Abstimmung über EU-Lieferkettengesetz kurzfristig verschoben
Die EU hat die geplante Abstimmung über ein umstrittenes europaweites Lieferkettengesetz verschoben. Deutschland hatte im Vorfeld klar gemacht, dass man der Richtlinie in der jetzigen Fassung nicht zustimmen werde. Über Vor- und Nachteile des Gesetzes sind sich auch Firmen im Norden uneinig.
Ohne die deutsche Zustimmung war die Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten im EU-Rat für die Lieferkettenrichtlinie nicht mehr gesichert. Unter anderem hatten auch Italien und mehrere kleine Länder Bedenken angemeldet. Wann die EU-Mitgliedstaaten erneut über das Lieferkettengesetz abstimmen sollen, blieb nach der Mitteilung der belgischen Ratspräsidentschaft in Brüssel zunächst unklar.
Durch die Verschiebung ist zumindest fraglich, ob die Richtlinie noch vor den Europawahlen Anfang Juni verabschiedet werden kann. Für eine Zustimmung ist ein "Ja" von 15 der 27 EU-Staaten nötig, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen.
FDP blockiert deutsche Zustimmung
Die Europa-Abgeordnete Anna Cavazzini (Grüne) bezeichnete die Verschiebung als Trauerspiel. "Die FDP hat nicht nur Deutschland zu einer Enthaltung gezwungen, sondern auch auf andere Länder Druck ausgeübt, dem EU-Lieferkettengesetz ebenfalls nicht zuzustimmen." Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse jetzt ein Machtwort sprechen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann (beide FDP) hatten in der vergangenen Woche über einen Brief an Wirtschaftsverbände publik gemacht, dass sie das eigentlich fertig verhandelte EU-Lieferkettengesetz nicht mittragen wollen. Sie befürchten Nachteile für die deutsche Wirtschaft. FDP-Vize Johannes Vogel sagte am Freitag auf NDR Info, das Gesetz sorge für noch mehr Bürokratie, die die Unternehmen nicht bewältigen könnten.
Tchibo spricht sich klar für das Gesetz aus
Enttäuscht von der Verschiebung der Abstimmung dürfte unter anderem Tchibo sein. Das Hamburger Unternehmen hatte sich zuletzt immer wieder für das EU-Lieferkettengesetz stark gemacht.
Auf T-Shirts, Sportjacken oder Mützen aus dem eigenen Sortiment klebt oft ein Siegel - etwa der grüne Knopf oder eine Biobaumwoll-Zertifizierung. Siegel wie diese sollen zeigen, dass sich das Kaffee-Unternehmen bereits um Nachhaltigkeit und Transparenz bemüht, erklärt Tchibos Nachhaltigkeitsmanagerin Johanna von Stechow etwa mit Blick auf einen Bettbezug aus Biobaumwolle: "In diesem Fall werden beim Anbau der Baumwolle keine künstlichen Düngemittel oder Pestizide eingesetzt. Und bevor das Produkt zusammengenäht wird, überprüfen wir die Abläufe in der Fabrik. So stellen wir sicher, dass die Arbeitsbedingungen dort gut sind."
Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden wären betroffen
Sozialstandards und eine transparente Lieferkette wollen nicht nur viele Kunden, sondern das fordert seit dem vergangenen Jahr auch das deutsche Lieferkettengesetz von größeren Unternehmen - und zwar von solchen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden.
Das auf EU-Ebene ausgearbeitete Lieferkettengesetz soll aber bereits für Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden gelten. All diese Unternehmen müssten dann künftig die Lieferketten ihrer Produkte dokumentieren. So sollen etwa die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards sichergestellt und faire Produktionsbedingungen gewährleistet werden. Wenn der EU-Rat dem Gesetz in den kommenden Wochen noch zustimmt, müsste diese Regelung dann in deutsches Recht umgesetzt werden.
EU-Richtlinie wäre strenger als das deutsche Gesetz
Die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie enthält zum Beispiel Punkte wie den Schutz vor Giftstoffen, Ausschluss von Kinderarbeit sowie angemessene Löhne. Sie damit wäre strenger als das deutsche Lieferkettengesetz, das seit vergangenem Jahr in Kraft ist. In Hamburg wären mehr als 200 Firmen direkt betroffen, schätzt die Handelskammer. Indirekt sind es noch mehr.
Tchibo hofft auf faire Wettbewerbsbedingungen
Tchibo befürwortet die bisher in Brüssel diskutierten Vorschläge und hofft, dass Sorgfaltspflichten bald einheitlich für alle Unternehmen in Europa gelten. "Unsere Kunden wünschen sich nachhaltige Produkte, wollen dafür aber auch einen fairen Preis bezahlen. Das heißt, wenn wir jetzt aber Mehrkosten haben durch Nachhaltigkeit und andere Unternehmen das nicht haben, dann haben wir einen ganz klaren Wettbewerbsnachteil", erklärt von Stechow.
Firma Pfannenschmidt befürchtet Nachteile
Tom Pfannenschmidt, Geschäftsführer des Unternehmens K.-W. Pfannenschmidt in der Hansestadt, stimmt dagegen den FDP-Politikern in ihrer ablehnenden Haltung zu. Und das, obwohl seine Firma, die zertifizierte Pflanzenextrakte an die Lebensmittel- und Pharmaindustrie liefert, mit 45 Mitarbeitenden klein ist. Sie wäre damit zwar nicht direkt, wohl aber indirekt von der Richtlinie betroffen, so die Firmenleitung.
Bereits jetzt müsse sein Betrieb nachweisen, von welchem Vorlieferanten die jeweiligen Produkte stammen. "Wir bewegen uns mit unserer Firma in einem hochregulierten Rahmen, dem Arzneimittelrecht und beispielsweise dem Biolebensmittelrecht. Dort basieren Lieferketten auf Zertifikaten des jeweiligen Vorlieferanten. Es gibt also schon Rechtsrahmen für sehr sichere und sehr hochwertige Produkte", erklärt Pfannenschmidt
Großunternehmen wollen sich absichern
Doch die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie will in ihrer bisher verhandelten Fassung mehr. Sie möchte künftig alle Handelsstufen transparent machen. Und obwohl seine Firma weit unter der von der EU geplanten Grenze von 500 Mitarbeitenden liegt, würde die Lieferkettenrichtlinie deshalb künftig auch bei ihm greifen, so Pfannenschmidt: "Großunternehmen bereiten sich auf solche Gesetze natürlich lange, bevor sie in Kraft treten, vor. Sie schicken an uns beziehungsweise an unsere Kunden ellenlange Fragebögen zum Lieferkettengesetz. Und wir können diese nicht immer komplett beantworten."
Sind lange Lieferketten undurchschaubar?
Die Lieferkette sei bei Rohstoffen wie Vitamin-C-Pulver nach Pfannenschmidts Beschreibung undurchschaubar und viel zu kleinteilig. Vitamin C wird aus Mais gewonnen. Doch bis das Pulver bereinigt in Pfannenschmidts Lager landet, müssten bis zu elf Handelsstufen durchleuchtet und dokumentiert werden.
Das sei für eine kleine Firma wie seine nicht zu leisten, so der Geschäftsführer: "Wir haben schon jetzt mit 15 Mitarbeitern allein in unserer Qualitätssicherung alle Hände voll zu tun, um die Vorstufe zu kontrollieren." Um den Vorgaben aus dem Gesetz gerecht zu werden, kämen auf das Unternehmen seiner Meinung nach jährlich Mehrkosten von etwa 300.000 Euro zu - andernfalls drohe der Verlust von Großkunden.
Kommt die Richtlinie jetzt noch einmal auf den Prüfstand?
Pfannenschmidt hatte daher darauf gehofft, dass der EU-Rat der Lieferkettenrichtlinie in ihrer jetzigen Fassung nicht zustimmt. Durch die Verschiebung der Abstimmung könnte es nun so kommen, dass sich sein Wunsch erfüllt: dass die Richtlinie nämlich noch einmal auf den Prüfstand kommt. Aus Sicht von Pfannenschmidt sollten in dem Gesetz nämlich beispielsweise auch die Auswirkungen berücksichtigt werden, die auf indirekt betroffene Firmen zukommen.