(98) Coronavirus-Update: Oh, wie schön ist Dänemark
In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht die Virologin Sandra Ciesek über neue Daten zur Impfung von Schwangeren und Kindern unter zwölf Jahren, Impfdurchbrüche und die My-Variante.
5,7 Milliarden Impfdosen sind bisher weltweit gegen das Coronavirus verimpft worden, trotzdem stockt die Impfbereitschaft in vielen Ländern. Doch wohin die Forschung auch blickt, die Impfung scheint der einzige Weg aus der Pandemie zu sein. Im Gespräch mit NDR Info Wissenschaftsredakteurin Korinna Henning geht der Blick der Virologin Sandra Ciesek in Folge 98 Richtung Dänemark, denn unsere Nachbarn sind uns beim Impfen einige Schritte voraus. Außerdem geht es im NDR Info Podcast Coronavirus-Update um die Impfung von Schwangeren und Kindern unter zwölf Jahren sowie die Risiken der Delta-Variante und vieles mehr.
Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen
Dauer der Immunität und Durchbruchsinfektionen mit Delta
Altersstruktur auf den deutschen Intensivstationen
Vergleich von Impfrisiken mit Folgen der Virusinfektion
Sozioökonomische Dimension bei Testungen und Krankheitsverlauf
Übergewicht und andere Risikofaktoren für Durchbruchsinfektionen
Zusammenhang zwischen Impfquote und Kindererkrankungen
Schulquarantäne und Testpflicht
Myokarditisrisiko bei Impfung von Jugendlichen
Zeitperspektive Kinderimpfung U12
Neue Daten zur Impfung von Schwangeren
Virusevolution und die My-Variante
Korinna Hennig: Wir müssen zunächst mal zum Anfang eine kleine Nachlese unserer letzten Podcast-Folge machen, die gar nicht mit Ihnen war, sondern mit Christian Drosten. Das war in der vorletzten Woche. Da gab es einigermaßen viel Aufregung in den sozialen Medien. Wir haben darüber gesprochen, wie der Umgang mit dem Virus sein kann, wenn wir in einer endemischen Situation sind. Also wenn der größte Druck auf das Gesundheitssystem und die Gesellschaft vorbei ist.
Christian Drosten hat geschildert, dass es für doppelt Geimpfte langfristig darauf hinauslaufen kann, sich dann mit dem Virus zu infizieren und dann wahrscheinlich und hoffentlich einen harmlosen Verlauf zu haben. Es gab aber Verkürzungen in verschiedenen Berichten zum Podcast. Das klang bei manchen ein bisschen so, als sollte man sich jetzt die Masken als Geimpfter runterreißen und die Begegnung mit dem Virus suchen. Lassen Sie uns das gemeinsam noch mal klarstellen: An dem Punkt sind wir noch lange nicht, und es geht nicht um Masern-Partys.
Sandra Ciesek: Nein, es war sicherlich nicht so gemeint, dass man sich absichtlich infizieren soll. So nach dem Motto: Ach, nächste Woche habe ich nichts vor und habe Zeit, mich zu infizieren. Dann mache ich die Infektion zwischen Dienstag und Freitag durch und bin für das Wochenende wieder fit. Das war sicherlich nicht gemeint. Er hat einfach ein nicht unwahrscheinliches, wenn nicht sogar das realistischste Szenario darzustellen und zu erklären versucht, wie es dann in der endemischen Lage aussehen wird. Was man festhalten kann, ist, denke ich, dass das Virus bleibt. Das ist für viele klar.
Aber einige haben immer noch die Hoffnung, dass sie nie auf dieses Virus treffen, sich nie infizieren werden. Ich glaube, man muss da ganz klar sagen, dass das Virus natürlich auch irgendwann endemisch wird. Genauso wie die anderen endemischen Coronaviren, oder Hunderte andere Atemwegserreger. Also, dass wir immer wieder Kontakt mit diesem Virus haben können und mit diesen Viren.
Übergang zur Endemie
Wir leben ja auch nicht in der vollständigen Isolation oder völlig steril. Dann führt der regelmäßige Kontakt eben zu Immunantworten. Das Immunsystem erinnert sich und bildet neue Antikörper. Das ist ja eigentlich generell so bei vielen Infektionen. Was auch wichtig zu erwähnen ist: Jemand, der vollständig geimpft ist, hat für sich selbst das Risiko minimiert, einen schweren Verlauf zu bekommen oder sogar an der Infektion zu versterben. Und die Impfung ist also ein ganz wichtiger Schritt in die Endemie. Was noch wichtig ist Nicht das Virus hat sich bisher abgeschwächt - im Gegenteil, wir sehen ansteckendere Varianten. Zum Teil wird sogar vermutet, dass es einen schweren Verlauf gibt. Die Auswirkungen des Virus werden durch die Impfung geringer.
Hennig: Über den Verlauf von Durchbruchsinfektionen: Sie verlaufen ja oft asymptomatisch, aber in manchen einzelnen Fällen trotz doppelter Impfung eben dann doch mal symptomatisch. Es gibt auch manchmal schwere Verläufe. Da können wir ja einiges aus den USA lernen, wo die CDC, also die amerikanische Seuchenschutzbehörde, das ganz gut dokumentiert. Gibt es da für Sie neue Erkenntnisse aus den Daten, die wir jetzt aktuell haben?
Ciesek: Ja. Es gibt auch publizierte Daten, die sind aber meistens vor Delta entstanden. Also um noch mal weg aus den USA zu kommen, es gibt ein Preprint aus Katar, wo die eine Metaanalyse gemacht haben. Metaanalysen sind ja statistische Verfahren, die die Ergebnisse von mehreren Studien zusammenfassen. Also wir sehen hier immer im Alltag des Podcasts, dass es Studien gibt, die sagen "hü", die andere Studie sagt "hott". Dann gibt es fünf Studien, die sagen "hü", und eine sagt "hott". Diese Metaanalysen sollen das so ein bisschen aufschlüsseln.
Und die haben über 9.000 Studien angeschaut und dann schließlich 54 eingeschlossen, die qualitativ gut genug waren. Die kommen aus verschiedenen Ländern, Kanada, USA, Südamerika, Europa und auch China. Sie haben mal geguckt: Wie lange haben die Menschen eigentlich Antikörper? Wie lange haben sie T- und B-Zellen während der Infektion und nach der Genesung? Da hat man gesehen, dass immerhin sechs bis acht Monate nach der Infektion noch über 90 Prozent Antikörper, also IgG-Antikörper hatten.
Dauer der Immunität und Durchbruchsinfektionen mit Delta
Leider weniger gut sind die Datenlagen zu den T-Zellen, also CD4- und Memory-B-Zellen. Da gibt es eigentlich nur eine Studie. Aber auch da sind die Werte sehr hoch, mit fast 92 Prozent oder Memory-B 82 Prozent. Was wichtig ist in diesen Daten, ist auch die Anzahl der Reinfektionen, nämlich dass es nur 0,2 Prozent Reinfektionen waren. Aber wie gesagt, hier wurden die Daten ausgewertet und die Studien, die vor Delta entstanden sind. Wenn man dann aber in die USA schaut und sich die Delta-Daten anschaut, dann werden die auch immer von der CDC veröffentlicht.
Die haben am 10. September einen Bericht im "Mobility and Mortality Weekly Report" rausgebracht. Das ist ganz interessant. Natürlich ist bekannt, das sehen wir ja auch hier, dass die Inzidenz der Infektionen und der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle bei ungeimpften Personen höher ist als bei geimpften.
Lage vor und nach Delta
Aber wie sieht es denn jetzt genau vor Delta und nach Delta aus? Also bevor Delta dominant wurde und danach? Das haben die auch angeschaut. Man sieht hier, dass sich das Verhältnis geimpft versus ungeimpft für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle relativ wenig verändert hat. Also dass es immer noch so ist, dass vor allen Dingen Ungeimpfte stationär aufgenommen werden müssen oder versterben. Was dafür spricht, dass die Impfstoffe auch eine anhaltende und hohe Wirksamkeit gegen schwere Verläufe von Covid-19 haben.
Aber was sie auch gesehen haben, ist: Die Wirksamkeit des Impfstoffs bei dem Schutz vor einer Infektion wurde geringer. Das bedeutet, dass man sich zwar infizieren konnte und dass das doch leider häufiger auftrat, als Delta dominant wurde, aber dass es die schweren Verläufe, also dass jemand ins Krankenhaus musste oder verstorben ist, dass das zum Glück in den meisten Fällen durch eine Impfung immer noch effektiv verhindert werden konnte.
Deshalb ist eigentlich die Message der CDC an die Bürger genauso wie auch die Message vom RKI, dass man sich einfach impfen lassen sollte, auch wenn man sich dann mit Delta infizieren kann, auch wenn man dann ansteckend sein kann. So hat man für sich selbst aber das Risiko versucht zu verkleinern, einen schweren Verlauf zu haben.
Altersstruktur auf den deutschen Intensivstationen
Hennig: Was die Inzidenzen angeht, wenn wir jetzt den Blick nach Deutschland richten, dann kann man im DIVI-Register nachlesen, wer die Menschen sind, die auf den Intensivstationen landen. Zurzeit sind ein Viertel der Covid-19-Fälle auf der Intensivstation in Deutschland zwischen 50 und 59 Jahre alt. Das hat sich ungefähr Mitte August gedreht. Bis dahin, also auch im Sommer, hatten die über 60-Jährigen noch den größten Anteil.
Und auch während der dritten Welle mit der Alpha-Variante im Frühjahr war das so, gefolgt von den über 70-Jährigen. Also das Virus rückt jetzt altersmäßig langsam immer weiter nach unten. Das war ja so ein bisschen prognostiziert worden. Trotzdem noch mal: Was ist die Erklärung? Ist es hauptsächlich der Impfstatus und weil Delta womöglich ein bisschen kränker macht, also auch bei Jüngeren zuschlägt? Oder spielen da noch andere Faktoren mit rein, Verhalten und Netzwerkfunktionen der Infizierten?
Ciesek: Ja, wahrscheinlich alles ein wenig. Aber das sind ganz beeindruckende Zahlen, wenn man sich diese Abbildung vom DIVI-Register noch mal anschaut, wer liegt im Moment wirklich auf der Intensivstation? Im Moment ist der Anteil der 30- bis 39-Jährigen, die wahrscheinlich ihr Risiko recht gering einschätzen und die oft nicht geimpft sind, höher als der Anteil der 80-Jährigen, also 80 plus, die wahrscheinlich zum großen Teil geimpft sind. Das muss man sich natürlich genau überlegen, wenn man in der Situation ist und vor der Frage steht: Lasse ich mich impfen, habe ich mit 35 überhaupt ein Risiko?
Und was ich auch beeindruckend finde, ist, dass wirklich die Hälfte der Patienten oder mehr als die Hälfte unter 60 ist. Also es ist nicht eine Erkrankung der Rentner oder der Altenheimbewohner, sondern es ist eine Erkrankung, die mittlerweile auch Menschen im besten Alter, sage ich jetzt mal, im mittleren Alter betrifft. Die Gründe haben Sie eigentlich gerade genannt. Natürlich sind bei den 80-plus viel mehr geimpft als bei den 30-Jährigen.
Rolle der Kontaktanzahl
Aber es spielt auch eine Rolle, wie viele Kontakte habe ich. Ich würde mal sagen, dass wahrscheinlich ein 30-Jähriger mehr Kontakte am Tag hat als ein 85-Jähriger, zumindest im Durchschnitt. Dadurch hat das Virus natürlich umso mehr Kontakte, hat es auch leichter, sich auszubreiten. Delta ist noch infektiöser. Das Verhalten ist natürlich auch wichtig. Dass, wenn ich vor einem schweren Verlauf keine Sorge habe, vielleicht gar nicht die Infektion vermeide und so vorsichtig bin wie jemand, der Angst hat. Deshalb ist das eine Kombination aus vielem. Wenn man sich einzelne Patienten anschaut, die jetzt schwer erkrankt sind, hat man schon das Gefühl, dass sehr viele sich bewusst gegen Impfungen entschieden haben.
Aber es gibt auch einen anderen Teil der Patienten. Da fragt man sich manchmal, wo die die letzten anderthalb Jahre waren. Ein Kollege hat mir letztens erzählt, dass er eine schwerkranke Person hatte und die Angehörigen wussten nicht mal, was eine Quarantäne ist. Also, an denen ist wirklich bisher die ganze Pandemie, die Pandemie nicht, das werden sie gemerkt haben, aber dieses Wissen darüber ist wirklich an denen vorbeigegangen. Ich denke, da gibt es noch viel zu tun, um diese beiden Gruppen irgendwie zu erreichen.
Vergleich von Impfrisiken mit Folgen der Virusinfektion
Hennig: Dann gibt es noch die Gruppe dazwischen, die vielleicht gerade sehr viel bei den Jüngeren, bei den 30- bis 39-Jährigen spielt. Die nämlich sagen: In der Risiko-Nutzen-Abwägung so einer Impfung sehe ich für mich keine große Gefahr. Wir haben am Anfang der Pandemie bei den sehr Alten und Vorerkrankten immer nur über das Risiko durch das Virus gesprochen. Jetzt sprechen viele mehr über das Risiko durch die Impfung. Es gibt da eine Studie aus dem "New England Journal of Medicine". Da haben israelische Forscher in Zusammenarbeit mit Harvard-Kollegen Krankenkassendaten aus Israel bereinigt und ausgewertet.
Die stellen das eigentlich ganz beeindruckend gegenüber, was für Risiken der Infektion möglichen Nebenwirkungen der Impfung gegenüberstehen. In diesem Fall bei Biontech/Pfizer. Was sagt Ihnen die Datenlage da? Welche Risiken sind da vor allem zu nennen? Myokarditis fällt mir ein, das ist viel diskutiert worden im Zusammenhang mit Infektionen, aber vor allem auch mit der Impfung.
Ciesek: Genau. Diese "New England Journal"-Studie kann sich jeder anschauen. Die ist Ende August erschienen. Es sind wirklich wahnsinnig viele Daten von über zwei Millionen Personen. Die haben nicht nur die Geimpften-Daten angeschaut, sondern auch mit einem Kollektiv verglichen, das eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hat, um ein Gefühl zu bekommen: Was ist eigentlich häufiger? Das ist gerade bei der Myokarditis die Frage. Und wenn man das gegenüberstellt, ist es doch so, dass das mehr als dreimal häufiger nach einer Infektion auftritt als nach der Impfung. Das sind ganz wichtige Daten.
Hennig: Allerdings, der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass im Zusammenhang mit der Impfung in seltenen Fällen Lymphadenopathie beobachtet wurde, also Lymphknotenschwellung. Und in 16 pro 100.000 Impfungen war eine Herpes-Zoster-Infektion, also Gürtelrose. Das war hier im Podcast auch schon Thema. Aber das sind im Vergleich eher seltene Auffälligkeiten. Und deutlich weniger gefährlich als die Nebenwirkungen einer Virusinfektion, oder?
Ciesek: Genau das. Nach der Infektion treten auch weitere unerwünschte Ereignisse schwerwiegender Natur auf, die man nach der Impfung nicht sieht, wie zum Beispiel Herzrhythmusstörungen, Thrombosen, Lungenembolien, Herzinfarkt oder auch Blutungen im Gehirn und eine Verminderung der Blutplättchen. Das alles kann nach der Infektion auftreten, wurde aber nicht im Zusammenhang mit der Impfung mit Biontech/Pfizer gesehen.
Das ist auch gar nicht so selten. Also da kommt man auf jeden Fall zu der Bewertung, wenn man die Studie anguckt, dass der Impfstoff nicht mit einem erhöhten Risiko für die meisten unerwünschten Ereignisse in Verbindung gebracht werden kann. Und dass der Impfstoff mit einem erhöhten Risiko für eine Myokarditis verbunden ist, das ist auch schon mehrmals besprochen worden und das dieses Risiko aber geringer ist als nach einer Infektion.
Hennig: Was die Impfstoffe angeht, weiß ich noch, dass am Anfang der Impfstoffentwicklung manchmal die Sorge diskutiert wurde, es könnte ein Nebeneffekt eintreten, den man aus anderen Impfungen kennt, nämlich "Antibody-dependent Enhancement", also infektionsverstärkende Antikörper. Das haben wir im Podcast auch schon besprochen. Also dass, vereinfacht gesagt, durch die Impfung eigentlich erst eine schlimme Entzündungsreaktion ausgelöst wird. Das war eine offene Frage, es scheint aber nicht aufgetreten zu sein. Was ist die Erklärung?
Ciesek: Es ist so, dass, wenn man Medizin studiert und dann das virologische Praktikum hat, dann lernt man dieses Antibody-dependent Enhancement klassischerweise bei Dengue-Virus-Infektion. Das ist so der Klassiker, um das zu erklären. Und zwar hat man eine Dengue-Virus-Infektion. Es kommt dann zur Bildung von Antikörpern. Es gibt verschiedene Serotypen vom Dengue-Virus.
Wenn man jetzt eine zweite Infektion bekommt, weil man zum Beispiel in einem Gebiet lebt, wo diese entsprechenden Mücken leben - es wird ja über Mücken übertragen - mit einem anderen Serotypen, dann binden die alten Antikörper zwar dieses Virus mit dem anderen Serotypen, können es aber nicht neutralisieren, also nicht unschädlich machen. Diese Bindung führt aber dazu, dass die Antikörper dann doch von Immunzellen erkannt werden, also von Makrophagen, und dann sozusagen das Virus noch zu denen hingetragen wird und es die dann infiziert. Das wiederum führt dazu, dass die Vermehrung des Virus stärker ist, also dass das Virus sich noch effizienter verbreiten kann, das Immunsystem stören kann und das Virus sich einfach besser vermehren kann.
Dengue-Impfstoffe
Das ist so dieser klassische Mechanismus. Deswegen muss man auch gerade bei Dengue-Impfstoffen aufpassen und genau schauen, wie man die designt. Jetzt kommen wir zu SARS von 2003. Da hat man im Tiermodell, in der Maus, unter ganz bestimmten Bedingungen im Labor gesehen, dass Antikörper gegen Nukleokapsid, wenn man die durch eine Impfung induziert, dass dann nachfolgende Infektionen schlimmer verlaufen können. Deshalb hat man sich bei SARS-CoV-2 auch sehr früh nicht für eine Impfung gegen Nukleokapsid entschieden, sondern alle Impfstoffe beruhen ja auf Spike, also dass man die gegen Spike designt hat.
Hennig: Also unterschiedliche Proteine des Virus.
Ciesek: Genau, das sind beides Proteine. Dieser Effekt im Tiermodell betrifft vor allen Dingen Nukleokapsid. Deshalb hat man sich natürlich bei der Entwicklung die alten Daten angeschaut und gesagt: Nein, das nehmen wir nicht, sondern wir nehmen Spike. Und minimiert so das Risiko. Aber man muss auch sagen, dass zum Beispiel, anders als Dengue, das SARS-Coronavirus eigentlich nicht sehr effizient - wenn überhaupt - Makrophagen infizieren kann.
Sodass dieser Mechanismus auch dort hakt. Wenn jemand sagt, ich glaube das immer noch nicht, dann muss man sagen, da sprechen einfach die Fakten dagegen. Wenn wir auf die Intensivstation gucken, liegen da vor allem Ungeimpfte, die schwer erkranken, und nicht die Leute, die geimpft sind. Wenn es einen wirklich nennenswerten Antibody-dependent-Enhancement-Effekt geben würde, wäre das Verhältnis sicherlich umgekehrt, und das ist es einfach nicht. Deshalb denke ich, hat die Realität gezeigt, dass das einfach nicht so ist.
Sozioökonomische Dimension bei Testungen und Krankheitsverlauf
Hennig: Also zusammengefasst: Es gibt eine immer bessere Datenlage zur Sicherheit und zur Wirksamkeit der Impfung. Kommen wir zurück auf die Gruppe der Ungeimpften, an denen jede Information bislang vorbeigegangen ist. Da gibt es relativ klare Hinweise aus der Forschung, dass sozioökonomische Faktoren eine große Rolle spielen. Nun haben wir eine neue Studie aus der Schweiz, die zumindest die Zahl der Testungen auf das Virus und den Krankheitsverlauf für unterschiedliche Gruppierungen in den Blick nimmt. Auch da sprechen die Daten eine ziemlich deutliche Sprache. Wie hängt all das miteinander zusammen?
Ciesek: Ja, das ist ganz interessant, diese Daten aus der Schweiz. Und zwar wollten die untersuchen, ob Ungleichheiten in der Versorgung von Patienten nachvollziehbar werden. Sie haben sich Meldedaten zur Testung angeschaut, aber auch zur Hospitalisierung und zur Aufnahme auf Intensivstation, zum Tod durch Covid-19. Sie haben das dann korreliert mit einem Score, der die Wohngebiete anhand von Faktoren wie Miete, Ausbildung, Beruf und Bevölkerungsdichte beschreibt. Also sie haben diese Faktoren alle mit untersucht.
Was man sieht, ist: Je höher dieser Wert, also je privilegierter die Menschen waren, umso mehr Tests wurden in diesen Bereichen durchgeführt. Und wenn man das vergleicht, wurden weniger Tests auf Covid in sozial schwachen Gebieten durchgeführt. Auch die Positivrate war jedoch niedriger und auch die Rate an Hospitalisierungen, Intensivaufenthalten und die Todesfälle waren geringer in diesen privilegierten Gegenden im Vergleich.
Inverse Care Law
Und im umgekehrten Fall, dort, wo die sozioökonomisch Benachteiligten leben, da wurden weniger Tests durchgeführt und sie waren trotzdem stärker betroffen. Das ist eine Ungleichheit namens "Inverse Care Law". Das heißt die, die die medizinischen Maßnahmen wie die Testung eigentlich am stärksten benötigen, die haben sie am wenigsten erhalten. Das scheinen die Daten noch mal eindrücklich zu zeigen.
Ich denke, das ist jetzt nicht mit drin, dass es bei den Impfungen ähnlich aussieht, dass wahrscheinlich in den privilegierten Gegenden die Impfquote tendenziell höher ist als in den sozial schwächeren Gebieten. Ich glaube, das ist auch eine ganz wichtige Message an die Politik in diesem Paper: dass sie die Aufgabe hat, dass wir auch diese Gruppen erreichen und diese Ungleichheit ein bisschen aufheben können.
Hennig: Vor allem natürlich mit der Impfung, denn die ist kostenlos. Da gibt es auch immer eine Diskussion darüber, ob tatsächlich Menschen mit dem Impfangebot erreicht werden. Jens Spahn, der Gesundheitsminister, hat mal gesagt, mittlerweile müssten eigentlich alle von einem Impfangebot erreicht worden sein. Jetzt haben Sie eben das Beispiel mit der Familie genannt, die noch nie von Quarantäne gehört hatte. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass manche Schichten, manche Gruppen überhaupt noch von dieser Aufklärung erreicht werden? Und vor allem wie?
Ciesek: Das ist eine sehr gute Frage. Da bin ich auch überhaupt kein Fachmann. Da gibt es bestimmt Fachleute, die das viel besser können oder wissen, was man da machen kann. Ich denke nicht unsere Podcast-Hörer, weil das ist natürlich auch eine Selektion. Wer sich bewusst so einen Podcast anhört, will sich ja informieren. Aber da darf man einfach nicht davon ausgehen, dass das der Normalzustand ist. Ich denke, man sollte versuchen, diese Menschen über Arbeitgeber zu erreichen.
Jeder, der hier den Podcast über direkte Ansprache hört, also wenn Sie in Ihrem Umfeld jemanden haben, und wenn es die Reinigungsfrau im Betrieb ist, dass man mit der einfach ins Gespräch kommt, sich um seine Mitmenschen auch kümmert und die anspricht und vielleicht Fragen beantwortet oder jemandem nennt, an den man sich wenden kann.
Sprachliche Hürden
Für mich ist das Sprachliche immer noch ein großes Problem. Auch wenn wir in Deutschland leben, es reicht nicht, allein in der deutschen FAZ eine Anzeige über eine Seite zu schalten. Damit werden Sie die, die Sie erreichen wollen, nicht erreichen. Ich glaube, wichtig für die, die einfach unsicher sind, ist: Man braucht eine klare Kommunikation. Also dass man nicht sagt: Lasst euch alle impfen, ist alles ganz harmlos. Sondern dass man wirklich ganz klar auch die Grenzen der Impfung und die Risiken aufzählt. Und trotzdem aber auch die Vorteile spiegelt, die eine Impfung hat.
Ich glaube, wenn die Leute sich einfach überredet fühlen oder nicht offen und ehrlich aufgeklärt, dann hat das eher einen gegenteiligen Effekt. Ich finde zum Beispiel den Vergleich wie in dem "New England Journal" sehr wichtig, dass man bei dem Argument, es macht Myokarditis, sagen kann: Ja, aber wenn du eine Infektion hast, und die wirst du irgendwann bekommen, ist dein Risiko drei- bis viermal höher. Das ist, denke ich mal, wirklich wichtig. Und natürlich, ich glaube, man muss einfach irgendwie noch mal an diese Menschen rankommen, indem man zum Beispiel die Leute direkt anspricht.
Informationen zur Impfung per Post
Also dass die einen Brief nach Hause für ein Gespräch mit einem Arzt bekommen, um einfach noch mal übers Impfen zu sprechen. Das muss man sicher nicht bei allen machen, aber zumindest bei denen über 50, die wirklich ein hohes Risiko haben. Ich habe auch noch mal nachgeguckt, dass jetzt in Deutschland immer noch 17 Prozent der über 60-Jährigen nicht geimpft sind. Das ist wirklich eine Gruppe, da müssen wir uns wirklich noch mal bemühen, die zu erreichen. Ich glaube, da sind auch die Hausärzte oder persönliche Gespräche wichtig, weil das schon immer eine andere Qualität hat, wenn man jemandem in einem Gespräch in die Augen guckt.
Vielleicht bringt eine persönliche Ansprache einfach noch mal etwas mehr. Man kann sicherlich auch sagen, dass, wenn man für sich selber meint, man hat kein Risiko, die Impfung dann vielleicht für die anderen macht. Also dass man dann sagt, wenn ich jetzt für mich selber so entschieden habe - was ich nicht nachvollziehen kann, aber kann ja sein - dann kann man trotzdem noch sagen: Gut, dann impf dich halt für die anderen, impf dich für die Oma, für deine Nachbarin, die Nieren-transplantiert ist, impf dich für deine kleine Cousine, die nicht geimpft werden kann.
Solidarität beim Thema Impfen
Ich denke, das hat auch ein bisschen was mit Gruppendenken, Solidarität zu tun, sich doch dafür zu entscheiden, weil es einfach nicht eine alleinige Entscheidung ist. Dadurch, dass es eine Infektionskrankheit ist, die ansteckend ist, ist das eine andere Entscheidung, als wenn ich mich dazu entschließe, Alkohol zu trinken. Ich denke, das ist einfach wirklich wichtig, dass wir da als Gesellschaft im Gespräch bleiben und man wirklich in seinem Umfeld mal guckt, ob man nicht Leute anspricht und sagt: Komm, ich helfe dir. Ich erkläre das noch mal. Ich denke, dafür sind die Podcast-Hörer auch sehr gut gerüstet, also in Gespräche zu gehen, und sie kennen auch viele Argumente, die dann leicht zu widerlegen sind.
Hennig: Ich schütze durch eine Impfung natürlich auch andere mit, die vielleicht zwar doppelt geimpft sind, aber wegen bestimmter Vorerkrankungen ein größeres Risiko haben, dass die Impfung bei ihnen nicht ganz perfekt funktioniert und dass sie, wenn sie sich dann noch einmal infizieren, doch noch mal krank werden.
Ciesek: Ja, das stimmt. Da muss man bedenken, dass wir jetzt gerade mit Delta doch häufiger sehen, dass es auch nach zwei Impfungen zu einer Infektion kommen kann und dass die Leute auch andere wieder anstecken können. Das ist ja das, was ich mit offener Kommunikation und Ehrlichkeit meine.
Risikokontakte weiterhin schützen
Da darf man nicht sagen: Impf dich, dann kannst du wieder zu deiner Oma ins Altenheim gehen. Ich wäre trotzdem vorsichtig. Also ich habe jetzt für mich entschieden, ich bin geimpft. Aber wenn ich einen Risikokontakt habe, wenn ich zu jemanden gehe, wo ich weiß, der hätte ein Problem und hat vielleicht keinen guten Impfschutz, dann mache ich zum Beispiel trotzdem vorher noch mal einen Test oder setze auf jeden Fall die Maske nicht ab.
Hennig: Aber Impfung und Test sind immer noch besser, auch für andere, als nur Test.
Ciesek: Auf jeden Fall, klar. Das möchte ich jetzt auch gar nicht so sagen. Wahrscheinlich werden wir jetzt wieder verkürzt zitiert, dass wir gesagt haben: Testen reicht. Nein, natürlich nicht. Man muss sich auch impfen lassen, einfach, weil man dann natürlich auch nachweislich weniger lange infektiös ist und meist auch weniger Viren ausscheidet. Aber das Risiko ist halt nicht gleich null.
Hennig: Bei diesen Erkrankungen trotz Impfung mit der Delta-Variante, spielen da eigentlich die gleichen Risikofaktoren eine Rolle, wie sie generell für das Coronavirus gelten? Also wir kennen die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, immunsupprimiert sein, aber auch Übergewicht, was vielleicht immer ein bisschen unterschätzt wird, weil es eine Zivilisationskrankheit ist und man sich vielleicht als leicht übergewichtiger Menschen nicht wirklich krank fühlt.
Ciesek: Ja, die sind ähnlich. Wenn man noch mal auf das Übergewicht schaut, dann ist die Frage: Woher kommt das? Und ist das ein kausaler Zusammenhang? Also ist das wirklich so, dass es einen plausiblen biologischen Mechanismus gibt, der dazu führt, dass man durch Übergewicht einen Risikofaktor hat?
Übergewicht und andere Risikofaktoren für Durchbruchsinfektionen
Da gibt es eine schöne Zusammenfassung von der Mayo-Clinic in dem Journal von denen. Und man kann das kurz beantworten: Ja, es gibt medizinische Gründe. Zum einen haben adipöse Menschen einen erheblichen höheren Druck als Normalgewichtige auf das Lungengewebe, also durch das Gewicht. Deshalb müssen adipöse Menschen einfach mehr Atemarbeit leisten. Das Übergewicht belastet den Herz-Kreislauf.
Und dann, wenn die infiziert werden, ist ja die Lunge mit dem Virus infiziert und so, dass das auch von innen und von außen eine Belastung für die Lunge ist. Dann wissen wir, das Übergewicht kommt ja meist nicht alleine, sondern ist ein Haupt-Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, für Bluthochdruck, für eine Erhöhung des Cholesterins, für einen Typ-2-Diabetes und hat insgesamt negative Effekte auf das kardiovaskuläre System. Und die körpereigene Immunabwehr ist ebenfalls etwas anders bei Übergewicht.
Höheres Thrombose-Risiko bei Übergewicht
Es kommt zu einer chronischen Inflammation, also endokrinologisch gesehen. Und, das ist vielleicht besonders wichtig, dass Adipöse häufiger thromboembolische Ereignisse haben, also zu Thrombosen neigen. Das ist ja auch eine zentrale Pathogenese bei Covid-19, die da eine Rolle spielt. Was sicherlich auch eine Rolle spielt, sind, was wir eben schon besprochen haben, die sozioökonomischen Gründe.
Denn, wenn man schaut, Übergewicht ist wahrscheinlich häufiger bei Menschen mit niedrigen Einkommen. Das Wissen über gesunde Ernährung ist dort seltener und oft fehlt auch das Geld für die gesunde Ernährung. Oder es wird sich falsch ernährt. Und das spielt sicherlich auch eine Rolle. Und meistens kommen mehrere Faktoren zusammen.
Hennig: Den Link zur Mayo Clinic stellen wir hier natürlich auch bei uns in die Shownotes. Zusammengefasst gesagt: Es gibt ganz verschiedene Ebenen, auf denen das spielt, hormonell, rein mechanisch, was Folgeerkrankungen angeht und so weiter. Wenn wir von dieser Übergewichtsproblematik aus den Blick noch mal ein bisschen weiten, dann gibt es auch da immer mehr Erkenntnisse zu der Frage, wer von solchen symptomatischen möglicherweise auch schweren Durchbruchsinfektionen betroffen ist.
Also was andere Vorerkrankungen angeht. Oder noch ganz andere Faktoren. Da gibt es eine Auswertung aus Yale, die jetzt erschienen ist. Ich habe hier mal eine Zahl ausgerechnet - korrigieren Sie mich, wenn die falsch ist - die haben da 969 Patienten untersucht, und da waren 5,5 Prozent der erkrankten Patienten voll geimpft und nur gut ein Prozent war voll geimpft und hatte einen schweren Verlauf. Trotzdem, wer war das?
Ciesek: So gut bin ich im Kopfrechnen nicht. Ich habe leider keinen Taschenrechner. Aber genau, es waren knapp tausend Fälle und 54 wurden hospitalisiert nach Impfung. Und das vom Zeitraum bis Juli, das spricht eher dafür, dass es noch nicht unbedingt Delta war. Interessant war, dass 46 Prozent asymptomatisch waren. Das heißt, das waren zufällige Diagnosen. Oft werden ja bei Aufnahmen in Krankenhäusern Screenings gemacht auf das Virus und knapp die Hälfte hatte überhaupt keine Symptome und wusste davon nichts.
Dann waren sieben Prozent mild symptomatisch, ein bisschen Erkältungserkrankungen, aber immerhin 20 waren moderat erkrankt und 26 hatten einen sehr schweren Verlauf. Dann hat man sich aber noch mal angeschaut: Wer hat denn einen schweren Verlauf, diese 26 Prozent? Und hier ist interessant zu wissen, dass das mediane Alter bei schwerem Verlauf nach Impfung bei 80,5 Jahren lag. Also das waren die Älteren, die jetzt auch genau in der Diskussion stehen oder wo schon angefangen wurde, dass man die ein drittes Mal impft. Und immerhin sind auch davon drei verstorben.
Erkrankungen im Alter als Risiko für Durchbruchsinfektionen
Das Alter kam nicht alleine. Das kommt ja auch genauso wie Adipositas oft nicht alleine. Da gab es noch Komorbiditäten, also andere Erkrankungen wie Übergewicht, kardiovaskuläre Erkrankungen sind in dem Alter natürlich auch häufig, einige hatten Krebs oder Diabetes oder Lungenerkrankungen. Das spielt natürlich alles auch eine Rolle, also wenn jemand mehrere Risikofaktoren hat, dann 80 Jahre alt ist. Diese Daten zeigen: Wie sieht im Moment der Patient aus, der eine Durchbruchsinfektion trotz Impfung hat? Und wie gesagt, das mediane Alter 80,5 Jahre.
Hennig: Nun kommt noch die Delta-Variante dazu. Hier, in dieser Yale-Studie, war Delta wahrscheinlich noch nicht wirklich drin. Oder wenn, dann nur ein bisschen. Das hat man da nicht aufgeschlüsselt. Wenn jetzt Delta möglicherweise solche Durchbruchsinfektionen verstärkt, woran kann das liegen? Weiß man da schon ein bisschen mehr? Ist es hauptsächlich die Variante, die kränker macht? Oder ist es auch mehr noch die schwindende Immunität?
Ciesek: Das ist eine ganz interessante Frage. Und die schwindende Immunität würde dafürsprechen, und da ist es wichtig für unser Management der dritten Impfung, das zu entscheiden oder sich da festzulegen. Ich habe mir das mal angeguckt.
Einfluss von Delta auf Durchbruchsinfektionen
Und ich persönlich glaube eigentlich, dass der Anstieg der Durchbruchsinfektionen vor allen Dingen, also der größte Teil, auf Delta zurückzuführen ist und nicht unbedingt auf die nachlassende Immunität. Und warum glaube ich das? Wie gesagt, Antikörperspiegel sinken ja immer nach der Impfung, wenn man das beobachtet. Das ist jetzt nicht spezifisch für diese Impfung, sondern generell. Die fallen langsam und kontinuierlich ab und sind nicht auf einmal weg.
Klar, da gibt es dann wahrscheinlich auch einen Schwellenwert. Aber wenn man sich mal die gesamte Literatur und Preprints zu diesen Durchbruchsinfektionen mit Delta anschaut, dann muss man sich noch mal zurückerinnern, wie wir geimpft haben, also an letzten Dezember oder Januar. Wir haben im Januar angefangen, dass wir vor allen Dingen in den Altenheimen geimpft haben und Personen über 80. Als Zweites haben wir das ärztliche Personal oder das Pflegepersonal in den Krankenhäusern geimpft, die mit Covid-Patienten zu tun hatten und die behandelt haben.
Und wenn jetzt die nachlassende Immunität der Grund dafür wäre, dass es zu Durchbruchsinfektionen kommt, dann würden wir erwarten, dass diese Gruppen zuerst die Durchbruchsinfektionen hätten und die anderen erst in einem gewissen Abstand folgen. Also dass man danach dann die 60-Jährigen sieht, danach die 40-Jährigen, danach die ganz jungen. Und das sieht man einfach nicht.
USA: Eher jüngere Erwachsene mit Durchbruchsinfektionen
Also wenn man in die USA schaut und sich die Daten dort anschaut, dann ist es eher umgekehrt, dass nämlich die jüngeren Erwachsenen oder die mit vielen Kontakten diese Durchbruchsinfektionen hatten und nicht die älteren 80-plus-Jährigen. Das spricht für mich ein bisschen dafür, dass das wirklich eher durch Delta ausgelöst ist als durch eine verringerte Immunität, weil, wie gesagt, die Reihenfolge dann anders wäre.
Und dazu gibt es auch viele Daten aus den USA, wo man das auch wirklich verglichen hat in den unterschiedlichen Bundesstaaten, und auch dort keinen Zusammenhang sieht zu dem Zeitpunkt der Impfung und dass dann jemand früher eine Durchbruchsinfektion bekommt im Vergleich zu anderen Bundesstaaten, wo man später geimpft hat zum Beispiel.
Hennig: Das heißt aber ja, ein angepasster Impfstoff wäre eigentlich schön.
Ciesek: Ja, auf jeden Fall. Was man auch sieht, dass zum Beispiel Durchbruchsinfektionen in Regionen auftreten, in denen Delta zuerst aufgetreten ist. Wie gesagt, die Daten aus den USA. Und nicht in Gebieten, die später dominant wurden für Delta. Und hier ist es auch so, dass die Durchbruchsinfektionen eher da auftraten, wo Delta dominant wurde, als dort, wo besonders früh geimpft wurde. Wie gesagt, das kann man ein bisschen aus dem Ganzen, wenn man die Preprints, die gesamte Literatur anschaut, herausklamüsern. Eine niedrige Impfquote und eine hohe Delta-Dominanz führt dazu, dass man einfach viele Infektionen insgesamt hat.
Auffrischungsimpfung gegen Corona-Infektion
Was bedeutet das eigentlich für Auffrischungsimpfungen, wenn man jetzt sieht, dass es eher an Delta liegt als an der schwindenden Immunität? Wir werden ja jetzt nicht im Krankenhaus völlig überschwemmt von Leuten, die eine Durchbruchsinfektion haben. Sondern im Moment ist es im Krankenhaus eine Pandemie der Ungeimpften. Das muss man ganz klar sagen. Das spricht dafür, dass man natürlich die, wo man weiß, dass die keine Immunantwort oder keine effiziente, keine gute ausbilden - wie Dialyse-Patienten, Patienten über 80 oder auch über 70 oder 60 - auffrischt.
Ich denke, dafür gibt es auch schon Daten. Aber mit der immer noch nicht ausreichenden Impfstoffproduktion weltweit und den Zahlen, die wir im Moment haben, muss man sagen: Bei allen sollte man noch mal genauer gucken. Was ist überhaupt der beste Abstand? Was ist der beste Impfstoff als drittes? Reicht zum Beispiel eine halbe Dosis aus? Das sind alles Dinge, die man eigentlich in Studien untersucht. Und ich denke, da haben wir im Moment auch noch die Zeit, da mehr Erfahrungen zu sammeln.
Hennig: Das heißt auch bei der Booster-Impfung, die wir schon so oft im Podcast besprochen haben, ist es vielleicht auch gar nicht mal unbedingt eine Schwarz-Weiß-Entscheidung, sondern eine irgendwo dazwischen, wo man noch rausfinden kann, ob es eine graue Entscheidung gibt, mit weniger Impfstoff, mit einem Kompromiss.
Ciesek: Ja. Oder zum Beispiel mit einem anderen Impfstoff zu boostern. Also ergibt es wirklich Sinn, immer den gleichen zu nehmen? Wir haben ja schon oft über heterologe Impfung gesprochen. Es werden vielleicht bald auch noch andere Impfstoffe mit den Peptidimpfstoffen dazukommen. Also das ist einfach noch nicht klar. Was sicherlich auch dazukommt ist ein Update speziell für Delta.
Das wäre das, was für mich persönlich gesprochen am meisten Sinn ergibt - darauf zu warten, dass so ein Update kommt, was einfach besser passend ist zu dem Delta-Virus zum Beispiel. Im Gegensatz dazu, jetzt ohne Risikofaktoren und ohne große Not einfach mal die Impfung zu machen. Und ohne, dass es dafür genug Daten gibt.
Hennig: Was die Wirksamkeit der Impfung gegen Delta angeht, da kursierten immer ganz verschiedene Zahlen. Sie haben es vorhin so schön gesagt, eine Studie sagt "hü", die andere "hott". Ganz so ist es hier nicht. Aber es gibt Zahlen, die machen Hoffnung, wie gut die Impfung gegen Delta wirkt, die unangepasste bisherige Impfung. Und es gibt Zahlen, bei denen man so ein bisschen sagt, das sieht schon wieder nicht so gut aus. Wie ist denn die Gesamtschau, wenn Sie sich jetzt einen Überblick verschaffen, wo geht die Richtung hin?
Ciesek: Genau. Es gibt mittlerweile eine größere Anzahl Studien, die das untersucht hat. Und die höchste Effektivität zeigt zum Beispiel eine Studie im "New England Journal", die nach symptomatischen Infektionen in der generellen Bevölkerung geguckt hat, mit 88 Prozent. Das ist ja sehr gut. Demgegenüber stehen zum Beispiel Studien aus Katar. Das ist ein Preprint. Da sind es noch 53,5 Prozent. In einem anderen Preprint aus dem USA sind es 42 Prozent. Man muss immer schauen, wie diese Studien wirklich durchgeführt wurden, ob sie auch asymptomatische Infektionen erfassen oder ob sie nur auf symptomatische oder schwere Fälle schauen.
Prinzipiell kann man sagen, vor schweren Verläufen, vor symptomatischen Verläufen gibt es noch einen guten Schutz, was sich wieder mit den Daten deckt, die wir vorhin besprochen haben. Vor asymptomatischen Infektionen ist der Schutz bei Delta deutlich geringer. Aber das ist ja, ganz banal gesagt, nicht so schlimm, wenn man eine Infektion hat, die man nicht bemerkt. Also für einen selber ist das nicht schlimm. Wenn man Kontakt mit Ungeimpften hat, kann das für die Person sehr unangenehm sein.
Zusammenhang zwischen Impfquote und Kindererkrankungen
Hennig: Sie sagten, eine Infektion, die man nicht bemerkt. Gutes Stichwort für mich - für eine elegante Überleitung zum nächsten Thema, über das wir heute sprechen wollen. Kinder bemerken ja die Infektion, wie wir wissen, oft nicht, oder zumindest haben sie einen leichten Verlauf. Da greift wieder der Gedanke: Bei den Kindern, bei denen es dann vielleicht mit Pech trotzdem nicht so gut läuft, da können die Erwachsenen durch ihre eigenen Impfungen die ungeimpften Kinder unter zwölf möglicherweise mit schützen.
Jetzt sieht man in den USA auch umgekehrt mit der Delta-Variante, dass das einen negativen Effekt haben kann. Da, wo die Impfquote sehr niedrig ist. Da gibt es große Differenzen in den verschiedenen Bundesstaaten, was die Impfbereitschaft angeht. Kann man das so ein bisschen in eine zahlenmäßige Risikoabschätzung gießen - also quantifizieren: niedrige Impfquote, mehr Infizierte und damit auch mehr erkrankte Kinder?
Ciesek: Ja, das ist auch wieder von der CDC in diesem Journal, was die wöchentlich rausbringen, aufgedröselt. Das ist ganz interessant. Die hatten 30.000 Fälle im August im Krankenhaus, vor allen Dingen in Texas und Louisiana. Und sagen natürlich, dass im Vergleich zu Erwachsenen die Kinder deutlich weniger betroffen sind. Aber dass es mit Delta zugenommen hat und dass man das nicht ignorieren darf. Und dass man das natürlich auch genau beobachten muss, wie sich das weiterentwickelt. Und dass man bedenken muss, dass Kinder sich bisher nicht impfen lassen können und deshalb auf den Schutz der Gemeinschaft angewiesen sind. Das ist sicherlich eine der größten Gruppen, die auf Impfungen von Dritten angewiesen ist.
Zunahme von RSV-Fällen in den USA
Man muss dazusagen: In den USA gibt es Engpässe in der Versorgung, weil die natürlich auch ein ganz anderes Gesundheitssystem haben als wir. Und dort ist es noch zu einem Anstieg der RSV-Fälle gekommen. Das ist ein Virus, was Atemwegsinfektionen macht, was vor allen Dingen bei der Erstinfektion im Säuglingsalter ein Riesenproblem machen kann. Das führt im Moment in den USA dazu, dass da einfach sehr viele Kinder auch stationär mit einer Doppelinfektion zum Beispiel liegen. Und dass auch die amerikanischen Krankenhäuser, die Kinderkrankenhäuser darum gebeten haben, dass sich die Erwachsenen impfen lassen sollen und Maske tragen sollen, um Kinder zu schützen.
Was man auf jeden Fall festhalten kann, ist: Je höher die Impfrate in einem Bundesstaat ist, desto weniger Kinder liegen stationär in den Kinderkrankenhäusern. Hier spielen in den USA sicherlich noch andere Faktoren eine Rolle, also andere Viruserkrankungen, die jetzt häufiger auftreten, wo die Maßnahmen zurückgefahren werden, keine Masken mehr getragen werden. Das haben wir auch schon mal in einem Podcast besprochen. Natürlich, das ist ein häufiges Argument: Ja, die Kinder in USA sind alle viel dicker. Klar, es gibt dort vielleicht anteilsmäßig mehr Adipositas. Aber ein Problem ist auch, dass Kinder oft schlechter eingestellte Grunderkrankungen haben, zum Beispiel Asthma.
Es gibt eine ganz andere ethnische Zusammensetzung. Häufig betroffen sind ja Hispanics und auch Kinder von afrikanischer Abstammung. Trotzdem glaube ich, kann man nicht sagen, das betrifft uns nicht oder das können wir ignorieren, was da in den USA passiert. RSV kann uns hier zum Beispiel genauso passieren. Wir haben auch RSV. Wir haben auch lokal unterschiedlich ansteigende Fälle im Sommer, was sehr untypisch ist. Und das hat jetzt auch nichts mit dem Gewicht allein zu tun. Das wird genau beobachtet werden müssen.
Unterschiedliche Impfquote in Bundesländern
Und wir haben, ich habe heute Morgen geguckt, eine sehr unterschiedliche Impfquote in den Bundesländern. Bremen ist der Spitzenreiter mit 76,6 Prozent. Sachsen hat 56,2 Prozent, also 20 Prozentpunkte Unterschied. Das wäre mal interessant zu schauen, ob man in Deutschland dann irgendwann in ein paar Wochen ähnliche Phänomene beobachten kann, dass das dann zu einer Veränderung führt. Wobei man sagen muss, dass im Moment die Inzidenzen in Sachsen anders sind als im westlichen Teil der Republik, deswegen kann man das nicht eins zu eins vergleichen.
Hennig: Im Moment sind also da tendenziell noch niedrigere Inzidenzen, wo auch niedrigere Impfquoten sind. Aber wenn sich die Inzidenz dann wieder ändert, kann sich das verändern. Trotzdem mal festzuhalten: Wenn man eine plakative Zahl von den CDC hat wie: Krankenhauseinweisungen von Kindern und Jugendlichen sind viermal höher in Staaten mit niedriger Impfquote als in Staaten mit hoher Impfquote, dann gibt es möglicherweise eine bedenkliche Richtung vor, wir können es aber nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen.
Ciesek: Genau. Und wenn man sich jetzt noch mal erinnert an die Daten, die wir vorhin besprochen haben, wer liegt auf Intensivstation, so kann man festhalten, dass das zum Glück in Deutschland die Null- bis 17-Jährigen immer noch kaum oder am wenigsten von allen Betroffenen sind. Das hat sich auch mit Delta bisher nicht geändert.
Hennig: Das heißt, die Hinweise darauf, dass Delta auch tatsächlich kränker macht, die schlagen sich bisher bei den Kindern noch nicht sichtbar durch. Vielleicht ja auch nie. Weiß man denn ein bisschen mehr darüber, wie sich Delta noch in Kindern verhält? Es wäre ja auch denkbar, dass Delta harmloser wäre bei Kindern. Ganz theoretisch.
Ciesek: Ich kenne keine systematischen Daten. Ich selber habe aus der Praxis das Gefühl, die Kinder, die ich mit Delta gesehen haben: Da waren eher einige vorher asymptomatisch, die haben auch eher Schnupfen, Erkältung oder auch mal eine Konjunktivitis, also eine Bindehautentzündung oder Durchfall. Also so Erkältungssymptome, nichts ganz Schlimmes.
Selten asymptomatische Kinder
Aber dass man die schon häufiger erkennt, also dass man so ganz asymptomatische hat, hatte ich jetzt in letzter Zeit selten. Wenn man dann die Kinder fragt, waren die schon alle so, dass die Erkältungssymptome hatten und sich nicht gut gefühlt haben, auch wenn es nur wenige Tage waren. Das ist auch noch mal mein Tipp: Alles an Erkältungssymptomen, die man haben kann, ob nun Gliederschmerzen, wird oft auch berichtet, oder einfach Kopfschmerzen, Schnupfen, können darauf hinweisen. Und dann sollte man sich auf jeden Fall testen lassen, um das auszuschließen.
Und es auch zu wissen. Es lohnt sich, finde ich persönlich, immer, das Wissen, denn irgendwann steht ja die Frage an: Soll ich mein Kind impfen lassen? Möchte ich es impfen lassen? Und dann finde ich es doch wichtig zu wissen, und auch für das Prozedere wichtig, hatte mein Kind die Infektion? Denn dann braucht es vielleicht nur eine Impfung und nicht beide. Deswegen bin ich immer dafür, dass man, wenn man Erkältungssymptome hat, lieber einmal mehr testet. Aber es gibt vielleicht noch eine Nachricht zu Delta, die interessant ist: Wenn man ein bisschen mit Kollegen spricht oder die Daten, Berichte aus den USA anschaut, nämlich: Was ist mit Delta und PIMS?
Hennig: Diesem multisystemischen Entzündungssyndrom, das hauptsächlich bei Kindern und jungen Menschen auftritt.
Ciesek: Genau. Ich habe am Wochenende noch mal mit Christian Dohna-Schwake gesprochen, der war hier auch mal im Podcast, der Kinderinfektiologe und Intensivmediziner aus Essen.
Wenige PIMS-Fälle in NRW
Der hat mir gesagt, im Moment sehen die keinen Anstieg der PIMS-Fälle, obwohl sie ihn jetzt erwarten würden. Obwohl NRW natürlich eine wahnsinnig hohe Inzidenz an Delta hat, haben ja alle in den Medien wahrscheinlich auch gesehen. Auch wenn man sich die Daten bei der CDC, also aus den USA anguckt, da war es in den anderen Wellen so, dass ungefähr einen Monat nach dem Anstieg der Inzidenz dann auch der Anstieg der PIMS-Fälle beobachtet werden konnte.
Das sieht man im Moment noch nicht, obwohl man den jetzt erwarten würde. Das wäre natürlich, wenn das sich bestätigt, sehr, sehr positiv. Man kann es im Moment noch nicht abschließend bewerten, denn es kann auch einfach sein, dass das Delta etwas später macht. Also dass das erst in zwei oder in vier Wochen kommt. Das müssen wir weiter beobachten. Ich finde es auch immer schön, wenn man mal was Positives sagen kann.
Hennig: Das finden wir alle schön.
Ciesek: Ich bin vorsichtig optimistisch. Aber wie gesagt, das wird man wirklich abschließend erst in ein paar Wochen sagen können, ob das einfach einen späteren Verlauf nimmt oder ob die Anzahl an PIMS-Fällen wirklich abnimmt.
Hennig: Das muss man zur Erklärung noch mal dazusagen, das ist ja etwas, was generell erst nach der Infektion auftritt, also nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Infektion. Es hat sowieso eine deutliche Verzögerung und manchmal tritt es auch nach unbemerkter Infektion auf. Jetzt sind wir schon mittendrin im Thema Kinder, das wir immer mal wieder anfassen müssen.
Schulquarantäne und Testpflicht
Sie haben Kinder-Impfungen schon angesprochen, vorher noch einmal ganz kurz, weil es viele Menschen bewegt: Die Politik hat neue Quarantäne-Regelungen in den Schulen beschlossen. Das ist relativ einfach und schnell erzählt. Nur noch der Sitznachbar oder die Sitznachbarin eines positiv getesteten Schülers muss in Quarantäne. Daran haben Lehrer und Schulleiter schon Kritik geübt, weil sie sagen: Na ja, mit der Realität des Schulalltags ist das ein bisschen schwierig. Man sitzt nicht immer nur auf seinem Platz, selbst im Unterricht nicht. Das ist ja anders als früher.
Und dann gehen die Kinder in der Pause zusammen in die Kantine. Mich hat daran ein bisschen gewundert, dass in dem Zusammenhang gar nicht thematisiert wurde, von welchen Tests gehen wir denn aus, um überhaupt infizierte Schüler und Schülerinnen festzustellen? Da gibt es ja Schnelltests. Es gibt mittlerweile PCR-Pool-Testungen. Machen wir überhaupt ein regelmäßiges Screening oder testen wir nur symptomatische Kinder? Was sagen Sie, wie sinnvoll finden Sie diese Regelung, die da jetzt getroffen wurde für die Eindämmung der Ausbreitung?
Ciesek: Ich habe gerade gelernt, bei meiner Tochter wechselt man jede Woche den Platz, damit einfach auch jeder mal vorne und jeder hinten sitzt, das gibt dann glaube ich Chaos. Aber klar, das ist genau richtig. Nur der Sitznachbar suggeriert ja, dass es egal ist, mit wem ich sonst Zeit verbringe - in der Pause oder mit wem ich in der Schule zusammen gegessen habe oder was auch immer. Das ist natürlich schwierig.
Testvorgaben von Bundesland zu Bundesland verschieden
Die Testung ist ja auch nicht einheitlich in den Bundesländern. Also in NRW, um wieder auf NRW zu kommen, wird ja die PCR-Testung im Pool-Verfahren mit Lolli im Moment sehr stark durchgeführt, in den Grundschulen. Und in Hessen ist es so, dass die ersten zwei Wochen nach den Ferien - also die letzten zwei Wochen - haben die Kinder dreimal die Woche einen Antigen-Test gemacht. Jetzt, nach den zwei Wochen, wird wieder auf zweimal die Woche umgestellt, weil man einfach aus dem letzten Jahr gesehen hat, dass vor allen Dingen nach den Ferien, wenn die Menschen aus dem Urlaub kommen oder von Verwandten aus anderen Ländern kommen, oft Infektionen hatten.
Ich denke, das ist sehr schwierig zu beurteilen, diese Quarantäne-Regelung. Also warum brauche ich den besten Test, wenn ich dann keine Konsequenzen daraus ziehe? Das ist ja so ein bisschen die Frage, die sich dazu stellt. Ich finde das auch schwierig. Ich glaube, das ist eins der Hauptprobleme von unserem Pandemie-Management, dass wir einen Föderalismus haben und jedes Bundesland erst mal etwas anderes macht. Es wäre total interessant, mal die Daten zu vergleichen, also wirklich systematisch zu gucken: Was bringt Hessen dreimal Antigen-Test versus NRW zweimal PCR versus wie es Hamburg macht, zweimal Antigen? Und bringt das wirklich so viel mehr, den PCR-Test zu nehmen? Entdecke ich mehr Kinder oder vermeide ich mehr Folgefälle? Das ist ja die eigentliche Frage dabei. Ich weiß nicht, was jetzt der politische Hintergrund ist.
Test-Strategie und nachvollziehbare Regeln
Mir persönlich ist es einfach wichtig, dass es da nachvollziehbare Regeln gibt. Da wäre natürlich Einheitlichkeit schön. Und dass man schnell handelt. Also wenn man einen Test macht und dem Ergebnis nicht glaubt, dass man sagt: Jetzt machen wir noch einen Test und noch einen Test, dann kann man es sich auch sparen, weil natürlich die Schnelligkeit ein entscheidender Faktor bei der Verbreitung von Viren ist.
Hennig: Ich kenne es zumindest anekdotisch aus Hamburg, aus Schulen, dass beim Antigen-Test, wenn der positiv ist, dann macht man einfach noch mal einen. Und manchmal macht man noch einen dritten. Das ist genau das, was Sie ansprechen.
Ciesek: Ja, und das ist halt falsch. Ich glaube, wenn ich selber überlegen müsste, würde ich wahrscheinlich eine Kombination machen. Es gibt ja ganz klare Vorteile von Antigen-Tests - nämlich, dass sie schnell sind. Sie sehen innerhalb von Minuten, wenn der positiv ist, und können diesen Infizierten rausnehmen. Das schafft die PCR nicht.
Die PCR ist dafür viel sensitiver und erkennt die Infektion viel früher. Und wenn man irgendwie diese beiden Testsysteme kombinieren würde, wäre das sicherlich am effektivsten. Dann ist ja nur die Frage: Welches Ziel will man damit eigentlich erreichen? Also will ich ganz viele Infektionen vermeiden? Habe ich mich damit abgefunden, dass es zu Infektionen kommt und will nur nicht, dass das explodiert?
Quarantäne-Regelung für Kinder
Zur Quarantäne-Regelung: Ich denke, da hat man auch viel gelernt in den letzten Monaten. Dass die einfach, und das können wir beide als Eltern sagen, für die Kinder so wahnsinnige Konsequenzen hat. Also psychische, soziale Konsequenzen - wenn die dauernd in Quarantäne gehen, und das auch noch 14 Tage, dass man das einfach ändern und anpassen wollte und damit dann halt wahrscheinlich lebt, dass es in den Schulen auch mehr Infektionen geben wird. Aber das ist ja das, was die Politik tun muss. Sie müssen halt abwägen.
Hennig: Also noch Nachbesserungsbedarf, auch bei dem Versuch der einheitlichen Regelungen in den Schulen. Das ist ja vielleicht etwas, das wir nach der Wahl weiter beobachten können. Kommen wir zum Thema Kinderimpfung, Frau Ciesek. Wir haben das eben schon ein bisschen angesprochen. Wir sind das eigentlich als Eltern gewöhnt: Die Stiko empfiehlt eine Impfung, und wenn man jetzt kein Impfgegner ist, dann hält man sich meistens daran. Jetzt haben wir das aber bei der Corona-Impfung so eingeübt, dass wir auch selber noch mal ganz genau hingucken.
Myokarditis-Risiko bei Impfung von Jugendlichen
Es gibt jetzt die Stiko-Empfehlung für über Zwölfjährige. Trotzdem steht ja das große Thema im Raum, was wir vorhin schon kurz hatten, des Herzmuskelentzündung-, des Myokarditis-Risikos. Es ist bei jüngeren Menschen vielleicht noch mal anders als bei Älteren. Das wissen wir ja auch schon, insbesondere bei Jungs und jungen Männern. Nun gibt es da auch noch ein paar mehr Daten zur Frage: Wie verhält sich das bei unter 20-Jährigen? Können Sie uns im Verhältnis zwischen Infektion und Impfung mehr Anhaltspunkte dazu geben, ob wir uns auf die Stiko-Empfehlung als Eltern auch im vollen Bewusstsein verlassen können?
Ciesek: Um noch mal zu erinnern an das "New England Journal", da waren ja alle ab 16 eingeschlossen. Da zeigte sich ein Risiko von 11 pro 100.000 statt 2,7 100.000 durch die Impfung. Also war es schon deutlich erhöht nach der Infektion. Und ein Preprint, also ein Paper, was noch nicht gereviewt wurde, ist jetzt erschienen, und das schaut sich das Risiko an zwischen zwölf und 20, also bei den Jüngeren. Da hat man geguckt: Wann genau war die Erstdiagnose der Covid-Erkrankung? Die war bis zum 31. März. Und hat dann diese Gruppen auch nach Geschlecht und Alter aufgeschlossen und angeschaut. Es wurden alle Patienten ausgeschlossen, die eine kardiovaskuläre Vorerkrankung hatten. Das ist natürlich wichtig, damit man das nicht verfälscht.
Und sie haben sich angeguckt: Wer hat eine Myokarditis innerhalb von 90 Tagen nach dem Datum der Erstdiagnose? Und hier hat man gesehen, dass die Myokarditis oder auch Perikarditis oder Myoperikarditis, also das kommt ja oft in beiden Formen vor oder auch getrennt, ungefähr bei 450 pro eine Million jungen Männern auftritt. Das war sechsmal häufiger als nach der Vakzine, das haben die dann ausgerechnet. Das passt so ein bisschen zu den Daten aus dem “New England Journal“.
Es ist noch ein bisschen leicht höher, umso jünger die Männer, die Jungen waren. Aber man sieht auch, dass es auf jeden Fall deutlich höher nach einer Covid-Infektion war als nach der Impfung. Wichtig ist vielleicht auch noch, dass diese Myokarditis entweder nach fünf Tagen, also innerhalb von fünf Tagen auftrat, ungefähr 40 Prozent, oder zwischen Tag 19 und 82, also wirklich Monate nach der Infektion die Myokarditis noch auftreten konnte - bei immerhin 60 Prozent.
Hennig: Bei der Impfung war es nicht mit so einem großen Abstand. Da ist es schon eher zwei Wochen nach der Impfung?
Ciesek: Ja, das sind sogar oft wenige Tage, dass man schon nach wenigen Tagen symptomatisch wurde und die jungen Männer das meistens ja bemerkt haben.
Hennig: Das Risiko ist zwar gering, aber trotzdem ist dieses Risiko ja da. Viele Ärzte empfehlen wegen dieses zwar immer noch im Vergleich zur Infektion deutlich verringerten Risikos einer Herzmuskelentzündung, einer Myokarditis nach der Impfung, zu einer kleinen Sportpause. Also nach der ersten, vor allem aber auch nach der zweiten Dosis eine Weile keinen Sport zu machen. Manche Ärzte sagen, eine Woche, andere sagen sogar zwei Wochen. Können Sie uns aus dieser ärztlichen Perspektive erklären, wozu das gut sein soll?
Ciesek: Das ist jetzt eher spekulativ, weil natürlich der genaue Mechanismus nicht bekannt ist, wie es zur Myokarditis kommt. Aber man muss sagen, dass wir wissen, dass zum Beispiel Virusinfektionen ungefähr ein bis fünf Prozent mit einer Beteiligung des Herzens einhergehen. Das kennen wir zum Beispiel auch von Influenza, von anderen Viren. Und oft sind Myokarditis-Fälle ohne Symptome. Also die werden gar nicht erkannt, weil die Leute vielleicht nicht so leistungsstark sind oder sich schlapp fühlen.
Sie schieben das auf den Infekt und wird halt gerade bei sportlich Inaktiven gar nicht gemerkt, weil die den Kreislauf gar nicht so belasten. Dann kommt noch dazu: Eine leichte Myokarditis wird durch körperliche Schonung behandelt, also rein symptomatisch und sie sagen: Jetzt schon dich mal ein bisschen. Und das liegt daran, dass man versucht, die Komplikationen zu mindern oder zu vermeiden. Eine Komplikation wären Herzrhythmusstörungen, die zum Beispiel zum plötzlichen Herztod führen.
Das liest man alle paar Jahre mal, dass ein Fußballer auf einmal tot auf dem Fußballfeld umgekippt ist. Und da sind das auch häufig so Horrorszenarien, die dann oft aufgrund eines viralen Infekts eine unerkannte Myokarditis haben, dann Leistungssport machen oder Sport machen, Kreislauf belasten, dann die Komplikationen triggern, die so eine Myokarditis, die sonst bei Inaktiven blande verläuft, auslösen können.
Körperliche Schonung zur Vorbeugung
Ich denke, die körperliche Schonung ist eher für den Fall, dass man eine leichte Myokarditis entwickelt, dass die folgenlos ausheilen kann und sich nicht durch Komplikationen verschlimmert und verschlechtert. Das macht man ja nicht nur nach dieser Impfung. Zum Beispiel nach der Gelbfieberimpfung haben wir das auch immer empfohlen. Und auch nach Infekten kann man nur immer wieder sagen: In dem Alter ist man ja oft unverwundbar. Jetzt schalt einen Gang zurück und kurier dich richtig aus. Kennen wir alle noch von der Großmutter, die Sprüche.
Hennig: Fällt schwer in dem Alter.
Ciesek: Genau, und das ist sicherlich gut, dass man sich da einfach so ein bisschen zurücklehnt und auch ein bisschen auf den Körper hört. Und dann, wenn man merkt, man ist nicht so belastbar, lieber noch ein paar Tage wartet.
Hennig: Welche Rolle spielt der Impfabstand zwischen den beiden Dosen für Impfreaktionen gerade bei Jugendlichen, aber auch für mögliche Nebenwirkungen?
Ciesek: Ja, das ist eine ganz interessante Frage. Eine Theorie, wie es zur Myokarditis kommt, ist ja, dass das Immunsystem die mRNA im Impfstoff als Antigen erkennt. Deswegen tritt das nach diesen mRNA-Impfstoffen auf. Das wiederum kann zu einer Aktivierung von Entzündungskaskaden und immunologischen Wegen, Signalwegen führen. Und die kann dann bei bestimmten Personen die Entwicklung einer Myokarditis als Teil dieser systemischen Reaktion auslösen. Das ist so eine Theorie, wie gesagt, das ist nicht bewiesen. Und die tritt ja vor allen Dingen nach der zweiten Impfung auf.
Immunologische Reaktion und Impfabstände
Wenn man denkt, dass es eine immunologische Reaktion ist, dann kann man natürlich, wenn man die Impfungen kurz hintereinander macht, wo die eine Reaktion noch nicht vollständig abgeklungen ist, und dann kommt der zweite Reiz oder der zweite mRNA als Antigen, dass das einfach zu viel wird. Deswegen hatten einige Immunologen mal vor ein paar Wochen spekuliert, dass man vielleicht durch einen längeren Impfabstand das Risiko reduzieren könnte.
Da fehlt aber noch so eine systematische Auswertung, weil in Israel wurde konsequent nach drei Wochen geimpft und in anderen Ländern nach sechs Wochen. Da müsste man einfach mal genau vergleichen, ob man Unterschiede in der Häufigkeit der Myokarditis findet oder eben nicht. Das fehlt noch. Ich habe gestern gelesen, in den USA gibt es jetzt eine Diskussion, ob man Kinder erst mal nur einmal impfen sollte, um die zweite Impfung zu vermeiden und das Risiko für eine Myokarditis weiter zu reduzieren. Da müssen wir einfach auch auf die Daten warten.
Hennig: Auch Kinder über zwölf in dem Fall, also eher Jugendliche?
Ciesek: Nein, da ging es um kleinere Kinder, dass man die nur einmal impft. Und wie gesagt, das ist eine reine Diskussion ohne irgendeine Datengrundlage. Aber das spricht dafür, dass doch einige vermuten, dass die zweite Impfung eine Rolle spielt. Und das natürlich auch genau geguckt werden muss, wie der Abstand sein muss.
Zeitperspektive Kinderimpfung U12
Hennig: Apropos Datengrundlage und kleinere Kinder: Das hat für ein bisschen Aufsehen gesorgt, obwohl das eigentlich voll im Zeitplan liegt, den die bisher schon so in Aussicht gestellt haben. Biontech hat angekündigt, dass sie in wenigen Wochen, also Anfang des Herbstes, ihre Zulassungsstudie für eine Kinder-Impfstoff-Dosierung vorlegen. Man muss sagen, es ist der gleiche Impfstoff, aber da muss eine gesonderte Zulassung gegeben werden.
Da haben manche schon gejubelt und haben gesagt: Oh, ganz bald kann geimpft werden. Nun muss aber die EMA das erst mal prüfen, die Europäische Arzneimittel-Agentur. Dann wird die EU-Kommission die Zulassung erteilen. Für Deutschland kommt natürlich auch noch die Stiko ins Spiel, gerade bei Kindern. Wir wissen, dass das dauern kann. Was für eine Zeitperspektive halten Sie für realistisch für eine mögliche Impfung von Kindern unter zwölf Jahren?
Ciesek: Da müsste man genau wissen, was Pfizer/Biontech jetzt schon Behörden vorgelegt hat. Aber ich denke, die EMA-Zulassung oder die FDA-Zulassung ist dann, wenn das Verfahren schon läuft, nach Einreichung innerhalb von Wochen wirklich möglich. Also wenige Wochen.
Hennig: Ich habe mal nachgeguckt, drei Wochen war es bei der Zulassung bei den Erwachsenen.
Ciesek: Ich hätte jetzt auch geschätzt, wahrscheinlich einen Monat oder so. Das passt. Und dann gibt es eine Zulassung, also wenn die Studiendaten gut aussehen. Da wäre es natürlich für alle Risikokinder primär jetzt erst mal ganz, ganz wichtig, dass die dann einen Arzt finden, der sie impft, dass sie sich einfach schützen können, wenn im Herbst, Winter doch wieder die Infektionszahlen weiter steigen.
Die Stiko, das haben wir jetzt schon mehrmals erlebt, also ob es jetzt bei den Kindern oder Jugendlichen ist oder auch bei den Schwangeren, das ist eine Kommission, die nicht so schnell Empfehlungen umsetzt, wie wir uns das vielleicht in der Pandemie wünschen, weil die einfach eine ganz andere Arbeitsweise haben und weil denen die Daten sicherlich auch von den Zulassungsstudien alleine nicht reichen werden, um eine Empfehlung für alle Kinder auszusprechen. Je jünger die Kinder werden, umso schwieriger wird das für die Stiko. Deswegen würde ich nicht erwarten, dass das dieses Jahr wahrscheinlich noch kommt.
Hennig: Und ob die Stiko eine Empfehlung für junge Kinder ausspricht, ist ja auch noch gar nicht ausgemacht.
Ciesek: Nein, überhaupt nicht. Das ist völlig offen. Wie gesagt, je jünger das Kind, umso schwieriger wird diese Risiko-Nutzen-Abwägung sein und werden. Es ist nicht einfach. Ich möchte da jetzt gar nicht groß spekulieren. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Altersgrenze gibt, ob es nun zwölf ist oder ob man sagt, ab Schuleintritt empfiehlt die Stiko eine Impfung. Das kann ich einfach nicht sagen, weil ich die Daten nicht gesehen habe. Aber die Entscheidung wird sicherlich nicht einfacher als bei den 12- bis 17-Jährigen werden.
Hennig: Es gibt ja Länder, die jetzt schon unter zwölf impfen, obwohl es keine Zulassung gibt. Da geht es eigentlich um den gleichen Impfstoff, in der Slowakei zum Beispiel ab fünf Jahren. In Chile hat man ab sechs Jahren angekündigt, Kuba ab zwei Jahren, wobei die ihren eigenen Impfstoff haben. Dann gibt es noch einige andere. Das ist schon ein Risikounternehmen. Oder?
Ciesek: Kuba hat einen eigenen Protein-basierten Impfstoff, das ist kein mRNA-Impfstoff. Ich möchte nicht über Kuba urteilen in einem Land wie Deutschland. Weil auf Kuba waren wohl, soweit ich gelesen habe, seit März 2020 die meisten Schulen geschlossen. Die haben ganz andere Bedingungen als in Deutschland. Die haben kaum Internetanschlüsse und können jetzt nicht einfach mal eine Zoom-Konferenz machen. Die haben natürlich auch einen ganz anderen Druck von der Bevölkerungsstruktur. Also nicht nur die Schulbildung, sondern sie haben natürlich auch ein anderes Gesundheitssystem.
Die haben sich dazu entschlossen. Da kenne ich keine Daten und kann das nicht sagen, inwieweit die Daten zu Kindern haben oder Studien vorher gemacht haben. Bei den Impfungen in der Slowakei, das ist ja ein mRNA-Impfstoff. Also die gleichen wie bei uns zugelassenen, dies wird betont, wenn man das liest, dass es freiwillig ist. Also jeder, der möchte, kriegt ein Drittel der Dosis. Ich finde das sehr mutig, ohne die Daten gesehen zu haben. Ich weiß nicht, ob die jetzt dort schon im Gesundheitsministerium erste Daten sehen konnten von Pfizer/Biontech und sich deshalb dazu einfach entschlossen haben und schneller sind.
Ich kann mir das für Deutschland nicht vorstellen, weil hier das Misstrauen noch steigen würde und das sicherlich nicht förderlich wäre für das Vertrauen der Bevölkerung. Also ich finde es mutig. Ich hoffe, dass das auch gut geht, aber kann mir das für hier nicht vorstellen.
Neue Daten zur Impfung von Schwangeren
Hennig: Die Stiko hat jetzt aber auch noch eine andere Empfehlung ausgesprochen, nämlich die Impfempfehlung generell für Schwangere. Rund einen Monat später als es in den USA zum Beispiel passiert ist. Wissen Sie, welche Daten das waren, die jetzt dazugekommen sind und den Ausschlag gegeben haben?
Ciesek: Es gibt jetzt sicherlich viel mehr Daten, die man findet. Also in den USA und in Großbritannien werden Schwangere schon länger geimpft. Wir lernen ja auch immer mehr, dass Schwangere doch ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben, dass es häufiger zu bestimmten Erkrankungen in der Schwangerschaft kommt. Also einer Präeklampsie, das ist so eine Schwangerschaftsvergiftung, oder auch dass Frühgeburten und Totgeburten häufiger auftreten.
Wenn man mit Kollegen spricht, gibt es immer wieder Schwangere auf den Intensivstationen, die schwer erkrankt sind. Das sind natürlich immer ganz tragische Fälle, weil man dann einfach zwei Patienten hat. Deshalb finde ich diese Empfehlung sehr sinnvoll.
Immunsuppression bei Schwangeren
Noch mal, um das generell zu sagen, Schwangere sind einfach nicht unbedingt vergleichbar mit Nicht-Schwangeren, weil sie eine gewisse Immunsuppression haben. Bei Immunsupprimierten wissen wir, dass es schwere Verläufe gibt. Das liegt einfach daran, dass das Kind nicht abgestoßen oder nicht als fremd erkannt werden darf. Das muss ja irgendwie von der Mutter nicht als fremd erkannt werden. Deshalb sind Schwangere in der Regel immunsupprimiert. Und wir wissen auch jetzt gerade, wenn man andere Infektionskrankheiten anschaut, dass es immer wieder zu schweren Verläufen bei Virusinfektionen kommt.
Also ein Klassiker ist die Hepatitis-E-Virusinfektion, die bei normalen Menschen, die keine Lebererkrankung haben, oft unbemerkt verläuft. Die meisten wissen gar nicht, dass sie das haben. Und Schwangere haben oft ein akutes Leberversagen und müssen dann sogar Leber-transplantiert werden. Oder die Grippe, also Influenza genauso. Das führt bei Schwangeren häufiger zu schweren Verläufen. Das ist bei SARS-CoV-2 ebenso. Deshalb gibt es zum Beispiel bei Influenza schon lange eine Empfehlung, dass sich Schwangere gegen Influenza und auch gegen Keuchhusten impfen lassen sollen. Was nicht empfohlen wird in einer Schwangerschaft sind Lebendimpfstoffe, also Masern oder Gelbfieber sind so klassische Lebendimpfstoffe, das nicht. Aber Totimpfstoffe werden schon lange in der Schwangerschaft angewendet.
Und eigentlich gibt es da auch keine Probleme. Trotzdem, wie gesagt, gelten Schwangere als vulnerable Gruppe bei den Covid-19-Erkrankungen. Ich denke, deswegen ist diese Empfehlung für alle Schwangeren total wichtig, weil man sich natürlich, wenn man schwanger ist, besonders in einem Dilemma befindet. Man ist natürlich besonders sensibel. Und dann ist man natürlich als Schwangere doppelt unsicher, wenn man dann zum Teil so wirkliche Horrormeldungen hört, die durch die Medien geistern.
Hennig: Wegen dieser immunologischen Besonderheit, also dass man überhaupt erst mal das Kind als Fremdkörper im Organismus akzeptieren muss, wird ja auch die Impfempfehlung erst fürs zweite und dritte Drittel der Schwangerschaft gegeben. Eine Sorge, die viele Schwangere durch ganz viele verschiedene Faktoren haben, ist ja immer, man könnte ganz früh eine Fehlgeburt haben. Da gibt es zur Sicherheit der Impfung mittlerweile auch ein paar mehr Erkenntnisse, oder? Zur Fehlgeburtsrate, ob da doch irgendetwas Unvermutetes beobachtet wurde im Zusammenhang mit der Impfung?
Ciesek: Ja, die gibt es, die sind im "JAMA" veröffentlicht. Da hat man Frühschwangerschaften zwischen der 6. und 19. Schwangerschaftswoche angeschaut. Und hat geschaut: Wie wahrscheinlich ist es, dass man vor einem spontanen Abort, also 28 Tage vor einem Verlust der Schwangerschaft, geimpft war? Das hat man ausgerechnet. Und was sich hier zeigt, ist, bei immerhin über 100.000 Schwangerschaften und davon 13.000 spontanen Abbrüchen - daran sieht man auch, dass das gar nicht selten ist, das sind immerhin mehr als zehn Prozent, die ein Abort erleiden.
Hennig: Unabhängig von der Impfung sowieso.
Ciesek: Genau, unabhängig von einer Impfung. Also das gibt es leider. Und dass der Anteil der Frauen, die etwas älter sind, also 35 bis 49, da war die Abortrate höher, nämlich 38,7 Prozent, auch ganz unabhängig von Impfen oder Infektion. Einfach generell. Bei denen hat man dann geschaut: Wer hatte in den 28 Tagen vorher eine Impfung bekommen und wer nicht? Da war es so: Die, die keine Impfung bekommen hatten, waren acht Prozent. Und bei denen, die vorher eine Impfung bekommen hatten, waren es 8,6 Prozent, die einen Abort hatten, also das war kein statistisch auffälliger Unterschied. Bei Spontanaborten war die Wahrscheinlichkeit einer Impfung in den vorangegangenen 28 Tagen im Vergleich zur laufenden Schwangerschaft auch nicht erhöht. Das zeigt, dass das wichtig ist für die Beratung der Schwangeren.
Abort-Studie wichtig für Aufklärung
Also es gibt ja wirklich so Gerüchte, dass jede Schwangerschaft verloren geht, wenn man sich impfen lässt und so weiter. Diese Studie ist relativ wichtig, um zu zeigen, dass die eigentlich keine großen Unterschiede gesehen hat. Obwohl natürlich auch diese Studie Einschränkungen hat, weil man durch die Auswahl der Frauen natürlich schon auf gewisse Krankheitsmerkmale Einfluss haben konnte. Wie zum Beispiel: Gab es schon mehrere Fehlgeburten in der Frühgeschichte, in der Vorgeschichte? Da konnte man nicht so drauf achten. Aber im Grunde genommen hat man hier keine großen Unterschiede gesehen.
Hennig: Und die allgemeine Impfreaktion, also alles, was ungefährlich ist, aber unangenehm, die ist bei Schwangeren ähnlich wie bei nicht-schwangeren Menschen?
Ciesek: Genau. Das hat eine andere Studie untersucht, die auch schon länger publiziert ist. Da gibt es ja die Daten, die über eine App erfasst werden oder über einen Health-Checker. Da haben Schwangere ihre Daten eingegeben, immerhin 35.000. Häufiger waren Schmerzen an der Injektionsstelle. Also das war bei Schwangeren etwas häufiger berichtet worden. Während Kopfschmerzen, Muskelschmerzen oder Schüttelfrost und Fieber sogar seltener auftraten.
Hennig: Sie haben vorhin schon kurz das Wort "Horrormeldungen" genannt. Wir haben das auch im Podcast schon mal als Thema gehabt. Ich möchte an der Stelle trotzdem noch mal kurz darauf eingehen, weil das so viel verbreitet wird. Die Sorge, die mRNA-Impfstoffe könnten unfruchtbar machen: Da gibt es so eine Theorie, die so - ich nenne es mal scheinplausibel - klingt, weil es eine Ähnlichkeit von Aminosäuren-Abfolgen gibt zwischen dem Spike-Protein und der Plazenta. Noch mal kurz erklärt: Warum sagt die Forschung, das ist gar nicht plausibel?
Ciesek: Das ist ja ein häufiges Argument. Und wenn man mal geschichtlich schaut, kommt das immer wieder auch bei anderen Impfungen vor. Dass so eine Urangst geweckt werden soll bei jungen Frauen, dass eine Impfung unfruchtbar macht. Also als letztes war es glaube bei HPV-Impfung, also bei Papillomaviren, aber auch bei Tetanus-Impfungen oder bei Polio gab es schon diese Gerüchte. Ich weiß nicht, woher das kommt, muss ich ehrlich sagen.
Aber wie gesagt, man triggert da natürlich eine Urangst. Wenn man junge Frauen hat, die unsicher sind, dann sind die vielleicht empfänglicher für solche Fehlmeldungen. Und bei SARS-CoV-2 ist es so: Es wird behauptet, dass die Antikörper, die gegen das Spike gebildet werden, dieses Syncytin-1 erkennen würden. Das braucht man für die Plazenta-Bildung. Und dann nicht nur erkennen, sondern auch attackieren oder ausschalten. Und dann könnte sich keine Plazenta mehr ausbilden.
Hennig: Also dass die Antikörper sich gegen den eigenen Körper, gegen die Plazenta richten, und nicht gegen das Virus.
Ciesek: Genau, dann könnte sich die Plazenta nicht richtig ausbilden und das würde dann zum Abbruch führen oder verhindern, dass jemand die Schwangerschaft fortsetzt. Und das würde daran liegen, dass die Aminosäuresequenz zwischen dem Spike vom Coronavirus so ähnlich sei wie zu diesem Plazenta-nötigen Protein. Und dazu muss man sagen: Man müsste ja vermuten, dass eigentlich alle, die eine Coronavirus-Infektion durchgemacht hätten, unfruchtbar werden.
Und dann würde jetzt, wo wir wissen, wie häufig die sind, irgendwann natürlich auch die Menschheit aussterben. Also das wäre ziemlich schlecht, wenn das stimmen würde. Verschiedene Wissenschaftler haben sich dann die Sequenzen angeschaut, geschaut, ob das denn stimmt.
Impfung gegen Corona macht nicht unfruchtbar
Und dann sieht man nur sehr wenig Gemeinsamkeiten - eigentlich keine. Und es gibt nur, glaube ich, eine Stelle, wo mal drei Aminosäuren hintereinander die gleichen sind, was sehr, sehr wenig ist. Ich kann dazu nur empfehlen, wenn Sie in Ihrer Umgebung jemanden haben, der dieses Argument bringt: Da gibt es ein ganz tolles Video von dem Martin Moder, der das sehr gut widerlegt.
Das kann man sich auch anschauen, das ist auch ganz unterhaltsam. Der hat das dann mal verglichen mit der Sequenz von anderen Viren, also Rhinoviren. Und die haben genauso viel Ähnlichkeit mit dem Syncytin-1 wie das Spike vom Coronavirus. Und ich glaube, dass Rhinoviren-Antikörper nicht unfruchtbar machen, das ist eindeutig belegt in Real-World-Daten.
Schwangere in Zulassungsstudien
Wenn man sich auch die Zulassungsstudien anschaut, da sind zwar Schwangere ausgeschlossen worden, also die durften sich nicht in den Zulassungsstudien als Probanden impfen lassen, aber so wie es im Leben ist, kann man das ja nicht immer planen, und es werden trotzdem Leute schwanger. Und das hat man mal ausgewertet und angeschaut und dann geguckt: Also wir haben ja immer eine Kontrollgruppe, die dann Kochsalz bekommt und die Gruppe, die den Impfstoff bekommt. Und da gibt es eine Auswertung von allen vier Impfstoffen von Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Johnson und Johnson.
Und die Anzahl der Schwangerschaften war in beiden Gruppen fast gleich. Also als Beispiel mal Pfizer, da waren zwölf Schwangerschaften in der Kontrollgruppe und elf in der Impfgruppe. Bei AstraZeneca waren neun in der Kontrollgruppe schwanger geworden und bei den Geimpften sogar zwölf. Und bei Johnson und Johnson waren es vier und vier. Also das ist sehr ausgewogen. Es gibt überhaupt keine Hinweise aus diesen Studien, dass es da einen Unterschied geben würde.
Was auch noch ein Argument ist, dass in den USA schon ungefähr 500 Frauen bis Ende März, also schon vor einer Weile, eine Schwangerschaft mitgeteilt haben, nachdem sie erfolgreich geimpft wurden. Da sprechen auch einfach die Wahre-Welt-Daten, also Real-World-Daten, dagegen, dass das eine Rolle spielt oder so ist, dass man dadurch unfruchtbar wird.
Hennig: Okay. Und auch das Video von Martin Moder, das ist ein Mikrobiologe aus Österreich, den haben wir, glaube ich, schon mal verlinkt. Der macht wirklich unterhaltsam und sehr gut verständliche Videos gerade zu solchen kursierenden Falschnachrichten, das verlinken wir auch.
Ciesek: Also, was halt schwierig ist, dass man so eine Falschnachricht wirklich länger widerlegen muss und umfangreicher widerlegen muss als jemand, der einfach mal irgendetwas behauptet. Und das ist wirklich ein Problem, auch in der Impfkampagne. Ich würde mir wünschen, dass man auch mal gegen so eine Falschinformation vorgehen könnte, denn ich fühle mich da manchmal wirklich machtlos, was da wirklich für böse Gerüchte kursieren. Wie gesagt: Wichtig ist, dass man ehrlich aufklärt und auch über Schwierigkeiten wie Myokarditis redet. Aber wirklich nicht mit so einem Blödsinn noch bestimmten Personen Angst macht.
Hennig: Fehlt uns noch ein letzter Punkt bei der Schwangeren-Impfung. Den können wir wahrscheinlich sehr schnell abhandeln, weil es gibt jetzt auch Daten zur Wirksamkeit der Impfung, was auch nicht ganz unwichtig ist, wenn ich mich impfen lasse als Schwangere, dann möchte ich ja auch, dass die Impfung so gut wirkt wie bei allen anderen auch.
Ciesek: Ganz schnell: Sie ist vergleichbar. Also, das ist im "Nature Medicine" erschienen, kann auch noch mal jeder nachlesen, und schützt bei 97 Prozent vor Infektion mit Symptomen. Also es ist wirklich vergleichbar mit der Allgemeinbevölkerung. Was nicht so richtig gut untersucht werden konnte, was man limitierend sagen muss, sind schwerwiegende Folgen, weil es zu kaum schweren Verläufen kam.
Aber auch in der Kontrollgruppe nicht in dieser Studie. Deswegen würde ich da jetzt sagen, das reicht noch nicht aus. Und auch einige chronische Erkrankungen konnten in der Studie natürlich nicht untersucht werden. Aber generell ist der Schutz vor symptomatischer Erkrankung genauso oder vergleichbar mit der allgemeinen Bevölkerung.
Das Beispiel Dänemark
Hennig: Frau Ciesek, ich würde zum Ende hin gern noch mal den Blick nach Norden richten, nach Dänemark. Da gucken wir seit vergangenem Freitag vielleicht so ein bisschen neidisch hin, weil die quasi Normalzustand erreicht haben. Sie haben alle Maßnahmen beendet. Es gibt auch keine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit mehr.
Hohe Impfquote in Dänemark
Der Hintergrund ist, man ahnt es fast, die hohe Impfquote. Jetzt muss man aber vielleicht dazusagen, es kursieren ja immer verschiedene Zahlen. Und dann kommt es darauf an, ob man das auf die Gesamtbevölkerung bezieht oder auf alle ab zwölf Jahren, also alle, die zum Beispiel nach Stiko-Empfehlung und nach Zulassung der Impfstoffe überhaupt impfbar sind. Deshalb ist immer ein bisschen Vorsicht geboten bei direkten Vergleichen zwischen den Ländern.
Also, die Impfquote in Dänemark mit mindestens einer Dosis für alle über zwölf Jahren liegt nach dänischen Angaben über 86 Prozent. Vor allen Dingen entscheidend: Bei den über 50-Jährigen liegt sie bei 96 Prozent. Die Alterskohorten darüber haben sogar noch höhere Impfquoten. Das stimmt optimistisch. Ein Ende der Pandemie, sämtliche Maßnahmen aufgehoben. Trotzdem: Kann das gut gehen?
Ciesek: Also das ist ein wichtiges Thema, was Sie ansprechen. Ich gucke nicht nur neidisch, weil die so viele geimpft haben, also gerade Ü50 96 Prozent, das ist ja fast jeder. Und da sind wir in Deutschland deutlich schlechter, muss man sagen. Sondern man muss auch fairerweise sagen, dass die Dänen das ja schon lange vorher angekündigt haben. Ich glaube, sie haben im Juni schon davon gesprochen, dass sie die Maßnahmen zum Oktober beenden.
Und ich bin eher neidisch aufgrund des Zusammenhalts dieser Bevölkerung, der dänischen Bevölkerung. Ich habe nicht das Gefühl, dass die so gespalten sind. Da gibt es auch nicht den Föderalismus wie in Deutschland. Dass jeder irgendwie was anderes macht, wenn man einmal über eine Landesgrenze fährt. Und es gibt auch einfach keine Wahlen, die jetzt anstehen wie die Bundestagswahlen.
Dänischer Zusammenhalt
Ich habe das Gefühl, dass das dänische Volk einfach viel geschlossener ist, viel solidarischer miteinander umgeht und dann einfach die Maßnahmen auch viel besser akzeptiert hat als in Deutschland. Witzigerweise muss ich jetzt auch zur Kritik sagen, sind gerade die, die jetzt Dänemark auf Twitter und in den Medien feiern, die, die immer die Impfkampagne blockieren oder alle Maßnahmen blockieren wollen und sagen, soll doch jeder selber entscheiden. Also man kann da neidisch sein.
Das müssen andere beurteilen, da bin ich als Virologin die falsche, warum die mehr Vertrauen in ihre Regierung haben, warum es da nicht so eine Polarisierung gibt und warum die das gesellschaftlich einfach viel besser hinbekommen als wir Deutschen. Ich habe auch gelesen, dass die Opposition in der Politik auch der gleichen Meinung war, nicht immer irgendwelche Gegenmeinungen eingenommen hat, wie das oft in Deutschland war. Darum beneide ich die auch ein bisschen. Und ob es gut gehen kann, wird sich zeigen. Ich denke auf jeden Fall, es gibt in Dänemark anscheinend auch ein Abkommen, oder wie soll man sagen, Konsens in der Bevölkerung, und man muss schauen.
Die Infektionen werden sicherlich ansteigen. Ob das dann für Dänemark noch tolerabel ist, für die Bevölkerung, und ob die Probleme mit anderen Viren wie Influenza und RSV bekommen, das können die Dänen, glaube ich, noch nicht abschätzen. Und natürlich, was auch sie daran hindern könnte, wäre, wenn eine neue Variante auftritt, die einen stärkeren Immunescape haben würde. Das sind so Unsicherheitsfaktoren, aber ansonsten muss man einfach schauen, wie sich das weiterentwickelt.
Hennig: Die haben ja auch keine anderen Impfstoffe als andere europäische Länder. Ich kann noch mal den Hinweis geben, es gibt ein paar ganz interessante Analysen von Forschern, die auch in Dänemark die Regierung beraten haben, was Kommunikations- und Verhaltenspsychologie angeht. Die können wir auch verlinken.
Die deuten so ein bisschen in die Richtung, die Sie eben schon gesagt haben, dass in der Kommunikation natürlich auch wichtig ist, Risiken nicht zu verschweigen und dann aber die ehrliche Schlussfolgerung daraus zu ziehen. Ist das jetzt schon der Zustand, über den wir am Anfang gesprochen haben? Möglicherweise also der Übergang in den endemischen Zustand, wo man dann aber auch aushandeln muss: Es ist ja nicht nur Covid, also es werden auch in Dänemark immer noch vereinzelt Menschen am Coronavirus, an Covid-19 versterben.
Ciesek: Ja klar, das, denke ich mal, wird man auch nicht vermeiden können. Und das ist auch unrealistisch zu vermitteln, wir machen so lange weiter, bis niemand mehr daran stirbt. Das ist ja bei anderen Viruserkrankungen auch so. Wir fahren ja auch Auto, obwohl es Verkehrstote gibt und so weiter. Es muss halt ein erträgliches Maß haben. Da haben die natürlich mit 96 Prozent über 50 eine sehr gute Ausgangslage.
Das sind ja ganz andere Zahlen als in Deutschland. Die kann man nicht vergleichen, da sind wir einfach noch nicht. Und ich denke schon, dass das dann der Übergang für die in einen endemischen Status ist. Wie gesagt, wenn keine neuen Überraschungen mit neuen Varianten kommen, kann das auch sehr gut klappen.
Problem Förderalismus
Wenn man es direkt vergleichen will, ich glaube einfach einen Vorteil, den Dänemark hatte, ist einfach wirklich, dass wir viel verloren haben durch diesen Föderalismus in den Bundesländern. Also wenn hier andere Regeln gelten als auf der anderen Seite des Mains, dann hat man das Gefühl, keiner weiß eigentlich, was richtig ist und jeder probiert es mal aus.
Und wenn es deutschlandweite Regeln geben würde, wie es wahrscheinlich in Dänemark der Fall ist, dann führt das natürlich dazu, dass auch die Bevölkerung eher denkt: Hey, die da oben wissen genau, was sie tun oder wissen es eben nicht. Aber wir stehen dahinter. Und wie gesagt, da gibt es sicherlich andere Fächer, die das besser analysieren und bewerten können. Aber ich finde das auf jeden Fall sehr spannend, zu vergleichen und vielleicht auch daraus zu lernen.
Hennig: In England ist oder wird die Situation noch anders wahrgenommen. Obwohl, die haben nicht so eine hohe Impfquote, aber die haben ja offenbar eine sehr hohe Seroprävalenz, so heißt es immer. Also die haben einfach sehr viele Infizierte gehabt, die dann zumindest eine Antikörper-Antwort haben. In England sterben im Schnitt immer noch 200 Menschen am Tag an dem Virus.
Ciesek: Ist auch wieder nicht eins zu eins vergleichbar. Erstens Bevölkerungsalter, zweitens: Wie viel Ballungsgebiete gibt es, also wie eng wohnen die Leute zusammen? Dann ist es ein anderer Impfstoff. In England wurde sehr viel AstraZeneca verimpft. In Dänemark hat man relativ früh eingestellt, den AstraZeneca-Impfstoff zu nehmen, und hat mehr mRNA-Impfstoffe genommen. Vorerkrankungen, als wie krank, wie alt ist die Bevölkerung, das spielt alles auch eine Rolle. Ich muss sagen, das wird sicherlich alles einen gewissen Einfluss haben auf den Umgang und auf das, wie man als Land dann letztendlich nach der Pandemie abschneidet.
Hennig: Also nicht alles ist direkt vergleichbar. Ein letztes Thema müssen wir noch ansprechen, das Sie selber auch schon angesprochen haben. Die Achillesferse, auch in Dänemark, bleibt die Virus-Evolution. Kann man abschätzen, was da zu erwarten ist: Was Immunescape und Übertragbarkeit angeht, was denen da noch in die Quere kommen könnte?
Ciesek: Na ja, man muss sagen, ich bin da sehr vorsichtig, weil bisher wurden wir schon ein paarmal von neuen Varianten überrascht, womit ich Anfang 2020 nicht gerechnet hätte. Trotzdem gibt es natürlich eine begrenzte Möglichkeit von Aminosäure-Austauschen, gerade im Spike, weil es einfach nur eine begrenzte Anzahl von Aminosäuren gibt.
Undwahrscheinlich: Kompletter Immunescape
Es ist nicht wahrscheinlich, dass es einen kompletten Immunescape gibt, weil die Antikörper-Antworten, die ja von den Impfstoffen induziert werden, sehr breit sind. Das ist ja nicht ein Epitop, sondern es gibt verschiedene Epitope, insgesamt über 70. Und dass dann alle nicht mehr wirken, damit ist eigentlich nicht zu rechnen. Trotzdem ist das natürlich eine Möglichkeit, dass Impfstoffe schlechter wirken. Diese Mutationen entstehen zufällig, und neue Varianten sind auch zufällig, aber umso weniger Infektionen man zulässt, umso weniger Replikationen man zulässt, umso weniger Varianten wird man erzeugen.
Virusevolution und die My-Variante
Hennig: Es gab trotzdem mediale Aufregung um eine Variante, die ist am Anfang "Mu" geschrieben worden. Das ist allerdings ein griechischer Buchstabe, "My" schreiben deshalb viele, spricht sich also "Mü", altgriechisch. Die hat die WHO bisher als "Variant of Interest" beschrieben. Zur Erinnerung, das ist die unterste Stufe im Beobachtungsranking. Trotzdem gibt es Menschen, die sagen, es gibt Mutationen in dieser Variante, die Grund zur Beunruhigung geben. Wie sehen Sie das?
Ciesek: Diese "Variant of Interest", haben wir schon häufiger gehört. Sie ist anders als "Variant of Concern". Genaues wissen wir nicht. Also es heißt einfach, wir beobachten die, aber wir haben noch keine Beweise, dass die wirklich schlimmer ist. Trotzdem haben wir in dieser Variante bekannte Verdächtige, sage ich mal. Also bestimmte Mutationen, die wir aus anderen Varianten kennen, zum Beispiel an der Position 681.
Das gibt es auch in der Alpha-Variante, die für eine bessere Übertragung verantwortlich ist. Dann haben wir in der My ebenfalls diese Mutation E484K und K417N, die kennen wir auch schon, weil sie zum Beispiel monoklonale Antikörper schlechter wirksam machen und auch schon in der Beta-Variante vorkommen. Und dann gibt es aber auch ein paar neue Mutationen, an Position 346 zum Beispiel und 144. Da wissen wir einfach noch nicht so genau, was die dann wirklich machen mit dem Virus. Es gibt erste Daten, dass diese Mutation an Stelle 346 die Interaktion von Antikörpern mit dem Spike-Protein, also mit der Oberfläche vom Virus, erleichtert, um zu entkommen. Deswegen wäre noch mehr Immunescape zu erwarten.
Noch widersprüchliche Daten
Aber die Daten dazu sind einfach noch sehr widersprüchlich. Es gibt ein Preprint, das sagt, man sieht Unterschiede und Immunescape, ein anderes sieht es nicht. Die sind auch unterschiedlich im Labor angefertigt worden, sage ich mal: Mit natürlichen Viren oder nur mit der Hülle. Aber so richtig schlüssig ist mir das noch nicht. Und hier auch wieder, es wird sich einfach in der wahren Welt zeigen, wird sich diese Variante überhaupt irgendwo durchsetzen können?
Im Moment kann ich für Deutschland sagen, absolut führend ist Delta. My haben wir, glaube ich, noch nie gefunden. Zumindest bei uns in Frankfurt. Und wir finden eigentlich sonst immer alles. Aber Delta finden wir im Moment eigentlich wirklich fast 100 Prozent. Es ist einfach auch sehr viel leichter übertragbar. Und ob My dagegen ankommt oder auch die anderen Varianten, von Lambda und so weiter, das wird sich sicherlich in der Zeit zeigen.
Hennig: Das heißt, dass sie nur "Variant of Interest" ist, also noch kein Grund zur Beunruhigung in der Einschätzung der WHO. Das liegt schlicht daran, dass sie sich einfach noch nicht so weit verbreitet hat. Und wenn sie das nicht tut, dann bleibt sie auch in dieser Einstufung. Es gibt sie ja seit Januar dieses Jahres in Kolumbien
Ciesek : Die Einstufung "Variant of Interest" kommt eher, weil die Daten noch nicht ausreichen, um das zu beurteilen. Es gibt einen Verdacht durch eine Mutation, die darin vorkommt, die wir schon kennen. Aber die Daten reichen nicht aus, um das zu beweisen. Es ist nur ein Hinweis oder zum Teil sogar eine theoretische Überlegung. Im Moment, wie gesagt, ist Delta führend. Ich sehe das im Moment noch nicht, dass jetzt Delta von My abgelöst wird.
Hennig: Ganz theoretisch gefragt, trotzdem noch mal: Wäre es bei der hohen Zahl Ungeimpfter in vielen Ländern nicht auch denkbar, dass sich eine Variante durchsetzt, die einen Fitnessvorteil hat, also ansteckender ist, aber mit weniger Immunescape?
Ciesek: Ja, das wäre auch möglich. Im Grunde genommen ansteckender, das haben wir mit Delta gesehen, dass das möglich ist. Delta hat Alpha abgelöst, obwohl Alpha für uns zum Jahreswechsel was ganz Neues und ganz Dramatisches war. Ich weiß noch, da kam dann Delta um die Ecke und war noch viel infektiöser. Ich glaube ehrlich gesagt, man kann sich da theoretisch viel überlegen und spekulieren.
Wie gesagt, ich bin da von dem Virus SARS-CoV-2 schon echt überrascht worden in den letzten Monaten, weil ich gar nicht so damit gerechnet hätte, dass es so variabel ist. Und dass diese wenigen Mutationen dann so einen Effekt auf das Virus, auf die Ausbreitung haben. Das hätte ich nicht gedacht, deswegen bin ich ein bisschen zurückhaltend mit der Antwort, denn die könnte dann komplett falsch sein. Ich würde mal sagen: Alles ist drin. Es gibt halt Wahrscheinlichkeiten, was Viren normalerweise tun. Aber ich kann es nicht ausschließen.
Hennig: Vielleicht ist ja auch etwas Positives drin. Wer weiß.
Ciesek: Genau. Also, dass sich das Virus abschwächt, ist natürlich auch drin. Das dauert nur meistens auch länger. Denn wenn ein Virus weniger repliziert, dann wird es ja meistens einfach von den Varianten überrannt, die halt schneller replizieren oder mehr replizieren.
Hinweis: Die nächste reguläre Folge gibt es am 28. September 2021.