Bedrohte Journalisten: "Ich lasse mir nicht das Wort verbieten"
"Wir wissen, wo du wohnst" und gezielte Schläge auf Kameras: Martina Scheller und David Speier haben Drohungen oder Gewalt erlebt, weil sie ihrer Arbeit als Journalisten nachgegangen sind. Doch die beiden machen weiter - wenn auch vorsichtiger als früher.
Die Hamburger Woche der Pressefreiheit setzt sich für unabhängige Berichterstattung ein. Dass die Arbeit von Journalisten auch in Norddeutschland mitunter gefährdet ist, zeigen die zwei Beispiele von David Speier aus Niedersachsen und Martina Scheller aus Mecklenburg-Vorpommern.
Eine Art Feind-Markierung auf Instagram
Speier ist freier Journalist, arbeitet unter anderem für die "taz" und das ZDF. Am Steintorplatz in Hannovers Innenstadt steht er am vergangenen Sonnabend am Rande einer Pro-Palästina-Kundgebung. Seit einem Jahr beobachtet er diese Demonstrationen in Hannover. Er achtet auf die Parolen und die Redebeiträge und dokumentiert antisemitische Ausrufe. Speier nimmt seine Kamera aus der Tasche, macht Fotos. Er interessiert sich für die Teilnehmenden. Wer ist dabei? Zu welcher Szene gehören sie?
Speier erlebt bei Einsätzen wie diesem, dass sich die Haltung gegenüber Journalisten verändert hat. "Was eigentlich immer passiert, ist, dass man als Journalist abfotografiert wird und dann auf Instagram veröffentlicht wird mit einer lustigen Musik darunter." So solle man verächtlich gemacht werden und Angst bekommen. "Das Gesicht wird gezeigt, damit auch jeder weiß: Das ist der Journalist, der sich das anschaut. Und damit findet so eine Art Feind-Markierung statt." Speier sagt, er fühle sich nicht eingeschüchtert. "Es ist halt mein Job, man muss für sich einen Umgang damit finden."
Zunahme von Aggressivität gegenüber Journalisten
Seit neun Jahren verfolgt Speier rechtsextreme Bewegungen wie Pegida, recherchiert zu Querdenkern oder der AfD. Auf rechten Demos sei es schon immer gefährlich gewesen für Journalisten. "Neben mir ist ein Kollege mal mit einem Faustschlag niedergestreckt worden. Es passiert regelmäßig, dass nach der Kamera gegriffen wird, dass man bedroht wird, dass Sachen nach einem geschmissen werden", berichtet Speier.
Während der Corona-Pandemie habe die Aggressivität noch einmal massiv zugenommen, vor allem, weil sich die Täter verändert hätten. "Es waren vor allem Leute, von denen man das eigentlich nicht so erwartet hat, von denen man plötzlich bedrängt, bedroht und angegangen wurde", sagt der Journalist. Das seien ganz normale Leute gewesen, die man nicht als gewalttätig einschätzen würde. "Bei denen wurde dann plötzlich ein Schalter umgelegt und für die sind einfach Journalisten ein Feindbild."
Reporter ohne Grenzen: Immer öfter Gewalt gegen Medienschaffende
Eine allgemeine negative Stimmung gegen Journalistinnen und Journalisten führt immer öfter zu Gewalt gegen Medienschaffende. Im Jahr 2022 zählte die Organisation Reporter ohne Grenzen in Deutschland 103 Angriffe - ein Höchstwert. Im Jahr 2023 gingen die Angriffe auf 41 zurück.
Wie eine Live-Schalte vieles verändert
Auch wenn Journalistinnen und Journalisten nicht direkt körperlich angegangen werden: Bedrohungen über Social Media oder auch persönlich können das Leben von Journalisten radikal verändern. So wie bei Martina Scheller. Sie arbeitet seit mehr als 15 Jahren als freie Mitarbeiterin beim NDR in Mecklenburg-Vorpommern und berichtet über die Regional- und Kommunalpolitik.
Eine Live-Schalte im Nordmagazin Ende Januar 2023 sollte für Scheller unangenehme Auswirkungen haben. Es ging darin um eine Kreistagssitzung in Grevesmühlen. Das Thema: In Upahl, einem 500-Einwohner Dorf im Landkreis Nordwestmecklenburg, sollte eine Unterkunft für mehrere Hundert Geflüchtete entstehen. Vor der Tür des Sitzungssaals formierte sich heftiger Widerstand. Scheller berichtet aus dem Kreishaus, hinter ihr sind Polizisten zu sehen, die das Gebäude vor aufgebrachten Bürgern schützen.
"Es gab zwischenzeitlich Tumulte. Mehrere Personen haben versucht, in das Gebäude einzudringen, es gibt auch schon mehrere Ermittlungsverfahren", sagt Scheller in der Schalte. 220 Demonstranten seien vor Ort, "mehr als 100 davon werden der rechten Szene zugeordnet, es sind auch Personen aus der Hooligan-Szene dabei, also durchaus auch gewaltbereit".
Debatte um Berichterstattung bestimmt Schellers Alltag
Nach der Schalte sieht sich Scheller, die mit ihrer Familie nicht weit von Upahl entfernt wohnt, dem Vorwurf ausgesetzt, sie habe die Proteste zu unrecht in eine rechte Ecke gestellt. "Ich wurde dann kurz darauf auch kontaktiert über diverse Kanäle, Social Media, über E-Mail, also die private E-Mail, das private Handy, Whatsapp, SMS", erzählt Scheller. Die Nachrichten reichten von "Ich bin enttäuscht" bis hin zu "Ich weiß, wo du wohnst". "Das war für mich ganz neu. Das war für mich auch eine Situation, mit der ich erst mal umgehen lernen musste", sagt Scheller.
Die Debatte um ihre Berichterstattung wird alltagsbestimmend - ob in der Kneipe, bei der Post oder im Supermarkt. "In den Kneipen hier gab es dann schon so 'Martina-Lager', also pro Martina und wider Martina", sagt Scheller. Die einen hätten gesagt "Nein, das ist doch aber eine von uns und das ist eine gute Reporterin." Die anderen hätten behauptet "Aber die erzählt doch nur Mist und Müll". Deswegen habe es Orte gegeben, die sie bewusst gemieden habe, einfach um sich aus der Öffentlichkeit zu nehmen. "Ich wollte auch nicht in die Konfrontation gehen, wollte mich nicht mehr rechtfertigen für meine Arbeit."
Sorge um Sicherheit der Familie
Sie macht sich immer mehr Sorgen um den Schutz ihrer Familie. "Das war schon so, dass ich dann abends bevor ich ins Bett gegangen bin, nach draußen geguckt habe, ob sich da auch nichts bewegt auf der Straße, ob da nicht ein Auto steht, weil mir ja auch geschrieben wurde, dass ich ja in einer sehr schönen Gegend wohnen würde. Da habe ich dann auch drüber nachgedacht tatsächlich, ob ich meine Kinder mal kurzzeitig ausquartiere."
So weit kommt es nicht. Der Gegenwind flaut nach einiger Zeit wieder ab, die drohenden Nachrichten werden seltener.
Speier: Meldesperren für Journalisten erleichtern
David Speier bleibt auch nach neun Jahren als freier Journalist und trotz einiger selbst erlebter Übergriffe zuversichtlich. "Ich glaube, dass wir in Deutschland auf einem guten Weg sind, was die Pressefreiheit angeht."
Gleichwohl könnten so bedrohliche Situationen, wie sie während der Corona-Pandemie erlebt hat, immer wieder entstehen. "Und da müssen wir einfach als Journalisten vorbereitet sein und auch immer wieder an die Politik appellieren, dass die Presse einfach besser geschützt werden muss." Meldesperren müssten etwa erleichtert werden für Journalistinnen und Journalisten, sodass man nicht so leicht an deren Privatadressen herankommt.
Durch die erlebten Bedrohungen habe er seine Arbeitsweise verändert. Speier nennt das Anpassung an die Gegebenheiten und hat sich etwa als Strategie überlegt, nicht so offen zu Versammlungen zu gehen, "sondern einfach nur mit einem Handy und einer kleineren Kamera, dass man nicht so schnell erkannt wird".
Scheller: "Ich lasse mir nicht meine Arbeit verbieten"
Martina Scheller, der vorgeworfen worden war, normale Demonstranten in die rechte Ecke gestellt zu haben, sagt, sie sei noch achtsamer bei der Wahl ihrer Worte geworden. "Ich überlege wirklich genau, was ich sage und wenn ich was sage, bei wem es wie ankommen könnte." Das bedeute nicht, dass ihre Worte oder ihre Berichterstattung nicht mehr ein reales Bild wiedergeben. "Aber ich wähle teilweise schon bewusster die Worte, um keinen neuen Hass auszulösen."
Grundsätzlich habe sie sich aber irgendwann gesagt: "Nein, ich lasse mir nicht das Wort verbieten. Ich lasse mir auch nicht meine Arbeit verbieten. Das lasse ich mir nicht nehmen von den Menschen. Das wäre dann, als würde ich klein beigeben - und das geht nicht. Ich bin Reporterin. Ich bin da, um darüber zu berichten."