(115) Coronavirus-Update: Wissens-Booster für den Herbst
Wer sollte sich wann mit welchem Impfstoff boostern lassen? Die Virologin Sandra Ciesek erläutert die Anpassung der Vakzine auf Omikron-Varianten und die aktuelle Lage in der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update.
Die ständige Impfkommision empfiehlt die angepassten Omikron-Impfstoffe für die Booster-Impfungen, allerdings im Rahmen der bisher geltenden Maxime. Es gibt also keine generelle Empfehlung für einen zweiten angepassten Booster für jüngere Menschen. Was jedoch nicht heißt, dass davon ausdrücklich abgeraten wird. Und, um die Verwirrung komplett zu machen, es gibt an zwei verschiedene Varianten angepasste Impfstoffe. Für wen ergibt also was, wann Sinn? Und welche Wirkung kann man sich davon erhoffen?
Es ist viel passiert in der Welt seit der letzten regulären Podcast-Folge, denn es gibt andere wichtige Themen - auch in der Wissenschaft. Die Sommerwelle ist schon wieder abgeflacht und in der Gesamtheit ist die Bedrohungslage durch Covid eine ganz andere geworden. Aber die neu zugelassenen Impfstoffe werfen Fragen auf, die auch das Wissenschaftsteam von NDR Info schon erreicht haben. Und auch wenn Omikron tatsächlich die Gesamtlage verändert hat, mit Gelassenheit auf den Winter zu blicken, fällt vielen schwer. Denn es gibt ja im Prinzip so gut wie keine Schutzmaßnahmen mehr, Long Covid spielt weiter eine Rolle und die COSMO-Studie zeigt, dass es nach wie vor Immunitätslücken in der Bevölkerung gibt, die nicht ganz unerheblich sind. Und mit hohen Infektionszahlen steigt damit wieder die potenzielle Krankheitslast.
Über all diese Fragen spricht Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig in Folge 115 des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update mit Sandra Ciesek, der Direktorin des Instituts für medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main.
Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen
Erkenntnisse aus der COSMO-Studie zur Bevölkerungsimmunität
Aussagekraft von Corona-Zahlen
Evolutionsgeschehen und relevante Virusvarianten
Warnung vor Influenzawelle im Herbst/Winter
Bivalente Impfstoffe als Boosterimpfung
Daten zu angepassten Impfstoffen von Moderna: BA.1 und BA.5
Preprint zu BA.5: Angepasster Biontech-Impfstoff und Immunantwort nach Infektion
Wer soll sich wann erneut boostern lassen?
Abstand zwischen Impfungen bzw. Infektion
Perspektiven für nasale Impfstoffe?
Verlässlichkeit von Tests bei Omikron
Wirkung von Masken im Flugzeug
Beginn der Herbstwelle?
Korinna Hennig: Lassen Sie uns als Erstes, das ist schon aus vergangenen Zeiten eingeübt, einen kurzen Blick auf das Infektionsgeschehen werfen. Das ist mit der Frage verbunden, welcher Wert überhaupt noch was aussagt. Wir haben den R-Wert, der aktuell wieder klar über eins liegt. Also eine infizierte Person steckt rechnerisch zurzeit mehr als eine weitere an, ein Indikator für die weitere Ausbreitung. Das ist schon seit zwei Wochen so. Die Frage ist nur, in welcher Grundsituation? Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt seit ungefähr einer Woche wieder. Sehen Sie da trotzdem schon den Beginn der Herbstwelle?
Sandra Ciesek: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, man muss sich erst mal bewusst machen, was macht eigentlich eine Herbstwelle aus oder was sind die Ursachen? Da gibt es für mich eigentlich so grob drei. Das eine ist das Verhalten, alles, was man unter Verhalten summiert. Und wenn man sich die letzten zwei Jahre anschaut, kam es eigentlich immer nach den Sommerferien, wenn die Temperaturen fallen, es weiter aber große Zusammenkünfte in Innenräumen gibt, wieder zu einem Anstieg der Infektionen, weil es dem Virus einfach leichter gemacht wird, Menschen zu finden, die es infizieren kann. Das merkt man, wie ich finde, im Moment auch ganz gut im Kolleginnen- und Kollegenkreis, im Freundeskreis, dass einfach wieder mehr Infektionen da sind. Man sieht aber im Moment generell viele Atemwegsinfektionen. Man hört es auch bei mir. Und an sich nehmen Infektionen im Moment zu.
Hennig: Sie sitzen diagnostisch an der Quelle. Also man weiß bei Ihnen, es ist kein Covid.
Ciesek: Genau. Ich habe Rhinoviren. Die sind im Moment natürlich auch sehr beliebt und leider auch nicht angenehm, muss ich sagen. Aber der zweite Grund ist sicher, dass die Anzahl der empfänglichen Wirte wieder ansteigt. Was meine ich damit? Ich meine, dass bei vielen die Impfungen eine ganze Weile her sind. Die dritte Impfung war ja oft im Winter, Frühjahr dieses Jahres, also schon vor ein paar Monaten und dass auch Infektionen bei einigen schon länger her waren, gerade bei Menschen, die sich am Anfang der Omikron-Zeit infiziert haben.
Das führt natürlich auch dazu, dass sich wieder mehr Menschen leichter infizieren können als wenn sie jetzt gerade ganz frisch in den ersten Wochen nach Impfung oder Infektion wären. Sie hatten es eben schon kurz erwähnt, ich hatte in meiner Umgebung das Gefühl, dass eigentlich jeder schon Covid hatte, wahrscheinlich über 80 Prozent.
Ergebnisse COSMO-Studie
Da finde ich die Ergebnisse COSMO-Studie ganz interessant, die ja eine Quotenstichprobe von ungefähr 1.000 Personen beinhaltet, also erwachsene Personen. Und die haben gefragt, wer hatte denn schon Covid? Und da kam raus, dass bisher wissentlich 59 Prozent nicht infiziert waren. Und das hat mich wirklich überrascht. Wenn ich in meinem Umfeld gucke, das sind natürlich oft viele Eltern im mittleren Alter von Schulkindern oder Kindergartenkindern, und die waren gefühlt eigentlich alle infiziert.
Aber wenn man dann mal genauer bei den Großeltern guckt, bei den älteren Personen, die haben einfach weniger Kontakte in der Regel, weil sie vielleicht zu Hause sind, berentet sind, und da sind wahrscheinlich auch viele dabei, die noch vorsichtiger sind. Und ich denke, da sind auch noch viele dabei, die noch keine Infektion hatten. In der Studie war es auch so, dass immerhin sieben Prozent schon infiziert waren, also auch relativ wenige.
Aber wie gesagt, 59 Prozent haben angegeben, dass sie bisher nicht nachweislich mit dem Coronavirus infiziert waren. Und das ist gar nicht so wenig. Und der dritte Punkt, der eine Rolle spielt, sind die Varianten. Also wenn eine neue Variante kommt, die einen Vorteil gegenüber der alten hat, weil sie zum Beispiel mehr Immunflucht zeigt, können sich natürlich auch wieder mehr Menschen infizieren. Das kann eine Welle anschieben oder sogar auslösen. Und diese drei Faktoren muss man immer berücksichtigen, wenn man die Lage bewertet.
Hennig: Jetzt haben Sie schon eine wunderbare Zusammenfassung, einen Vorausblick auf das gemacht, was wir hier machen. Ich möchte noch mal auf die COSMO-Studie zurückkommen. Die haben wir auch schon mal im Podcast gehabt. Die wird aus Erfurt gemacht. Da geht es um Wissen, Verhalten und Einstellungen zur Pandemie in der Bevölkerung. Das wird regelmäßig abgefragt. Wenn Sie jetzt die Zahl von 59 Prozent nennen, die sich wissentlich noch nicht infiziert haben. Klar, das sind Befragungsdaten, keine serologischen, aber sie sind wichtig für die Gesamtsituation.
Bevölkerungsimmunität
Wie steht es um die Bevölkerungsimmunität? Das ist ja eigentlich auch nicht nur eine Infektion, sondern die Frage: Wie viel Kontakte mit dem Antigen, also dem Virus oder einer Impfung hatte ich? Und wenn man sich das differenziert anguckt, dann sind das auch noch mal überraschende Zahlen.
Ciesek: Ja, das hat mich auch überrascht. Das haben die natürlich auch gefragt. Die haben bei der Immunisierung eine Impfung und eine Infektion berücksichtigt, also auch die Kombination. Und da kam raus, dass mehr als die Hälfte, also 55 Prozent der über 60-Jährigen unter vier Immunisierungen haben. Das heißt, die waren entweder nur zweimal geimpft, einmal genesen oder dreimal geimpft und noch gar nicht genesen, also sie hatten noch nicht vier Kontakte inklusive Infektionen. Und das ist natürlich mehr als die Hälfte der gefährdeten Gruppe. Das macht einen dann schon, sage ich mal, so ein bisschen Sorge, wenn man an den Winter denkt.
Stiko-Empfehlung
Auf jeden Fall empfiehlt hier auch die Stiko vier Immunisierungen in dieser Altersgruppe. Und die meisten hatten aber wohl nur drei Kontakte, also dreimal immunisiert, inklusive von Infektionen. Zehn Prozent waren zum Beispiel gar nicht geimpft und 20 Prozent hatten immerhin noch unter drei Immunisierungen. Und ich denke, das sind schon so Zahlen, die ich mir anders wünschen würde, gerade für die über 60-Jährigen. Und wo man sagen muss, dass jetzt diese Lücken zu schließen, immer noch möglich ist und auch sinnvoll erscheint, weil das Virus einfach nicht verschwinden wird und man sich so einfach doch am besten schützen kann.
Hennig: Auch bei den unter 60-Jährigen hat ein Fünftel, also die Erwachsenen ab 18, aber unter 60 Jahren, weniger als drei Kontakte gehabt. Also auch nur grundimmunisiert, nicht vollständig immunisiert, zum Beispiel nur zweimal geimpft oder vielleicht auch nur infiziert. Also das sind schon Zahlen, die zeigen, wir alle überschätzen vielleicht den Grad der Durchseuchung.
RKI-Modellierung
Eine RKI-Modellierung zum Beispiel mit Stand Ende März, ging eigentlich nur davon aus, dass sieben Prozent der Bevölkerung ganz ohne Kontakt waren. Also weder Infektion noch eine Impfung. Und das war noch, bevor BA.4 und BA.5, die Omikron-Subtypen, das Ruder übernommen hatten. Vielleicht können wir noch einmal kurz die Frage stellen, was uns denn Inzidenzen und auch Testpositivquoten im Moment noch sagen, wie aussagekräftig sind sie?
Auch in der COSMO-Studie habe ich Zahlen dazu gefunden, dass mehr als ein Drittel der positiven Schnelltest nicht mehr überprüft werden. Das wiederum überrascht mich nicht so richtig. Das entspricht dem, was wir so um uns herum erleben, glaube ich. Aber 90 Prozent der PCR-Tests, die dann durchgeführt wurden, waren positiv.
Ciesek: Die COSMO-Studie hat ergeben, dass zwei von fünf, die im Antigenschnelltest positiv sind, sich gar nicht mehr eine PCR machen lassen, weil sie meistens keinen Vorteil für sich sehen oder eine Konsequenz für sich sehen. Und es dann unter sich ausmachen, sage ich mal. Und das hat auch Einfluss auf die Zahlen, die wir bekommen. Die sind natürlich nicht mehr sehr aussagekräftig. Alleine durch die unterschiedlichen Testungen, das Testverhalten, wann wird ein Test durchgeführt, wann wird er gemeldet? Und trotzdem finde ich, also die Zahlen stimmen sicherlich nicht genau, aber man sieht schon Trends, wenn man sich das genau anguckt.
Aussagekraft von Corona-Zahlen
Also zum einen sehen wir, dass die Positivrate bei der PCR steigt. Das ist für mich immer ein relativ guter Indikator oder den schaue ich mir mal genau an. Dann ist es auch so, dass wir mehr oder weniger Stichproben haben, dass wir die Krankenhausaufnahmen in den Universitätskliniken und auch in anderen Häusern noch alle testen. Das heißt, wenn ein Patient zur Augenoperation kommt oder zur Unfallchirurgie, die bekommen eine PCR. Und da sieht man schon immer, wenn die Einschläge zunehmen, also wenn zufällige Diagnosen ansteigen und die Positivrate dort ansteigt.
Das ist auch noch mal ein Marker, der eigentlich immer ganz gut mit einem Anstieg in der generellen Bevölkerung korreliert. Und natürlich haben wir auch Abwasserdaten, jetzt nicht komplett über Deutschland, aber von bestimmten Bereichen. Hier kann man auch ganz gut korrelieren, ob sich das entkoppelt von den Inzidenzzahlen. Und da sieht man ja auch, dass die Dunkelziffer relativ hoch im Moment ist und das sich das doch zunehmend auch entkoppelt. Man darf die Zahlen nicht mehr mit den Zahlen vor einem Jahr vergleichen. Aber einen Trend kann man schon erkennen, wenn man alles parallel anschaut von Krankenhausaufnahmen, Abwasser und den Inzidenzen.
Hennig: Und natürlich, wenn das Verhalten gleich bleibt und sich die Inzidenz verändert, dann sieht man ja trotzdem einen Trend, auch wenn die pure Zahl eine andere Aussagekraft hat. Ich will noch eine weitere Zahl nennen, weil ich jetzt doch beim Robert Koch-Institut aufs Dashboard geguckt habe. Es sind schon nach wie vor weiter über 100 Covid-Tote pro Tag, die gemeldet werden.
Schwere Verläufe und Immunitätslücken
Also man kann immer noch sagen, hohe Inzidenzen machen dann eben leider wegen der Immunitätslücken noch schwere Verläufe.
Ciesek: Na ja, das ist leider so. Und ich denke das wird sich auch so schnell nicht ändern in den nächsten Wochen oder Monaten, dass wir da trotzdem noch weiter Zahlen sehen werden und Menschen daran versterben.
Evolutionsgeschehen und relevante Virusvarianten
Hennig: Wir haben aber auch ein paar gute Nachrichten im Podcast. Sie hatten am Anfang zusammengefasst, von was für Faktoren es abhängt, ob und wie jetzt eine Herbst- und Winterwelle kommt und wie sie aussieht. Und einer der Faktoren war das beliebte Stichwort: Was macht die Evolution? Was für Varianten gibt es da? Gibt es viel Immunescape, also weicht das Virus der Immunantwort durch überstandene Infektion oder Impfung aus?
Und das ist ja mittlerweile echt eine komplexe Situation, weil eben für jeden was anderes gilt, Impfimmunität, Infektionsimmunität. Dann gibt es dieses schöne Wort Hybridimmunität. Also wenn man beides schon mal gehabt hat, bin ich vollständig dreimal geimpft, war ich zusätzlich infiziert. Vielleicht gucken wir auf diese Grundsituation mal mit Blick darauf, welche Varianten und Subtypen überhaupt zurzeit eine Rolle spielen.
Situation in Deutschland
Der letzte Stand, den Informierte von uns hatten, auch aus den Daten des Robert Koch-Instituts war und ist der, dass die in Deutschland dominierende Omikron-Subvariante BA.5 fast alles verdrängt hat. BA.4, BA.5 war auch für die Sommerwelle verantwortlich. Ich habe mal geguckt, laut WHO macht sie auch tatsächlich weltweit drei Viertel, soweit man das weiß, der Infektionen aus. Aber wie verlässlich kann man das für Deutschland überhaupt in der gegenwärtigen Situation sagen? Es wird ja jetzt nicht alles sequenziert.
Ciesek: Ja, genau. Man kann im Wochenbericht die Bewertung vom RKI anschauen. Da ist BA.5 auf jeden Fall im Moment der Gewinner. Die Varianten BA.2 und BA.4 machen nur einen geringen Anteil von den Sublinien aus. Es gibt aber auch Regionen außerhalb von Deutschland, zum Beispiel Indien, wo andere Sublinien beobachtet werden, zum Beispiel die BA.2.75, die eine Sublinie von BA.2 ist. Und die haben wir in Deutschland bisher kaum gefunden. Es sind über 50 Sequenzen gefunden worden bis Kalenderwoche 25. Die scheinen im Moment noch keine so große Rolle bei uns zu spielen. Mir ist auch nicht klar, das steht auch im Wochenbericht, ob die wirklichen Wachstumsvorteile auf dem Boden von BA.5 haben.
Hennig: Also ob sie ansteckender sind und Fitnessvorteile haben.
Ciesek: Genau, in der im Moment zirkulierenden Variante, weil in Indien war ja eine andere Situation. Es hat auf jeden Fall ein Wachstumsvorteil gegenüber BA.2, aber ob die sich gegen BA.5 durchsetzen kann, muss man noch schauen. Aus virologischer Sicht ist es immer einfach zu sagen, wir sequenzieren zu wenig. Ich würde gerne alles sequenzieren. Das ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich, denke ich. Und ja, wir sequenzieren im Moment in Deutschland relativ wenig, irgendwas zwischen ein und drei Prozent der Proben.
Personalsituation im Labor
Das liegt aber auch daran, wenn ich das jetzt mal aus Laborperspektive erzählen kann, dass das nicht so einfach ist. Ich muss ja im Labor sicherstellen, dass meine Patienten, Patientinnen alle eine Diagnose bekommen. Und da gibt es noch mehr als SARS-CoV-2. Da gibt es ganz viele andere Erkrankungen, natürlich andere Viren, die wir nachweisen. Und ich habe auch das Problem, dass Urlaubssaison ist und dass Menschen krank werden, also das Personal.
Das heißt, ich muss auch irgendwie eine Priorität setzen, wenn ich weiß, wir schaffen diese Woche nicht alle Tests. Natürlich kommt noch dazu, dass wir jetzt relativ viel auf Affenpocken testen, praktisch ein Test noch jeden Tag dazukommt, aber das Personal nicht entsprechend viel mehr ist. Und das führt im Kontext dazu, dass sie schon gucken: Schaffen wir das noch zu sequenzieren oder lasse ich diese doch sehr umfangreiche und arbeitsintensive Tätigkeit diese Woche aus? Und ich denke, so geht es einigen Laboren, dass man einfach guckt: Schaffe ich das noch, schaffe ich noch die anderen Sachen?
Priorisierung
Und dann priorisiert. Da ist ein HIV-Test oder eine akute Diagnose von Affenpocken wichtiger als eine Sequenzierung von alten Proben, sage ich jetzt mal so etwas provokativ. Und das ist auch der Grund, dass sich immer mehr aus diesem Geschäft der Sequenzierung wieder zurückgezogen haben. Als Virologe wünsche ich mir natürlich, dass das anders wäre und hätte gerne Zahlen von möglichst vielen, weil so werden wir nicht schnell erkennen, wenn wir Varianten haben, die ansteigen, wenn sie nicht einen bestimmten Prozentsatz überschreiten. So sind wir immer noch darauf angewiesen, im Ausland zu schauen, also in England und anderen Ländern.
Hennig: Dänemark auch, oder?
Ciesek: Genau. Die anderen Länder stellen ja ihre Daten zur Verfügung und da gucken wir natürlich auch drauf. Im Moment ist es halt einfach so. Und ich kann aus meiner Sicht jetzt für mein Labor sagen, es lässt sich im Moment bei uns auch nicht ändern. Wir versuchen natürlich, mehr zu sequenzieren. Immer, wenn genug Leute da sind und wir die Kapazitäten haben. Aber es gibt halt einfach Proben, die vorgehen, weil sie eine Akutdiagnostik sind. Und das ist der Grund, der sich auch gar nicht so schnell ändern lässt in Deutschland zum Beispiel.
Hennig: Also halten wir fest, BA.5 ist im Moment immer noch das Einzige, was uns jetzt ganz maßgeblich interessieren muss. Aber man wirft ja immer Seitenblicke, weil das unglaublich diversifiziert ist, diese ganzen Omikron-Linien, also für Laien auch ein bisschen unübersichtlich geworden ist. Zur Erklärung noch mal, weil Sie BA.2 genannt hatten: Wir hatten ja am Anfang in Deutschland BA.1, BA.2 setzte sich dann langsam durch und dann kam BA.4 und 5, die aber ganz ähnlich sind.
Fusogenität
Ciesek: Ja, wobei, da möchte ich noch einmal zusammenfassen: BA.5 und 4 hatten doch ein bisschen andere Eigenschaften. Also die haben ja schon mehr Fusogenität als BA.2. Das heißt, der Zellschaden im Gewebe war größer durch bestimmte Mutationen. Und im Tiermodell führte das dazu, dass auch die erhöhte Fusogenität zu einer erhöhten Pathogenität führte.
Hennig: Also es konnte mit der Zelle besser fusionieren und dadurch war es krankmachender?
Ciesek: Genau. Es hat einfach mehr Zellen kaputtgemacht. Und sich wohl auch wieder mehr in den tiefen Atemwegen manifestiert als BA.1 und 2 und dass auch bestimmte neutralisierende Antikörper nicht mehr so gut wirken bei BA.4, 5, die bei anderen Varianten noch gewirkt haben. Weil einfach auch der Immunescape eher zunimmt. Und das sind alles noch kleine Stufen im Verhältnis zu BA.1, 2, aber es ist schon ein bisschen anders gewesen und man hat das auch in der Klinik gemerkt, dass wieder mehr Patienten zu finden waren, die eine Pneumonie hatten.
Hennig: Aber BA.4 und 5 sind untereinander sehr ähnlich. Das war das, was ich eben meinte bei meiner Frage.
Ciesek: Ja, genau. Die sind sich sehr ähnlich, die beiden. Und im Moment haben wir vor allen Dingen BA.5. Trotzdem entwickeln diese Varianten sich aber weiter und entwickeln auf diese BA.5-Varianten noch weitere Mutationen.
Hennig: Ich schmeiße ein paar Abkürzungen in die Runde, die vielleicht ein bisschen verwirren, aber die manchen vielleicht gerade auf Social Media begegnen, die sich da auch informieren und auch in der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit ein bisschen im Fokus stehen. BA.46 hat zum Beispiel für die USA eine Rolle gespielt. Zuletzt war manchmal die Rede von BQ1.1, auch ein Abkömmling von BA.5, also von unserem Subtyp. Da würden Sie zusammenfassend aber sagen, nach allem, was man weiß, kann man jetzt erst mal noch nicht davon ausgehen, dass die so einen entscheidenden Fitnessvorteil haben. Man kann es einfach noch nicht sehen und muss das weiter beobachten.
Ciesek: Ich glaube, was sich zeigt, ist, dass es sowohl von BA.2, also BA.2.75.2, als auch von BA.5 Weiterentwicklungen gibt, die alle ein ähnliches Muster verfolgen, nämlich noch stärker Immunescape, also Immunflucht durch bestimmte Mutationen zeigen. Und das ist ja auch logisch, wenn man sich das von der Seite des Virus vorstellt, dass es versucht, weiter auszuweichen, um erfolgreich infizieren und sich vermehren zu können, was ja die Aufgabe dieses Virus ist. Und das führt bei uns natürlich zu den Problemen, dass es noch weniger Möglichkeiten hat, monoklonale Antikörper zu nutzen, weil die einfach nicht mehr so wirksam sind.
Hennig: Als Medikament für Immunsupprimierte, die sich infizieren.
Ciesek: Zum Beispiel. Das wird auch oder könnte bedeuten, dass der Ansteckungsschutz oder die Fähigkeit, sich nicht anzustecken, nach einer Impfung weiter reduziert ist. Aber da fehlen einfach noch genaue Daten. Es ist noch ein bisschen zu früh, um zu sagen, welche von denen sich jetzt hier durchsetzen wird und wie stark dann der Wachstumsvorteil ist und als Schlussfolgerung, wie groß dann eine Welle angeschoben werden könnte durch diese Variante.
Das ist noch nicht ganz klar, muss man sagen, wer da das Rennen machen wird und ob wir das dann überhaupt merken werden und wie stark wir das merken werden. Das kann man, glaube ich, im Moment noch nicht sagen. Dafür ist es einfach zu früh. Es ist aber sehr schön zu sehen, dass es auch bei Twitter beobachtet wird und genau analysiert wird. Für den Laien, glaube ich, hat es im Moment erst mal keine Konsequenz.
Delta-Variante
Hennig: Wir haben zum Beispiel auch Abwasserüberwachung in Deutschland. Spielt die Delta-Variante eigentlich gar keine Rolle mehr? Es wurde ja teilweise befürchtet, dass Delta zurückkommen könnte und das ist ja auch eine krankmachendere Variante im Vergleich zu den meisten Omikron-Typen.
Ciesek: Im Moment sehen wir das eigentlich gar nicht, dass das zurückkommt, jetzt hier in der Diagnostik oder auch in den Abwasseruntersuchungen, die wir selber machen. Und es scheint so zu sein, dass die wirklich komplett verdrängt wurde von den Omikron-Varianten. Es war immer mal die Vermutung, dass die parallel existieren oder wiederkommen. Im Moment hat man darauf keine verstärkten Hinweise.
Hennig: Jetzt kann man vielleicht noch eine verallgemeinerbare Aussage treffen, hoffe ich, nämlich auf die Frage, ob es trotzdem die Tendenzen gibt, die sich zumindest in der aktuellen Lage in der Evolution herauskristallisieren. Also die Mutationen, die man beobachten kann, passieren mehr oder weniger auf einem Teilabschnitt des Genoms, also sie betreffen das Spike-Protein. Das heißt aber, der hintere Teil bleibt mehr oder weniger konserviert, oder?
Ciesek: Genau, das ist natürlich wichtig, wenn wir an den Schutz vor schwerer Erkrankung denken. Auch andere Immunantworten spielen eine Rolle. Deshalb habe ich schon die Hoffnung, dass das auf diese T-Zell-Antworten zum Beispiel nicht so einen großen Effekt haben wird und dass es sich eher wieder auf der Wahrscheinlichkeit abspielt, sich infizieren zu können, Reinfektionen zu haben oder eine Durchbruchinfektion zu entwickeln.
Hennig: Das heißt, eine gute und eine schlechte Nachricht zugleich: Die neutralisierenden Antikörper, um die geht es dann natürlich, die sich gegen den mutierten Teil richten. Eine letzte Frage noch zur Evolution. Wie schnell geht die denn im Moment vonstatten?
Mutationsrate
Was für eine Mutationsrate kann man da beim Coronavirus beobachten? Zum Beispiel im Vergleich mit Influenza. Vom Influenza-Virus wissen wir ja, dass es sich so oft verändert, dass der Impfstoff jährlich angepasst werden muss.
Ciesek: Ja, also eine, die mich doch überrascht, muss ich sagen. Die ist doch noch recht hoch für ein Coronavirus. Das ist, glaube ich, relativ klar zu erkennen. Es gibt dazu eine Studie von Christian Drosten und Felix Drexler, die schon ein bisschen älter ist. Aber die sagen, dass die Mutationsrate noch deutlich höher ist als bei endemischen Coronaviren, aber doch niedriger als bei Influenza. Das ist eine Arbeit aus 2021.
Die Frage ist halt, wann kommen wir dahin, dass SARS-2 mal so eine niedrige Mutationsrate hat, vergleichbar mit den endemischen Coronaviren? Ich glaube, das ist sehr schwer abschätzbar. Im Moment sind alle Untervarianten basierend auf BA.2 und BA.5 oder auf Omikron. Das würde ich schon mal eher positiv bewerten, dass es sich immer noch um Anpassungen im Omikron-Bereich handelt und uns jetzt nicht eine komplett neue Variante überrascht, wie das mit Omikron selbst der Fall war. Aber das ist schwer zu sagen.
Vergleich Influenza
Ich glaube schon, dass man es nicht mit Influenza vergleichen kann. Allein, weil es virologische Gründe gibt. Es hat ein anderes Genom. Influenza hat ein segmentiertes Genom. Das heißt, die einzelnen Gen-Abschnitte werden einzeln vermehrt und auch einzeln vererbt und dadurch kann es sich immer wieder neu mischen. Das kann das Coronavirus nicht. Aber es ist doch, denke ich, deutlich mutationsfreudiger, als wir uns das so vorstellen können. Und hier spielt natürlich auch eine Rolle, dass es immer noch wahnsinnig viele Infektionen gibt und deswegen auch die Gelegenheiten für das Virus, sich viel zu verändern und anzupassen an seine Umwelt. Und das ist sehr, sehr schwer abschätzbar. Es macht mir aber vor allen Dingen, wenn es bei Omikron bleibt, weniger Bauchschmerzen, als wenn jetzt eine ganz neue Variante kommen würde.
Warnung vor Influenzawelle im Herbst/Winter
Hennig: Jetzt habe ich eben schon ein Stichwort genannt, nämlich Influenza. Weil wir alle mit Blick auf Herbst und Winter auf das Coronavirus starren und Influenza etwas ist, das vielen Ärzten und auch Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen im Moment fast eine größere Sorge ist, oder?
Ciesek: Ja, ich habe gerade vor der Podcastfolge mit einer Kollegin aus Gießen gesprochen und die meinte auch: Bei uns kommt jetzt die Influenza.
Hennig: Jetzt schon?
Ciesek: Einzelne Fälle sehen wir ja auf jeden Fall schon, das ist relativ früh, aber das werden wir jetzt weiter beobachten und natürlich darauf testen. Und wir haben auch schon Einzelfälle gehabt. Das waren dann oft Reiserückkehrer aus Osteuropa zum Beispiel, die das dann mitbringen. Und das muss man genau beobachten, weil wir ja auf der Südhalbkugel in Australien gesehen haben, dass die in ihrem Winter eine recht heftige Influenzawelle hatten, die auch viel früher kam als die typische Welle. Also normalerweise kommt die Influenza bei uns zum Jahreswechsel oder so ein Hochpunkt ist immer Karneval, ehrlich gesagt.
Hennig: Gemeinerweise.
Ciesek: Oft kann man beobachten, dass es zum Jahreswechsel und dann noch mal nach Karneval ansteigt. Und es ist gut möglich, dass das auch hier in Deutschland analog zur Südhalbkugel in Australien früher passiert, weil das Virus ja jetzt auch zwei Jahre in Deutschland kaum zirkuliert hat.
Impfzeitpunkt Influenza
Das muss man genau beobachten, denn das ist natürlich wichtig für alle, die sich gegen Influenza impfen lassen. Ich habe mich immer relativ spät zum Beispiel selbst impfen lassen, immer auch so zum Jahreswechsel. Man hat ja so ungefähr nach zehn Tagen nach der Impfung den Schutz.
Hennig: Der hält auch nicht ewig. Auch da muss man sagen, deswegen nicht zu früh impfen.
Ciesek: Genau. Deswegen ist es jetzt wichtig, glaube ich, dass auch gerade die Hausärzte, Hausärztinnen auf die veröffentlichten Zahlen schauen, wann geht die Influenzasaison los? Und dann vor allen Dingen erst mal schnell ihre Risikopatienten impfen, die eine Indikation haben und die eine Impfung möchten.
Situation in Australien
Weil es sein kann, dass es so wie in Australien ist, dass es viel früher kommt. Und wenn man sich die Zahlen anguckt, in Australien waren es auch recht viele Infektionen. Also die haben die Welle hinter sich, die gehen ja jetzt auch in den Sommer. Aber wenn man das hochrechnet auf Deutschland, würde das bei unserer Einwohnerzahl ungefähr bedeuten, dass wir um die 700.000 Infektionen zu erwarten hätten.
Und das ist verdammt viel für Influenza, auch für uns. Es wäre schon eine wahrscheinlich spürbare Welle an Infektionen. Und auch eine Influenza ist eine Erkrankung, die einfach nicht angenehm ist, die zu Arbeitsausfällen führt, die die Leute mal ein, zwei Wochen ins Bett bringt.
Hennig: Und für Risikogruppen bedrohlich, auch für Ältere.
Ciesek: Ja, nicht nur für Risikogruppen. Man muss sagen, bei Influenza gibt es auch leider immer wieder junge Leute, die schwerst erkranken, wo man gar nicht genau weiß, warum, und die auch daran versterben können. Das ist keine harmlose Erkrankung. Oft höre ich: "Wenn ich mich gegen Influenza impfen lassen habe, habe ich die Grippe bekommen." Das sind dann meistens, so wie ich es jetzt habe, Rhinoviren. Aber die echte Influenza ist schon auch was, was man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Und es gibt auch ganz klare Empfehlungen, bei der Stiko zum Beispiel.
Empfehlung für Menschen mit vielen Kontakten
Es gibt auch eine Empfehlung für Menschen, die viele Kontakte haben, wie die, die im Verkauf zum Beispiel arbeiten. Einfach, weil man weiß, dass man dadurch die Transmission eher verhindern kann. Die Influenza hat schon heftige Wellen ausgelöst. Das tut es immer wieder, alle paar Jahre. Und darunter leidet natürlich auch das Gesundheitssystem. Und da wir jetzt zwei Jahre fast gar keine Zirkulation hatten, ist es schon so, dass wir in nächster Zeit mit einer Welle rechnen.
Wir können natürlich nicht sagen, ob die dieses Jahr kommt. Das ist so ein bisschen abhängig von den Maßnahmen, die die Leute noch ergreifen. Wir haben gesehen, dass da auch Masken einen Effekt haben und die generelle Hygiene. Irgendwann wird das aber kommen und es wird sich auch wieder in einer Welle niederschlagen. Und wie gesagt, in Australien war das diesen Winter auf der Südhalbkugel. Ob es jetzt bei uns so kommt, ist zumindest nicht auszuschließen.
Hennig: Man muss noch dazusagen, die Stiko empfiehlt die Influenza-Impfung noch nicht für alle.
Rolle von Kindern bei Influenzazirkulation
Es ist aber schon so, dass auch gerade im vergangenen Jahr, als es ja noch nicht so eine Rolle gespielt hat, viele Ärzte, auch Kinderärzte und -ärztinnen dazu geraten haben, auch die Kinder zu impfen. Denn es ist anders als beim Coronavirus, da spielen sie für die Verbreitung schon auch noch mal eine größere Rolle, weil man es ihnen oft gar nicht anmerkt, wenn sie das Virus mit sich rumtragen und sie es aber viel verbreiten können, oder?
Ciesek: Ja, also bei Influenza ist das so. Andere Länder haben auch Empfehlungen für Kinder.
Nasaler Impfstoff für Kinder
Es gibt für Kinder auch einen nasalen Impfstoff. Das ist vielleicht ganz interessant für die Eltern, dass man gar nicht piksen muss, sondern das als Nasenspray, Nasengel benutzen kann und dann dazu beitragen kann, einen gewissen Schutz aufzubauen. Wenn Kinder das erste Mal geimpft werden und unter neun Jahre sind, müssen sie zweimal geimpft werden.
Und da ist es ganz gut, wenn man das mit seinem Kinderarzt bespricht, weil es zum Beispiel auch ein Grund sein kann, wenn im Haushalt jemand lebt, der gefährdet ist, oder wenn das Kind in einer großen Einrichtung ist mit ganz vielen anderen Kindern, wo auch kritische Kinder sind oder kritische Bereiche sind, dass man dann sagt: "Nein, ich lasse mein Kind auch gegen Influenza impfen." Und es ist richtig, es gibt im Moment von der Stiko keine klare Empfehlung. Ich glaube, vor zwei Jahren haben es die Kinderarztverbände aber empfohlen. Und es ist auch so, also das gilt generell heute für alle Themen, die wir besprechen, wenn es keine Empfehlungen gibt, heißt es nicht, dass man das nicht machen darf. Im Grunde genommen kann das jeder für sich selbst entscheiden.
Hennig: Viele Kinder hatten jetzt eben durch die Maßnahmen noch nie in ihrem Leben Kontakt mit einem Influenza-Erreger. Vielleicht noch eine Zusatzinformation, weil es auch nicht mehr alle auf dem Zettel hatten. Ich musste es nämlich auch tatsächlich noch mal nachgucken.
Zweifach-Impfung: Influenza und Corona
Man kann sich jetzt als ältere Person, wenn man sich jetzt noch mal gegen das Coronavirus boostern lässt, auch zeitgleich mit Influenza impfen lassen.
Ciesek: Genau, das sind die Empfehlungen aus dem letzten Jahr, dass da kein Problem besteht. Wenn man zum Beispiel nicht viel Zeit hat und nur einmal zum Arzt möchte, kann man das kombinieren.
Hennig: Jetzt habe ich mir mit dem Halbsatz "Wenn man sich noch mal boostern lässt" eine schöne Überleitung zu unserem Thema gebaut, auf das wahrscheinlich die meisten, die uns zuhören, gespannt sind, weil sie am ehesten noch Fragen dazu haben.
Omikron-angepasste Impfstoffe
Nämlich: an Omikron angepasste Booster-Impfungen. Welche für wen und wann? Wir haben jetzt bivalente Impfstoffe von Moderna und Biontech, die mRNA-Impfstoffe. Bivalent, weil sie zwei Wirkarme haben, zur Hälfte mit mRNA, die für das Spike-Protein des Wildtyps kodiert, also an dem alten Virus orientiert ist, und zur anderen Hälfte angepasst an die Omikron-Variante. Und zwar, jetzt wird es ein bisschen komplizierter, jeweils entweder an die Variante BA.1 oder an BA.5, die ja unsere Variante im Moment ist, die hier dominiert.
Moderna gibt es bisher nur für BA.1, BA.5 soll aber auch bald folgen. In den USA ist das schon zugelassen. Im Falle von Biontech sind aber beide Impfstoffe schon zugelassen. Und man hört, dass auch der BA.5-Impfstoff in einigen Arztpraxen in der kommenden Woche verfügbar sein wird. Jetzt muss man eins dazusagen: Diese bivalenten Impfstoffe sind grundsätzlich nur als Booster zugelassen, also nicht für die Grundimmunisierung. Man muss zwar davon ausgehen, dass sich vielleicht gar nicht so viele Leute grundimmunisieren lassen, aber es sind ja auch welche nachgewachsen. Kinder, die jetzt das zwölfte Lebensjahr überschritten haben und noch mal einen Booster kriegen.
Oder auch Kinder über fünf, die da geimpft werden. Das ist nach wie vor der monovalente Wildtypimpfstoff für die Grundimmunisierung. Da muss man aber kurz mal erklären, für bivalent hat man sich entschieden, weil man nicht sicher sein konnte, welche Variante, welcher Subtyp sich durchsetzen würde, oder? Also für bivalent als Booster.
Ciesek: Ja, ich habe mir da auch Gedanken drüber gemacht, als ich diese Frage bekommen habe. Und habe dann noch mal zurückgedacht, als Ende 2021 Omikron auftauchte, da wurden wir ja doch überrascht von dieser Variante. Und damals haben viele Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen noch gesagt: Ja, wir können uns vorstellen, dass Delta und Omikron koexistieren und dass Delta zurückkommt und dass wir wieder eine auf Delta beruhende Variante bekommen. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern können, aber ich habe das noch im Ohr. Das wusste damals ja auch wirklich keiner. Und es war eine Möglichkeit. Ich glaube, man muss sich entscheiden, welchen Impfstoff man macht in dem Moment.
Bivalente Impfstoffe
Damals hat man sich anscheinend deshalb dafür entschieden, auf diese bivalenten Impfstoffe zu setzen, einfach, um sicher zu sein, wenn Delta oder eine ähnliche Variante zurückkommt, und wenn man das jetzt retrospektiv betrachtet, ist das natürlich sinnvoll. Stellen Sie sich vor, wir hätten jetzt alles auf Omikron gesetzt und dann wäre jetzt schon wieder Delta da. Dann wäre das nicht klug gewesen oder aus damaliger Sicht nicht klug gewesen, weil man einfach noch nicht die Ergebnisse hatte, die dann monovalente und bivalente Impfstoffe wirklich hervorrufen.
Und wenn man sich zum Beispiel jetzt Influenza anschaut, das ist ja sogar ein tetravalenter Impfstoff, wo vier verschiedene Strings drin sind von verschiedenen Viren. Und daran sind wir natürlich gewöhnt. Das ist unsere Erfahrung, dass das kein Problem ist oder sogar einen Vorteil hatte. Und ich glaube, da hat man sich einfach auch ein bisschen von dieser Erfahrung leiten lassen und das deshalb so entschieden. Und das ist aus der damaligen Sicht sicherlich nachvollziehbar, warum man jetzt sagt, man mischt die. Nun ist es aber ja anders gekommen. Und statt, dass wir Delta und Omikron haben, haben wir halt Omikron und dessen Sublinien, die das Infektionsgeschehen einfach beherrschen, und das weltweit.
Und natürlich kann man jetzt sagen, im Nachhinein hätte man auf die alte Komponente verzichten können, aber im Nachhinein ist man leider immer schlauer. Ich denke, das zeigt auch noch mal, wie wenig vorhersehbar für uns die Virusevolution ist und war. Und ich denke, man muss jetzt einfach das Beste draus machen. Und das ist nun mal bivalente Impfstoffe zu verwenden, weil wir die in monovalent leider nicht zur Verfügung haben.
Und dass man vielleicht für die nächste Saison daraus lernt und beide Varianten oder nur die monovalente Variante herstellt. Wobei, wie gesagt, die Evolution ist unberechenbar und das kann auch dann wieder falsch sein. Ich glaube, das war so ein bisschen die Geschichte dahinter, warum es dazu kam, dass die bivalent entwickelt wurden.
Hennig: Wer weiß, wozu es noch mal gut ist. Jetzt muss man aber sagen, das hat schon so ein bisschen einen Nachteil, weil es jeweils eine niedrigere mRNA-Dosis hat, weil man die ja zweiteilen muss. Also 30 Mikrogramm mRNA im Biontech-Impfstoff teilt sich dann auf 15 Mikrogramm für den Wildtyp, die 15 für Omikron.
Ciesek: Ja, also wir gehen gleich noch auf die ersten Daten, die es dazu gibt, ein. Aber es muss jetzt kein riesiger klinischer Nachteil sein, weil natürlich die Gesamtmenge die gleiche ist und auch die alten Varianten ja nicht völlig ohne Effekt sind.
Hennig: Vor allem gegen schwere Verläufe.
Ciesek: Das sowieso auch. Wie gesagt, wenn wir uns die Daten genau angucken, sieht man schon Unterschiede. Aber die Frage ist ja auch immer, sind die im wahren Leben wirklich so ausgeprägt, wie in Experimenten?
Daten zu angepassten Impfstoffen von Moderna: BA.1 und BA.5
Hennig: Dann fangen wir doch mal an mit den Daten, und zwar der Reihe nach. Also für die Anpassung an den Omikron-Subtyp BA.1 bei Moderna und Biontech gibt es klinische Daten, also an Menschen getestet, schon veröffentlicht, an mehreren 100 Menschen. Aber für den an BA.5 angepassten Impfstoff bei beiden Herstellern bisher nur Tierdaten.
Warum sagt man trotzdem, das ist eigentlich kein Problem? BA.5 kann man trotzdem dem Menschen verabreichen, ohne noch mal eine umfangreiche Zulassungsstudie zu machen.
Ciesek: Wie Sie eben schon gesagt haben, gibt es für BA.1 im "New England Journal" ganz aktuell eine Studie, an der um die 800 Leute teilgenommen haben.
Hennig: Für den Moderna-Impfstoff?
Ciesek: Für den Moderna-BA.1 bivalenten Impfstoff. Der Booster wurde im Schnitt viereinhalb Monate nach der dritten Impfung gegeben, also recht früh. Und die konnten zeigen, dass die in dieser Studie erst mal nicht mehr Nebenwirkungen oder Sicherheitsbedenken gehabt haben an diesen Personen, die da eingeschlossen waren.
Reaktogenität
Das Profil war gleich zu dem vorherigen Impfstoff, und auch die Reaktogenität war ähnlich zum alten Impfstoff. Die haben natürlich auch auf die neutralisierenden Antikörper geschaut. Hier haben sie gesehen, dass neutralisierende Antikörper gegen BA.1 häufiger zu finden waren bei dem bivalenten Impfstoffen, wie man sich auch gut vorstellen kann. Und auch gegen BA.4, 5 waren mehr Antikörper, mehr neutralisierende Antikörper gegen BA.4, 5 nachweisbar, als wenn man den alten Impfstoff verwendet hat.
Hennig: Schon bei dem, der an BA.1 angepasst ist, und nicht an BA.4, 5.
Ciesek: Genau, aber, jetzt kommt das Aber. Es ist ungefähr bei beiden 1,5-fachen mehr Antikörper, was jetzt nicht einem Faktor zehn oder so entspricht, sondern es ist ein leichter Effekt. Und die neutralisierenden Antikörper gegen BA.4, 5 waren insgesamt niedriger. Wenn man das in Werten anguckt, waren das gegen BA.1 2.300 oder 2.400 und bei BA.4, 5 727.
Und das ist schon so, dass man vermuten muss, dass das nicht dauerhaft ausreicht, um vor einer Infektion zu schützen, weil die natürlich, das wissen wir ja auch von vorherigen Daten, nach gewisser Zeit, nach ein paar Wochen wieder abfallen. Und 700 an sich schon jetzt nicht so viel ist. Wenn das noch abfällt, wird man sicherlich keine sterile Immunität erreichen. Und auch in der Studie haben die schon gesehen, dass in beiden Gruppen sowohl mit dem angepassten Impfstoff als auch mit dem konservativen Impfstoff Leute eine Durchbruchinfektion hatten, also sich infiziert haben.
Hennig: Und zwar fast gleich viel in beiden Gruppen, oder?
Ciesek: Genau. Aber im Grunde genommen hat man in dem Paper auch keine großen Unterschiede von auftretenden Beschwerden gesehen. Das ist ja auch wichtig. Das sind halt die ersten klinischen Daten, die wir dazu gesehen haben, weil es ja einfach auch Menschen gibt, die sagen: Ich lasse mir auf gar keinen Fall einen Booster geben, wenn es keine klinischen Daten gibt. Dann wäre sicherlich der BA.1 von Moderna etwas, wo es diese Daten schon gibt.
Hennig: Jetzt muss man sagen, das ist ja auch ein bisschen psychologischer Faktor, dass einem die Situation irgendwie zu unsicher ist, aber bei der Influenza-Impfung zum Beispiel macht man es ja auch so, dass nicht jedes Jahr neue große klinische Phasen gemacht werden und der Impfstoff getestet wird, sondern angepasst. Das ist einfach ein Baustein, der ausgetauscht wird, kann man laienhaft sagen, oder?
Ciesek: Der Backbone, der große Teil der Impfung ändert sich gar nicht, sondern nur die Sequenz wird angepasst. Auch bei Influenza ist es so, dass nicht jedes Mal eine klinische Studie gefordert wird. Das liegt auch daran: Wenn wir das immer machen würden oder wenn man das in diesem Fall gemacht hätte, dann sehen wir, dass wir jetzt gerade die ersten Daten zu BA.1 bekommen und sind aber in der Virusevolution schon bei BA.5 und den Nachfolgern, dann ist die Gefahr im Moment zumindest so stark, dass wir einfach hinterherlaufen. Das muss man ganz klar sagen.
Der BA.1-Impfstoff ist eigentlich schon nicht mehr der Impfstoff oder die Variante, gegen die wir einen Impfstoff suchen, nämlich BA.5 im Moment. Und das ist ein Problem oder das ist auch eine Zwickmühle, muss man sagen. Natürlich braucht man die klinischen Daten. Ich verstehe auch, wenn Leute sagen, ich möchte die sehen, weil sie aus anderen Gründen vielleicht nicht so ein hohes Risiko haben und dann sich für diesen Impfstoff entscheiden, der diese klinischen Daten schon vorlegen kann. Aber auf der anderen Seite sind wir dann immer einen Schritt zu langsam gewesen. Und die BA.4-, 5-Studien, die laufen ja.
Es ist jetzt nicht so, dass die einfach zugelassen wurde und es ist egal, was danach passiert, sondern natürlich sind die im Moment am Laufen. Aber es wird noch ein paar Wochen, Monate dauern, bis wir da die Daten sehen können. Deswegen ist das, denke ich, nicht ganz einfach zu fordern: Ich will die klinischen Daten haben. Klar, das kann man fordern, kann man für sich selber ja auch entscheiden.
Langsamer als das Virus
Aber man muss einfach damit rechnen, dass man dann ein oder zwei Schritte langsamer ist als das Virus. Und es ist genau richtig, wir haben zum einen Influenza, wo einfach immer nur der Impfstoff angepasst wird. Und wir haben noch ein bisschen mehr. Wir haben ja Daten von Patienten, die genesen sind. Das heißt, da waren wir ja auch beteiligt als unser Institut, und haben uns BA.1-, BA.2- und BA.5-Genesene angeschaut, sozusagen als Modell, um zu sehen, welche Varianten die Immunantworten, die da entstehen, abdecken, ob die breit sind, ob die schädlich sein könnten.
Natürlich ist das nicht das Gleiche, aber auch ein weiterer und wichtiger Baustein, um zu lernen, wie die Immunantwort auf den Impfstoff sein werden. Die regulatorischen Behörden haben in dem Fall dann entschieden, dass das für eine Zulassung ausreichend ist. Die Stiko hat ja auch ihre Empfehlungen angepasst, entschieden, dass sie diese Update-Impfstoffe empfehlen. Und die klinischen Studien, die laufen werden sicherlich in den nächsten Wochen oder Monaten nachgeliefert.
Hennig: Trotzdem noch mal gefragt, die Anpassung an Omikron, jetzt auch an BA.1, dafür waren aber schon klinische Daten gefordert, weil da die Sequenz noch größer ist, die man anpassen muss gegenüber dem Wildtyp-Impfstoff?
Ciesek: Genau. Das ist wichtig, dass Sie es noch mal erwähnen. Natürlich ist der Schritt von Delta oder vom ursprünglichen Virus nach Omikron ein viel größerer Schritt gewesen, als jetzt der von BA.1 nach BA.5. Und natürlich ist auch richtig, dass man die bei BA.1 vorlegt, weil das zwar nicht ein anderes Spike-Protein ist, aber doch viele Mutationen hat, eine ganze Reihe von Mutationen. Aber zwischen BA.1 und BA.4, 5 sind gar nicht mehr so viele. Deshalb geht man davon aus, dass das ein sehr ähnlicher Impfstoff ist mit ähnlichen Eigenschaften.
Hennig: Dann müssen wir der Vollständigkeit halber aber schon noch mal dazusagen, dass es nicht so ist, dass es bei Moderna für den an BA.5 angepassten Impfstoff gar keine Daten gibt. Es gibt eben nur noch keine veröffentlichten klinischen Daten. Aber es gibt Daten aus dem Tierversuch.
Ciesek: Ja, die haben vor allen Dingen den BA.1, BA.5 mit der alten Variante verglichen. Und genau, da ist es so, dass der angepasste Impfstoff besser abschneidet als die alten Varianten bei bisher naiven Mäusen, die bisher noch keinen Kontakt hatten.
Preprint zu BA.5: Angepasster Biontech-Impfstoff und Immunantwort nach Infektion
Hennig: Wir kommen zu dem für uns vielleicht fast noch wichtigeren Thema, dem Biontech-Impfstoff, der an BA.5 angepasst und in Deutschland ja schon zugelassen ist und sehr bald verfügbar. Sie haben es schon angedeutet, da ist ein Paper erschienen, an dem Sie mit Ihrem Institut auch beteiligt waren.
Das ist nur ein Preprint, noch nicht begutachtet. Normalerweise äußern Sie sich hier im Podcast eher nicht so viel zu Ihren eigenen unbegutachteten Daten. Wir wollen das hier aber trotzdem unbedingt besprechen, weil das nun mal die einzigen derartigen und neuesten Daten zu dem Biontech-Impfstoff in dieser Lage sind.
Ciesek: Wir waren auch gar nicht bei dem Impfstoff beteiligt. Unsere Daten sind eigentlich nur die von den BA.5-Genesenen, weil wir die natürlich sehen und in einer Studie eingeschlossen haben. Das haben wir ja auch für BA.1 und BA.2 schon gemacht. Das sind eigentlich erst mal so die Grundbausteine auch für die Vakzine-Entwicklung, denn Sie wollen ja erst mal wissen: Wie sieht überhaupt die Immunantwort aus, die ein Genesener macht? Ist die irgendwie schädlich? Was ist zu erwarten?
Ein Impfstoff sollte natürlich genauso gut sein wie eine natürliche Infektion oder bessere Antikörper induzieren. Deswegen haben wir da zusammen mit Biontech, auch mit der Uni Mainz und Uni Frankfurt, schon länger Studien gemacht. Unser Teil in dieser Studie ist eigentlich nur dieser BA.5-Genesenenteil. Und mit dem Impfstoff haben wir jetzt selber gar nicht gearbeitet. Der steht uns auch leider nicht zur Verfügung. Das sind dann die Teile, die wirklich nur bei Biontech laufen.
Hennig: Aber es liest sich auch für Laien, finde ich, ganz spannend, weil es diese Mausdaten zum Impfstoff mit der Immunantwort aus dem echten Leben nach einer Infektion kombiniert. Und da kann man so ein bisschen quer Schlussfolgerungen ziehen. Und noch ein kleiner Disclaimer: Wir würden das natürlich hier auch nicht besprechen, wenn wir nicht schon gesehen hätten, dass sich auch andere Virologen und Mikrobiologen und Immunologen zu diesem Preprint geäußert haben.
Ciesek: Genau. Was man auch gesehen hat, ist, dass die Daten, also die Immunantworten aus unseren Patienten, Patientinnen mit BA.5-Infektion ähnlich sind wie die, die man dann sah, wenn man im Mausmodell eine Impfung durchgeführt hat. Und das ist natürlich ganz wichtig, dass man ähnliche Muster erkennt. Und wenn man mal die Genesenen-Daten, alle drei Publikationen, die es da mittlerweile gibt, zusammenfasst, dann war BA.1 sehr schmal, die Antwort, eigentlich nur auf BA.1, BA.2 war schon etwas breiter und BA.5 sieht man jetzt, dass eigentlich eine Immunantwort, die alle Varianten von BA.1 bis 5 umfasst, sehr gut eine Antwort induziert. Also das es einfach das Breiteste ist, was man erreichen konnte.
Und das macht ja auch Sinn. Wenn man sich die Evolution anguckt, ist ja erst BA.1 entstanden, dann BA.5. Und als BA.1 war, konnte ja BA.1 das selber noch nicht wissen, wo es sich hin entwickelt, blöd gesagt. Aber das macht schon Sinn, dass das natürlich bei der letztaufgetretenen Variante am breitesten ist und bei der ersten am schmalsten. Und das konnten wir in den Patienten, Patientinnen sehr gut sehen. Die werden jetzt auch noch beobachtet im weiteren Verlauf. Und das ist unser Part dabei.
Biontech: Zwei Experimente
Bei den Impfstoffen hat Biontech zwei verschiedene Experimente gemacht. Das eine ist, sie haben Mäuse zweimal immunisiert und dann als Booster verschiedene Impfstoffe verwendet, also einmal den alten, konservativen, dann monovalente für BA.1 und BA.4, 5 und dann noch mal bivalente, von denen Sie gerade berichtet haben, wo jeweils die Hälfte drin ist von BA.1 bzw. BA.4, 5 und der ursprünglichen Variante, aber die Gesamtmenge an mRNA die gleiche ist. Und wenn man sich das jetzt anguckt und das als Booster verwendet, dann sieht man grob gesagt die besten Ergebnisse eigentlich für den monovalenten BA.4-, 5-Impfstoff. Die induzieren für alle getesteten Varianten, inklusive BA.4, 5, BA.1, BA.2 und BA.2121 die meisten neutralisierenden Antikörper.
Hennig: Das passt genau zu den Erkenntnissen, die Sie aus der Genesenen-Antwort haben.
Ciesek: Genau. Und wenn man sich dann BA.1 monovalent anschaut, ist es genauso, wie wir es auch gesehen haben. Die haben gute Antworten gegen BA.1. Die Antworten gegen BA.2 sind okay und nicht so gute Antworten gibt es gegen BA.4, 5. Und das ist genau das, was wir auch gesehen haben. Und bei den bivalenten Impfstoffen ist es jetzt so, dass die beide nicht ganz so effektiv sind in der Entwicklung von neutralisierenden Antikörpern, gerade gegen BA.4, 5 wie der monovalente. Und sich auch gar nicht so groß unterscheiden, muss man auch ehrlich sagen.
Monovalenter Impfstoff
Die sind sicherlich ähnlich, aber am besten war da der monovalente Impfstoff, der uns aber gar nicht zur Verfügung steht. Deswegen ist meine Schlussfolgerung, dass man das in Zukunft wirklich überdenken muss, ob man nicht auch diese Variante prüft, doch auch eine monovalente Variante zu machen.
Hennig: Da meinten Sie jetzt den monovalenten Impfstoff, also ein sozusagen fiktiver, also in dem Versuchsaufbau natürlich nicht, aber ein monovalenter BA.5-Impfstoff, den wir eben in der realen Welt noch nicht haben.
Ciesek: Ich meine, ich bin ja auch nicht die Firma und kann das entscheiden, aber ich fürchte, dass das für diese Saison einfach zu spät ist. Ich glaube eher in Zukunft gedacht, wenn BQ.1 oder wie auch immer die dann heißen werden, kommt und man sich entschließt, man will den Impfstoff anpassen, dass man dann sagt: Wir machen jetzt auch eine monovalente Form, einfach zur Sicherheit, weil ja auch die Impfschemata und die Genesenen-Schemata von den Personen immer komplexer werden. Und dass man sagt, ich will gar nicht mehr die alte Antwort triggern, sondern nur die neue und das ist im Moment schwierig zu entscheiden. Aber es würde, glaube ich, anhand der ersten Daten, die wir hier sehen, auf jeden Fall sinnvoll sein, dass man das doch noch mal überdenkt, ob das richtig war.
Hennig: Das passt ja dann auch ein bisschen so zum Verlauf. Also wenn man jetzt mal mich als Beispiel nimmt, ich habe Ende Januar eine Omikron-Infektion gehabt, mit großer Wahrscheinlichkeit mit BA.1, weil es da auch bei uns in der Familie so eine Varianten-PCR gab. Da ist erstens schon sehr viel Zeit seitdem vergangen, die Antikörper haben wahrscheinlich schon nachgelassen, dann wäre natürlich so ein monovalenter BA.5-Booster, wenn ich denn noch einen weiteren haben wollte, viel passgenauer, oder?
Ciesek: Ja, eine Einschränkung muss man, glaube ich, mal generell sagen. Es geht jetzt auch viel auf Twitter und was das bedeutet, wir messen hier halt neutralisierende Antikörper, von denen her ist es passgenauer. Ob das wirklich eine klinische Konsequenz hat, dass Sie davon einen Vorteil haben in der Wirksamkeit oder in der Dauer der Wirksamkeit, das kann ich nicht sagen. Das ist auch total schwer zu untersuchen und dauert einfach natürlich auch noch. Das wird sicherlich in den nächsten Monaten untersucht werden.
Ich glaube, es ist auch nicht ganz so korrekt, sich nur auf einen Wert, der im Serum gemessen wird, zu fokussieren und zu sagen: Ich möchte aber jetzt den Wert erreichen. Und der andere ist irgendwie 0,8 Punkte schlechter, deswegen will ich den Impfstoff nicht haben. Ich weiß nicht, ob das verständlich ist, aber das ist halt ein einziger Punkt, den man da misst. Und es gibt einfach noch ganz viele andere Dinge, die eine Rolle spielen.
Schutz vor schwerer Erkrankung
Wo wir auch immer wieder drüber sprechen, ist ja der Schutz vor schwerer Erkrankung. Und der ist sicherlich, auch wenn sich jetzt jemand gerade mit dem alten Impfstoff hat impfen lassen, nicht unbedingt schlechter. Im Moment zumindest gibt es da keine Daten, dass das ein Nachteil wäre, weil die einfach noch fehlen, muss man sagen.
Hennig: Es wurde ja schon Leuten mit hohem Risiko in den letzten Wochen geraten, bevor sie sich jetzt anstecken und vielleicht ein Risiko auf einen schweren Verlauf haben, lieber noch mit dem BA.1 angepassten boostern.
Ciesek: Wir sehen ja auch bei dem alten Impfstoff einen Anstieg. Die werden sicherlich nicht ganz so effektiv gegen eine Ansteckung geschützt sein. Wobei ich auch wieder einschränkend sagen muss: Was heißt das? Dass Sie sich ein paar Wochen länger nicht anstecken? Oder dass die Viruslast höher sein kann? Das ist alles möglich. Aber das heißt jetzt nicht, dass das ein großer Fehler war und man jetzt irgendwie hätte warten sollen. Zumindest im Moment kann man das klinisch nicht sagen.
Und die vierte Impfung haben gerade die über 70-Jährigen schon mit dem alten Impfstoff machen lassen. Da muss man jetzt einfach gucken, wie man weiter vorgeht. Da sprechen wir ja auch gleich noch drüber. Vielleicht noch ergänzend zu dieser Studie, also der dritte Teil von Biontech sind ja naive Mäuse. Das ist auch noch mal ein interessanter Aspekt, dass bei naiven Mäusen, das heißt, die hatten noch nie Kontakt mit dem Virus...
Hennig: Und waren auch nicht geimpft.
Ciesek: Genau, die gar keinen Kontakt hatten. Der bivalente Impfstoff mit BA.4, 5, dass der die breitesten Antworten gegen alle Varianten gemacht hat, auch gegen die ursprünglichen. Sodass eigentlich, das hatten Sie ja auch schon kurz erwähnt, eine bivalente Variante natürlich auch nicht dumm zu haben ist, gerade für Menschen, die noch nicht geimpft sind. Das sind natürlich wenige, die noch nicht geimpft sind und sich jetzt dafür entscheiden. Das ist mir klar.
Aber natürlich, dass hatten Sie ja kurz erwähnt, gibt es doch auch Kinder, die zwölf werden und dann das erste Mal geimpft werden sollen. Da gibt es im Moment noch keine Zulassung für. Aber nach den Daten werden die Behörden ja sehen, dass es vielleicht da auch Anpassungen geben wird oder neue Aspekte berücksichtigt werden. Ich glaube schon, dass das für zukünftige Strategien für die Impfung extrem wichtig sein wird, sich noch mal genau anzugucken und zu korrigieren und anzupassen, insbesondere zum Beispiel auch wirklich bei älteren Kindern, die sich das erste Mal für eine Impfung entscheiden.
Hennig: Das heißt, es ist eine paradoxe Situation. Eigentlich hätten wir es im Moment schon gerne andersrum, also dass bivalente Impfstoffe für die Grundimmunisierung auch zugelassen wären und dass wir noch zusätzlich einen monovalenten Impfstoff für die Booster-Impfung hätten. Aber es ist jetzt so gekommen, dass es erst mal anders herum ist.
Ciesek: Aber wie gesagt, das sind jetzt die ersten Daten, die das nahelegen. Natürlich werden da noch mehr Daten entstehen, dann wird sich das festigen. Dann werden sicherlich auch die Behörden ihre Schlüsse daraus ziehen. Das dauert einfach immer ein bisschen länger, als sich das jeder wünscht. Wie gesagt, im Nachhinein ist man auch immer klüger. Man muss jetzt einfach das Beste aus der Situation machen und man kann sie nicht mehr ändern.
Wer soll sich wann erneut boostern lassen?
Hennig: Ich finde eine Sache ganz interessant, weil wir wollen jetzt mal zu der konkreten Fragestellung kommen, für wen denn und wann? Wer sollte oder könnte sich denn mit dem angepassten Impfstoff, idealerweise dann womöglich mit dem BA.5-Impfstoff, wenn man da keine Bedenken hat wegen der klinischen Daten, noch mal boostern lassen?
Wir haben am Anfang darüber gesprochen, dass es diese ganz großen grundsätzlichen Immunitätslücken gibt. Und wer nur zweimal geimpft ist und sich obendrein auch noch nicht wissentlich infiziert hat, der sollte einfach als Booster den angepassten Impfstoff nehmen. So hat es die Stiko tatsächlich auch empfohlen. Aber ich finde ganz wichtig, dass der BA.5-Impfstoff und vor allen Dingen auch die Immunantwort auf die Infektion mit BA.5 den breitesten Schutz macht. Auch, wenn ich im Sommer selbst eine BA.5-Infektion hatte, wäre dann der trotzdem am sinnvollsten, oder?
Ciesek: So sehe ich das im Moment, dass das einfach die letzten Varianten sind, die auch zirkulieren. Und wenn man jetzt gerade eine Infektion hatte, letzte Woche mit BA.5, hat man jetzt erst mal noch ein paar Monate Zeit und kann erst mal mehr oder weniger beruhigt der Virusevolution zuschauen. Aber sonst ist das prinzipiell richtig, dieses Schema, dass man natürlich die letzte Variante nimmt, die die breiteste Abdeckung machen würde und vielleicht auch schon zukünftige Varianten mit abdeckt. Das erwartet man schon. Das legen ja auch die Daten von Moderna und von Biontech nah.
Ich werde diese Frage natürlich dauernd gefragt: Wer soll sich jetzt impfen lassen? Und ich bin zunehmend etwas defensiv, weil es ist einfach total schwierig geworden, um das mal ehrlich zu sagen. Die Zeiten haben sich einfach wahnsinnig geändert. Die Priorisierung hatte für uns Mediziner, dass alle dreimal nach Schema geimpft wurden. Es gibt ja auch eine klare Empfehlung für diese Grundimmunisierung ab zwölf von der Stiko. Und heute ist aber dieses Bild einfach wirklich anders, weil es gibt halt schon relativ viele, die jetzt eine Infektion hatten, gerade mit Omikron in den letzten Monaten.
Wir haben einfach durch Impfung und Infektion eine breitere Immunität. Wir haben bei den Impfungen bisher, also bei den alten Impfstoffen, leider nicht den Schutz vor Ansteckung bei Omikron erreicht, den man sich wünschen würde. Also es ist schon so, dass viele eine Durchbruchinfektion hatten, obwohl sie geimpft waren. Es spielen einfach auch andere Dinge eine Rolle bei der Frage, lasse ich mich jetzt noch mal impfen?
Fokus auf Risikogruppen
Und da ist es mir wichtig auch noch mal zu erwähnen: Der Fokus in den nächsten Tagen und Wochen, wenn der Impfstoff ausgeliefert wird, ist für mich ganz klar auf den Alten und auf den Vorerkrankten. Das erfordert natürlich genug Impfstoff. Ich glaube, der ist da. Zumindest wurde das immer von der Regierung signalisiert. Aber auch das erfordert eine Menge Logistik, gerade für die Hausärzte und Hausärztinnen. Die müssen in die Alten- und Pflegeheime fahren oder Hausbesuche machen für die, die zu Hause sind und gepflegt werden.
Und das sind ja wahnsinnige Ressourcen für die Kollegen. Und ich glaube, das darf man nicht unterschätzen, bevor man sofort "hier" schreit. Sondern mir ist echt wichtig, dass die erst mal eine ganz klare Indikation, Empfehlung von der Stiko haben. Das alle über 60-Jährigen jetzt die Chance kriegen, sich auch zuerst damit zu boostern. Das ist etwas, was oft vergessen wird.
Hennig: Weil es eben für Jüngere auch nicht, zumindest nicht ganz so dringlich ist, wie es mal war. Wenn man dreimal geimpft ist, dann ist man schon in einer sehr guten Situation, erst recht, wenn man auch noch eine Infektion hatte, die ein vierter Kontakt ist.
Individuelle Impfentscheidung
Ciesek: Ich habe lange überlegt, wie mache ich das jetzt mit einer Entscheidung, weil ich kann das ja nicht für alle entscheiden. Ich habe mir überlegt, am besten ist es, man macht sich wirklich einen Zettel und nimmt sich bestimmte Kriterien. Ich denke, es ist klar, je älter jemand ist, umso höher ist das Risiko. Je kränker oder immunsupprimierter der ist, desto schneller sollte er sich boostern lassen.
Und dann spielen aber noch weitere Faktoren bei den Jungen eine Rolle, die jetzt nicht in diese klassische Stiko-Empfehlung fallen. Und das ist zum einen: Wie habe ich die vorherigen Impfungen vertragen? Wenn ich da schon große Probleme hatte, muss man das natürlich mit einrechnen. Wie oft bin ich genesen oder hatte ich gerade eine Infektion oder hatte ich noch nie Kontakt zu Omikron? Ich glaube, da gibt es auch einen großen Unterschied.
Hennig: Zumindest wissentlich.
Ciesek: Ja, aber ich glaube, es ist schon ein Unterschied, ob man schon mal Omikron als Genesener gesehen hat, als wenn man noch nie infiziert war. Mit welcher Variante war ich eigentlich infiziert? Habe ich Vorerkrankungen? Ist der letzte Kontakt mit dem Virus schon über sechs Monate her? Wie viele Kontakte habe ich überhaupt? Also bin ich jemand, der viel das Virus spreaden kann oder sitze ich eh nur zu Hause? Wie viele Risikokontakte habe ich in meinem eigenen Haushalt, wo ich mir vielleicht auch einen gewissen Schutz wünsche?
Und schließlich spielt auch eine große Rolle: Was möchte ich eigentlich selber? Also bin ich eher kritisch oder schätze mein Risiko für einen schweren Verlauf gering ein und habe keine Sorge vor zum Beispiel Long Covid? Oder bin ich ein Mensch, der sagt: Ich möchte alles tun, um mein Risiko zu minimieren und möchte auf jeden Fall eine Impfung. Das spielt auch eine Rolle. Und wenn man sich dann eine Skala von eins bis zehn macht und alle Punkte einmal ankreuzt und guckt, wo man da landet, und vielleicht auch noch die Punkte priorisiert, was einem besonders wichtig ist, kann man schon selber versuchen, für sich eine Entscheidung zu treffen.
SIKO-Empfehlung
Was ich auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage ganz hilfreich fand, war, dass die SIKO, also die Sächsische Impfkommission, eine eigene Empfehlung hat. Das hat sie oft, und die haben auch so Tabellen da drin, wo sich eigentlich jeder wiederfinden kann. Man muss jetzt der SIKO natürlich nicht folgen, man kann auch der Stiko folgen. Aber man kann jetzt auch nicht sagen, das ist komplett falsch, was die schreiben.
Und wie gesagt, da gibt es eine Aufschlüsselung von verschiedenen Konstellationen und man kann schauen, wo finde ich mich wieder? Und ich weiß, dass das für viele unbefriedigend ist. Aber ich glaube schon, dass das ganz wichtig ist, dass man jetzt doch individueller entscheidet und das auch mit seinem Hausarzt, seiner Hausärztin bespricht und abwägt. Und dass man einfach akzeptiert, dass es nicht komplett falsch oder richtig gibt. Sondern es gibt mehrere Wege, wenn man grundimmunisiert ist.
Schwierigkeiten mit pauschalen Empfehlungen
Deshalb sind auch pauschale Empfehlungen, einfach alle impfen, nicht gut und auch nicht richtig. So was gehört eigentlich immer in ein persönliches Gespräch mit dem Hausarzt, das abzuwägen, wie Wünsche sind, wie die Vorgeschichte ist, wie andere Erkrankungen sind. Auch gerade die Verträglichkeit spielt eine Rolle. Also wir haben auch mehrere, die danach einen Zoster hatten, die haben zum Beispiel gar keine Lust mehr, sich impfen zu lassen. Und wenn die dann vollständig geimpft sind und überhaupt keine Risikofaktoren haben, dann kann ich das nachvollziehen. Wohingegen der Fall klarer ist, wenn jemand über 60 Jahre alt und gefährdet ist, denke ich.
Hennig: Zur Erklärung: Zoster, also Gürtelrose. Die meisten werden es natürlich wissen. Das heißt aber, ein Motiv kann sein, das geht mir immer so durch den Kopf, auch wenn ich keine heftige Infektion hatte und mich insgesamt relativ gut geschützt fühle, kann ich aber trotzdem noch sagen, ich möchte vielleicht auch noch einen Beitrag leisten in der möglichen Winterwelle, um die Inzidenzen ein bisschen zu dämpfen. Aber wir haben keine genauen Daten dazu, wie viel ich durch den angepassten Impfstoff ausrichten kann. Ob es vorübergehend auch Schutz vor Infektion ist, nicht nur vor Erkrankung.
Durchbruchinfektionen
Ciesek: Da gibt es, natürlich jetzt nicht von den angepassten Impfstoffen, aber es gibt, finde ich, eine ganz interessante Studie aus San Francisco zu Durchbruchinfektionen aus den USA. Und die haben in Gefängnissen geschaut, wie wahrscheinlich es ist, dass Omikron sich bei dem jeweiligen Status der Insassen überträgt. Man hat gesehen, dass es bei nicht Geimpften bei 36 Prozent zu einer Übertragung und bei Geimpften bei 27 Prozent kam. Und dass auch die Reduktion des Risikos der Übertragung bei Geimpften und bei Genesenen fast gleich war. Das lag bei 24 und 21 Prozent. Und bei Geimpften und Genesenen war es 41 Prozent. Und eine Booster-Impfung, das haben die auch gesehen, reduziert das weiter.
Aber es zeigt auch, dass es natürlich weiter Übertragungen gibt. Also ich denke schon, die Daten gibt es noch nicht, dass wir nach der Boosterung sehen werden, dass natürlich die Übertragung ein wenig blockiert wird oder etwas reduziert ist. Es wird aber auch nicht dazu führen, dass es eine sterile Immunität gibt, dass man gar nicht mehr überträgt. Und das ist es ja, was wir schon seit Monaten versuchen zu erklären, dass das nicht hell und dunkel ist und ein Lichtschalter, sondern eher wie ein Dimmlicht. Also das kann man vielleicht damit am besten erklären.
Schwierigkeiten bei Datenerhebung
Wie genau die Zahlen sein werden, das wird auch immer komplexer zu erfassen, weil die Vorimmunisierung so unterschiedlich ist, dass man da kaum saubere Daten erheben kann. Und ich denke schon, wenn man jetzt zum Beispiel mit jemandem in einem Haushalt lebt, der eine Chemotherapie bekommt und immunsupprimiert ist und man auf der anderen Seite aber viele Kontakte im privaten Umfeld oder beruflich hat, dass das auf jeden Fall schon auch ein Grund sein kann, für diese Person zu sagen: Ich mache das jetzt.
Das ist aber genau, was ich sage. Wenn jemand sagt, ich warte auf die klinischen Daten und gehört jetzt nicht zu dieser stark gefährdeten Gruppe, zum Beispiel ein 30-jähriger Mann, der sagt: "Ich möchte erst klinische Daten sehen", das ist auch in Ordnung. Dann muss er entweder den von Moderna nehmen, wo die Daten vorliegen oder er muss warten, bis es sie von dem Impfstoff gibt, den er haben will. Er muss dann aber auf der anderen Seite "riskieren", dass er bis dahin vielleicht eine Infektion hatte.
Und das ist das, was es so komplex macht. Es gibt klare Empfehlungen für Risikogruppen, für Ältere, die auch die Stiko schriftlich verfasst hat und die man wirklich auch wissenschaftlich begründet sieht und sehr gut nachvollziehen kann. Und es gibt private Gründe oder auch medizinische Gründe, die darüber hinausgehen. Es gibt aber auch Gründe, das nicht zu tun. Ich glaube, das ist, was mittlerweile mehr in die Individualmedizin gehört.
Abstand zwischen Impfungen bzw. Infektion
Hennig: Also ich halt noch mal fest, wer noch keine dritte Impfung hatte und über zwölf Jahre ist, da sagt die Stiko ganz klar: Booster mit dem angepassten Impfstoff. Wer über 60 Jahre ist und noch keine vierte Impfung hat, also keinen zweiten Booster, da sagt die Stiko auch klar: Booster-Empfehlung mit dem angepassten Impfstoff. Dann steht in der Stiko-Empfehlung schon lange für Hochrisikogruppen, dass man nicht beim zweiten Booster stehen bleibt, sondern da sind je nach Lage sowieso noch mehr Impfungen vorgesehen. Das heißt, Ältere, die schon zweimal geboostert sind, können mit ihrem Hausarzt auch noch mal besprechen, ob man den angepassten Impfstoff nutzt.
Ciesek: Das ist auch für mich ein nicht unerheblicher Faktor: Wenn man noch nicht eine Infektion durchgemacht hat und die vierte Impfung jetzt im Februar oder März war, das gibt es ja, dann würde ich auf jeden Fall mit dem Hausarzt besprechen, ob man das jetzt noch mal auffrischt, weil man ja noch nie Kontakt mit Omikron hatte.
Hennig: Ja, und bei Jüngeren muss man dann abwägen. Pflegepersonal zum Beispiel wird sowieso wegen erhöhtem Infektionsrisiko auch zum zweiten Booster teilweise geraten. Was ist eigentlich mit Lehrern, die jetzt maskenlos jeden Tag mit 20, 30 Leuten sind?
Ciesek: Genau, das ist auch schwierig. Aber natürlich, wenn die den Wunsch haben, sich impfen zu lassen und die Impfabstände oder die Abstände zu einer Infektion groß genug sind... Das ist vielleicht auch noch mal eine Sache, die ich noch mal betonen will: Aus meiner Erfahrung, also wir hatten ja auch ein Kollektiv, was sich nach drei Monaten das vierte Mal impfen lassen hat, das zweite Mal boostern lassen hat. Ich würde den Abstand länger wählen. Mein Gefühl war, dass ein Dreimonatsabstand zu kurz ist, weil da nicht so ein starker Effekt auf die Entwicklung von neutralisierenden Antikörpern zu sehen war. Bei Immungesunden empfiehlt die Stiko einen Abstand von sechs Monaten. In der Moderna-Studie waren es viereinhalb Monate.
Ausnahmesituation
Kürzer sollte man wirklich eher nicht gehen, außer es gibt Ausnahmesituationen. Es gibt ja auch Leute, die eine Reise planen und sagen, ich möchte mich vor der Reise noch mal immunisieren, um nicht krank zu sein. So was kann man alles, denke ich, machen. Aber man kann es auch keinem vorwerfen, wenn er es nicht macht und für sich entscheidet, nach drei Impfungen und einer Infektion sehe ich für mich selber mit 35 kein großes Risiko. Das ist einfach das, was es so schwierig macht, dass viele gerne genau gesagt haben wollen: "Alle über x Jahren sollen das jetzt machen". Wie gesagt, von den Daten, wie wir sie heute haben, gibt es viele Wege, die nach Rom führen, sagen wir es mal so.
Hennig: Noch mal kurz zur Erklärung, Impfabstand ist wichtig, weil die Immunantwort erst mal ein bisschen nachreifen muss, damit sie sich dann optimal weiterentwickeln kann mit der nächsten Impfung. Kann man das so vereinfacht sagen?
Ciesek: Das ist eine sehr gute Erklärung. Die muss auch einfach abgeschlossen sein, die muss sich entwickelt haben. Es kann sein, dass sich die Abstände irgendwann mal ändern. Wir kennen die genauen Abstände, die jetzt optimal sind, noch gar nicht, weil das natürlich noch gar nicht so systematisch untersucht wurde. Aber die Stiko geht mit den sechs Monaten sicherlich auf Nummer sicher. Wenn wir noch mal an unsere COSMO-Studie denken, da waren ja nur sieben Prozent, die eine Mehrfachinfektion angegeben haben. Sodass nach einer Infektion sicherlich in der Regel sechs Monate aufzufrischen ausreichend sein sollte für die meisten Personen. Außer die, die wirklich immunsupprimiert sind, weil die kann man mit ihrer Immunantwort nicht mit jemanden vergleichen, der ein normales Immunsystem hat.
Hennig: Ich muss noch eine kleine Erklärung dazwischenschieben, weil Sie eben schon das Stichwort Long Covid genannt haben. Wir haben da auch kurz in der Vorbereitung auf diese Folge drüber gesprochen, weil auch da sind verschiedene Studien zum Krankheitsbild von Long Covid erschienen. Aber auch zur Frage der Wirkung der Impfung auf Long Covid. Da gibt es jetzt aber noch nicht so eine völlig klare Forschungslage und es ist ja auch nicht ganz Ihre Kernkompetenz. Und wenn man jetzt mal auf die Uhr guckt und weiß, wie lange wir schon reden, versteht man vielleicht, warum wir das ausgeklammert haben und gesagt haben, das bleibt mal einer anderen Folge vorbehalten, die wir hier machen, vielleicht dann auch tatsächlich noch mal mit Fachleuten mit explizit Long-Covid-Expertise.
Ciesek: Die höre ich mir dann gerne an.
Hennig: Jetzt haben Sie noch ein anderes Stichwort gesagt. Das können wir vielleicht kurz noch mal abhandeln, sterile Immunität, beim Stichwort Übertragungsschutz.
Perspektiven für nasale Impfstoffe?
Da wird große Hoffnung in Schleimhautimmunität gesetzt. Also wenn sich Antikörper direkt auf der Schleimhaut befinden und da auch länger bleiben. Da gibt es auch Daten zu, die diesen speziellen IgA-Antikörpern auf der Schleimhaut eine große Bedeutung bescheinigen in der Frage nach Durchbruchsinfektionen. Da hofft man, dass es vielleicht auch ein bisschen variantenunabhängiger werden könnte, gerade bei so einer Hybridimmunität, dass da stabile Bedingungen geschaffen werden könnten. Da ruhen große Hoffnungen auf nasalen Impfstoffen oder auch welchen zum Inhalieren. Da sind in Asien, in Indien und China beide Varianten gerade zugelassen worden. Teilen Sie diese Hoffnung?
Ciesek: Ich bin da gespalten. Zum einen kam natürlich sofort, als die in Indien und China zugelassen wurden: Warum gibt es sie nicht bei uns? Ich glaube aber nicht, dass die FDA oder die EMA, also die regulatorischen Behörden der Amerikaner oder der Europäer, diesen Impfstoff hier zulassen würden, oder dass diese Firmen überhaupt die Zulassung bei uns beantragen. Weil da ganz große Anforderungen an Wirksamkeit, Sicherheit sind. Ich weiß nicht, ob das so interessant ist für die Firmen, hier eine Zulassung zu beantragen.
USA und Europa: Eigener nasaler Impfstoff
Deswegen glaube ich schon, dass die Entwicklung dahin geht, dass ein eigener nasale Impfstoff entwickelt wird, also in Europa oder in den USA. Und das ist ja auch gerade in der klinischen Entwicklung, wie man sich das vorstellt, kann sich jeder vorstellen, sodass man es einfach als Nasenspray oder Gel gibt. Und das kennen wir ja schon von dem eben benannten Grippeimpfstoff für Kinder. Der wird auch nasal gegeben, ein Lebendimpfstoff, der abgeschwächt ist.
Man muss aber auch sagen, dass es für andere Erreger wie zum Beispiel RSV oder Pertussis, also Keuchhusten, auch so Überlegungen gab. Die haben aber nie den Markt erreicht, aus verschiedenen Gründen. Ein Beispiel möchte ich aber trotzdem mal nennen, das positiv ist, das ist der Polio-Impfstoff, die Schluckimpfung für Kinderlähmung, das kennen ja viele. Und das ist eigentlich ein ähnliches Prinzip. Das macht eine Mukosale Immunität im Darm und ist auch sehr, sehr effektiv. Deswegen gibt es schon da noch sehr viel Forschungs- und Entwicklungspotenzial, was man bisher in den letzten Jahren, Jahrzehnten vielleicht gar nicht so ausgeschöpft hat.
Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass schon Produkte vom Markt gezogen wurden von nasalen Impfstoffen, zum Beispiel eine Art gegen Influenza. Das war, glaube ich, in der Schweiz, weil man da beobachtet hatte, dass es häufiger zu Fazialisparesen kam, also zu Gesichtslähmungen. Und deshalb ist das, sage ich mal, nicht so banal: Ich nehme einfach mal den Impfstoff und packe mir den in die Nase. Sondern das kann auch ein Risiko haben. Deshalb muss das natürlich in Studien genau untersucht werden.
Und das Ideale wäre natürlich, dass man sich vorstellt, dass dadurch, dass man die Antikörper direkt da hat, wo das Virus eigentlich reinkommt in unseren Körper, also auf der Schleimhaut der Nase, des Rachenraums, dass das nicht passiert, sondern es direkt abgefangen wird, die Immunantwort schneller ist und man dadurch die Transmission erfolgreich unterbindet. Da fängt aber die Schwierigkeit für mich so ein bisschen an. Ich bin jetzt kein Nasal-Impfstoff-Experte. Ich würde mich aber, wenn jemand einen gegen Rhinoviren, was ich gerade habe, entwickelt, zur Verfügung stellen als Studienteilnehmerin.
Hennig: Vielleicht hört das ja jemand.
Ciesek: Ja, da würde ich mich sehr freuen, weil das habe ich wirklich drei-, viermal im Jahr. Aber um noch mal darauf zurückzukommen, das ist gar nicht so einfach. Wir haben das mal gemacht und haben versucht, Antikörper auf dieser Schleimhaut zu messen. Das ist gar nicht so leicht. Das ist nicht so definiert, wie wenn ich neutralisierende Antikörper im Serum bestimme, was eine sehr einheitliche Masse ist, sage ich jetzt mal. Sie haben es genau definiert. Und auf den Schleimhäuten gibt es da schon Probleme, das technisch zu bestimmen. Wie viel Material nimmt man? Das ist sehr unterschiedlich. Es können an verschiedenen Orten unterschiedlich viele Antikörper induziert werden.
Und schließlich wissen wir gar nicht, wie hoch die Spiegel sein müssen, um zu einer Hemmung der Transmission zu führen. Sie sehen, man braucht noch eine Menge Forschungsbedarf in dem Gebiet. Plus, wenn Sie jetzt Studien machen für SARS-CoV-2, dann ist es eigentlich so, dass Sie sich ja mit dem Standard of Care messen, das heißt mit der im Moment zugelassenen Therapie oder Impfung. Das heißt, Sie müssten die dann vergleichen mit den Impfstoffen, die man in den Muskel spritzt. Und da fangen auch wieder die methodischen Probleme an: Was messe ich denn da? Weil nasale Impfstoffe wahrscheinlich weniger neutralisierende Antikörper induzieren als intramuskulär verabreichte Impfstoffe. Und da wird es dann schon schwierig. Was ist das Ziel?
Hennig: Die Latte liegt sozusagen sehr hoch.
Ciesek: Ja. Und ich glaube, das ist auch so ein bisschen ein Grund, dass man da nicht primär drauf gesetzt hat. Das ist ja auch die Frage, warum macht man nicht gleich nasale Impfstoffe? Ich glaube, weil man die IM-Impfstoffe besser kennt, breiter anwendet, genau weiß, wie die Kriterien und so sind. Und bei nasalen Impfstoffen gibt es noch eine Menge Potenzial der Entwicklung. Und wenn das funktioniert und man Transmission von verschiedenen respiratorischen Viren hemmen kann, wäre ich sofort dabei.
Aber ich glaube, die Vorstellung, dass die jetzt irgendwie im Winter oder im Frühjahr im Regal liegen bzw. beim Arzt, ist einfach leider unrealistisch. Ich glaube, bis dann wirklich klinische Daten vorliegen und dass der einen Benefit hat oder sogar überlegen ist im Vergleich zu den IM-Versionen, wird das wahrscheinlich noch länger dauern. Also ich gehe mal eher von ein bis zwei Jahren aus, bis man da wirklich was auf dem Markt hat.
Hennig: IM, also intramuskulär, hatten Sie aber auch schon gesagt. Trotzdem muss man sagen, es gibt in Deutschland ja Forschungsprojekte dazu. In Berlin zum Beispiel, in Niedersachsen und meines Wissens in München forscht man sogar an mRNA-Impfstoffen für nasale Applikation, was aber auch noch mal besonders schwierig ist, wie ich gelernt habe. Die in China und Indien sind vektorbasierte, also das, was man von AstraZeneca kannte.
Ciesek: Genau. Man kann zum Teil den gleichen Impfstoff nehmen, den man auch intramuskulär anwendet, also in den Muskel spritzt. Das hat natürlich Vorteile, weil Sie den schon haben.
Adenovirus-Impfstoff für nasale Applikation
Das macht auf jeden Fall auch Sinn, dass man dann so einen Adenovirus-Impfstoff nimmt. Aber auch da gibt es schon Studien, ich glaube in den USA, die dann abgebrochen werden mussten, weil einfach der Effekt, den man gesehen hat, zu klein war. Das muss natürlich auch noch optimiert werden. Der aktuelle Stand sind eher die Tierdaten, die veröffentlicht sind, also auch aus dem Tiermodell aus den USA. Die sehen aber sehr vielversprechend aus, finde ich. Die machen wieder ein bisschen Hoffnung.
Aber auch da bin ja irgendwie ein bisschen kritisch, da ist mir nicht klar, wie lange dieser Effekt anhält. Das ist oft nach vier Wochen gemessen zum Beispiel. Und ob das Nasenspray oder dieser Impfstoff dann wirklich nach drei, sechs Monaten oder sogar länger, nach zwölf Monaten, noch die gleiche Effektivität hat und vor einer Ansteckung schützen kann, da bin ich skeptisch, weil die Daten fehlen einfach noch. Aus der leidigen Erfahrung der anderen Impfstoffe würde ich das zumindest kritisch sehen und freue mich, wenn ich Unrecht habe.
Hennig: Ich kann aber festhalten, es ist in jedem Fall eher eine langfristige Perspektive. Manche Leute lesen irgendwo was und sagen dann: "Oh herrlich, bald kommt der nasale Impfstoff, dann ist die Pandemie zu Ende". Und es ist wie so oft in der Forschung eben auch eine Finanzierungsfrage. Also ich weiß, dass die Projekte, die dazu laufen, eben aus Gründen, die nicht bei ihnen selber liegen, manchmal nicht vorankommen. Denn für Daten braucht man immer auch Geld. Und da muss ein Interesse dahinterstehen.
Ciesek: Ja, ich glaube, langfristig ist es vielleicht auch zu pessimistisch, weil da rede ich als jemand, der bei antiviralen Medikamenten arbeitet, eher von zehn Jahren. Wie gesagt, ich glaube, mittelfristig wäre hier wahrscheinlich so ein, zwei Jahre, dann wird man sehen, was das wirklich bringt. Und es ist korrekt, das Funding ist schwierig, also die Unterstützung in dem Bereich ist schwierig. Und im Grunde genommen, und das ist auch vielen Leuten nicht klar, für die Entwicklung von Medikamenten, aber auch von Impfstoffen, braucht man die Pharmaindustrie.
Wir Universitäten können mal eine Phase-eins-Studie oder eine Phase-zwei-Studie noch finanziell stemmen. Aber diese Kosten für diese Zulassungsstudien, die sind im Milliardenbereich. Das kann keine private Universität oder Universitäten sind ja Landesbetriebe. Deshalb wird das natürlich von diesen Pharmaunternehmen oft aufgekauft oder in Kooperationen gemacht. Und die entscheiden natürlich auch ganz klar, wo sehen sie am meisten Potenzial für die Entwicklung? Und ich denke, da sind aber jetzt doch einige aufmerksam geworden, dass das vielleicht interessant sein könnte. Ich erhoffe mir schon, dass das jetzt noch mal einen gewissen Schwung kriegt, diese Forschung und Entwicklung, und dass wir da in ein, zwei Jahren viel mehr wissen.
Verlässlichkeit von Tests bei Omikron
Hennig: Kommen wir zurück auf die Pandemiesituation. Stichwort Schutzmaßnahmen. Die sind jetzt in den meisten Bereichen in die Eigenverantwortung gewandert, deshalb finden wir, glaube ich, beide das Wissen darum so wichtig, damit man das eigene Verhalten auch auf eine Situation zuschneiden kann und nicht mehr pauschal entscheiden muss. Und auch nicht sagt, ganz oder gar nicht, sondern sich in bestimmten Situationen vielleicht schützt. Das betrifft aber auch den Umgang mit Tests, den wir eigentlich alle gelernt hatten. Der war so etabliert, der war Standard. Jetzt wird sich viel weniger getestet. Das ist vielleicht auch manchmal richtig so.
Trotzdem ist ja eine gern genommene Frage: Wie ist das denn jetzt mit den Antigentests? Ich meine jetzt die qualitativ hochwertigen. Weisen die denn auch den aktuellen Omikron-Subtyp BA.5 immer noch gut nach? Was kann man dazu sagen?
Ciesek: Ich glaube, man muss man zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist, kann der Test prinzipiell die Variante erkennen? Und da kann man sagen, ja. Das ist im Moment, zumindest nach meinem Wissensstand so, dass die Varianten, auch BA.5 von den Tests erkannt werden. Die andere Frage ist aber: Wie sensitiv ist der Test? Das heißt, wie viele erkennt er denn überhaupt? Wie viele von 100 zum Beispiel? Und da gibt es doch, zumindest wenn man sich die Literatur anschaut, leichte Unterschiede.
Und es gibt ein Preprint, was dazu erschienen ist, wo man zwei Tests, die sehr häufig verwendet werden, verglichen hat und gesehen hat, dass der eine bei allen Varianten gleich war und der andere war bei BA.2 und BA.5 schlechter.
Hennig: Aus Basel.
Ciesek: Genau, das ist eine Schweizer Studie. Ich glaube, was man daran sieht, ist, dass man das immer wieder für neue Varianten doch im Labor einmal überprüfen muss: Kann der Test das noch erkennen und ist die Sensitivität reduziert oder nicht? Viel mehr kann ein Laie daraus nicht wirklich für sich ziehen, außer immer wieder die Warnungen von uns Laborärzten, Virologen, dass ein negativer Test nichts aussagen muss. Es ist ja auch so, dass viele beobachtet haben, dass gerade bei Immunisierten, also bei Geimpften die Tests später anschlagen oder gar nicht anschlagen. Das ist auch genau das Problem unseres Alltags.
Wir sehen im Moment alle Konstellationen. Dann fragen natürlich auch mal die Leute: Wie kann das sein? Und wenn ich noch eine Anekdote zum Besten geben darf. Also ich habe gerade in meinem Bekanntenkreis drei Infizierte. Die erste Person hat einen positiven Schnelltest gehabt. Also alle auch mit dem gleichen Virus, sie haben sich auf dem gleichen Event infiziert. Erste Person - positiver Schnelltest, positiver PCR, zweite Person -negativer Schnelltest, PCR bei CT 20, also das hätte der Test eigentlich erkennen müssen.
Hennig: Hohe Viruslast.
Ciesek: Genau. Dritte Person hat einen negativen Antigenschnelltest und PCR war aber auch nur leicht positiv. Und das zeigt, wie komplex das ist, dass das nicht sicher ist, dass ein Antigentest positiv ist, dass der auch negativ sein kann, obwohl die Person hochansteckend mit einem CT von 20 sein wird.
Hennig: Und auch symptomatisch, oder?
Ciesek: Genau, symptomatisch waren sie alle. Und trotzdem zeigt es auch, dass man vielleicht mehrmals testen muss im Verlauf. Oder doch, wenn weiter der Verdacht besteht, die PCR braucht. Das hat sich einfach nicht geändert. Seit die Antigentests auf dem Markt sind und auch für Laien verfügbar sind, finde ich die immer noch ein wichtiges Tool, um einfach unkompliziert zu testen, gerade wenn man Symptome hat. Dass man aber immer wieder dazusagen muss, das ist keine hundertprozentige Sicherheit, die gibt es da nicht. Deshalb muss man trotzdem vorsichtig sein, wenn man sich in eine Risikokonstellation begibt. Das hat sich eigentlich nicht wirklich geändert.
Hennig: Spielt denn, jetzt mal ab von Omikron, aber auch so grundsätzlich gab es ja auch mal diese Überlegung, wenn man eine Infektion schon überstanden hat, dann werden ja noch andere Antikörper gebildet, nämlich aufs Nukleokapsid, also N-Antikörper, weil wenn man nur geimpft ist, dann bilden sich die Antikörper nur gegen das Spike-Protein. Kann das die Sensitivität von Schnelltests herabsetzen? Weil viele haben ja jetzt genau diese Hybridimmunität.
Ciesek: Ich denke schon, dass das eine Erklärung ist. Aber wenn man sich meine drei Fälle anguckt, die ja auch geimpft waren und zum Teil genesen waren, dann passt das halt auch leider nicht immer. Sicherlich ist es ein Faktor, aber nicht der einzige. Viruslast ist sicherlich ein noch viel größerer Grund und der Zeitpunkt des Tests ist ein großer Grund, als wann teste ich? Aber wie gesagt, es ist ein Grund, aber nicht komplett damit erklärbar, was wir sehen.
Hennig: Jetzt haben Sie auch schon so Erzählungen, Anekdoten aus dem Bekanntenkreis gesagt. Da kennen wir alle mittlerweile wahrscheinlich viele von. Es gibt ganz verschiedene Kombinationen von Testversagen. Ich kenne zum Beispiel die Variante, dass PCR-Tests schon mal negativ ausfallen, während die Schnelltests schon positiv sind. Und irgendwann später wurde dann trotzdem eindeutig per PCR oder sogar per Antikörpernachweis oder so eine Infektion nachgewiesen. Was gibt es da für Erklärungsansätze? Weil eigentlich gilt die PCR doch schon als sehr, sehr zuverlässig.
Ciesek: Ja, das ist sie auch. Aber natürlich gibt es immer, wo Menschen am Werk sind, Fehler. Also das fängt an mit dem schlechten Abstrich, dass an der falschen Stelle zu wenig Material abgestrichen wurde und nicht genug Material an dem Tupfer ist und deshalb die PCR falsch-negativ ist. Dann kann es der falsche Zeitpunkt sein. Manche lassen direkt nach dem Kontakt eine PCR machen oder direkt nach der Infektion, und da ist man noch gar nicht positiv.
Das heißt, wenn man es wiederholt, dann wird man positiv. Dann gibt es Sachen, die der Patient gar nicht beeinflussen kann. Und das ist, wenn die Probe dann falsch gelagert wird, in der Praxis oder in dem Labor und keine Ahnung, tagelang in der Sonne liegt und dann einfach alles, was da drin war, nicht mehr nachweisbar ist.
Pipettierfehler
Es gibt Pipettierfehler, je nachdem, ob das ein Handtest ist oder ein automatisierter Test, dass einfach eine leere Probe pipettiert wird. Das kann passieren. Es gibt Probenverwechslungen in jedem Labor. Das wünscht man sich nicht. Aber auch in der Praxis kann es Probenverwechslungen geben. Also wenn Sie zehn Leute nacheinander abstreichen, dass die dann einem anderen Patienten zugeordnet werden oder auch im Labor ein Fehler passiert, dass Sie eine Probe falsch wegsortiert haben.
Und natürlich, an sich kann die PCR halt auch einen Fehler haben und dafür gibt es aber diese sogenannten Ringversuche. Also es gibt ja Leute, die die PCR selber machen. Da kann man natürlich auch mal einen Fehler machen. Insgesamt sieht man, dass es komplex ist und dass es viele Fehlerquellen gibt und dafür noch relativ wenige dieser klassischen Fehler eigentlich passieren. Aber es ist auf jeden Fall sinnvoll, wenn man da Zweifel hat, das dann noch mal zu testen. Wenn das Ergebnis für einen selber jetzt wichtig ist.
Hennig: Okay, also es sollte selten passieren. Die Labore arbeiten hoffentlich in der Regel gründlich. Das klang jetzt nach so vielen Gründen.
Ciesek: Es ist leider so, wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Natürlich ist das selten und sollte selten passieren bzw. sollte man sonst an seiner Labororganisation arbeiten. Wir haben ja ein Fehlermanagement. Wenn so was passiert, dann wird das schriftlich festgehalten und wird dann diskutiert, wie man diesen Fehler vermeidet. Da sind die Qualitätsanforderungen in Deutschland sehr, sehr hoch. Aber es ist, glaube ich, völlig naiv zu denken, dass das nicht passiert, also gar keine Fehler passieren.
Hennig: Wenn in der eigenen Beobachtung dann womöglich noch Symptome von anderen Viren dazwischenkommen, dann wird es natürlich noch mal komplizierter bei der Frage: Wie kann das jetzt sein? Einen letzten Punkt möchte ich noch machen beim Stichwort Eigenverantwortung.
Wirkung von Masken im Flugzeug
Wir haben ja immer wieder die Debatte um die Maskenpflicht oder um überhaupt Masken tragen, auch ohne Pflicht. Aber da gab es den interessanten Vergleich zwischen Zügen und Flugzeugen. Also Maskenpflicht in Zügen ja, in Flugzeugen nicht, mit dem Argument, da ist die Lüftung ja viel besser. Ich würde da gern noch mal auf was zurückkommen, was wir hier vor vielen Monaten schon im Podcast besprochen haben. Sie haben relativ früh in der Pandemie mit Ihrer Forschungsgruppe untersucht, welchen Unterschied Masken im Flugzeug machen anhand konkreter Beispielflüge. Deswegen die Frage, hat sich irgendwas an den Erkenntnissen geändert und wie viel können bessere Lüftungssysteme tatsächlich ausrichten, wenn man eng sitzt?
Ciesek: Also erst mal weiß man, dass die Belüftung in Flugzeugen anders ist, schon ein bisschen länger, nicht erst seit zwei Wochen. Die haben ein spezielles Filtersystem und auch einen speziellen Luftzug, der wirklich hilft, dass Viren oder Bakterien weniger übertragen werden. Aber das ist natürlich vor allen Dingen auch davon abhängig, ob diese Filter überhaupt wirken können. Die werden ja zum Beispiel auch im Krankenhaus, im OP und so verwendet, die sind schon sehr gut. Aber wenn Sie natürlich ihren Sitznachbarn haben, der Sie anhustet und direkt neben Ihnen sitzt, dann kann der Filter das auch nicht retten.
Dauer und Abstand
Und was man weiß, ist, dass es auf die Dauer des Fluges ankommt und auf den Abstand. Da veröffentlicht unser Gesundheitsamt sogar die sogenannte Frankfurter Regel. Das heißt, die Gefahr der Übertragung von den Erregern ist zwei Reihen vor, zwei Reihen hinter und daneben am höchsten. Und das sieht man auch, wenn man das auswertet. Aber das ist natürlich so ein bisschen Augenwischerei und auch schwierig zu untersuchen, denn Sie müssen ja auch irgendwie in das Flugzeug reinkommen.
Das ist ja jetzt nicht ein Raum, wo man reingebeamt wird, sondern man fährt meistens mit einem Bus, der eng gedrängt ist. Man sitzt oder steht in der Schlange vorher am Gate. Und genau das sind natürlich Risiko-Orte und das sind auch die Orte, wo es dann mal schnell zu einer Infektion kommen kann. Und deshalb ist es nicht falsch, dass es da andere Filter gibt, aber auch kein hundertprozentiger Schutz, wenn jemand neben Ihnen sitzt, der infiziert ist und eine hohe Viruslast hat.
Hennig: Gut, also setzen wir freiwillig die Maske auf, wenn wir Bedenken haben, wenn wir eng sitzen. So zumindest würde ich es handhaben, weil ich, wenn jemand neben mir sitzt, das Risiko nicht eingehen möchte und weil mich die Maske zum Beispiel in konkreten Situationen wenig stört. Aber es gibt schon auch Unterschiede zwischen Flügen und Zügen. Abschließend, wir haben jetzt einiges an Grund geliefert, ein bisschen Optimismus zu haben mit Blick auf Herbst und Winter, was Impfungen angeht, was Evolutionsgeschehen angeht.
Wir haben aber auch die Sorge wegen der großen Impflücken äußern können. Vielleicht kann man an der Stelle noch mal jemanden zitieren, den wir hier schon mal im Podcast zitiert haben, Cihan Celik, der ist Neurologe auf der Covid-Normalstation in Darmstadt, wo Covid-Patienten mit besonderem Bedarf nach wie vor auf einer Sonderstation liegen. Und der, habe ich heute Morgen gesehen, schreibt auf Twitter: "Die Lage ist stabil und unter Kontrolle." Und ihn macht das offensichtlich hoffnungsfroh. In Klammern: "Gesellschaftlich gesehen, Stichwort Long Covid nicht vergessen." Wie ist das bei Ihnen? Überwiegt im Moment mehr: "Vielleicht sieht es im Moment ganz gut aus?"
Ciesek: Ja, also ich glaube, man hat sich so ein bisschen an die Situation gewöhnt. Ich glaube, den Gewöhnungseffekt merken wir alle, solange Omikron mit seinen Untervarianten und ohne wirklich neue virologische Eigenschaften unser Infektionsgeschehen beherrscht, bin ich auch, wie soll ich sagen, vorsichtig optimistisch, dass wir uns weiter so durchschlängeln werden. Mit Phasen, wo halt mehr Leute krank sind und wo es halt entspannter ist. Aber im Hinblick auf die schwersten Verläufe und Todesfälle, dass das noch mal so wird wie im ersten Winter, da bin ich auch sehr optimistisch, dass das hoffentlich nicht passiert.