhinein. Also bei Menschen, die ihr Verhalten anpassen, bevor es überhaupt zu einer Sanktion kommt - oder damit es eben nicht zu einer Sanktion kommt."
Bundesregierung will mehr Menschen in Arbeit bringen
Die Bundesregierung erhofft sich von der Verschärfung der Sanktionen, dass wieder mehr Menschen arbeiten. Dadurch soll die Wirtschaft in Deutschland angekurbelt werden. Die neuen Regelungen müssen noch vom Bundeskabinett verabschiedet werden. Der Hamburger Bürgergeldempfänger Marc hofft, dass die Debatte rund um die Verschärfung der Sanktionen von Bürgergeld nicht nur für künftige Wahlkämpfe genutzt wird: "Deutschland ist ein Sozialstaat - und ich hoffe, das bleibt auch so."