Eine Weltkugel aus Glas liegt in grünem Gras. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer
Eine Weltkugel aus Glas liegt in grünem Gras. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer
Eine Weltkugel aus Glas liegt in grünem Gras. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer
AUDIO: 75 Jahre Grundgesetz: Ökologisches Grundgesetz (5 Min)

75 Jahre Grundgesetz: Klimaschutz in die Verfassung?

Stand: 23.05.2024 06:34 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat vor drei Jahren in seinem Klimabeschluss klargestellt: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. Dieses Grundrecht steht aber nicht im Grundgesetz. Müsste man es ändern?

von Max Bauer

Als heute vor 75 Jahren unser Grundgesetz in Kraft trat, stand das Zukunftsthema unserer Zeit noch nicht auf der Agenda: der Klimaschutz. "Klimaschutz ist Demokratieschutz. Wenn wir weiter unser Klima zerstören, dann ist die Folge, dass künftige Generationen weniger über ihr eigenes Leben bestimmen können, sondern sich abstrampeln werden müssen, um unsere üblen Hinterlassenschaften zu bewältigen. Wenn wir heute über unsere Verhältnisse leben, dann fressen wir die Freiheit derer auf, die nach uns kommen", sagt der Justiz-Journalist Ronan Steinke.

Bundesverfassungsgericht: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz

Klimaschutz sichere die Freiheit kommender Generationen, so Steinke. Diesen Gedanken schrieb das Bundesverfassungsgericht 2021 in seinen historischen Klimabeschluss. Seitdem ist klar: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. Um dem gerecht zu werden, gibt es Forderungen, den Klima- und Umweltschutz noch viel deutlicher ins Grundgesetz zu schreiben. Zum Beispiel klare ökologische Schranken für die Freiheiten von großen Wirtschaftsunternehmen.

Verfassungsexperten skeptisch bezüglich Grundgesetzänderung

Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der Business and Law School in Berlin. © picture alliance / dpa Foto: Julian Stratenschulte
Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der Business and Law School in Berlin meint, Klimaschutz sei vor allem eine Aufgabe der Politik.

Aber Verfassungsexperten sind haben Zweifel. "Ich bin skeptisch, ob das der richtige Weg ist. Denn das Vertrauen in das Recht, solche großen Herausforderungen zu lösen wie die Klimakrise, ist mir da vielleicht doch etwas zu stark ausgeprägt. Das ist eine originär politische Frage, für die wir politische Mehrheiten brauchen", sagt Alexander Thiele, Jura-Professor aus Berlin. Die Politik könnte ohne Grundgesetzänderung, ohne ein grünes Grundgesetz, schon jetzt mehr Klimaschutz beschließen.

Gerichte könnten bestehende Gesetze konsequenter anwenden

Die Justiz - vor allem das oberste deutsche Verwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht - könnte die bestehenden Gesetze auch konsequenter anwenden. Es sei aber sehr zurückhaltend, so Rechtsanwältin Roda Verheyen. "Das ist sehr schade", sagt sie. "Das liegt in Deutschland aus meiner Sicht an diesem Paradigma des Bestandsschutzes. Das soll immer alles so weitergehen wie es war. Die Tatsache, dass das Klimaschutzgebot mit Verfassungsrang einen Transformationspfad und damit auch radikale Transformationen bedingt und voraussetzt, das hat sich bei den Gerichten noch überhaupt nicht herumgesprochen – leider!"

Keine Naturinteressen im deutschen Rechtssystem

Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen © picture alliance/dpa Foto: Paul Zinken
Rechtsanwältin Roda Verheyen hatte 2021 den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts erstritten.

Roda Verheyen hatte 2021 als Anwältin den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts erstritten. Auch sie ist skeptisch, ob es beim Klimaschutz auf Grundgesetzänderungen ankommt. Aber eine Sache findet sie wichtig: Die Debatte darüber, ob die Natur eigene Rechte hat, die dann vor Gericht eingeklagt werden können. "Wir haben einfach in keiner Weise ausreichend Rechte, beziehungsweise Naturinteressen in unserem Rechtssystem - und das muss geändert werden."

In Deutschland können nur Rechtspersonen vor Gericht klagen

"Es gab Ende der 80er-Jahre eine Umweltkatastrophe in der Nordsee, bei der eine Menge Seehunde zu Tode kamen. Da hatten einige Chemieunternehmen in die See Dreck verklappt und Schülerinnen und Schüler wendeten sich mit Unterstützung von Umweltverbänden an die Gerichte, um die Rechte der Seehunde auf ein sauberes Meer einzuklagen", schildert Journalist Ronan Steinke. Diese Klage habe aber keinen Erfolg gehabt, denn in Deutschland brauche man eine Rechtsperson, die vor Gericht klagen kann.

"Die Seehunde als sprach- und staatenlose Flossenfüßler, wie es in dem juristischen Schriftsatz hieß, haben nicht die Fähigkeit als eigene Rechtsperson vor Gericht aufzutreten. Das ist eine Lücke, das ist ein Problem unseres Rechts", so Steinke.

Rechte der Natur ins Grundgesetz?

Rechte der Natur, eigene Rechte für Menschenaffen oder für Flüsse, wie den Ganges, der in Indien als Rechtsperson anerkannt ist, auch sie könnte man ins Grundgesetz schreiben. "Das ökologische Denken bedeutet eigentlich, dass man diejenigen mit in den Blick nimmt, die nicht mit am Tisch sitzen und denen eine Stimme gibt. Die Idee ist, juristisch auch dafür bessere Wege zu schaffen", so Steinke. Eine Zweidrittel-Mehrheit braucht man für eine Grundgesetzänderung im Bundestag. Eigenrechte der Natur könnten ein erster Schritt sein für ein ökologischeres Grundgesetz.  

Weitere Informationen
Ein Grundgesetz steckt in einem Bücherregal. © dpa Foto: Hendrik Schmidt

In guter Verfassung - müssen wir das Grundgesetz mehr feiern?

Menschenwürde, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit: Seit 75 Jahren regelt das Grundgesetz das Zusammenleben und schützt vor staatlicher Willkür. mehr

Eine Ausgabe des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland liegt neben Schreibutensilien. © ZB/dpa Foto: Monika Skolimowska

"Die Meinungsfreiheit des anderen muss man aushalten"

Artikel 5 im Grundgesetz ermöglicht freie Rede. Manche sehen sie eingeschränkt - Juristen widersprechen. mehr

Eine Frau und ein Mann sitzen Rücken an Rücken und schauen auf ihre Laptops, die auf ihren Beinen liegen. © picture alliance / Westend61 | Westend61 / Jo Kirchherr

75 Jahre Grundgesetz: Wie weit sind wir in Sachen Gleichberechtigung?

In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". 1949 galt dieser Satz als wegweisend. Was hat sich seitdem getan? mehr

Ein Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland liegt auf einer deutschen Flagge. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

Unsere Demokratie: Gelebt. Gefordert. Geschenkt?

Das deutsche Grundgesetz ist 75 Jahre alt geworden. Wie steht es um Meinungsfreiheit, Gleichheit und Freiheit? Und wie gefährdet ist unsere Demokratie? mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 22.05.2024 | 16:07 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Klimaschutz

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau hält ein Smarthphone in die Kamera, auf dem Display steht "#NDRfragt" © PantherMedia Foto: Yuri Arcurs

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Ein Polizist geht über den gesperrten Weihnachtsmarkt in Magdeburg. © dpa Foto: Sebastian Kahnert

Mutmaßlicher Täter von Magdeburg drohte in MV mit "Ereignissen"

Taleb A. lebte von 2011 bis 2016 in Stralsund. In einem Streit mit der Ärztekammer sprach der heute 50-Jährige schwere Drohungen aus. mehr