§218-Reform gescheitert: Vertane Chance oder guter Kompromiss?
Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen werden vorerst nicht legalisiert. Der Rechtsausschuss des Bundestags entschied, derzeit keine Abstimmung über den entsprechenden Gesetzentwurf zu ermöglichen. Eine der Mitinitiatorinnen von der SPD spricht auf NDR Info von einer vertanen Chance. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses entgegnet, das bereits geltende Recht sei ein guter Kompromiss.
Verfassungsrechtler, Ärzte und Wissenschaftlerinnen bezogen am Montagabend in einer dreistündigen Anhörung zu dem umstrittenen Gesetzentwurf Stellung. 328 Bundestagsabgeordnete hatten ihn im Herbst 2024 als sogenannten Gruppenantrag eingereicht. Der Entwurf sieht vor, Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Eine Expertenkommission hatte im April eine entsprechende Empfehlung abgegeben.
Bislang ist eine Abtreibung in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig. Geregelt ist dies durch Paragraf 218 im Strafgesetzbuch. Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen bleiben aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Ebenso straffrei bleibt der Eingriff aus medizinischen Gründen sowie nach einer Vergewaltigung. Um den in den 1990er-Jahren erzielten Kompromiss wurde seinerzeit lange gerungen. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland mehr als 102.000 Abbrüche nach der Beratungsregelung durchgeführt.
Wegge: Reform unter Merz? "Schwierig"
"Das war schon eine einmalige Chance", sagte Carmen Wegge, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitinitiatorin der Initiative im Interview auf NDR Info. "Es ist nie die richtige Zeit für Frauenrechte." Den Gesetzentwurf unter einer möglichen Unions-geführten Regierung mit einem Kanzler Friedrich Merz noch durchzubringen, bezeichnete sie als schwierig. "Bekanntermaßen findet er, dass Frauen keine Ministerinnen sein sollten, und aus dem Sprachbild will er uns auch verdrängen", sagte Wegge. Sie werde, sollte sie im nächsten deutschen Bundestag sein, weiter für eine Legalisierung von frühen Schwangerschaftsabbrüchen kämpfen.
Wegge argumentierte auch mit Ergebnissen der vom damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Jahr 2019 in Auftrag gegebenen ELSA-Studie, die eine dramatische Versorgungslage belege. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, habe sich in den letzten 20 Jahren halbiert, sagte Wegge. "Frauen berichten von Stigmatisierungserfahrungen. Es ist schwierig, den Schwangerschaftsabbruch zu finanzieren, denn er wird von den Krankenkassen nicht übernommen. Deswegen ist es so wichtig, den Schwangerschaftsabbruch nicht im Strafrecht zu regeln, sondern endlich außerhalb."
Es habe sich gezeigt, dass die deutsche Gesellschaft hinter einer Neuregelung stehe, so Wegge. "80 Prozent der Deutschen wollen eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Es haben sich alle großen Organisationen und Verbände hinter uns gestellt, selbst die evangelische Kirche. Es gibt eigentlich kaum eine Organisation in diesem Land außer Union und FDP, die sich gegen die Neuregelung sperren und damit Politik gegen den Willen der Mehrheit der deutschen Bevölkerung machen."
Winkelmeier-Becker: Gibt legales Verfahren für einen Abbruch
Vertreter der Union im Bundestag sehen das Selbstbestimmungsrecht der Frau bereits als gegeben an. "Die geltende Rechtslage sagt ganz klar, dass wenn einfache Bedingungen eingehalten werden - nämlich die Beratung, die Wartezeit und die Einhaltung der Zwölf-Wochen-Frist -, das Recht auf Strafe komplett verzichtet", sagte die Rechtsausschussvorsitzende Elisabeth Winkelmeier-Becker von der CDU auf NDR Info.
Wegge hatte davon gesprochen, dass sich Mediziner, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, durch die Regelung im Strafgesetzbuch stigmatisiert fühlten. Winkelmeier-Becker hielt dem entgegen, dass das nur für eine geringe Zahl von Ärzten eine Rolle spiele: "Jeder weiß, und das zeigt ja auch die Praxis Jahr für Jahr, dass hier überhaupt kein Strafbarkeitsrisiko besteht, sondern dass es ein legales Verfahren für den Abbruch gibt, der dann auch medizinisch und rechtlich sicher ist."
Rechtsausschuss-Vorsitzende: Großes verfassungsrechtliches Risiko
![Die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker bei einer Rede im Bundestag. Die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker bei einer Rede im Bundestag. © dpa picture alliance](/nachrichten/info/winkelmeier102_v-contentgross.jpg)
Mit Blick auf die Möglichkeit einer Reform von Paragraf 218 unter einer neuen Regierung sagte die CDU-Politikerin: "Die Union und auch ich selbst haben immer die Position vertreten, dass es bei der geltenden Rechtslage bleiben sollte. Sie ist ein guter Kompromiss." Das Selbstbestimmungsrecht und die Selbstverantwortung der Frau würden akzeptiert. Maßgeblich sei aber die Verfassung, die Grundrecht, Lebensrecht und Menschenwürde auch für Ungeborene vorsehe.
Das Ansinnen einer Reform sei von vornherein konträr dazu gewesen. "Ich denke, dass die Antragstellerinnen das jetzt auch sehen, dass es ein großes verfassungsrechtliches Risiko gibt", so Winkelmeier-Becker. Es gebe durchaus radikalere Haltungen zum Schutz von ungeborenem Leben: "Mit Blick auf andere Länder, in denen es diesen Konflikt sehr harsch gibt, würde ich mir wünschen, dass man sich unsere Regelung vielleicht mal abschaut."
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