(108) Coronavirus-Update: Letzte Ausfahrt Omikron?
In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht Virologin Sandra Ciesek darüber, wie die Omikron-Welle die Immunitätslücke in Deutschland schließen könnte.
Omikron dominiert jetzt deutlich das Infektionsgeschehen und gleichzeitig hat die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Es könnten sogar noch deutlich mehr Fälle sein, denn die PCR-Testlabore stoßen an ihre Grenzen. Die Belegung der Intensivbetten in Deutschland geht allerdings langsam zurück. Entwarnung kommt aber noch nicht aus den Krankenhäusern, denn man rechnet mit einer immensen Belastung der Normalstationen. Was gibt es Neues nach einem Krankheitsverlauf mit der Infektion mit der Omikron-Variante? Erkranken Kleinkinder tatsächlich schwerer als Erwachsene? Darüber spricht Wissenschaftsredakteurin Beke Schulmann in Folge 108 des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update mit der Virologin Sandra Ciesek, ebenso über Schnelltests, über die neuen Quarantäne-Regelungen und darüber, wie es in der Pandemie nun weitergeht.
Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen
Krankheitsschwere bei Omikron-Infektion
Die Rolle des Alters für den Krankheitsverlauf
Die Rolle der Impfung für den Krankheitsverlauf
Keine intrinsische Fitness von Omikron?
Omikron: PIMS und Long Covid bei Kindern?
Diabetes nach Infektion bei Kindern?
Debatte um Zuverlässigkeit von Schnelltests bei Omikron
Antigentest auf Omikron: Abstrich aus der Nase oder aus dem Rachen?
Neue verkürzte Quarantäne-Regelungen
WHO warnt: Hälfte der Europäer stecken sich bald an
Studie zu Organschädigungen nach Covid-19
Krankheitsschwere bei Omikron-Infektion
Beke Schulmann: Ich würde den Podcast heute gerne mit einer Aussage beginnen, die sich in den vergangenen Wochen und Tagen zu einer gefühlten Wahrheit entwickelt hat, und zwar: Omikron verursacht einen milderen Verlauf. Diese Aussage wird mal mit mehr, mal mit weniger Daten unterfüttert. Es gibt auch drumherum oft noch ganz viele Fragezeichen. Können Sie uns weiterhelfen mit neuen Informationen zur Pathogenität von Omikron? Verläuft Covid nach einer Infektion mit Omikron wirklich milder?
Sandra Ciesek: Da reden wir jetzt auch schon länger darüber und haben immer wieder auch im Podcast darauf hingewiesen. Erst mal kann man vielleicht sagen, dass in den letzten zwei Wochen wenig Neues dazugekommen ist. Und, wie wir auch immer erwartet haben, steigen die Zahlen jetzt mit der zunehmenden Dominanz von Omikron, vor allen Dingen sieht man starke lokale Unterschiede.
Zum Beispiel hier in Hessen oder um Frankfurt, wo ich wohne, haben wir mittlerweile eine Inzidenz von fast 1.000. Die hatten wir noch nie. Das ist sehr, sehr hoch. Und wenn man dann ins Nachbarbundesland Thüringen guckt, da ist Omikron anscheinend noch nicht dominant. Und da ist die Inzidenz um 200 und noch fallend. Und hier in Frankfurt haben wir sehr, sehr viele Infektionen, mehr als je zuvor.
Dadurch nimmt natürlich auch die Dunkelziffer zu. Und trotzdem ist die Situation im Moment so, dass die Zahlen auf der Intensivstation rückläufig sind, die im ambulanten Bereich oder im stationären Bereich, also auf Normalstation, sind eher stabil. Ich erwarte, dass sie die nächsten Tage wieder ansteigen.
Unterschiede zwischen den Wellen
Und man hat den Eindruck, wenn man das aus der Kliniksicht erlebt, dass diese Welle mal wieder anders ist als andere Wellen. Also jede Welle hat eigene Charakteristika. Und wir haben jetzt zum Beispiel sehr viele Infektionen bei Bekannten, Verwandten, Freunden, bei Arbeitskollegen, die zum Teil doppelt oder dreifach geimpft sind. Das sind vor allen Dingen junge und mittelalte Leute, die oft Weihnachten, Silvester verreist waren, aus dem Urlaub wiedergekommen sind. Skiurlaub ist ein großes Thema bei uns gewesen.
Und dass das milder verlaufen kann, das hatten wir ja auch schon besprochen, dass das unterschiedliche Ursachen haben kann, rein biologisch, nämlich, dass andere Zellen infiziert werden oder bevorzugt infiziert werden, also nicht so die Lunge, sondern eher die Bronchien.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass Omikron sich nicht so gut vor der Immunabwehr verstecken kann wie Delta. Dazu hatte aus unserem Institut jemand erste Experimente vorgelegt. Und auch im Tiermodell sieht man Unterschiede bei Omikron.
Preprint aus Kalifornien
Und was neu ist, ist ein Preprint aus Südkalifornien, die sich mal die klinischen Verläufe von Omikron-Patienten versus Patienten mit Delta angeschaut haben, und das waren richtig viele, nämlich über 50.000 mit Omikron, und im Vergleich dazu knapp 17.000 mit Delta. Und was sie gesehen haben, ist, dass Patienten mit Omikron weniger oft beatmet werden müssen, also weniger auf der Intensivstation liegen, was sich so ein bisschen mit den Erfahrungen deckt, die wir hier gerade machen.
Und dass sie im Schnitt zwar auch ins Krankenhaus kommen, also da etwas weniger, aber dass die doch so schwer erkranken, dass sie ins Krankenhaus kommen, aber hier auch weniger lange liegen, im Schnitt nämlich drei, vier Tage kürzer als Patienten, die mit Delta infiziert sind. Den größten Unterschied sieht man aber, wie gesagt, in der Aufnahme auf Intensivstation, ob jemand beatmet werden muss oder daran verstirbt. Im Supplement dieses Papers, das lohnt sich wirklich anzugucken, da verstecken sich dann auch noch ganz viele Daten zum Impfstatus dieser Patienten und zum Alter, also zur Aufschlüsselung des Alters.
Die Rolle des Alters für den Krankheitsverlauf
Schulmann: Welche Beobachtung gibt es denn da zu dem Alter der Patientinnen? Sind eher, wie gehabt, die Älteren auf den Intensivstationen beziehungsweise im Krankenhaus? Oder betrifft es jetzt auch eher Jüngere?
Ciesek: Ja, wenn man die Studie nur grob liest, muss man ein bisschen aufpassen, denn das Alter war bei den Delta-Patienten insgesamt höher als bei den Omikron-Patienten. Und wie gesagt, wenn man etwas tiefer in die Studie schaut, in die Tabelle im Supplement, wo das aufgeschlüsselt ist, da sieht man, dass das geringste Risiko bei beiden, bei Delta und bei Omikron, für eine symptomatische Erkrankung, die zur Hospitalisierung führt, immer noch die haben, die am jüngsten sind, also die Null- bis Siebenzehnjährigen.
Und das ist auch bei Delta und bei Omikron interessanterweise ähnlich. Und das steigt mit dem Alter an. Das höchste Risiko haben die über 65-Jährigen. Hier sieht man dann auch Unterschiede, ungefähr ab dem 40. Lebensjahr zwischen Delta und zwischen Omikron, nämlich dass die, die eine Delta-Infektion haben, doch ein höheres Risiko für eine Hospitalisierung haben, als die, die mit Omikron infiziert sind. Also jetzt wirklich nur aufs Alter geschaut, scheint es hier Unterschiede zu geben.
Die Rolle der Impfung für den Krankheitsverlauf
Schulmann: Und wie ist es da bei der Unterscheidung zwischen geimpften und ungeimpften Personen?
Ciesek: Genau, das unterscheidet die Studie auch, sie unterscheidet zwischen Ungeimpften, Patienten, die eine Dosis bekommen haben, zwei und drei Dosen. Und hier sieht man auch einen deutlichen Unterschied bei den Ungeimpften von fast Faktor zwei bei Omikron. Also dort ist das Risiko für eine Krankenhausaufnahme fast halbiert, also nicht ganz, aber so ungefähr. Und bei den dreifach Geimpften ist dieser Unterschied nicht ganz so ausgeprägt.
Keine intrinsische Fitness von Omikron?
Schulmann: Wenn wir jetzt mal von den Krankenhauseinweisungen weg und noch mal hin zum Virus an sich kommen. Christian Drosten hat im vergangenen Podcast gesagt, Omikron habe keine intrinsische Fitness. Das heißt, Omikron ist nicht von sich aus leichter übertragbar, sondern die schnellere Ausbreitung liegt nur daran, dass sich auch Geimpfte anstecken können und das Virus übertragen können.
Ciesek: Ja, es sieht immer mehr so aus, dass das der größte Faktor ist, also dass der Immunescape dazu führt, dass einfach das Virus wieder mehr Wirte findet, die es infizieren kann und sich dadurch jetzt wieder viel schneller ausbreiten kann als Delta, wo ja immer eine Bremse war, wenn Delta auf jemanden traf, der geimpft oder sogar geboostert war. Und das scheint bei Omikron nicht so der Fall zu sein. Und das lassen auch Haushaltsuntersuchungen vermuten.
Secondary Attack Rate
Also die Secondary-Attack-Rate ist im Haushalt ähnlich und jetzt bei Omikron nicht viel, viel höher. Was man also insgesamt sagen kann, ist schon, dass ich das Gefühl habe, dass die Erkrankung milder verläuft im Hinblick zum Beispiel auch auf die Belegung der Intensivstationen. Aber das Ganze hat natürlich mindestens ein großes "Aber": Auch wenn man nicht auf Intensiv landet oder beatmet werden muss, dann kann man natürlich symptomatisch erkranken.
Und ich habe in den letzten Tagen, Wochen viele Bekannte erlebt, die um die 40 sind und die wirklich trotzdem zwei Wochen krank zu Hause waren mit der Erkrankung und die auch noch angeben oder berichten, dass sie länger Konzentrationsstörungen, starke Müdigkeit haben. Und die sind ja nach Definition nicht schwer erkrankt, also hospitalisiert und beatmet. Doch sie sind deutlich betroffener als bei einem banalen Schnupfen, wenn man sich das rein klinisch anschaut.
Und einige fallen davon sicherlich über Wochen oder sogar Monate beruflich aus. Und das ist schon etwas, was man nicht vernachlässigen sollte, wenn man jetzt hört: Das ist ja nur ein Schnupfen und alles kein Problem. Wie gesagt, es führt schon dazu, dass einige doch deutlich kränker werden als bei einer Erkältung.
Schulmann: Und ist man nach einer Infektion mit Omikron dann gegen Delta immun? Also Omikron dominiert ja schon in vielen Teilen, aber Delta-Infektionen gibt es ja auch immer noch. Kann man dazu schon was sagen?
Ciesek: Ja, da gibt es erste Daten aus Südafrika von der Gruppe von Alex Seagull. Und die haben geschaut: Wenn jemand bisher nicht geimpft wurde, also keine Grundimmunisierung hatte und dann eine Omikron-Infektion, wie sind dann die Immunantworten spezifisch gegen Omikron, aber auch gegen Delta? Und sie haben hier die neutralisierenden Antikörper angeschaut, also einen Teil des Immunsystems. Und was die gesehen haben, ist, dass die doch sehr spezifische Omikron-Immunantworten entwickeln, die aber dazu führten, dass es nur einen ganz geringen Anstieg oder gar keine neutralisierenden Antikörper gegen Delta gab.
Sodass man davon ausgehen muss, dass diese Menschen sich mit Delta, wenn es denn noch mal zirkuliert, wieder anstecken könnten. Aber man muss auch sagen, dass natürlich noch robuste Daten fehlen. Das sind erste Daten, die sich nur die neutralisierenden Antikörper angeschaut haben. Man kann weder was zum Verlauf sagen, das ist eine Momentaufnahme, also was ist in drei bis sechs Monaten?
T-Zell-Antwort
Man kann im Moment auch nicht sagen, selbst wenn sie sich anstecken, ob die T-Zell-Antworten, die durch die Omikron-Infektion gebildet wurden, vielleicht doch einen Schutz bieten vor einem schweren Verlauf, weil wir ja auch schon gesehen haben, dass die T-Zell-Antworten umgekehrt, also wenn man eine Delta-Infektion hatte oder geimpft ist mit dem ursprünglichen Impfstoff, ganz gut vor schweren Verläufen schützen und die T-Zell-Antworten nicht so beeinträchtigt sind durch die Mutation.
Und diese Untersuchungen, die fehlen noch, da gibt es ja auch immer hitzige Diskussionen. Ich würde damit rechnen, dass die keinen großen Schutz haben, sich mit Delta zu infizieren. Aber ob sie dann doch einen gewissen Schutz haben vor schweren Verläufen, vor Tod, vor Intensivstation, das kann man einfach noch nicht sagen. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass es so ist.
Schulmann: Das heißt aber auch, das war, glaube ich, die Hoffnung von vielen, dass man sich jetzt entspannt mit Leuten treffen könnte, die gerade eine Omikron-Infektion durchgemacht haben. Das kann man so auch nicht sagen?
Ciesek: Nein, das ist eh alles sehr schwierig im Moment, da gehen wir vielleicht später auch noch drauf ein. So richtig sicher und unbedarft kann man eigentlich nicht sein, wenn man sich daraus was macht, ob man sich infiziert oder nicht.
Omikron bei Kindern
Schulmann: Zum Krankheitsverlauf von Kindern bei einer Omikron-Infektion, da gab es bisher auch noch sehr viele Fragezeichen. Da hieß es mal, gerade kleine Kinder kommen deutlich häufiger ins Krankenhaus wegen Omikron. Dann hieß es, das liegt nur daran, dass sie sich gerade vermehrt anstecken. Wie ist da der aktuelle Stand?
Ciesek: Das ist auch eine gute Frage, da gehen die Berichte wirklich hin und her. Ich habe gestern noch einmal in den Medien geguckt. Da gab es wieder Berichte aus Krefeld, dass es immer mehr Krankenhausaufnahmen gibt bei unter Fünfjährigen, vor allen Dingen wegen Durchfällen. Und da machen sich natürlich gerade die Eltern unter uns sehr starke Sorgen.
Und andersrum wird aber auch gesagt, dass es vielleicht einfach so viele Infektionen insgesamt in den Altersgruppen im Moment gibt durch die hohen Inzidenzen, dass dann mehr schwere Verläufe sichtbar werden. Und das ist auch, was die DGPI (Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie/d. Red.) in der Stellungnahme, die sie rausgebracht haben, sagt, dass einfach keine verlässlichen Rückschlüsse momentan möglich sind und auch Länder nicht unbedingt vergleichbar sind.
Preprint aus den USA
Was neu ist und vielleicht ganz interessant, ist hier ein Preprint aus den USA von Wang et al., also noch nicht gereviewt. Die haben sich das mal bei unter fünfjährigen Kindern angeschaut, von 80.000 Kindern, davon hatten 7.200 Omikron. Und die haben festgestellt, dass es unter Omikron signifikant niedrigere Risiken für einen ZNA-Besuch, für Krankenhausaufnahme, für Intensivstationsaufnahme und für Beatmung gibt.
Schulmann: ZNA noch mal kurz erklärt: Zentrale Notaufnahme.
Ciesek: Genau. Die Studie ist ganz interessant, weil sie einfach sehr groß ist. Man sieht, dass die Omikron-infizierten Kinder vor allen Dingen jünger und gesünder sind im Vergleich zur Kontrollkohorte. Und dass hier vor allen Dingen auch die schwarze Ethnizität stark überrepräsentiert ist. Das heißt, dass Omikron auch Minderheiten in den USA stärker betrifft, wie auch schon die anderen Varianten.
Schulmann: Darüber haben wir im Podcast schon einige Male gesprochen, weil diese Gruppe sozioökonomisch benachteiligt ist, also schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung hat, zum Beispiel.
Ciesek: Genau. Und diese Studie stimmt ja erst mal sehr hoffnungsvoll. Und wenn man die liest, hat man den Eindruck, dass es viel milder ist. Da ist sicherlich auch was dran. Das ist eine ganz interessante Studie. Aber das Studiendesign hat ein Problem. Also, da habe ich mich sehr gewundert. Wenn man die mal etwas genauer liest, dann sieht man, dass die Kollegen sich, warum auch immer, die ganzen Daten angeschaut haben drei Tage nach der Diagnose der Infektion. Das ist natürlich eine Einschränkung.
Also können sie nur sagen, am dritten Tag nach der Infektion waren bei Omikron weniger Kinder auf Intensivstation als bei Delta. Aber das sagt nichts über den gesamten Krankheitsverlauf aus, weil eigentlich fragt man sich ja, wer nach drei Tagen nach der Diagnose schon auf Intensivstation liegt, das dauert ja eigentlich viel länger. Das spricht dafür, dass in den USA vielleicht die Diagnosen viel später gestellt werden. Auf jeden Fall ein komisches Studiendesign. Und hier hätte man natürlich gern noch mal nach sieben oder sogar 14 Tagen das Outcome angeguckt und geschaut, ob dann wirklich noch diese Unterschiede da sind.
Und der, der das dann zum Reviewen hat, wird das sicherlich anmerken oder hoffentlich anmerken, weil, wie gesagt, interessant ist es auf jeden Fall, es macht hoffnungsvoll. Aber so, mit nur drei angeschauten Tagen, muss man die Erkenntnisse dieser Studie doch sehr stark einschränken und kann da noch nicht Entwarnung geben.
Daten aus Frankreich
Und man muss auch sagen, dass es Daten aus Frankreich gibt, die auch einen starken Anstieg der Hospitalisierung von kleinen Kindern sehen. Und die haben dann noch unterschieden, ob das, das ist ja auch oft verdächtig, eine Nebendiagnose ist. Das heißt, dass das einfach durch Zufall bei Aufnahme-Screenings entdeckt wird, oder ob die Kinder wirklich wegen Symptomen aufgenommen wurden.
Und sie konnten zeigen, dass die Mehrzahl hospitalisiert wurde, weil sie Symptome hatte, also im Sinne einer Erkältungskrankheit, Infektionskrankheit und eben nicht mit dem gebrochenen Bein kamen und das eine Zufallsdiagnose war, sodass man sagen muss, die ersten Daten aus den USA stimmen uns mal vorsichtig optimistisch. Aber ich hätte es gern natürlich noch spätere gesehen, also nach sieben oder 14 Tagen.
Omikron: PIMS und Long Covid bei Kindern?
Schulmann: Gibt es schon Daten zu PIMS und Long Covid nach einer Omikron-Infektion bei Kindern? Für Long Covid ist es ja wahrscheinlich noch sehr früh.
Ciesek: Die PIMS-Fälle, die jetzt in der Klinik auftauchen, das sind ja immer verzögerte Infektionen. Das sind die aus der Delta-Welle. Und die treffen jetzt die Kliniken, sodass es für eine PIMS-Beurteilung durch die Omikron-Welle viel, viel zu früh ist. Das bleibt aber, deswegen ist das wichtig zu erwähnen, eines der großen Fragezeichen. Und es ist natürlich auch ein Grund, warum man zumindest meines Erachtens nicht einfach sagen kann: Wir lassen das alles jetzt mal laufen.
Wir wissen einfach nicht, ob es genauso häufig ist, was sehr viel wäre. Ob es sogar häufiger ist oder ob es viel seltener wäre. Und diese Erkenntnisse werden wir wahrscheinlich erst in ein paar Wochen haben, vielleicht auch erst mal aus anderen Ländern. Aber wie gesagt, auch bei der Delta-Welle wurde erst vermutet, dass die PIMS-Fälle nicht auftauchen. Und die kommen jetzt eigentlich erst in den Kliniken an.
PIMS
Zu PIMS an sich gibt es zwei neue Studien, einmal von der CDC veröffentlicht und einmal vom Jama (Journal of the American Medical Association/d. Red.), die zeigen, dass eine Impfung zu einem doch reduzierten Risiko für PIMS führen. Das war natürlich vor Omikron. Aber ist schon auch wichtig, dass das bei anderen Varianten so ist. Also die eine ist aus Ende Dezember. Da waren 33 Jugendliche mit PIMS in Behandlung, davon waren immerhin 28 ungeimpft und fünf einmal geimpft. Und wenn man das zusammenzählt, sieht man, dass keiner der Jugendlichen zweimal geimpft war von denen, die PIMS entwickelt haben.
Und die zweite Studie, die errechnet auch, dass zwei Dosen Biontech zu einer 91-prozentigen Effektivität gegen PIMS führt. Also das bedeutet, dass die, die zweimal, vollständig geimpft sind, ein viel geringeres Risiko haben, an PIMS zu erkranken. Und was auch noch wichtig ist, dass die, die kritisch krank wurden, es waren nicht 100 Prozent, sondern 91 Prozent.
Und die, die kritisch krank wurden, waren alle ungeimpft, also anscheinend waren auch bei den Geimpften, die es entwickelt haben, die Verläufe leichter. Und das sind auf jeden Fall sehr gute Nachrichten für die Kinder und für die Entstehung von PIMS. Wir hoffen natürlich, dass sich das bei Omikron bestätigt und so fortsetzt.
Diabetes nach Infektion bei Kindern?
Schulmann: Und dann haben in den vergangenen Tagen neue Daten die Runde gemacht, und zwar zum Thema Diabetes bei Kindern nach einer Covid-Infektion, also Covid generell. Da wurde auch nicht speziell Omikron untersucht. Und da heißt es, Personen unter 18, die Covid hatten, erhielten mit größerer Wahrscheinlichkeit eine neue Diabetes-Diagnose als Personen, die nicht infiziert waren mit Corona. Die Zahlen dazu klingen im ersten Moment ziemlich dramatisch.
Ciesek: Ja, diese Studie ist so ein bisschen ein Beispiel für die schwierige Kommunikation und auch Pressearbeit in der Pandemie, finde ich, und auch nicht das einzige Beispiel. Es gibt so ein paar Beispiele in den letzten Tagen und Wochen, die mich ein bisschen geärgert haben. Und das gehörte auch dazu. Also, mir ist einfach irgendwie bewusst geworden, dass die breite Öffentlichkeit doch sehr wenig von Studien und ihrer Bedeutung versteht und auch damit nicht unbedingt immer richtig umgehen kann. Und wenn man nur eine Schlagzeile liest, dass Kinder jetzt häufiger Diabetes bekommen, dann bekommen natürlich viele Eltern erst mal große Sorgen und Angst.
Und genauso auf der anderen Seite gab es auch Studien, die über Selbstmordversuche bei Kindern berichtet haben. Das ist natürlich eigentlich nicht das, was die Wissenschaft damit bezwecken will. Sondern eigentlich gehören solche Studien natürlich in der Fachwelt diskutiert und richtig eingeordnet und dann erst in die Medien. Und das ist natürlich alles gerade ganz spannend. Ein Wissenschaftler ist natürlich auch wahnsinnig stolz, wenn er seine Arbeiten veröffentlichen kann. Und wenn sich auch noch jemand für interessiert, die breite Masse. Und dann teilt man das auf Twitter oder in den Medien.
Trotzdem fehlt aber, glaube ich, dem Laien oft das breite Hintergrundwissen, um das direkt einzuordnen. Und das führt dann dazu, dass das manchmal missinterpretiert wird. Das fängt zum Beispiel beim Thema Testen an, also Antigentests. Und das hört halt bei so einer Studie auf. Vielleicht erzähle ich erst mal was über die Studie, um das Problem besser zu erklären.
Schulmann: Sehr gern, also über die Schwächen und Inhalte der Studie?
Viruserkrankungen Risikofaktoren für Typ-1-Diabetes
Ciesek: Also Hintergrund ist, dass es gar nicht abwegig ist, zu untersuchen, ob ein Typ-1-Diabetes, das ist ja eine Autoimmunerkrankung, ausgelöst wird durch eine Viruserkrankung. Denn Typ-1-Diabetes, da werden Autoantikörper gebildet, also Antikörper, die sich gegen den eigenen Körper richten und in dem speziellen Fall gegen die Inselzellen, also insulinproduzierende Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse.
Schulmann: Also es wird dann kein Insulin mehr gebildet.
Ciesek: Genau, die werden durch diese Autoantikörper zerstört. Man kennt oder vermutet verschiedene Faktoren, die dazu führen, das sind unter anderem Umweltfaktoren. Aber auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Und eben auch, man vermutet seit 40 Jahren, dass bestimmte Virusinfektionen zum Diabetes-Typ-1 führen können, weil sie Autoantikörper induzieren.
Und das hat man schon von verschiedenen Viren vermutet, also von Retroviren, von Enteroviren, das sind Durchfallviren, von Influenza ebenfalls. Da gibt es überall Publikationen. Und da wir ja von Long-Covid-Untersuchungen wissen, dass SARS-CoV-2 auch die Bildung von Autoantikörpern auslösen kann, ist das erst mal gar nicht abwegig, zu überlegen, dass die Bildung von Autoantikörpern sich gegen die Bauchspeicheldrüse richten kann und dass dann ein Diabetes mellitus innerhalb von Tagen oder Wochen entstehen kann.
Typ-2-Diabetes keine Autoimmunerkrankung
Und dann gibt es aber noch den Typ-2-Diabetes. Den hat man früher Altersdiabetes genannt. Es ist halt eine ganz andere Genese, eigentlich eine ganz andere Erkrankung. Sie hat nur einen ähnlichen Namen. Also, es heißt auch Diabetes. Aber es ist von der Ursache eine ganz andere Erkrankung. Also das ist kein Insulinmangel, weil die Zellen, also die Bauchspeicheldrüse das Insulin nicht mehr produziert, sondern es ist primär eine verminderte Empfindlichkeit von Körperzellen auf das Insulin. Das heißt, das Insulin wird zwar gebildet, es kann aber am Zielorgan, wo es wirken soll, nicht mehr wirken, weil das eine gewisse Resistenz hat.
Und das entsteht schleichend, wie gesagt vor allen Dingen bei Älteren. Aber wir sehen immer mehr junge Menschen, also Jugendliche, die daran erkranken, gerade auch in den USA, wo diese Studie gemacht wurde. Da ist die Genese auch erblich und einen ganz großen Einfluss hat da zum Beispiel Übergewicht und Bewegungsmangel. Also wenn man starkes Übergewicht hat bei Kindern und Jugendlichen und die sich nicht bewegen, keinen Sport machen, führt das zu einem Typ-2-Diabetes, wenn man entsprechende Anlagen hat.
Und warum erzähle ich das bei der Studie? Weil man die Studie und die Ergebnisse nur einordnen kann, wenn der Unterschied bekannt ist. Also Typ-1-Diabetes kann man sich sehr gut vorstellen, dass das assoziiert ist mit einer SARS-CoV-2-Infektion. Beim Typ-2-Diabetes, mit dem Übergewicht eher nicht. Das halte ich, ehrlich gesagt, für ziemlich unwahrscheinlich.
Und in dieser Studie wurde nun geschaut, wie hoch ist das Risiko nach einer Infektion über 30 Tage, dass jemand die Diagnose Diabetes mellitus bekommt? Der Altersdurchschnitt war bei den Kindern und Jugendlichen zwölf bis 13 Jahre. Und was die gesehen haben, ist erst mal, dass das Risiko mit 166 Prozent erhöht ist. Das ist ein 2,6-facher Anstieg, wobei die Prozentzahl immer viel dramatischer klingt, also nicht mal Faktor drei.
Studie unterscheidet nicht zwischen Diabetes-Typen
Und das Hauptproblem der Studie ist, dass sie gar nicht unterschieden haben zwischen einem Typ-1- und einem Typ-2-Diabetes, sodass man eigentlich alle mit Typ-2-Diabetes-Diagnosen rausnehmen müsste, weil das einfach nicht wahrscheinlich ist, dass die Infektion der Grund ist, sondern eher im Zuge der zum Beispiel betreuten ärztlichen Behandlung in der Zeit der Infektion mal Blut abgenommen wurde und dass festgestellt wurde, dass das Kind einen zu hohen Zuckerspiegel hat.
Aber wie gesagt, das ist ein schleichender Beginn. Die Ursache liegt oft am Körpergewicht und an mangelnder Bewegung. Das hat jetzt nichts unbedingt mit einer akuten Erkrankung zu tun. Es kann nur sein, dass sie sich dadurch demaskiert, weil man eben enger betreut wird, weil der Diabetes unter einem Infekt entgleist. Aber da ist die Ursache nicht die Virusinfektion. Und Typ-1-Diabetes, wie gesagt, kann man sich gut vorstellen. Aber das haben die hier gar nicht getrennt.
Und deswegen kann man diese Faktoren, die die angeben, also 2,6-facher Anstieg, überhaupt nicht bewerten oder ernst nehmen, weil sie hätten eigentlich meiner Meinung nach nur Typ-1-Diabetes untersuchen sollen und anschauen sollen. Und deswegen habe ich mich ein bisschen darüber geärgert, weil wahrscheinlich ein 1,5-fach höheres Risiko nicht so spannend geklungen hätte.
Das Problem ist einfach, was macht man als Arzt da draus? Diese Beobachtung ist interessant. Und die Konsequenz ist, dass man natürlich bei Kindern, die entsprechende Symptome entwickeln nach einer Virusinfektion einfach daran denkt und da entsprechende Diagnostik einleitet, wenn man den Verdacht hat, also sozusagen als Erinnerung: Oh, da muss ich daran denken.
Schulmann: Was aber gar nicht so schlecht ist, wenn Ärzte oder Ärztinnen das mehr auf dem Zettel haben.
Ciesek: Das auf jeden Fall. Aber das ist, wie gesagt, in der Fachwelt. Es soll nicht dazu führen, dass jetzt die Eltern denken: Oh Gott, mein Kind hat sich infiziert und jetzt kriegt es Diabetes. Was, denke ich, bei vielen dann doch so ankommt. Und das ist nicht die richtige Einordnung. Also viele Virusinfektionen können das, wie gesagt, auslösen und triggern, wenn man entsprechende andere Risikofaktoren hat.
Und das Risiko wird wahrscheinlich erhöht sein. Aber das kann die Studie, wie hoch das Risiko ist, gar nicht beantworten, weil sie gar nicht getrennt haben zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Und das hätte man als Mindestmaß gefordert, weil natürlich ein Typ-2-Diabetes wahrscheinlich nicht viel damit zu tun hat als Ursache, wenn man eine Viruserkrankung hat.
Schulmann: Sie haben jetzt vorhin schon angedeutet, womöglich sollte man Preprints nicht mehr sofort veröffentlichen, bevor sie durch das Review-Verfahren begutachtet wurden. Aber in manchen Fällen, gerade in der Pandemie, helfen ja auch schnelle Infos auch anderen Forschenden dann sehr viel weiter und können womöglich auch Leben retten. Dann wäre ja ein Warten in dem Moment fatal.
Ciesek: Ja, das auf jeden Fall. Ich weiß auch nicht, ob man Preprints nicht veröffentlichen soll. Aber Preprints lesen normalerweise Fachkollegen oder zum Beispiel der Kinderarzt, der das dann entsprechend einordnen kann. Aber der absolute Laie, auch wenn wir uns mittlerweile alle so fühlen, als sind wir keine Laien mehr nach zwei Jahren Pandemie, das ist einfach nicht so.
Dunning-Kruger-Effekt
Also da gibt es ja auch dieses schöne Modell von Dunning Kruger, dass man einfach in der Phase, wenn man schon ein bisschen was kann, sich selbst überschätzt, gerade am Anfang. Das ist so die Ignoranz und Inkompetenz zusammen, das ist einfach gefährlich. Und man denkt natürlich, man weiß alles, aber man kennt die ganzen biologischen Zusammenhänge und Hintergründe vielleicht doch nicht so gut. Das führt dann einfach dazu, dass man die Dinge nicht richtig einordnet und dann dadurch bei gewissen Menschen vielleicht Ängste auslöst. Das finde ich schwierig.
Oder das finde ich sehr schade, dass das daraus gemacht wird. Es gibt ja auch mittlerweile wirklich viele Menschen, die suchen sich Argumente oder Studien, die zu ihrer Denkweise passen. Es gibt auf der einen Seite die, die immer wieder Argumente suchen, dass SARS-CoV-2 für Kinder ganz schlimm ist. Und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die suchen die ganze Zeit Argumente, dass SARS-CoV-2 harmlos ist und der Lockdown ganz schlimm ist.
Neutralität
Und das führt oft dazu, dass man nicht mehr neutral ist und sich so eine Studie wirklich neutral anschaut. Und oft fehlt einfach wirklich das Hintergrundwissen, das dann korrekt einzuordnen. Deswegen wäre es gut, wenn natürlich diese Studien, wenn sie von der Presse übernommen werden, wirklich ausgewogen diskutiert werden oder eingeordnet werden.
Oder dass man einfach jemanden fragt wie seinen Hausarzt: Wie ist das denn überhaupt zu verstehen? Bevor man sich jetzt starke Sorgen macht. Ich glaube, da ist einfach wirklich die Stimmung mittlerweile sehr gereizt. Das ist mir einfach in den letzten zwei Wochen aufgefallen, dass das eher noch zunimmt mit solchen Studien. Gerade natürlich, wenn es um Kinder geht.
Debatte um Zuverlässigkeit von Schnelltests bei Omikron
Schulmann: Ja gerade auch von Medienseite, dann die Studie oder das Preprint noch mal einschätzen zu lassen von einer Expertin, einem Experten, um da mögliche Verwirrungen zu vermeiden oder mögliche Panik zu vermeiden. Das führt uns auch direkt zu einem anderen Thema, um das es auch gerade große Verwirrung gibt.
Das sind die Schnelltests, die Antigenschnelltests. Das ging zwischen Weihnachten und Neujahr los. Da hatte die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA geschrieben, dass die Schnelltests bei Proben von Omikron-Patientinnen und Patienten weniger zuverlässig seien. Und das Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland zuständig für die Prüfung von Schnelltests ist, das hat dann entgegnet, dass die handelsüblichen Tests, die es hier zu kaufen gibt, eben doch auch geeignet seien, um Omikron-Infektionen nachzuweisen.
Das ist ja erst mal alles sehr widersprüchlich. Sie, Frau Ciesek, haben damals, als die ersten Omikron-Infizierten am Frankfurter Flughafen ankamen, direkt auch eine Reihe von Tests ausprobiert und rausgefunden, dass die Tests im Grunde ja schon funktionieren. Gilt das weiterhin, also die Tests erkennen generell das Virus?
Ciesek: Es gibt jetzt viele Einzelfallberichte und Preprints, dass die meisten Antigentests Omikron erkennen können. Das heißt, dass die Mutationen im Genom von Omikron nicht dazu führen, dass die Infektion prinzipiell nicht mehr erkannt wird. Was aber nicht klar ist, ist die Sensitivität. Das heißt, ob vielleicht Omikron schlechter erkannt wird als Delta. Und da gibt es auch widersprüchliche Preprints. Einige sehen Unterschiede, andere nicht.
Man muss halt sagen, dass sie funktionieren, das sehen wir ja im Moment an der wahren Welt, weil wir einfach sehr viele Infektionen entdecken mit den Antigenschnelltests, dass die Leute sich selber testen. Und auch in den Schulen sehen wir ja, wie die Zahlen ansteigen und dass in einigen Bundesländern, wie jetzt bei uns in Hessen, mit Antigentests getestet wird und die Infektionen entdeckt werden. Was dafür spricht, dass das eigentlich ganz zufriedenstellend funktioniert.
Schulmann: Kann es dann daran liegen, dass Infektionen nicht erkannt werden, dass womöglich nicht genug Virusmaterial vorhanden ist, das dann beim Abstrich gesammelt wird, also mehr Virusmaterial da sein müsste?
Ciesek: Ja, das kann viele Ursachen haben. Wenn Sie mal einem Grundschulkind zugeguckt haben, wie die die Nasenabstriche machen, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, das ist natürlich eine andere Abstrichqualität, als wenn ich das mache. Und natürlich spielt die Abstrichqualität eine Rolle. Dann kann man den Test an sich natürlich auch falsch durchführen, wenn man die Packungsbeilage nicht beachtet.
Es kann sein, dass es ein "schlechter" Test ist. Die haben ja nicht alle die gleiche Qualität. Es kann sein, dass die Viruslast einfach in dem Moment, wo der Test erfolgt, zu niedrig ist. Das aber sind Faktoren, die bei allen Varianten eine Rolle spielen, also kein Test ist 100 Prozent, die Antigentests erst recht nicht. Da muss man natürlich immer schauen, was die Ursache ist, dass der Test nicht angeschlagen hat. Und das ist es ja, was wir immer sagen, mehrmals testen ist wichtig.
Antigentest auf Omikron: Abstrich aus der Nase oder aus dem Rachen?
Schulmann: Welche Rolle spielt dabei, ob die Probe aus der Nase oder dem Rachen genommen wurde?
Ciesek: Die Frage habe ich in der letzten Woche 50 Mal gekriegt, das scheint ein großes Thema zu sein. Und es gibt mehr und mehr Fallberichte und auch Anekdoten oder Berichte von Kollegen, die schon darauf hindeuten, dass das Virus eventuell etwas früher im Rachen nachweisbar ist als in der Nase. Also bei Omikron. Und hier muss man aber, wenn man sich dann die Preprints anschaut und auch fragt, genau gucken, was meinen die denn mit Rachen?
Manche meinen Speichel, manche meinen, wenn sie über die Wange streichen, und andere streichen die Rachenhinterwand wirklich ab, gerade Kollegen oder Pflegepersonal aus dem Krankenhaus weiß natürlich, wie man Abstriche macht und kommen an die Rachenhinterwand. Und das ist sicher gut. Aber für Laien ist das natürlich schwer erreichbar.
Abstriche in Schulen
Und um auf das Beispiel zu kommen mit den Schulen, da können Sie Kinder so etwas wie Rachenhinterwand nicht selbst abstreichen lassen, das geht natürlich gar nicht. Aber das ist auch wieder ein schönes Beispiel. Da erscheint ein Preprint, dass es im Speichel besser nachweisbar ist als in der Nase. Und dann, wenn man das Preprint anschaut, ist es nicht mal echter Speichel, sondern eigentlich ein Abstrich aus der Wange. Und das sind ja durchgeführte Untersuchungen bei Symptomatischen gewesen. Daraus wird dann vom Laien geschlussfolgert: Wir müssen jetzt alle Kinder in der Schule nur noch mit Speichel testen.
Das ist sicherlich falsch beziehungsweise dafür fehlen uns komplett die Daten. Also, wir sehen ja, dass wir mit den Nasentests sehr viele Infektionen im Moment in den Schulen finden. Es kann sein, dass asymptomatische Träger ganz anders zu testen sind oder Vorteile haben als Symptomatische, gerade, wenn sie zum Beispiel Halsweh haben und man dann einen Rachenabstrich macht. Man muss sich gerade im öffentlichen Raum, also wenn man jemandem bescheinigt, dass er ein negatives Ergebnis hat, natürlich an die Zulassung halten. Da können Sie nicht einfach irgendwelche anderen Materialien einsetzen, sondern müssen den Test natürlich so durchführen, wie er zugelassen ist.
Wichtig ist einfach, dass man mehrmals testet und nicht nur einmal, gerade, wenn man einen Verdacht hat. Und auch, wenn es sich bestätigen sollte, dass zum Beispiel das Virus im Rachen, in der Rachenhinterwand zum Beispiel sechs Stunden früher nachweisbar ist als in der Nase, dann muss man sich schon fragen: Spielt das für zum Beispiel Schultestungen überhaupt eine Rolle? Und wichtiger ist, wie gesagt, dass man wiederholt testet und bei Verdacht auch eine PCR macht oder bei entsprechenden Symptomen.
Schulmann: Und die Schnelltests, die wir für zu Hause kaufen können, die sind doch aber auch gar nicht für einen Rachenabstrich zugelassen. Oder? Kann man dann einfach einen beliebigen Test im Rachen machen, der eigentlich einen Abstrich in der Nase vorsieht?
Ciesek: Da muss man, glaube ich, unterscheiden zwischen rechtlichen Dingen und medizinischen Dingen. Die Zulassung ist wie angegeben in der Packungsbeilage, und die ist oft für die Nase, das stimmt. Das liegt auch daran, dass das für den Laien natürlich viel einfacher ist, dass das sicherer ist. Und prinzipiell ist es aber bei den meisten Tests technisch möglich, auch bei der Rachenhinterwand zu testen. Das machen, wie gesagt, viele Kollegen von uns auch. Das Problem ist aber, man muss da sehr vorsichtig sein. Ich bin da immer ein bisschen skeptisch bei Laien, gerade, wenn es kleine Kinder sind, also unter fünf oder sogar unter drei.
Wenn Sie mit einem Stäbchen versuchen, bis in die Rachenhinterwand zu kommen, und der verschluckt sich daran, dann ist keinem geholfen. Das ist wirklich gefährlich. Wir hatten schon einige Fälle, wo das Stäbchen dann im Rachen hing. Und deswegen wäre ich da als Laie, der nicht geübt ist, und gerade bei kleinen Kindern extrem vorsichtig. Dann lieber zum Arzt gehen und nicht selber rumhantieren. Aber natürlich ist es möglich, dass man das im Rachen noch zusätzlich testet, wenn man dahin kommt. Ich glaube, Speichel oder Wange nützt da nicht viel. Sie müssen schon irgendwie hinten an die Rachenhinterwand, an den Pharynx kommen.
Und ob Sie das durch die Nase oder durch den Rachen machen, ist dann ähnlich. Aber das schaffen ehrlich gesagt die meisten Laien nicht, weil das natürlich bei vielen zu einem Würgereiz führt. Aber klar, theoretisch technisch ist das möglich. Man muss sich auch immer das Bürstchen anschauen, mit dem man den Abstrich macht, ob das sicher dafür ist, also die sind ja oft anders im Laiengebrauch als im Gebrauch für den Profibereich.
Schulmann: Und noch einmal der Vollständigkeit halber: In welchem Zeitraum nach der Infektion beziehungsweise nach Symptombeginn muss der Test bei Omikron durchgeführt werden? Wann ist genug Virus da, damit der Test anschlägt?
Ciesek: Ja, das ist nicht zu beantworten, sondern das ist natürlich individuell sehr unterschiedlich. Auch die Antigentests sind von der Qualität sehr unterschiedlich. Und ganz neu erschienen ist hier wieder so eine Studie aus der NBA, also von den Basketball-Spielern, von Hay et al.
Und die haben sich das mal angeschaut, zwar PCR-basiert, aber die haben PCR-Daten aus Nase und aus dem Rachenraum bei knapp 100 Infektionen mit Omikron versus 100 Infektionen mit Delta verglichen. Und da kann man sehen, dass Omikron im Mittel 9,87 Tage positiv waren und Delta 10,9 Tage. Es war ein bisschen kürzer sogar bei Omikron.
Viruslast-Detektion
Und der Peak der RNA, also die Viruslast, war niedriger bei Omikron mit einem Ct von 23,3 versus 20,5 bei Delta. Und wenn man jetzt überlegt, dass viele Antigentests nur einen Ct 25 detektieren und nicht mehr darüber, dann kann man sich auch vorstellen, dass das mit Omikron schwieriger ist, die Patienten zu detektieren, wenn sie nicht häufig testen, weil sie genau in dieses Fenster kommen müssen, wo die Viruslast eben höher ist, also der Ct-Wert unter 25.
Wenn man sich dieses Preprint aus der NBA anschaut, dann kriegt man schon so ein bisschen Gefühl, wann man testen kann. Ich denke, wenn man einen Antigentest hat, der ein Ct von 25 erkennt, so wäre das wahrscheinlich nach drei bis fünf Tagen, und beim Ct 30 eher schon nach zwei Tagen positiv. Aber wie gesagt, das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Es lohnt sich, wenn man den Verdacht hat oder wenn man Kontakt hatte, einfach häufig zu testen. Also zum Beispiel zu sagen, ich mache einfach jeden Tag einen Antigentest. Und dann hat man natürlich auch die größte Chance, die Phase zu entdecken, wo die Viruslast am höchsten ist.
Schulmann: Jetzt sind immer mehr Menschenge geboostert. Hat das Auswirkungen? Schlagen die Tests bei Geboosterten schlechter an? Das ist jedenfalls die Wahrnehmung von einigen Hörern, die uns geschrieben haben.
Ciesek: Ja, das muss noch untersucht werden. Das wissen wir noch nicht. Ich kann nur aus Einzelfällen berichten oder aus denen, die ich kenne, die positiv sind. Da sind auch viele Geboosterte dabei. Und bei denen hat der Antigentest auch sehr gut funktioniert. Da muss man aber wieder einschränkend sagen, die testen sich natürlich auch dauernd, gerade in Kliniken, das Personal macht regelmäßig Antigentests.
Und oft hört man dann von Laien, dass sie einen Test machen und nicht mit einer hohen Frequenz. Und das kann dann natürlich einen Unterschied machen. Es ist auch möglich, dass die Geboosterten noch einen kürzeren Verlauf haben. Das heißt, dass die Phase des Virusnachweises noch kürzer ist. Und das führt dann natürlich dazu, dass das Fenster, wo man die Erkrankung oder die Infektion erkennen kann, immer kürzer und immer kleiner wird.
Und deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass das einige beobachten. Prinzipiell funktionieren sie aber, und sie funktionieren auch eigentlich gar nicht so schlecht. Aus der Erfahrung, die ich jetzt so aus der Klinik sehe.
Schulmann: Und bei Genesenen. Wie ist es da?
Ciesek: Genau das gleiche. Dazu gibt es auch zu wenig Daten. Es ist aber möglich, dass durch einen leichteren Verlauf die Kinetik einfach noch kürzer ist, also dass doch schneller wieder das Virus eliminiert wird und dadurch noch kürzer nachweisbar ist. Aber da gibt es noch keine systematischen Daten zu.
Schulmann: An diese Omikron- und Schnelltest-Debatte hat sich auch noch eine andere angeschlossen, nämlich, wie sicher die einzelnen Schnelltests generell sind. Es gibt ja auf dem deutschen Markt zurzeit ungefähr 600 Antigenschnelltests und viele davon sind bisher nicht von einer unabhängigen Stelle geprüft worden. Das habe ich schon gesagt, für das Testen der Schnelltests ist das Paul-Ehrlich-Institut zuständig. Das hat bisher einen Teil der erhältlichen Tests geprüft. Und auch bei denen, die geprüft wurden, gibt es ja noch große Unterschiede.
Also, ich glaube, 46 von 245 wurden als ungenügend eingestuft. Dazu gibt es ja auch eine Übersichtsliste im Internet. Die können wir auch noch mal verlinken. Ich finde, diese Liste ist extrem unübersichtlich für Laien. Es sind ja aber die Laien, die genau diese Tests auch nutzen sollen. Haben Sie vorher nachgeguckt, wie gut die Tests sind, die Sie gekauft haben? Beziehungsweise haben Sie sich so entschieden, welche Tests Sie kaufen?
Ciesek: Also sagen wir mal so, das kann man nicht mit "Ja" oder "Nein" beantworten. Ich gucke mir natürlich an, wie die angegebene Sensitivität und Spezifität ist. Ich gucke mir Publikationen dazu an. Aber wenn Sie im öffentlichen Dienst arbeiten und zum Beispiel große Mengen bestellen, dann müssen sie auch immer Preisangebote einholen und sind gar nicht frei in dem, was Sie unbedingt bestellen. Außer, Sie begründen das. Und das geht wahrscheinlich auch einigen Ländern so, wenn die zum Beispiel für Schulen einkaufen, dass die das ausschreiben müssen. Und dann bewerben sich die Firmen mit ihrem Produkt und mit Preisen.
Und das ist ja nicht einfach so: Ich kaufe mal das, was ich möchte. Also, so funktioniert das im Öffentlichen Dienst nicht. Und trotzdem ist das schon so, dass wir natürlich gucken, wie die Qualität ist und dass die etablierten Diagnostikfirmen, die entsprechende Produkte rausbringen, das sind die, die wir dann meistens als Erstes benutzen. Die sind jetzt auch nicht schlecht, muss ich sagen. Wobei es immer auch, das darf man nie vergessen, auf den Abstrich ankommt. Also es lohnt sich, glaube ich schon, für den Laien vielleicht doch in der Apotheke mal nachzufragen, sich beraten zu lassen und da ein, zwei Euro mehr zu bezahlen, als jetzt unbedingt den billigsten Test zu nehmen.
Aber sonst kann ich auch nur raten, sich das mal anzuschauen, wie gesagt, in Publikationen zu gucken, die Liste anzuschauen und dann nicht unbedingt das Preiswerteste zu nehmen, sondern eher das, was gut abschneidet. So mache ich das zumindest irgendwie für mich selbst. Und ich habe nie diese Speicheltests genommen für Antigen, sondern immer welche, die Nasenabstriche hatten, ganz bewusst, weil die aus den ersten Daten zu Antigentests eigentlich immer besser abgeschnitten haben, gar nicht, weil jetzt mehr in der Nase ist vom Virus oder im Speichel, sondern weil man schon den Eindruck hatte, dass Speichel vielleicht Substanzen enthält, die den Antigentest stören können und deswegen nicht ganz so sensitiv sind.
Schulmann: Warum werden eigentlich nicht alle Tests evaluiert? Das wäre ja jetzt gerade auch in der aktuellen Situation eine ganz gute Idee.
Ciesek: Ja, ich glaube, das ist überhaupt nicht schaffbar. Also, die Kollegen haben ja alle einen Job und viele Aufgaben und jeder ist in der Pandemie mehr als beschäftigt. Ich fürchte, den Kollegen geht es genauso. Wenn ich das jetzt zum Beispiel mal für mein Institut sagen soll, dann hat man einfach eine wahnsinnig hohe Belastung durch Diagnostik, durch den Alltag, durch Krankheitsausfälle.
Und dann muss man natürlich das, was man macht, also die Forschung, priorisieren. Und wir könnten ja jetzt auch zehn Antigentests testen. Aber wir haben da gar nicht die Kapazität für und haben andere Projekte, wo wir denken, dass das wichtiger ist zu klären, als jetzt einen Antigentest.
Schulmann: Das heißt, wir müssen an dieser Stelle auch noch einmal betonen, ein negativer Schnelltest bietet eben weiterhin keine hundertprozentige Sicherheit und sollte auch nicht dazu verleiten, sich nicht mehr vorsichtig zu verhalten.
Ciesek: Ich denke, eine gute Zusammenfassung ist: Wenn Sie jetzt einen Test machen, weil Sie den Verdacht haben, und der ist positiv, haben Sie sehr hohe Chancen, dass der richtig positiv ist und dass Sie eine Infektion haben. Dann müssen Sie sich entsprechend verhalten. Und wenn der Test negativ ist, obwohl Sie den Verdacht haben, dann sollten Sie sich weiter testen und trotzdem so verhalten, als wäre er positiv, und einfach vorsichtig sein und Kontakte meiden, vor allen Dingen mit Menschen, die vielleicht keinen Impfschutz haben, wie ganz kleine Kinder oder aber ältere und vorerkrankte Personen.
Neue verkürzte Quarantäne-Regelungen
Schulmann: Aber man soll sich ja jetzt auch vorzeitig aus der Quarantäne freitesten können. Und nicht nur mit PCR-Tests soll das möglich sein, sondern auch mit Antigenschnelltest. Der Berufsverband Deutscher Laborärzte hat jetzt auch davor gewarnt, die Test wären nach wenigen Tagen quasi alle negativ und man würde den Menschen eben eine falsche Sicherheit zeigen. Wie schätzen Sie das ein? Sind die Tests geeignet zum Freitesten aus der Quarantäne?
Ciesek: Ja, also bedingt. Ich schätze das eher als Pragmatismus ein, denn die sind nicht perfekt. Das haben wir eben schon besprochen. Dass sie immer nach ein paar Tagen negativ sind, stimmt nicht. Ich habe jetzt auch sehr viele Kollegen, die nach acht Tagen noch einen positiven Test hatten. Und trotzdem muss man natürlich überlegen: Was macht man? Die PCR-Kapazitäten sind begrenzt. Wir haben so viele Neuinfektionen wie noch nie, es wird wahrscheinlich in den nächsten Wochen weiter ansteigen. Wir haben aber eine obere Grenze an PCRs, die wir machen können in Deutschland.
Und wenn Sie jetzt noch anfangen, neben den Neudiagnosen, also denen, die akute Symptome haben, auch noch Menschen freizutesten mit PCR, das schaffen wir einfach nicht. Das würde nicht gehen. Deshalb denke ich mal, ist das vor allen Dingen Pragmatismus, dass so ein Antigentest leicht verfügbar ist und doch keine hundertprozentige Sicherheit bietet, aber doch ein ganz gutes Screening-Tool ist, um zumindest die, die vielleicht noch sehr viel Virus im Rachen oder in der Nase haben, rauszufiltern. Also dieses System ist nicht darauf angelegt, hundert Prozent zu schaffen, das ganz sicher nicht.
Schulmann: Was die PCR-Testkapazitäten angeht, würden Sie sagen, wir brauchen die PCR-Tests, um wirklich Infektionen nachzuweisen, ist das im Moment der wichtigere Part?
Ciesek: Ja, genau. Das wäre auch, denke ich mal, nicht in Ordnung, wenn Sie jetzt zum Beispiel Symptome entwickeln. Und ich sage Ihnen: Nee, Sie kriegen keine PCR, weil ich muss noch ein paar aus der Isolation freitesten. Das ist, glaube ich, klar, dass da auch eine gewisse Priorisierung wichtig ist.
Schulmann: Und was die Verkürzung der Quarantänezeit angeht, da haben ja Bundesrat und Bundestag jetzt die Änderungen der Quarantäne-Regeln beschlossen, also zugestimmt. Nach sieben Tagen können sich Infizierte und Kontaktpersonen mit PCR oder Schnelltest freitesten. Und ohne Freitesten dauert die Quarantäne oder Isolation zehn Tage. Sie haben aber vorhin auch schon angesprochen, dass bei diesem NBA-Preprint zum Beispiel auch Leute nach neun Tagen noch infektiös waren. Ist diese Verkürzung denn sinnvoll?
Ciesek: Also man muss sagen, die CDC ist ja noch viel mutiger, die haben das einfach von zehn auf fünf Tage reduziert. Und wenn man sich dann die NBA-Daten anschaut, dann sieht man, dass die Hälfte ungefähr, also mehr als die Hälfte sogar, nach fünf Tagen noch ansteckend war. Und das waren 25 Prozent an Tag sechs und immerhin 13 Prozent am Tag sieben, wenn man einen Ct-Wert 30 als Cut-off nimmt. Also das, was die Amerikaner machen, ist sehr sportlich. Das zeigen auch andere Studien, zum Beispiel eine aus Japan, dass die Hälfte nach drei bis sechs Tagen noch positiv getestet wurde.
Bei zehn Tagen, denke ich mal, wird man die meisten nicht mehr infektiös haben. Und wenn man sich nach sieben Tagen freitesten kann, dann denke ich mal, ist das auch relativ sicher, wenn der Test richtig durchgeführt wurde und ein guter Test genommen wurde. Einzelfälle werden einem sicherlich durchrutschen. Das ist ja immer so. Aber ich denke, es ist auf jeden Fall besser, deutlich besser als diese fünf Tage, wie die USA das machen wollen.
Booster-Impfung und Quarantäne
Schulmann: Menschen, die in den letzten drei Monaten die dritte Impfung, also die Booster-Impfung, erhalten haben oder nach der Grundimmunisierung dann noch an Covid erkrankt waren, die müssen sich gar nicht mehr in Quarantäne begeben.
Ciesek: Ja, das ist natürlich schwierig bis nicht sinnvoll. Und ehrlich gesagt, ich verstehe es medizinisch-virologisch nicht. Das ist ja eher so ein bisschen nach dem Belohnungsprinzip: Lass dich boostern, und man muss nicht mehr in Quarantäne. Oder es ist der Grund, die Infrastruktur zu schonen, das weiß ich nicht. Aber natürlich sind auch diese von Infektionen betroffen. Das sehen wir ja auch, dass sich auch Geboosterte infizieren können. Und wenn man jetzt sagt, das ist egal, ob diese sich infizieren, weil die nicht schwer erkranken, dann kann man das so machen. Um Infektionen zu minimieren, ist das natürlich nicht sinnvoll.
Dänische Zahlen
Da gibt es auch ganz aktuelle Zahlen aus Dänemark, die veröffentlicht wurden, die meisten Infektionen sind jetzt in Dänemark bei über 40-Jährigen, die geboostert sind. Da sind wahrscheinlich auch viele über 40 geboostert. Aber es zeigt eindeutig, dass der Booster wenig vor einer Ansteckung schützen kann und viel mehr natürlich vor einem schweren Verlauf. Das wird auch immer wieder in der Öffentlichkeit durcheinandergebracht. Und das sieht man auch in Israel. Da wurden ja schon sehr viele geboostert, da steigen die Infektionen auch an.
Dirk Brockmann vom RKI war ja letzte Woche bei Lanz und hat dann auch erzählt, er wäre geboostert und hätte sich jetzt zu Weihnachten infiziert, also hat das recht offen berichtet. Und natürlich merkt man auch in seinem Umfeld, dass das zunimmt. Es ist für mich so ein gewisser Widerspruch, der da kommuniziert wird. Zum einen hat man Angst, dass das Personal ausfällt, wenn man die nicht in Quarantäne schickt. In den Kliniken oder in wichtigen Infrastrukturen. Und zum anderen wird aber gesagt, wenn du geboostert bist, bist du sicher. Und irgendwie finde ich das nicht ganz so zusammenpassend, weil wenn jemand geboostert sicher wäre, dann müsste man keine Angst haben, dass das Personal ausfällt, weil natürlich die in den Kliniken fast alle schon geboostert sind.
Also, wir haben jetzt auch erste Daten, wir machen ja immer weiter mit unseren Forschungen. Und ich kann jetzt auch sagen, dass wir schon mehr als eine Person haben, die viermal geimpft war, also zweimal geboostert, die sich auch infiziert haben mit Omikron. Und das zeigt so ein bisschen, dass man sich nicht hundert Prozent davor schützen kann mit dem Kontakt. Und dass es auch eine Frage der Viruslast ist, die man abbekommt, oder der Virendosis vielmehr.
Vierte Impfung
Und wenn die ausreichend ist, dann kann auch eine vierte Impfung anscheinend nicht wirklich vor der Infektion schützen. Aber das sind natürlich keine schweren Verläufe. Und das muss man immer auseinanderhalten, auch im Kopf. Also, dass eine Infektion nicht unbedingt in jeder Situation vermeidbar ist, aber der schwere Verlauf eben schon, dass man das selber in der Hand hat. Und wir haben jetzt auch mal die ersten Patienten, also nicht Patienten, also das sind keine kranken Menschen, sondern aus dem Gesundheitssystem, angeschaut, die vier Impfungen bekommen haben. Das ist ja noch sehr selten. Das sind dann meistens Menschen, die zum Beispiel auf Covid-Stationen arbeiten.
Schulmann: Und ganz früh geimpft wurden.
Ciesek: Genau, die ihren Booster schon im Sommer hatten. Da sieht man, dass ein Booster die Antikörper ansteigen lässt um Faktor vier bis elf. Das ist ähnlich, wie in Israel berichtet. Also man sieht einen Anstieg, aber nicht ganz so stark wie bei der dritten Impfung. Und wenn man sich dann die neutralisierenden Antikörper anschaut, sieht man, dass die gegen Delta sehr schön ansteigen, aber gegen Omikron auch nach vier Impfungen die Titer eher grenzwertig sind.
Also bei denen, die wir angeschaut haben, das waren, um eine Größenordnung zu haben, acht Personen, also nicht viele. Aber mehr Geboosterte, also zweifach Geboosterte, kenne ich auch gar nicht. Und die haben vom Omikron-Titer dann eins zu zehn, also einen grenzwertigen Titer. So dass man zwar neutralisierende Antikörper hat, aber eher grenzwertig, ganz niedrig. Und das hat für die Infektion wenig gebracht.
Wie gesagt, zwei haben sich auch schon infiziert, trotz des Boosters. Und die ersten Daten lassen mir so ein bisschen das Gefühl geben, dass die vierte Impfung im Moment nicht wirklich was bringt, um sich jetzt ganz sicher zu sein, sich nicht zu infizieren.
Schulmann: Die vierte Impfung mit dem aktuellen Impfstoff, nicht mit angepasstem Omikron-Impfstoff, der ja vielleicht bald kommen wird.
Ciesek: Genau, deswegen ist die Frage: Wartet man darauf? Das wird für die meisten wahrscheinlich ausreichend sein. Und was wir nicht untersucht haben, sind die T-Zellen, also ob die noch mal wirklich weiter stimuliert werden durch eine vierte Impfung. Wie gesagt, es waren ja junge, gesunde Leute oder mittelalte Leute. Und da muss man unterscheiden. Also, jetzt jedem eine vierte Impfung zu geben macht nach diesem kleinen Feldversuch, glaube ich, relativ wenig Sinn.
Aber das ist natürlich eine ganz andere Situation, wenn jemand immunsupprimiert ist oder sehr alt ist, da ist ja das Immunsystem nicht so gut, sage ich mal, oder funktioniert nicht so stark wie bei Leuten unter 60, unter 65. Wie gesagt, es sind erste Daten. Aber so richtig, dass man, wenn man sich jetzt ein zweites Mal boostern lässt, sich auf gar keinen Fall mit Omikron infiziert, die Hoffnung habe ich durch diese ersten Daten ein bisschen verloren.
WHO warnt: Hälfte der Europäer stecken sich bald an
Schulmann: Damit sind wir eigentlich auch schon mittendrin in der Frage: Wie gehen wir jetzt eigentlich weiter um mit der Pandemie? Wie sollen wir weiterhin umgehen mit möglichen Infektionen? Von der Weltgesundheitsorganisation kam vor ein paar Tagen die Warnung vor einer massiven und schnellen Ausbreitung der Omikron-Variante. Da hieß es, es könnten sich in den kommenden fünf bis sieben Wochen die Hälfte aller Europäer mit Omikron infiziert haben.
Und immerhin habe es in der ersten Woche des Jahres in Europa bereits mehr als sieben Millionen neu gemeldete Covid-19-Fälle gegeben. Wenn man das jetzt so hört, liegt für die Sicht auf die gesamte Pandemie der Gedanke nahe: Okay, jetzt stecken sich einfach alle an. Aber dann ist auch diese Pandemie schnell vorbei. Dann sind die ganzen Kontaktbeschränkungen auch bald vorbei. Kann es also sein, dass wir es bald überstanden haben?
Ciesek: Ja, schwierig. Also ich traue mich da kaum noch, Prognosen zu geben. Aber ich habe das natürlich auch gelesen von der WHO mit der Hälfte der Europäer. Und ich denke, das wird zumindest dazu führen, dass die Immunitätslücken, die wir jetzt gerade noch in Deutschland haben und die noch groß sind, dass die wahrscheinlich zum großen Teil geschlossen werden durch so viele Infektionen. Und ich selbst merke das an mir, dass um mich herum immer mehr Infektionen sind.
Also wie gesagt, bei Bekannten und Freunden. Und das bei diesen hohen Inzidenzen. Und ja, dass man halt auch nach Impfung, nach Booster wenig Schutz hat von einer Infektion, dass ich eigentlich ständig damit rechne, dass ich mich selbst infizieren könnte oder jemand aus der Familie. Und ich versuche einfach trotzdem irgendwie nüchtern damit umzugehen. Ich bin geimpft und geboostert. Und ich denke, mein eigenes Risiko, dass ich schwer erkranke, habe ich dadurch so weit reduziert wie möglich.
Eigene Priorisierung
Und ich versuche einfach, nicht Kontakte komplett einzuschränken, aber schon zu reduzieren und für mich selber zu priorisieren. Was ist mir wichtig? Worauf möchte ich nicht verzichten? Wo kann ich dann damit leben, wenn ich mich infiziere? Und was will ich auf gar keinen Fall machen und verschiebe es lieber. Zum Beispiel auf der Arbeit, da sind wir auch noch mal im Institut deutlich vorsichtiger geworden. Also wir tragen konsequent Maske, testen uns häufiger, wir treffen uns nur noch online, außer, es geht nicht anders.
Und wenn einer Kontakt hatte oder die Warn-App rot ist, dann muss er ja nicht mehr in Quarantäne, wie wir wissen. Aber man verhält sich praktisch so, also man geht halt, wenn man wirklich raus muss, mit FFP2-Maske. Ich versuche, den öffentlichen Nahverkehr zu meiden. Bei vorerkrankten Menschen, wenn ich das weiß, bin ich noch vorsichtiger. Und trotzdem versuche ich auch, den Kindern in der Familie möglichst viel Normalität zu geben, dass die sich nicht so doll einschränken müssen. Das ist so ein bisschen mein eigener Weg.
Viele Unsicherheiten bei Omikron
Um noch mal auf den Anfang zu kommen, auch wenn der Verlauf jetzt milder ist, es gibt natürlich noch ganz viele Unsicherheiten bei Omikron. Wir wissen nicht, wie häufig Long Covid ist, ob das genauso häufig ist wie bei Delta. Wir wissen nicht, wie häufig PIMS ist. Und auch diese besagten supermilden Verläufe, die ich gesehen habe, sind nicht wirklich erstrebenswert bei allen. Man weiß einfach nicht, wie individuell der Verlauf ist, wenn man erkrankt, also weder Sie noch ich wissen das.
Und deswegen versuche ich immer abzuwägen und zu prüfen: Was ist mir wichtig? Und was mache ich? Und was lasse ich lieber sein? Und wie es weitergeht, ist, wie gesagt, schwierig. Es wird sicher noch ein paar Wochen so weitergehen, dann wird es im Sommer wieder deutlich entspannter. Im Herbst/Winter denke ich schon, dass es wieder schwieriger wird und die Zahlen ansteigen. Aber wir wissen halt auch nicht, was sich das Virus noch einfallen lässt. Ich denke, wir sind alle überrascht worden von Omikron und auch schon von Delta. Ich habe damit echt nicht gerechnet.
Risiko für Einzelne
Schulmann: Sie haben es jetzt schon angesprochen, wie Sie als Einzelperson damit umgehen und dass die Pandemie generell jetzt vielleicht schneller vorbei sein könnte. Aber für die einzelne Person ist der Zeitpunkt jetzt ja eigentlich gar nicht so günstig, um sich anzustecken, weil die Krankenhäuser fast am Rande der Kapazitäten sind. Was sagen Sie, wie schätzen Sie das Risiko für die Einzelnen gerade ein mit Omikron?
Ciesek: Ich schätze das im Moment so ein, dass das Risiko, sich zu infizieren, gerade höher ist, als es jemals war seit Pandemie-Beginn. Einfach dadurch, dass die Inzidenzen so hoch sind. Also wie gesagt, wir haben hier fast 1.000, das hatten wir noch nie in Frankfurt. Man kennt immer mehr Leute in seinem unmittelbaren Umfeld, die infiziert sind. Wir haben Spitzenwerte, wir haben eine Immunescape-Variante, und das Risiko schätze ich schon sehr, sehr hoch ein.
Man muss aber auch sagen, um wieder etwas Positives zu sagen, dass das Risiko seit Beginn der Pandemie für eine schwere Erkrankung, also daran zu versterben oder auf Intensivstation zu landen, wenn man geimpft und geboostert ist, mit Omikron so niedrig war, wie es bisher nie war. Das zu wissen ist zumindest für mich eine Erleichterung. Und trotzdem noch mal, es ist sicherlich nicht sinnvoll, jetzt zu sagen: "Ach, wenn schon, denn schon, dann jetzt. Jetzt bin ich frisch geboostert, da kann ich mich infizieren." Da möchte ich echt noch mal entschieden abraten.
Belastetes Gesundheitssystem
Was Sie gesagt haben, ist wichtig, das Gesundheitssystem ist belastet. Ich denke, den Kollegen hilft alles, wenn man Infektionen vermeidet und eben nicht ins Krankenhaus muss. Oder jetzt ganz eng vom Hausarzt überwacht werden muss. Und es ist einfach für mich absurd, dass man überlegt, sich extra anzustecken. Man steckt sich ja auch nicht absichtlich mit Hepatitis C an, nur weil man es gut behandeln kann. Das ist einfach nicht der richtige Weg.
Wenn es dazu kommt, wie gesagt, kann man zumindest davon ausgehen, dass man als geboosterter Geimpfter da das Beste gemacht hat, was man tun kann, um einen milden Verlauf zu haben. Aber das absichtlich herbeizuführen, ist eigentlich nie eine gute Idee.
Studie zu Organschädigungen nach Covid-19
Schulmann: Und welche Folgen so eine Infektion haben kann, das ist ja auch weiterhin noch nicht ganz klar. Dazu gibt es jetzt auch neue Daten von Wissenschaftlerinnen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Und die sagen: Auch ein milder Covid-Verlauf hinterlässt schon Spuren an Organen. Da wurden 443 Personen untersucht nach einer Infektion mit nur leichteren Symptomen und die wurden verglichen mit Daten von nicht an Omikron erkrankten Personen.
Dazu muss man auch sagen, alle Erkrankten waren nicht geimpft. Und heraus kamen Anzeichen von mittelfristigen Organschädigungen. Sie haben sich das angeguckt, sind die im Bereich des Erwartbaren, diese Schädigungen?
Ciesek: Ja, die Studie ist auch sehr interessant. Die haben genau geschaut. Die haben zum Beispiel ein MRT, also ein Kernspin vom Herz, vom Gehirn gemacht, das kriegt ja ein normaler Mensch nie in seinem Leben. Und genau geguckt, was sie finden. Sie haben dann auch die Lungen angeschaut und die Nierenfunktion und haben dann diese Studie veröffentlicht. Und erst mal klingt das natürlich auch wieder für den Laien schlimm. Also, wenn man sich infiziert, obwohl man fast nichts merkt oder nur ganz leicht infiziert war, davon waren 93 Prozent nicht im Krankenhaus.
Und dann funktioniert danach mein Herz oder meine Lunge nicht mehr so gut. Aber das muss man auch ein bisschen einordnen, also keinen Grund zur Panik haben. Das sagen selbst die Studienleiter, die haben das immer mit kommuniziert in ihrer Pressemitteilung. Man hat hier als Kontrollgruppe über 1.000 Teilnehmer genommen vor Covid, also vor der Pandemie. Und das ist wichtig oder sehr gut, weil die auf gar keinen Fall eine unentdeckte SARS-CoV-2-Infektion hatten.
Einfluss der Pandemie auf körperliche Gesundheit
Es ist aber auch gleichzeitig für mich so ein bisschen die Frage, wenn man das vergleicht mit zum Beispiel Menschen vor der Pandemie, also 2016, 17, 18, wie viel Einfluss hat der Lockdown auf die Funktion von Lunge und Herz? Oder nicht der Lockdown, das klingt immer so negativ, aber überhaupt die Pandemie an sich.
Schulmann: Weniger Sport zum Beispiel.
Ciesek: Genau, die Volksgesundheit betrachtet in der Pandemie: Also wenn ich nur an mich denke, ich habe das Gefühl, ich bewege mich viel weniger. Man geht nicht so viel raus. Und zum Beispiel wird man kurzsichtiger, weil man die ganze Zeit auf den Bildschirm starrt. Aber das sind, denke ich mal auch Studien, die noch sehr interessant werden. Aber jetzt zurück zu dieser Studie. Die haben Patienten untersucht zwischen 45 und 74. Also, sie können unter 45 gar nichts sagen. Sie haben eher Mittelalte angeschaut, und haben dann gesehen, dass das Lungenvolumen um drei Prozent abgenommen hat und das Pumpvolumen vom Herz um ein bis zwei Prozent.
Und dann haben Sie noch gesehen, dass das Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose zwei- bis dreifach erhöht ist und die Nierenfunktion um zwei Prozent abgenommen hat. Das Gehirn war aber weder in Struktur noch Leistung verändert, was schon mal gut ist. Die größten Bedenken habe ich bei einem Risiko für eine Beinvenenthrombose, muss ich sagen, wobei das auch durch Bewegungsmangel kommen kann. Aber ansonsten muss man sich, wie gesagt, einmal überlegen: Was bedeuten diese drei Prozent oder diese ein bis zwei Prozent weniger Lungenvolumen oder Pumpvolumen?
Schulmann: Ja, was bedeutet das denn? Das klingt ja erst mal nach nicht so viel Beeinträchtigung? Was bedeuten denn ein bis drei Prozent Einschränkung bei solchen Funktionen?
Ciesek: Erst mal ist es wichtig, dass dieser Trend ja da war. Und dass das anscheinend so ist, dass das abgenommen hat und nicht gleich geblieben ist. Aber ich denke, dass sich zum Beispiel drei Prozent vom Lungenvolumen für den Durchschnittsmenschen sehr gut durch Training kompensieren lassen, also Training der Atemmuskulatur zum Beispiel. Das heißt, wenn man nicht mehr akut erkrankt ist und zum Beispiel wieder die Treppe statt den Aufzug nimmt, kann man auch mit einem Luftballon trainieren und den aufpusten.
Wenn man Gewichtskontrolle betreibt, also nicht so viel Übergewicht hat und gegebenenfalls Gewicht anpasst, und natürlich sollte man nicht rauchen. Und wenn man mal schaut, wie man durch Ausdauertraining das Lungenvolumen steigern kann, also wenn man wirklich regelmäßig trainiert, kann man das bis zu 30 Prozent verbessern. Das heißt, diese drei Prozent sind nicht so viel. Und man kann das sehr gut selber kompensieren, indem man einfach gesund lebt, sich viel bewegt.
Und wer jetzt zum Beispiel raucht und weiterraucht oder mehr raucht, der braucht sich, glaube ich, auch nicht um drei Prozent Sorgen machen, der hat ganz andere Risiken in seinem Leben. Deswegen kann man eigentlich nur raten, dass man einen gesunden Lebenswandel hat. Wer wirklich Sorge davor hat, dass er durch eine Infektion jetzt drei Prozent seines Lungenvolumens oder ein bis zwei Prozent des Pumpvolumens verloren hat, der sollte das einfach als Motivation nehmen, Sport zu machen und die Gesundheit an sich zu verbessern. Und dann ist das, denke ich mal, eigentlich kein Problem.
Mittelfristige Schädigung der Organe
Schulmann: Da wird immer von mittelfristigen Schädigungen der Organe gesprochen. Was bedeutet das in diesem Zusammenhang, mittelfristig?
Ciesek: Das ist natürlich der Zeitraum der Untersuchung. Also, langfristig können sie es ja nicht sagen, weil sie nur eine begrenzte Zeit angeschaut haben. Es kann sein, dass sich das mit der Normalisierung, also wenn zum Beispiel die Pandemie vorbei ist, die Leute wieder mehr trainieren, mehr bewegen, wieder normalisiert. Das weiß man nicht. Und da man, wie gesagt, nur einen begrenzten Zeitraum anschauen kann, haben die es dann mittelfristig genannt, weil es natürlich auch nicht kurzfristig ist. Es ist ja schon ein paar Monate her.
Schulmann: Genau, die Untersuchungen haben schon Mitte 2020 begonnen. Die Untersuchten waren alle nicht mit Omikron erkrankt. Kann man trotzdem Schlüsse ziehen im Hinblick auf die Folgen mit einer milden Omikron-Infektion?
Ciesek: Nein, das hatten Sie ja auch eben gesagt, die waren weder geimpft, noch waren sie mit Omikron infiziert, sondern mit einer anderen Virusvariante. Aber man muss natürlich schon damit rechnen, dass es grundsätzlich ähnlich sein könnte. Und man hat es natürlich nicht mit dieser Studie untersuchen können oder bewiesen. Aber es ist möglich. Das muss auch noch mal untersucht werden.
Wie weiter in der Pandemie?
Schulmann: Wenn wir jetzt wieder auf die Pandemie gucken: Welche Strategie sollte aus Ihrer Sicht jetzt verfolgt werden? Also ist es sinnvoll, wirklich jeden einzelnen Fall noch nachzuverfolgen?
Ciesek: Ja, das ist natürlich eigentlich eine Frage an die Politik, die Strategie zu machen, nicht unbedingt an Virologen. Aber ich glaube, so grob gibt es wohl zwei Möglichkeiten. Das eine wäre, dass man sagt: Ja, Omikron ist milder und wir haben jetzt viele geimpft. Jeder, der wollte, ist geimpft und die meisten auch geboostert. Und wir können nun in vollständig Geimpften und Geboosterten eine Infektion zulassen. Und nicht gleichzeitig, deswegen haben wir auch noch Maßnahmen, damit nicht alle gleichzeitig erkranken, aber nach und nach. Und ich denke, dass man das dann von der Intensivkapazität wahrscheinlich schaffen würde. Und dass man, wenn man die Strategie eins nimmt, nicht mit aller Kraft alles verhindern würde.
Das ist im Moment, glaube ich, so ein bisschen was getan wird. Also man lässt einen gewissen Anteil von Infektionen zu, indem man das halt nicht ganz streng reguliert und nicht mehr die Geboosterten unbedingt testen muss oder nicht mehr in Quarantäne schickt. Und das ist die eine Strategie oder Möglichkeit.
Die andere wäre, dass man sagt: Omikron hat einfach ganz viele Unsicherheiten noch für. Die gesamte Pandemie hat ja viele Überraschungen gebracht. Es kann sein, dass bei Omikron noch was Neues dazukommt. Und wir warten jetzt noch bis zum Frühjahr, bis das Risiko für PIMS und auch für Long-Covid-Fälle einfach klarer wird, dafür bräuchten wir aber wahrscheinlich noch mal deutlich mehr Unterstützung und volle Kraft einfach der Bevölkerung bis zur Überbrückung, bis es einen Impfstoff auch gegen die Omikron-Variante gibt.
Schulmann: Und auch einen Impfstoff für kleinere Kinder vielleicht, die wir jetzt ja noch gar nicht schützen können.
Ciesek: Genau, die kommen natürlich auch dazu, dass man auch die unter Fünfjährigen schützt. Dann würde man wahrscheinlich einfach andere Maßnahmen brauchen, als man im Moment hat. Ich fürchte aber - oder das ist mein Gefühl -, dass das viele nicht mittragen würden und lieber das Risiko der Variante eins tragen. Und da muss man ganz klar sagen: Das kann für Einzelne oder wird für Einzelne nach hinten losgehen. Das ist auch klar.
Aber ich glaube schon, dass eins funktionieren wird, dass die Krankenhäuser, gerade die Intensivstationen darunter nicht kollabieren. Aber Verlierer sind und bleiben halt die, die keinen ausreichenden Impfschutz haben aufbauen können. Das sind zum einen Immunsupprimierte und natürlich auch Kinder unter fünf. Und für die Immunsupprimierten wird es erst besser werden, wenn wir wirklich auch noch Medikamente haben, die das unterstützen.
Medikamente in der Zulassung
Und das ist im Moment auch die schwierige Phase, es sind zwar Medikamente in der Zulassung, aber die sind ja noch nicht verfügbar auf dem Markt oder werden gerade verfügbar. Im Moment können Sie da kaum etwas anbieten. Also die neuen monoklonalen Antikörper kommen Ende Januar, das Paxlovid, da warten wir auch darauf, dass das auf den Markt kommt. Aber bis es dann wirklich ankommt, dauert es doch noch ein paar Tage oder Wochen.
Und wie gesagt, für mich gibt es grob diese beiden Möglichkeiten, die eine ist eher auf Sicherheit, aber doch mit mehr Einschränkungen. Und das gehen viele Menschen, glaube ich, nicht mehr mit oder wollen das nicht, weil sie für sich selber nicht so ein Risiko erkennen. Und die erste ist die, die eigentlich im Moment, so habe ich zumindest selbst das Gefühl, umgesetzt wird und man schon auch bewusst in Kauf nimmt, dass sich Geimpfte und Geboosterte infizieren, weil man davon ausgeht, dass sie die Intensivstationen nicht belasten.
Definition Endemie
Schulmann: Wenn wir jetzt davon ausgehen, alle Menschen werden in den nächsten Monaten oder im nächsten Jahr mit dem Virus in Berührung kommen. Egal, ob jetzt sehr schnell, alle auf einmal oder nach und nach. Aber alle werden damit in Berührung kommen. Dann wird das Virus endemisch. Und das ist ein Wort, das zurzeit in aller Munde ist. Aber ich glaube, so richtig klar ist nicht, was endemisch ganz genau bedeutet. Können Sie uns da noch mal mit einer Definition aushelfen?
Ciesek: Also vielleicht noch einmal: Was ist eine Pandemie? Eine Pandemie ist ja eine Epidemie mit weltweitem Ausmaß. Eine Krankheit, die im begrenzten Zeitraum hinweg in ganz vielen Regionen auf der Welt auftritt. Endemie bedeutet, dass diese Form der Erkrankung auf ein kleines Gebiet begrenzt ist und das nicht zeitlich begrenzt. So ein Beispiel für eine Endemie ist Malaria oder Cholera in Afrika. Es gibt ja in einigen afrikanischen Ländern immer wieder Malaria- oder Cholera-Fälle. Und das ist so eine klassische Endemie.
“En Demos“ ist übrigens altgriechisch und heißt “im Volk“. Also es bedeutet, dass die Krankheit oder der Erreger zwar ständig vorkommt und auch Menschen daran krank werden, aber nur in bestimmten Gebieten oder in bestimmten Personengruppen. Also die eine Vorstellung ist falsch, dass das von einem auf den anderen Tag passiert. Also morgen ist Freitag, der 2. Juli, dann ist die Endemie und davor war Pandemie. So auf einen Stichtag wird das nicht funktionieren.
Schleichender Prozess
Es ist ein schleichender Prozess, der auch lange dauern kann. Der auch stark davon abhängig ist, was man selber tut, für Maßnahmen hat. Und das heißt auch nicht, dass man dann SARS-CoV-2 ignorieren kann oder dass alles ganz harmlos ist. Also das ist auch eine falsche Vorstellung. Es könnte halt sein, dass es endemisch wird. Und das wird bedeuten, dass zum Beispiel jedes Jahr 100, 1.000 oder 100.000 Menschen trotzdem erkranken und dass aber trotzdem relativ wenige schwer krank werden, weil sie schon mal Kontakt hatten mit dem Virus oder geimpft sind und dadurch nur selten schwere Erkrankungen ausgelöst werden.
Und diese regelmäßigen Wellen kennen wir ja auch von den anderen Coronaviren, die Erkältungsviren sind, die in der Regel mild verlaufen. Es ist aber auch möglich, dass Covid eher so verläuft wie die Grippe, also dass man regelmäßig die Menschen auffrischen muss, gerade Risikogruppen auffrischen muss. Und dass es doch auch mehr schwere Erkrankungen gibt und dass man sich einfach immer wieder infizieren kann, aber durch eine gewisse Grundimmunität dann die Erkrankung mild verläuft. Und eigentlich kann man von einem endemischen Zustand erst reden, wenn alle Erwachsenen, alle Personen mit dem Virus schon mal in Kontakt waren. Also entweder durch eine Infektion oder durch die Impfung. Und das ist ja genau der Zustand, den wir noch gar nicht erreicht haben.
Schulmann: Spanien hat jetzt angekündigt, man wolle mit Covid umgehen wie mit einer Grippe. Das bedeutet, dort könnte bald ein endemischer Zustand ausgerufen werden. Also wenn man das überhaupt ausrufen kann, wie Sie sagen.
Ciesek: Ja, das ist im Endeffekt auch ein Gesellschafts-Agreement, also: Wie viele Tote akzeptiert eine Gesellschaft durch Covid? Wie viel wollen die Menschen als Gesellschaft dagegenhalten? Was aber auch eine große Rolle spielt, da weisen wir immer wieder daraufhin, ist, wie viele sind über 50 oder über 60 geimpft? Das sind ja die, die wirklich schwer erkranken und die wir vor allen Dingen auch schützen wollen.
Und da muss man schauen, wie es in Spanien aussieht. Ich glaube, die haben bei den über 60-Jährigen deutlich bessere Impfraten. Wenn man das entscheidet, muss man sich fragen, welche Rolle in Spanien dann auch Dinge wie PIMS oder Long Covid spielen und wie viele Infektionen es schon gab. Also ich glaube, sowohl beim Impfstatus als auch bei den durchgemachten Infektionen ist Spanien im Vergleich zu Deutschland doch weiter.
Neue Varianten durch Omikron?
Schulmann: Ja. Und mit der Warnung der WHO für vermehrte Ansteckung mit Omikron, da ging auch eine andere Warnung noch einher, und zwar die vor einer neuen Mutante. Da hieß es, je stärker sich Omikron ausbreitet, desto wahrscheinlicher ist es, dass es eine neue Variante hervorbringt. So hat es die WHO-Notfallexpertin Catherine Smallwood ausgedrückt. Was steckt dahinter? Ist das einfach die Annahme, dass bei mehr Übertragungen auch mehr solcher Codierungsfehler passieren können und so einfach eine neue Variante entsteht? Oder liegt das speziell an Omikron, dass eine neue, womöglich gefährlichere Variante entstehen könnte?
Ciesek: Ich glaube, es ist so eine Kombination. Es ist richtig, rein virologisch: Umso mehr sich das Virus vermehrt, umso mehr Möglichkeiten es hat, umso mehr wird es sich verändern. Es passt sich immer an, es passieren zufällig Fehler im Genom bei der Vermehrung. Und umso mehr Vermehrung stattfindet, umso mehr Fehler entstehen. Das ist ganz banal. Und manche Fehler haben Vorteile für das Virus und andere nicht. Und wir haben jetzt mit Omikron ja eine Variante, die doch starken Immunescape hat. Aber die, wie wir jetzt schon mehrmals diskutiert haben, wahrscheinlich nicht ganz so doll krank macht.
Und wenn jetzt natürlich Mutationen in Omikron entstehen, die dazu führen, dass die Krankheitsschwere zunimmt, dann wäre das natürlich nicht gut. Ich denke, dass sie das gemeint hat. Und deswegen, denke ich, muss man immer wieder sagen: Pandemie ist ja etwas Weltweites und wird auch nur weltweit zu bekämpfen sein. Und das ist natürlich immer eine Gefahr in unserem Lebensstil, in der Globalisierung, dass dann neue Varianten entstehen. Selbst, wenn wir in Deutschland eine ganz niedrige Zirkulation hätten, würden dann diese Varianten genauso wie jetzt durch die Reisen einfach nach Deutschland kommen.
Schulmann: Sehen Sie Omikron eher als Weg raus aus der Pandemie, also gesamtgesellschaftlich gesehen? Über die Risiken für die Einzelnen haben wir ja gerade gesprochen. Oder denken Sie eher, Omikron kann andere womöglich wieder ansteckendere oder krankmachende Varianten hervorbringen. Was ist da gerade Ihr Gefühl?
Ciesek: Mein Gefühl ist eher, dass Omikron so viele Menschen infiziert, dass die Impflücken wohl oder übel auch mit, wie soll man sagen, Kollateralschäden wahrscheinlich weiter geschlossen werden. Und das hilft auf dem Weg, aus der Pandemie rauszukommen. Ich kann einfach nur allen raten, was wir heute mehr als besprochen haben, sich nicht auf jede Schlagzeile so triggern zu lassen oder verrückt zu machen und immer einfach genau lesen. Und ich finde es besonders schwierig natürlich für vorerkrankte Mitmenschen und sich selbst da irgendwie auch zu einer Lösung zu kommen.
Weiterhin Rücksicht nehmen
Ich denke, man sollte da weiter Rücksicht nehmen und vorsichtig sein und vor allen Dingen auch Masken tragen. Und für sich selbst aber auch einen Weg finden, wie man weiterleben kann, um sich nicht völlig einzuschränken. Wir sehen es ja auch, dass das langfristig viele gar nicht durchhalten und auch nicht wollen. Und ich denke schon, dass das bei dem Impflücken schließen hilft. Wobei man natürlich auch vorsichtig sein muss, was wir auch besprochen haben, dass das dann nicht unbedingt vor einer anderen Variante schützt, sich anzustecken. Da müssen wir dann noch genau schauen, inwieweit das einen schweren Verlauf auch wirklich verhindern kann.