75 Jahre Grundgesetz: Klimaschutz in die Verfassung?
Das Bundesverfassungsgericht hat vor drei Jahren in seinem Klimabeschluss klargestellt: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. Dieses Grundrecht steht aber nicht im Grundgesetz. Müsste man es ändern?
Als heute vor 75 Jahren unser Grundgesetz in Kraft trat, stand das Zukunftsthema unserer Zeit noch nicht auf der Agenda: der Klimaschutz. "Klimaschutz ist Demokratieschutz. Wenn wir weiter unser Klima zerstören, dann ist die Folge, dass künftige Generationen weniger über ihr eigenes Leben bestimmen können, sondern sich abstrampeln werden müssen, um unsere üblen Hinterlassenschaften zu bewältigen. Wenn wir heute über unsere Verhältnisse leben, dann fressen wir die Freiheit derer auf, die nach uns kommen", sagt der Justiz-Journalist Ronan Steinke.
Bundesverfassungsgericht: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz
Klimaschutz sichere die Freiheit kommender Generationen, so Steinke. Diesen Gedanken schrieb das Bundesverfassungsgericht 2021 in seinen historischen Klimabeschluss. Seitdem ist klar: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. Um dem gerecht zu werden, gibt es Forderungen, den Klima- und Umweltschutz noch viel deutlicher ins Grundgesetz zu schreiben. Zum Beispiel klare ökologische Schranken für die Freiheiten von großen Wirtschaftsunternehmen.
Verfassungsexperten skeptisch bezüglich Grundgesetzänderung
Aber Verfassungsexperten sind haben Zweifel. "Ich bin skeptisch, ob das der richtige Weg ist. Denn das Vertrauen in das Recht, solche großen Herausforderungen zu lösen wie die Klimakrise, ist mir da vielleicht doch etwas zu stark ausgeprägt. Das ist eine originär politische Frage, für die wir politische Mehrheiten brauchen", sagt Alexander Thiele, Jura-Professor aus Berlin. Die Politik könnte ohne Grundgesetzänderung, ohne ein grünes Grundgesetz, schon jetzt mehr Klimaschutz beschließen.
Gerichte könnten bestehende Gesetze konsequenter anwenden
Die Justiz - vor allem das oberste deutsche Verwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht - könnte die bestehenden Gesetze auch konsequenter anwenden. Es sei aber sehr zurückhaltend, so Rechtsanwältin Roda Verheyen. "Das ist sehr schade", sagt sie. "Das liegt in Deutschland aus meiner Sicht an diesem Paradigma des Bestandsschutzes. Das soll immer alles so weitergehen wie es war. Die Tatsache, dass das Klimaschutzgebot mit Verfassungsrang einen Transformationspfad und damit auch radikale Transformationen bedingt und voraussetzt, das hat sich bei den Gerichten noch überhaupt nicht herumgesprochen – leider!"
Keine Naturinteressen im deutschen Rechtssystem
Roda Verheyen hatte 2021 als Anwältin den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts erstritten. Auch sie ist skeptisch, ob es beim Klimaschutz auf Grundgesetzänderungen ankommt. Aber eine Sache findet sie wichtig: Die Debatte darüber, ob die Natur eigene Rechte hat, die dann vor Gericht eingeklagt werden können. "Wir haben einfach in keiner Weise ausreichend Rechte, beziehungsweise Naturinteressen in unserem Rechtssystem - und das muss geändert werden."
In Deutschland können nur Rechtspersonen vor Gericht klagen
"Es gab Ende der 80er-Jahre eine Umweltkatastrophe in der Nordsee, bei der eine Menge Seehunde zu Tode kamen. Da hatten einige Chemieunternehmen in die See Dreck verklappt und Schülerinnen und Schüler wendeten sich mit Unterstützung von Umweltverbänden an die Gerichte, um die Rechte der Seehunde auf ein sauberes Meer einzuklagen", schildert Journalist Ronan Steinke. Diese Klage habe aber keinen Erfolg gehabt, denn in Deutschland brauche man eine Rechtsperson, die vor Gericht klagen kann.
"Die Seehunde als sprach- und staatenlose Flossenfüßler, wie es in dem juristischen Schriftsatz hieß, haben nicht die Fähigkeit als eigene Rechtsperson vor Gericht aufzutreten. Das ist eine Lücke, das ist ein Problem unseres Rechts", so Steinke.
Rechte der Natur ins Grundgesetz?
Rechte der Natur, eigene Rechte für Menschenaffen oder für Flüsse, wie den Ganges, der in Indien als Rechtsperson anerkannt ist, auch sie könnte man ins Grundgesetz schreiben. "Das ökologische Denken bedeutet eigentlich, dass man diejenigen mit in den Blick nimmt, die nicht mit am Tisch sitzen und denen eine Stimme gibt. Die Idee ist, juristisch auch dafür bessere Wege zu schaffen", so Steinke. Eine Zweidrittel-Mehrheit braucht man für eine Grundgesetzänderung im Bundestag. Eigenrechte der Natur könnten ein erster Schritt sein für ein ökologischeres Grundgesetz.