Assaf Levitin, Chasan (Kantor) der jüdischen Gemeinde in Hamburg (r.), spricht mit Shay Benjamin, der Tochter des von der Hamas nach Gaza entführten Ron Benjamin. © Armin Levy

Assaf Levitin: Gefahr für Juden in Deutschland sind Rechtsextreme

Stand: 07.04.2024 07:14 Uhr

Assaf Levitin ist Kantor der jüdischen Gemeinde in Hamburg. Ein halbes Jahr nach dem Terror-Angriff der Hamas in Israel bedrückt ihn die Sorge um Freunde und Verwandte. Im Interview mit NDR.de spricht er auch über die Tochter einer Geisel, die in Hamburg über das Schicksal ihres Vaters gesprochen hat. Und Levitin sagt: Der Krieg ist in Netanjahus Interesse.

Herr Levitin, Sie sind Chasan - also Vorbeter in der jüdischen Gemeinde - in Hamburg. Was hat sich dort im vergangenen halben Jahr verändert?

Assaf Levitin: Die Zeit seither ist überschattet von Trauer und Sorge um Menschen in Israel, die wir verloren haben, und um die, die noch dort sind. Bei uns in der Synagoge zünden wir seit dem 7. Oktober bei jedem Gottesdienst nicht nur die zwei üblichen Schabatkerzen an, sondern immer auch eine dritte Kerze in Gedenken an die Ermordeten, an alle, die ihr Leben verloren haben in diesem Horror. Wir sprechen auch ein extra Gebet für die Geiseln. Der Ton der Gottesdienste insgesamt ist reduzierter geworden. Auch beim jüdischen Fest Purim Ende März, das eigentlich sehr fröhlich begangen wird, gab es keine ausgelassene Party. Es wurde nicht getanzt und wenig Wein getrunken.

Wie stehen Sie Verwandten und Freunden in Israel bei?

Levitin: Vor Kurzem haben wir ein Event in der Gemeinde gemacht. Shay Benjamin, deren Vater Ron immer noch unter den Geiseln ist, hat von sich und dem, was geschehen ist, erzählt. Wir haben Spenden gesammelt für Betroffene, denn der israelische Staat kümmert sich zwar um die Familien der Opfer, aber das reicht nicht aus. Die Geiseln sind das Dauerthema. Fast schon vergessen ist jedoch, dass um die 100.000 israelische Zivilisten im eigenen Land flüchten mussten. Ich habe Freunde, die an der libanesischen Grenze lebten. Sie sind seit einem halben Jahr evakuiert, leben mit zwei Teenager-Kindern in einer Ein-Zimmer-Wohnung und schlafen auf Matratzen auf dem Boden. Das Haus, das sie mit Mühe gebaut haben, steht leer. Sie wissen nicht, wann sie zurückkönnen, ob überhaupt. Ihre Plantagen, wo sie Äpfel, Avocados und Pflaumen anbauen, können sie nicht bestellen. Es ist zu gefährlich dort.

Ist Ihre Familie dort auch betroffen?

Levitin: Mein Neffe wurde als Reservist einberufen. Er saß vier Monate lang an der libanesischen Grenze. Im Moment ist er beurlaubt, aber der nächste Anruf kann jederzeit kommen. Generell fühle ich stark mit denen, die dort sind. Mich bedrückt die dauerhafte Sorge um Menschen, die ich seit meiner Kindheit kenne.

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Hat sich Ihr Leben hier in Deutschland verändert?

Levitin: Ich arbeite in Hamburg an der Reformsynagoge, lebe aber in Berlin. Ich kann nicht sagen, dass sich mein Leben groß verändert hat. Mit meiner Frau und meinen zwei Kindern spreche ich ausschließlich hebräisch, nach wie vor auch auf der Straße, und wir haben nie Probleme deswegen gehabt. Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass ich bei kleinen Alltagsdingen mein Verhalten ändere. Vorgestern habe ich zum Beispiel Falafel gegessen an einer Dönerbude und dabei die Nachrichten auf meinem Smartphone gelesen. Nach einer Weile habe ich bemerkt, dass ich das Handy so gehalten habe, dass der Verkäufer nicht sehen konnte, dass ich Artikel in hebräischer Sprache lese.

Gehen Sie in Berlin mit Kippa auf die Straße?

Levitin: Nein, ich habe schon vor dem 7. Oktober nicht demonstrativ jüdische Kennzeichen in der Öffentlichkeit getragen. In den ersten zwei Monaten nach dem Terroranschlag war die Atmosphäre in Berlin in manchen Bezirken aber schon etwas angespannt. Es gab Plakate mit untragbaren Vorwürfen gegen Israel und Landkarten, auf denen Israel nicht mehr zu sehen war.

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Macht Ihnen das Angst?

Levitin: Selbst wenn manche Araber schreien "Tod für Israel", sind das normalerweise nicht die, die ernsthaft einen Anschlag auf eine Synagoge planen. Dinge wie der Anschlag von Halle oder Neonazis in der Bundeswehr finde ich zehnfach schlimmer. Die Rechtsextremisten und die Populisten sind eine Gefahr für Juden in Deutschland, viel mehr als die Islamisten und Extremisten, die ein Massaker feiern. Natürlich gehören diese Leute hinter Gitter, das sind Terroristen, die in Deutschland nichts zu suchen haben. Aber wenn ich eines Tages Deutschland verlasse, dann ist das der AfD zu verdanken, nicht den Arabern.

Sie sind in Tel Aviv geboren und leben seit 26 Jahren in Deutschland. Denken Sie ernsthaft darüber nach, das Land zu verlassen?

Levitin: Ich bin deutscher Staatsbürger, ich fühle mich hier wohl, ich habe hier meine Familie gegründet. Aber wenn es nötig werden sollte, werde ich nicht so lange damit warten wie unsere Vorfahren.

Wie betrachten Sie Israels Politik?

Levitin: Ich habe null Vertrauen in Netanjahu. Ich denke, es ist in seinem Interesse, den Krieg weiterzuführen, damit er an der Macht bleibt. Ich bin von der israelischen Politik insgesamt enttäuscht, und ich glaube, die Demokratie dort steht auf der Kippe. Im täglichen Management der Krise hat Netanjahus Regierung absolut versagt.

Glauben Sie an eine Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern?

Levitin: Das ist schwer. Ich bin in verschiedene interreligiöse Projekte involviert und gehöre zu den liberalen Israelis, die eine Zwei-Staaten-Lösung möchten. Aber ich bin skeptisch, dass das möglich wäre. Es wird leider nicht so sein, dass Israel die besetzten Gebiete zurückgibt und alles ist wieder gut. Die Arbeit zur Versöhnung muss von beiden Seiten kommen, und das Existenzrecht des jeweils anderen Staates muss anerkannt werden.

Das Interview führte Ines Bellinger.

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