(104) Coronavirus-Update: Omikron - die drei Fragezeichen
In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht die Virologin Sandra Ciesek über die neue Virusvariante Omikron. Ist die neue Mutante ansteckender? Weicht sie den Impfstoffen aus, kann sie kränker machen? Noch ist viel unklar.
Im Gespräch mit Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig erklärt die Direktorin der Medizinischen Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt/Main, wie eine Mutationsanalyse und eine Sequenzierung ablaufen und welche nächsten Schritte die Forschung jetzt unternimmt, um B.1.1.529 besser zu verstehen. Die Virusvariante trägt mehr als 50 Mutationen. Außerdem geht es in Folge 104 um die Fragen, ob Omikron auch das Infektionsgeschehen in Europa verändern wird und wie wahrscheinlich ein Impfstoff-Update ist.
Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen
Mutationsanalyse und Sequenzierung
Suche nach Schlüsselmutationen
Deletion in 69/70 wie bei Alpha
Was ist über die Ausbreitungsdynamik in Südafrika bisher bekannt?
Gibt es spezielle, für Varianten angepasste PCR-Tests?
Transmission, Immunescape und Pathogenität
Was unterscheidet Omikron von Beta?
Welche Rolle spielen nachlassende Antikörper?
Wirken Molnupiravir und Paxlovid bei einer Omikron-Infektion?
Wie wird Omikron weiter erforscht?
Korinna Hennig: Frau Ciesek, am Freitag kamen die ersten Informationen zu Omikron in die Öffentlichkeit. Da ging alles sehr schnell und wir wissen ja, dass Sie mit Ihrem Institut an einem empfindlichen Punkt sitzen, in Frankfurt, der Verkehrsdrehscheibe durch den Flughafen. Da haben Sie sowieso schon einiges an Varianten gesehen. Wie war das jetzt in den letzten Tagen, gerade auch am Wochenende? Da hatten Sie mit Ihrem Team ja wahrscheinlich alle Hände voll zu tun. Können Sie uns ein bisschen schildern, wie Ihre Arbeit aussah?
Sandra Ciesek: Ja, also das war schon sehr chaotisch, sage ich mal, von unserer Seite. Es ist so, dass Freitag eigentlich die Meldung kam. Und dann kamen auch schon die ersten Anfragen und Verdachtsfälle. Wenn man mal auf den Ankunftsplan des Frankfurter Flughafens schaut, da landen ja manchmal morgens pro Stunde um die 1.000 Leute aus dem südlichen Afrika. Die alle von einem auf den anderen Moment zu testen ist ja gar nicht möglich. Also in dieser Größenordnung. Und die Leute wollen das auch gar nicht unbedingt.
Mutationsanalyse und Sequenzierung
Die Verordnung kam ja dann relativ schnell. Ab Samstag null Uhr wurde das dann geregelt. Aber gerade so die Zwischenzeit zwischen Freitag und Samstag null Uhr war schon etwas anstrengend. Als die Gefahr erkennt wurde, wollte das Gesundheitsamt natürlich kontrollieren. Aber die Passagiere kennen natürlich auch genau ihre Rechte und wissen, dass die Verordnung erst ab 0 Uhr gilt. Dann fragt man natürlich die Leute trotzdem und bittet sie, den Test zu machen und sich in Quarantäne zu begeben. Das ist schon schwierig. Da wird dann auch nicht immer kooperativ mitgearbeitet mit den armen Kollegen vom Gesundheitsamt. Wir haben einen Flug auch genauer untersucht und dann die PCR gemacht und die Antigentests. Und haben dann auch, das ist recht aufwendig, wenn da positive waren, indirekt eine Mutationsanalyse gemacht, auch mit PCR und dann sequenziert. Das ist ja jetzt schon etwas anderes als ein normaler Wochentag. Also normalerweise ist am Wochenende einer oder es sind zwei im Labor und sie brauchen halt mindestens für jeden Schritt eine Person. Einer, der die PCR macht, einer, der sequenziert, einer, der die Mutationsanalyse macht, und einer, der das Isolat macht. Also wir wollen dann natürlich auch das Virus anzüchten, um damit neue Erkenntnisse zu gewinnen. Und das führte dazu, dass hier am Wochenende reger Betrieb war.
Hennig: Das heißt aber auch, Sie waren quasi in Dauerschleife am Flughafen. Nachdem die Verordnung in Kraft war, wie sortiert man das, Abstriche zu nehmen, wer wird da getestet?
Ciesek: Ich bin zum Glück nicht selbst am Flughafen, sondern die Proben kommen zu uns ins Labor. Am Flughafen ist das Gesundheitsamt und die Kollegen. Und wir haben halt, bevor die Verordnung in Kraft trat, einfach um zu verstehen, wie viele Leute da durch das Raster gehen, mal komplette Flüge untersucht. Seit Samstag null Uhr ist es ja wohl so, dass nur noch Getestete, also mit PCR getestet, der nicht älter als 24 Stunden ist, an Bord dürfen. Seitdem hat sich die Situation auch deutlich entspannt.
Suche nach Schlüsselmutationen
Hennig: Sie haben jetzt eben schon das Stichwort Mutations-PCR genannt. Darüber haben wir ja in der früheren Folge schon mal gesprochen, als es um das Alpha-Virus ging. Vielleicht können wir es noch mal ganz kurz erklären. Also da kommt ein Abstrich zu Ihnen ins Labor: PCR-positiv und dann muss man gucken, welche Hinweise kann man schnell darauf sammeln, ob das jetzt die Omikron-Variante ist.
Ciesek: Und dann guckt man sich sogenannte Schlüsselmutationen an, die in der einzelnen Variante vorkommt. Und das machen wir eigentlich hier in der Uniklinik mit jedem Isolat. Also jede neue Diagnose wird halt weiter charakterisiert mit so einer PCR. Eigentlich ist bisher in den letzten Wochen alles bei uns Delta gewesen.
Deletion in 69/70 wie bei Alpha
Man weiß das von Omikron, dass da eine Deletion ist in 69/70, die Delta nicht hat, aber die Alpha hatte, also die britische Variante, und dann kann man sich praktisch das alte Kit aus dem Schrank holen und schauen, ob jetzt wieder eine Mutation oder eine Deletion in 69/70 vorliegt. Und da gibt es natürlich nicht nur eine PCR, sondern eine ganze Reihe. Wir haben insgesamt fünf PCR mit Schlüsselmutationen gemacht und haben dann gesehen, dass das nicht Delta ist und auch nicht ein uns bekanntes Virus. Und daraufhin besteht da natürlich zusammen mit der Reiseanamnese ein hoher Verdacht, dass da dieses Virus Omikron zu finden sein wird. Das hat sich bei dem ersten jetzt schon in der Sequenzierung bestätigt.
Hennig: Sieben Verdachtsfälle haben Sie aber noch ausstehen, das heißt, das Ergebnis wird dann morgen vorliegen?
Ciesek: Genau. Also wir sind gespannt. Wahrscheinlich werden das alles Fälle sein - wenn ich jetzt mal raten sollte, weil die auch alle eindeutig Kontakt zu einer Person hatten, wo das bekannt ist oder die eine Reiseanamnese haben. Bisher haben wir hier in Frankfurt noch keine Probe, wo sich diese Variante nachweisen ließ, ohne direkten Flug aus Afrika oder ohne direkten Kontakt zu jemandem, der von dort wiedergekehrt ist. Es gibt aber heute, glaube ich, in Leipzig einen Fall, da ist das nicht der Fall. Also da wurde die Variante bei jemandem gefunden, der nicht gereist war. Und da muss man natürlich jetzt ganz genau im Umfeld gucken: Wo kann dieses Virus herkommen und wie hat sich das in Leipzig schon unbemerkt verteilt.
Hennig: Wir kennen da auch mehrere Fälle, auch aus Schottland. Das European Center for Disease Prevention in Control ECDC hat vorhin bekannt gegeben, dass es 42 bestätigte Fälle in Europa in zehn verschiedenen Staaten gibt. Ich habe eben das Beispiel gesagt: In Schottland gibt es auch Fälle ohne Reisevorgeschichte, zumindest so viel man bisher weiß. Was sagt Ihnen das, wenn man das jetzt auch zusammen denkt mit diesem Fall in Sachsen zum Beispiel. Kann man daraus schließen, dass die Verbreitung in Europa womöglich schon weiter gediehen ist, als wir das bisher so sehen?
Ciesek: Wahrscheinlich ist das so. Man muss sich aber die Fälle noch mal anschauen. Also zum Beispiel, wenn der Leipzig-Fall ein Taxifahrer ist, der am Flughafen steht, dann muss er nicht selbst in Afrika gewesen sein. Dann kann es auch sein, dass er einfach einen Fluggast nach Hause gebracht hat. Das weiß ich aber nicht. Also jetzt noch mal so ein Beispiel, dass das nicht immer heißen muss, dass es schon eine große Ausdehnung in Deutschland gibt. Wie gesagt, wir haben es vorher in alten Proben hier in Frankfurt nie gesehen, weil wir da immer nachschauen. In Schottland, das kann natürlich ein großes Cluster sein, da muss man noch ein bisschen mehr Fragen stellen, um das beantworten zu können. Also wo ist die wahrscheinlichste Infektionsursache oder wo ist das passiert? Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass das doch schon in Einzelfällen verbreiteter ist.
Ausbreitung in Südafrika
Wie gesagt, wir haben es vorher nie gesehen und jetzt bei den Flügen am Freitag und Samstag war es so, dass die, die in den Flügen waren und die eine Infektion hatten, wahrscheinlich alle dieses mutierte Virus haben und dass das jetzt nicht so ein buntes Bild war. Das hat man ja auch an dem Flug in Amsterdam gesehen. Da waren ja auch, glaube ich, 13 mit dieser Variante. Also es scheint auf jeden Fall in Südafrika schon deutlich verbreiteter zu sein. Also ich fand das schon sehr viel, was die Holländer berichtet haben, 13 Fälle. Ich weiß gar nicht, in wie vielen Flügen sie die gefunden haben, ob das einer war oder mehrere. Aber es ist schon nicht wenig.
Hennig: Jetzt ist das in Südafrika wahrscheinlich auch deshalb so früh aufgefallen, weil die so gut überwachen, auch Möglichkeiten zur Überwachung haben, was ja nicht auf dem gesamten Kontinent in Afrika so ist und auch in Europa nicht überall gleich läuft. Wie schätzen Sie das ein? Reichen die Kapazitäten in Europa in diesem Stadium für eine gute Überwachung des Virusgeschehens, was diese Variante angeht, das Monitoring?
Ciesek: Das ist ganz wichtig, was Sie sagen. Ich glaube auch nicht, dass das Virus unbedingt aus Südafrika kommen muss. Wir hatten auch einen Rückkehrer aus Simbabwe zum Beispiel, der auch unter den Verdächtigen ist, die diese Variante tragen. Ich gehe davon aus, dass das in Afrika deutlich verbreiteter ist und dass es dort einfach nicht auffällt, weil da natürlich viel weniger getestet wird und gerade in Zentralafrika oder in anderen Ländern auch Sequenzierungen viel, viel weniger durchgeführt werden können. Diese Strukturen gibt es ja eigentlich so nur in Südafrika. Deshalb ist das gut möglich, dass das einfach auch nach Südafrika eingetragen wurde.
Hennig: Wie groß sind denn eigentlich die Maschen, durch die man da noch schlüpfen kann, wenn man nur mit PCR-Test überhaupt an Bord kommt?
Ciesek: Ich hoffe, nicht groß. Also das ist natürlich immer schwierig. Wenn die PCR kurz vorher gemacht wurde und der Abstrich adäquat war, also richtig tief aus dem Nase-Pharynxbereich, aus dem Rachen, kommt, dann würde ich dem Test für diese Stunden, die der Flug dauert oder für zwölf, 24 Stunden schon trauen.
Er ist aber nicht 100 Prozent. Wir wissen, die Sensitivität ist nicht 100 Prozent, auch bei der PCR. Aber ich glaube, besser kann man es dann auch nicht machen. Die Menschen gehen ja ab Samstag null Uhr in Quarantäne und sind dann noch mal überwacht. Und wenn es danach zu einer Infektion kommt, dann wird das natürlich auffallen und dann wird auch jeder daran denken, zu schauen, ob diese Variante vorliegt.
Variantenspezifische PCR für Omikron
Hennig: Wird denn in Deutschland generell genug in den Laboren sequenziert, um das wirklich gut überwachen zu können?
Ciesek: Man muss ja gar nicht alles sequenzieren. Wir sequenzieren mittlerweile relativ viel in Deutschland. Aber wir haben ja jetzt wieder die Möglichkeit mit einer Mutations-PCR, also einer variantenspezifischen PCR, die Fälle relativ schnell zu erkennen.
Die wird diese oder nächste Woche erwartet, speziell für die Omikron-Variante. Dann kann man das natürlich wieder genauso machen wie bei Delta, dass die Groß-Labore sich eine Woche rauspicken und alle auf diese Mutationen screenen und dann bekommen sie, glaube ich, einen sehr guten Überblick über Deutschland, wie verbreitet diese Variante wirklich ist. Ich weiß es nicht, aber ich gehe davon aus, dass das BMG so eine Untersuchung wahrscheinlich bald anstoßen wird.
Hennig: Lassen Sie uns ein bisschen auf die Variante selbst gucken. Es sind mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein, davon auch einige an Stellen, die für den Eintritt und das Andocken an die menschliche Zelle relevant sind, ohne dass wir jetzt alle aufzählen und es dann unübersichtlich wird. Können Sie uns ein bisschen einordnen, was genau die Knackpunkte sind, die der Forschung im Moment Kopfzerbrechen bereiten, auch weil sie vielleicht schon von anderen Varianten bekannt sind?
Ciesek: Ich würde mal sagen, das gesamte Genom hat um die 50 Mutationen und da sind ein paar übliche Verdächtige dabei, die wir kennen. Eben haben wir schon über die Deletion 69/70 gesprochen, die wir auch in der Alpha-Variante finden, die mal aus UK kam. Dann gibt es diese Mutation an Position 501, die nicht in Delta ist, aber auch in Alpha, Beta und Gamma. Dann gibt es zwei sogenannte Immunescape-Mutationen, die 417 und 484. Da wissen wir, dass sie so ein bisschen das Immunsystem, die Antikörper-Neutralisierung verändern. Die kommen beide vor und die 417-Mutationen findet sich so auch in der Beta- und Gamma-Variante. Die 484 ist einfach mit einer anderen Aminosäure mutiert, sag ich mal. Die ist zumindest an der Position. Dann finden wir auch in der Nähe der Furin-Spaltstelle die P681H, die man auch bei Alpha und Delta finden kann, die ja wahrscheinlich zu dieser erhöhten Transmission und besseren Infektion beiträgt. Und es gibt noch viele, viele Mutationen, wo wir noch gar nicht wissen, was die machen.
Hennig: Wir haben in einer früheren Podcastfolge schon mal darüber gesprochen, wie solche Mutationen entstehen und auch darüber, dass es ein besonders heikler Punkt ist, wenn sich immunsupprimierte Menschen infizieren, weil die Bedingungen für so einen großen Evolutionssprung, also viele Mutationen gleichzeitig, da besonders günstig sind. Jetzt wird vielfach spekuliert, dass Omikron genauso entstanden sein könnte, zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent. Weil es dort zum Beispiel nun mal eine hohe Rate an HIV-infizierten Menschen gibt. Halten Sie das für denkbar?
Ciesek: Dass das denkbar ist, dass in einem immunsupprimierten Menschen ein Virus entsteht, was viele Mutationen hat, das haben wir ja schon an einer Veröffentlichung im "New England Journal" gesehen. Das war so ein Case Report. Also theoretisch ist das möglich. Man muss nur immer bedenken, wie kommt dieses Virus von einem Menschen dann weiter und kann sich so stark vermehren, dass es sich dann so ausdehnt? Da braucht man dann ja schon praktisch, wenn man von einem Menschen ausgeht, eine echte Infektionskette oder ein Superspreader-Event und deshalb ist das die Frage.
Also es ist möglich, das Virus kann das. Aber ob es so entstanden ist, das wissen wir einfach nicht, weil dann natürlich noch andere Bedingungen dazukommen müssten. Wenn wir an schwer immunsupprimierte Patienten denken, dann denkt man ja immer an Menschen, die im Krankenhaus liegen und eigentlich isoliert sind. Da ist die Frage, wie kommt das Virus von dort wieder weg. Das ist einfach unklar. Also es ist theoretisch möglich, aber wir wissen es nicht genau.
Hennig: Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Sprung gar nicht so groß war und es schon Untervarianten gibt, die aber nicht entdeckt wurden, also der Stammbaum jetzt sozusagen nur am Ende wieder sichtbar wird.
Ciesek: Zum Beispiel. Das wird sich sicherlich nicht von einem auf den anderen Tag entwickelt haben, sondern über viele Wochen oder sogar Monate wird sich dieses Virus weiterentwickelt haben.
Transmission, Immunescape und Pathogenität
Hennig: Eigentlich sind so drei große Bereiche die wichtigen offenen Fragen für das Pandemiegeschehen. Also zum einen die Transmission - wird das Virus ansteckender durch diese Mutante? Immunescape - umgeht es unsere Immunantwort nach der Impfung oder nachdem man eine Infektion überstanden hat? Und Pathogenität - also macht das Virus anschließend womöglich kränker? Vielleicht können wir das der Reihe nach mal durchgehen. Viele sagen schon jetzt, ansteckender sei sehr wahrscheinlich, weil sich die Variante, bei kleinen absoluten Fallzahlen, aber eben relativ schnell in Südafrika ausgebreitet hat. Aber sicher ist das ja auch noch nicht.
Ciesek: Nein, das kann man so nicht sagen. Ende November ist das in Südafrika innerhalb von wenigen Wochen dominant geworden. Aber man muss dazu sagen: Da war kaum Zirkulation von Viren mit einer sehr niedrigen Inzidenz. Aktuell hat Südafrika um die 50 und auch einen starken Anstieg. Deswegen kann man das aus den Daten alleine noch nicht sagen.
Es kann ein sogenannter Founder-Effekt sein. Das heißt, dass sich die Zahlen einfach aus einem Superspreader-Event weiterentwickelt haben. Also die Infektionsketten sind dadurch erfolgt, dass die Zahlen so niedrig sind und es so wirkt, als wenn das jetzt ganz schnell dominant geworden ist, weil einfach die Zirkulation der anderen Viren so gering war. Bei uns ist das zum Beispiel eine völlig andere Voraussetzung. Wir haben ja wahnsinnig viel Delta-Infektionen im Moment und man muss jetzt einfach weiter beobachten, ob Omikron es schafft, auch hier Delta zu verdrängen oder ob das wirklich daran lag, dass die Gesamtzahl dort so niedrig ist.
Was unterscheidet Omikron von Beta?
Hennig: Es gab ja schon mal eine Variante, die sich in Südafrika ausgebreitet hat, die es auch in Europa vereinzelt gegeben hat, aber die sich hier eben nicht durchgesetzt hat: Beta. Was ist zwischen der Beta-Variante und Omikron so anders?
Ciesek: Ich glaube, was man auch noch mal sagen muss, dass wir uns nicht direkt mit Südafrika vergleichen dürfen, weil die haben ganz andere Bedingungen vor Ort. Die haben ja eine viel, viel niedrigere Impfquote, also viel weniger Geimpfte. Dafür wahrscheinlich viel mehr, die die Infektion durchgemacht haben. Wie gesagt, sie haben im Moment kaum Delta-Infektionen und die Beta-Variante hat sich hier nie so richtig durchgesetzt, weil sie zwar einen gewissen Immunescape hatte, aber der nicht so stark war, dass das Virus damals wirklich einen Vorteil hatte, weil die Ansteckungsfähigkeit jetzt gar nicht so viel stärker war. Man muss das immer anhand der Gesamtsituation betrachten und anhand der Bevölkerung. Also wie empfänglich ist die für das Virus.
Ich glaube, die Frage ist eher, ob Omikron ansteckender als Delta oder Beta ist. Man bekommt den Eindruck, dass das so ist, wenn man nicht genau hinschaut. Aber es kann auch genauso sein, dass Omikron einfach mehr Geimpfte durch diesen Immunescape infizieren kann und deshalb einfach wieder mehr Menschen empfänglich für eine Infektion sind und dass es deshalb so aussieht, als wenn es infektiöser ist oder die Übertragung leichter erfolgt. Obwohl das eigentlich daran liegt, dass einfach mehr Menschen wieder empfänglich sind durch einen gewissen Immunescape.
Hennig: Also wie immer: Es kommt auf das Zusammenspiel verschiedener Faktoren an. Ich höre das schon so ein bisschen raus, dass Sie den Immunescape im Moment für den wahrscheinlichsten Punkt halten, was die Indizienlage angeht. Dass es tatsächlich einen deutlichen Immunescape gibt, deutlicher als bei anderen Varianten. Aber ist da nicht noch mal ein Unterschied zu machen zwischen Genesenen und Geimpften, also gerade in Südafrika? Die hatten ja hohe Infektionszahlen, aber Sie sagten es schon, eine niedrige Impfquote. Ich glaube, 25 Prozent ungefähr habe ich zuletzt gelesen.
Ciesek: Ich glaube, dass der Immunescape im Moment das am besten zu fassende für uns ist, weil wir da ein bisschen Erfahrung haben durch die Punktmutationen. Aber ich sage mal, das ist ein neues Virus-Genom. Da muss man auch das Zusammenspiel der Mutation betrachten und bisherige Variants of Concern hatten eigentlich eher einen geringen Immunescape, also nicht so doll. Ich fürchte, dass das bei dieser Variante anders ist, einfach aufgrund der Zusammensetzung und aufgrund was wir auch sehen: Es ist halt schon so, dass man sich mit der Variante infizieren kann, symptomatisch werden kann, wenn man vollständig geimpft ist. Das sehen wir jetzt auch bei unseren Fällen, die wir hier haben und auch, dass alle Vakzine betroffen sind. Also es ist nicht so, dass das jetzt nur ein Vakzin betreffen würde, sondern eigentlich alle, die so auf dem Markt verfügbar sind. Und leider wird es auch die monoklonalen Antikörper, die wir ja im Moment sehr gerne einsetzen, betreffen. Weil dort auch schon bekannt ist, dass sie zum Teil keine Wirkung bei bestimmten Punktmutationen mehr haben und auch eine Reinfektion möglich ist. Das haben wir in Südafrika gesehen. Ob das eine jetzt mehr ist als das andere, das kann man einfach noch nicht sagen oder vergleichen, weil die Population eine komplett andere ist. Es ist beides möglich, das kann man schon sagen.
Hennig: Was den Impfstatus der Betroffenen angeht, also diese bis zu acht Fälle, die Sie jetzt zum Beispiel in Frankfurt haben, einen bestätigten und sieben Verdachtsfälle. Die waren alle doppelt geimpft?
Ciesek: Die waren alle so geimpft, dass sie als geimpft gelten, sage ich mal. Ich glaube, sonst dürfen die auch gar nicht an Bord. Die können, glaube ich, nur so eine Fernreise machen, wenn sie vollständig geimpft sind.
Welche Rolle spielen nachlassende Antikörper?
Hennig: Wir haben aber ja auch hier die Booster-Diskussion, also könnte nicht auch der nachlassende Impfschutz an sich, ohne Immunescape, eine Rolle spielen? Also die Antikörper gehen zurück und wenn jetzt aber alle geboostert wären, sähe es auch mit Omikron schon wieder besser aus?
Ciesek: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Also wie gesagt, ich bin da ein bisschen skeptisch im Moment, weil Omikron schon die Tendenz hat, einen stärkeren oder starken Immunescape zu machen. Es kann sein, dass auch eine Booster-Impfung da keinen hundertprozentigen Schutz mehr hat. Man muss aber dazu sagen, dass natürlich die Antikörper-Antwort nicht das Einzige ist. Wir haben ja noch die T-Zellen, T-Zell-Immunität und wir hoffen im Moment sehr doll, dass die davon nicht so betroffen ist, weil die nicht so anfällig ist für diese Mutation und dass das dazu führt, dass zumindest schwere Verläufe dann trotzdem weniger sind, wenn man sich mit dieser Variante ansteckt. Aber das ist alles, wie gesagt, noch sehr fraglich und noch nicht sicher genug, um da definitive Aussagen zu machen. Leider.
Wirken Molnupiravir und Paxlovid bei Omikron-Infektion?
Hennig. In dem Zusammenhang spielt natürlich auch der dritte Bereich eine große Rolle, also die Frage nach der Pathogenität. Was die Berichte angeht, das Pendel schlug bisher eher in eine andere Richtung aus, weil ja zuletzt berichtet wurde, dass die Verläufe nach Infektion mit der Omikron-Variante eher mild waren. Aber das sagt noch wenig aus, weil da immer auch reinspielt, wer infiziert sich mit welchem Risikoprofil und welcher Vorgeschichte, oder?
Ciesek: Das kann man auch noch nicht sagen. Ich möchte aber noch was zu dem Immunescape sagen, weil das so negativ klingt. Ich habe noch zwei gute Nachrichten dazu: Das eine Positive ist, dass in der Protease und in der Polymerase von dem Virus-Genom jeweils nur eine Mutation ist und da sind die Angriffspunkte von den beiden Medikamenten Paxlovid und Molnupiravir und ich würde mal davon ausgehen, dass das dann wenig Effekt auf die Wirkung dieser Medikamente haben wird. Das zeigt auch noch mal, wie wichtig das ist, dass wir auch Medikamente entwickeln. Da sieht es eigentlich gut aus, dass das nicht so anfällig ist, weil die nichts mit dem Spike-Protein zu tun haben. Das andere Positive ist, dass es natürlich möglich ist, durch diese mRNA-Technologie relativ schnell die Impfstoffe anzupassen. Die beiden Firmen, die die mRNA-Impfstoffe herstellen, haben auch schon gesagt, dass sie daran arbeiten und das gegebenenfalls anpassen können, dass das relativ schnell und unkompliziert geht. Ich denke, das sind auf jeden Fall zwei positive Nachrichten. Also wir fangen nicht wieder bei Null an oder so, sondern wir haben zum einen die Medikamente und zum anderen haben wir die mRNA-Impfstoffe, die relativ schnell angepasst werden.
Hennig: Wobei relativ schnell schon auch in Zeit-Relation heißt, bis das alles ausgeliefert würde und verimpft werden könnte, das dauert dann schon auch. Das ist schon eher eine Frage von Monaten, oder?
Ciesek: Das stimmt. Wobei wir erst mal verstehen und gucken müssen, ob wir überhaupt die Anpassung brauchen. Also immer ein Schritt nach dem anderen. Das wird natürlich parallel gemacht. Also die Firmen haben auch gesagt, sie machen das parallel, dass sie parallel schauen, ist diese Anpassung nötig und die Sequenz schon parallel auch anpassen und sie arbeiten da auch auf Hochdruck, dass das möglichst schnell geht. Aber natürlich haben Sie Recht, das geht nicht von heute auf morgen.
Hennig: Zur Pathogenität: Die Frage ist ja schon, wen betrifft es wie? Das ist im Moment auch ein bisschen schwierig zu sortieren. Die, die sich da infiziert haben, zumindest unsere deutschen Fälle, waren dann zum Beispiel geimpft und das waren auch eher Jüngere. In Südafrika ist ja sowieso eher eine jüngere Bevölkerung.
Ciesek: Ja, also die Struktur kann man nicht vergleichen mit Deutschland. Also die haben natürlich eine viel jüngere Bevölkerung als wir. Die haben dadurch natürlich auch andere Komorbiditäten im Alter und deswegen ist das absolut schwer zu interpretieren, was diese Daten bedeuten. Und ehrlich gesagt, man kann dazu im Moment nichts sagen. Ich habe Berichte gelesen, die sagen, es sei milder. Ich habe Berichte gelesen, die sagen, es seien schwerere Verläufe. Im Grunde genommen kann man das erstens nicht auf uns übertragen und zweitens kann man es aufgrund von, sage ich mal, Anekdoten von Einzelfällen auch nicht wirklich gut beurteilen. Ich denke, da wirklich repräsentative Daten zu bekommen, also zum Beispiel: Wie alt sind die Patienten, wie oft waren sie vorgeimpft und da dann auch wirklich eine systematische Erfassung zu haben, das wird leider Wochen bis Monate dauern. Das kann man einfach noch nicht seriös beantworten. Ich glaube, es ist alles offen. Also man darf es weder als Grund sehen zu sagen, das sei alles ganz harmlos, noch braucht man jetzt in Panik verfallen. Aber es ist einfach nicht beantwortbar.
Hennig: Ganz theoretisch ist das aber trotzdem eine Frage, die auch in die andere Richtung ausgehen könnte. Also, dass das Virus sich in seiner krankmachenden Wirkung abschwächt, aber zum Beispiel übertragbarer ist.
Ciesek: Es ist auch möglich, dass es einfach genau gleich ist. Also wie gesagt, wir wissen es wirklich nicht und das wird man erst sehen, wenn man genug Infektionen beobachten konnte, weiter beobachten konnte. Und man darf auch nicht vergessen, dass wir das ja jetzt auch seit fast einer Woche beobachten und die Menschen ja oft erst in der zweiten Woche wirklich krank werden. Ich glaube, da müssen wir einfach warten und die Daumen drücken.
Weitere Forschung im Hochsicherheitslabor
Hennig: Wie geht es jetzt in der Forschung weiter? Da versucht man ja jetzt mit Hochdruck an ganz verschiedenen Orten Erkenntnisse zu gewinnen und Manches kann man ja auch tatsächlich mit Virus-Isolaten versuchen zu beantworten. Nicht nur aus der Beobachtung, aus der echten Welt. Auf welche Ergebnisse können wir hoffen, wie schnell und von wo?
Ciesek: Wir versuchen jetzt die Proben, sogenannte Virus-Isolate zu bekommen. Dafür haben wir die, die wir haben, auf Zellen gegeben und da müssen die dann erst mal anwachsen und man muss die vermehren, damit man mehr Viren produziert. Das wird alles natürlich in einem Hochsicherheitslabor gemacht. Und dann kann man anfangen, wenn man genug Viren hat, damit Experimente zu machen. Und ganz einfache Experimente sind zum Beispiel, dass man Seren von Personen nimmt, wo man weiß, womit die geimpft wurden. Also mit den einzelnen Impfstoffen. Oder die zum Beispiel genesen sind und dann schaut, ob die Seren diese Infektionen noch neutralisieren und das mit Delta vergleicht oder mit dem ursprünglichen Virus. Und dann bekommt man zumindest relativ schnell ein Gefühl, wie die Neutralisierung ist, also wie stark der Immunescape ist. Man kann die Medikamente, diese monoklonalen Antikörper testen. Das dauert Wochen. Also das wird man natürlich nicht publizieren, aber als Preprint wird man wahrscheinlich erste Daten in ein paar Wochen sehen. Diese Studien mit der Pathogenität, dass man das wirklich in der Bevölkerung untersucht. Wie schwer erkranken die Menschen? Ist das mehr oder weniger als bei Delta? Das wird eher Monate dauern und dann kann man natürlich noch im Tiermodell untersuchen, woran das liegt, dass sich diese Variante jetzt anders verhält als andere. Das sind auch eher Arbeiten, die wahrscheinlich Monate dauern.
Hennig: Also was die Ansteckungsfähigkeit angeht.
Ciesek: Zum Beispiel.
Hennig: Ich fasse zusammen: Genaues weiß man nicht. Manche Anzeichen verdichten sich, aber es sind nur Anzeichen. Wichtig ist aber jetzt vor allen Dingen auch Südafrika zu unterstützen, oder?
Ciesek: Ja, auf jeden Fall. Also nicht nur Südafrika, sondern ganz Afrika. Es ist glaube ich falsch, jetzt nur auf Südafrika zu schauen. Die haben noch die besten Strukturen. Das ist ja in anderen Ländern in Afrika sicherlich eine andere Situation. Das ist es ja auch, was wir immer gesagt haben, dass das möglich ist, dass eine Immunescape-Variante entsteht, wenn wir den Impfstoff nicht gerecht teilen und uns auch um diese Länder kümmern. Und ich fürchte, dass sich das jetzt mit Omikron so ein bisschen bewahrheitet hat.
Hennig: Die Forschung muss auch weiter unterstützt werden. Also der südafrikanische Epidemiologe Tulio de Oliveira hat gerade sozusagen Alarm getwittert. Er schrieb, dass die Reisebeschränkungen auch zur Folge haben könnten, dass die Labore dort bald einen Mangel an Reagenzien haben, also die Materialien, die für Nachweis und Überwachung dringend benötigt werden.
Ciesek: Das ist ganz wichtig, dass man da natürlich unterstützt und diese Länder jetzt nicht isoliert und abhängt, weil das wäre der größte Fehler. Man muss es einfach nur wirklich kontrolliert machen. Also es gibt ja auch noch Stufen zwischen: "Ich mache Safari-Urlaub" und "Ich mache eine berufliche Reise". Also es gibt ja auch Menschen, die dort beruflich hinreisen und die zum Beispiel Hilfsgüter transportieren oder Frachten. Das läuft natürlich weiter und, zumindest wenn ich in Frankfurt schaue, fliegen die auch weiter diese Länder ganz normal an. Man muss einfach schauen, wie man jetzt am besten damit umgeht, dass man versucht, dass sich die Omikron-Variante möglichst langsam in Deutschland ausweitet und möglichst, dass man das ausbremst. Gerade weil wir noch eine starke Delta-Welle haben, aber gleichzeitig auch die anderen Länder nicht vergisst und denen versucht zu helfen.
Nicht auf Impfstoff-Update warten
Hennig: Jetzt haben Sie mit "Ausbremsen" sozusagen das Stichwort für unseren Ausblick gegeben, weil das ja die Debatte ist, die wir hier im Land haben, dass wir unabhängig von Omikron ja einiges zu tun haben. Wir haben vorhin kurz über ein Impfstoff-Update gesprochen. Es wäre vielleicht wichtig, dass wir an der Stelle noch einmal auf das Impfen gucken. Ich höre schon die Stimmen der Impfskeptiker, die sagen: Na ja, dann lohnt sich das ja gar nicht mit dem Impfen, da warte ich das Update erst mal noch mal ab, auch wenn das ein paar Monate dauert. Das ist aber trotz allem nach wie vor keine gute Idee, oder?
Ciesek: Nein, weil im Moment ist Delta unser großes Problem. Wir haben eine sehr, sehr hohe Inzidenz. Da wirkt die Impfung immer noch sehr gut. Es macht einfach keinen Sinn, jetzt zu warten. Und bei Omikron wissen wir einfach viel zu wenig. Ob sich das hier überhaupt so ausbreitet, wie pathogen es ist, das müssen wir jetzt alles erst lernen. Es ist immer gut, dem Virus einen Schritt voraus zu sein, also schneller zu sein und nicht hinterherzulaufen. Deswegen würde ich das davon gar nicht abhängig machen.