Zu sehen ist eine menschenleere Straße während des Corona-Lockdowns im Dezember 2020. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas Foto: Jan Woitas

(102) Coronavirus-Update: SOS - Iceberg, Right Ahead!

Sendedatum: 09.11.2021 17:00 Uhr

In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht der Virologe Christian Drosten über die letzten Möglichkeiten zum Durchbrechen der vierten Welle - wie das Schließen von Impflücken.

In den vergangen Tagen wurden so viele Corona-Infektionen gemeldet wie niemals zuvor. Das Robert Koch-Insititut hat die Risikobewertung für Ungeimpfte von "hoch" auf "sehr hoch" geändert und der Lehrerverband warnt vor einem Kontrollverlust über das Pandemiegeschehen an den Schulen. Im Gespräch mit Wissenschaftsredakteurin Beke Schulmann erklärt Christian Drosten, Leiter der Virologie der Charité in Berlin, die aktuelle Lage und wie es weitergehen kann. Außerdem geht es in Folge 102 unter anderem um Booster-Impfungen, um Testungen und die Möglichkeiten von 2G und 3G.

Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen

Wie ist die aktuelle Lage in Deutschland?

Schnelltests wieder kostenlos für alle?

Wie weit sind PCR-Schnelltests?

Drei-Dosis-Impfstoff statt Auffrischung

Endemische Situation als Ziel

Hoffnung in Sicht in Spanien

Wie ist die Lage in England?

Endemische Lage für Deutschland noch weit entfernt

2G in Österreich

Möglichkeiten von 3G am Arbeitsplatz

Welche Möglichkeiten haben wir aktuell?

Die aktuelle Lage in Deutschland

Beke Schulmann: Wieder werden Ausbrüche in Pflegeheimen gemeldet. Wieder kommen Warnungen von Intensivstationen, dass die Betten knapp werden. Sie haben hier im Podcast mal gesagt: "Die Wissenschaft hat geliefert." Was denken Sie, wenn Sie jetzt auf die Situation schauen? Beziehungsweise wie oft am Tag denken Sie eigentlich: Leute, ich habe es euch doch gesagt?

Christian Drosten: Na ja, ich bin insgesamt gar nicht überrascht. Ich denke, wir haben uns im Podcast seit Anfang September relativ klar ausgedrückt über das, was zu erwarten ist. Und man konnte das genau projizieren anhand der Zahlen, anhand der Situation, vor allem anhand der Impfquote.

Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash

(102) SOS - Iceberg, Right Ahead!

Sendung: Das Coronavirus-Update von NDR Info | 09.11.2021 | 17:35 Uhr | von Schulmann, Beke
60 Min

Sehenden Auges in die Katastrophe. Sind 3G, 2G, 1G nur Alibi-Lösungen? Wie kann man jetzt die Impflücken schließen?

Zeitmarken:

00:02:00 Die aktuelle Lage in Deutschland
00:06:18 Schnelltests wieder kostenlos für alle?
00:14:39 Wie weit sind PCR-Schnelltests?
00:18:41 3-Dosis-Impfstoff statt Auffrischung
00:27:59 Endemische Situation als Ziel
00:30:37 Hoffnung in Sicht in Spanien
00:31:46 Die Lage in England
00:36:34 Endemische Lage für Deutschland noch weit entfernt
00:43:06 2G in Österreich
00:45:31 Möglichkeiten von 3G am Arbeitsplatz
00:52:06 Welche Möglichkeiten haben wir aktuell?

https://www.ndr.de/coronaupdate

Wer eine Frage für die Podcast-Interviews mit Christian Drosten und Sandra Ciesek hat, kann diese gerne per Mail schicken an: meinefrage@ndr.de

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#coronavirus #covid19 #covid_19 #coronavirusupdate

Schulmann: Wir stecken jetzt in dieser Lage und das, obwohl viele Menschen beide Impfdosen schon bekommen haben, obwohl hoffentlich alle die AHAL-Regeln befolgen und 2G- und 3G-Regeln eingehalten werden. Das kann ja schon ein Stück fassungslos machen oder vielleicht auch hoffnungslos machen.

Die Pandemie im Vergleich zum vergangenen Jahr

So viele Leute haben sich in den vergangenen Monaten so lange eingeschränkt, was zum Beispiel ihre Kontakte angeht. Trotzdem kann man den Eindruck haben, wir sind trotz allem überhaupt nicht weitergekommen. Und die Situation ist jetzt mit höheren Fallzahlen noch schlimmer als im vergangenen Jahr. Was sagen Sie, sind wir gerade noch schlimmer dran als vor einem Jahr? Oder täuscht der Eindruck?

Drosten: Wir sind schlimmer dran als vor einem Jahr. Aber das liegt natürlich auch daran, dass die Kontakte eben nicht eingeschränkt wurden. Es ist nicht so, dass in der gesamten Gesellschaft in den letzten Wochen und Monaten die Kontakte so stark eingeschränkt wurden. Es ist schon so, dass wir sehr viel Bewegungsfreiheit hatten - und das auf dem Boden eines Eindrucks niedriger Inzidenzen. Diese niedrigen Inzidenzen sind durch die Impfung zustande gekommen und natürlich auch durch den Sommereffekt, durch den Saisonalitätseffekt.

Schlechte Impfquote bei den Älteren

Wir haben auch die ganze Zeit gewusst, dass die Impfquote gerade bei den Älteren in Deutschland besonders schlecht ist im Vergleich zu anderen Ländern. Und wir kommen deswegen jetzt in diese problematische Situation. Aber was diese Situation treibt, damit meine ich, dass die Intensivmedizin jetzt wieder vollläuft, das ist ja die Tatsache, dass die Delta-Variante die Karten neu gemischt hat. Dass die Delta-Variante schon sehr schnell wieder übertragbar wird bei Geimpften.

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Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash

(102) SOS - Iceberg, Right Ahead!

Themen unter anderem: 3-Dosis-Impfstoff statt Auffrischung, 2G in Österreich und Schnelltests wieder kostenlos für alle? Download (174 KB)

Und dass wir deshalb hier eine Situation haben, bei der sich das Virus in der gesamten Gesellschaft verbreiten kann, auch bei den Geimpften eben in seiner Verbreitung mit unterstützt wird. Und das ist das, was wir jetzt im Moment sehen. Die Geimpften bewegen sich ja schon sehr frei in der Gesellschaft. Das soll ja auch so sein. Nur übertragen sie dabei jetzt eben noch das Virus - und das Virus kommt jetzt zu den Ungeimpften und die fallen auf als neue schwere Fälle.

Situation in den Krankenhäusern

Gleichzeitig haben wir das Problem, dass die Intensivmedizin gerade ganz besonders dünn dasteht. Während in der Öffentlichkeit immer diskutiert wird, dass das am Pflegemangel liegt: Das stimmt, die Pflegekräfte sind natürlich erschöpft und es sind sowieso schon zu wenige. Der eigentlich akute Grund ist jetzt aber im Moment, dass die Kliniken diese Kapazitäten nicht freigemacht haben. Denn ein gut geführtes Krankenhaus hat nicht lauter freie Intensivbetten herumstehen, sondern die sind natürlich alle im Betrieb belegt.

Das ist jetzt etwas, das noch mal zusätzlich dazu führt, dass eigentlich die Schwelle, ab der es brenzlig wird, noch schneller erreicht wird. Diese Kliniken haben eigentlich alle im vergangenen Jahr Verluste gemacht. Und in diesem Jahr müssen diese Verluste auch aufgeholt werden, darum fällt es natürlich Klinikleitungen im Moment besonders schwer zu sagen: Wir fahren jetzt Routineoperationen zurück, wir machen weniger Termine oder wir sagen sogar Operationen ab, bei denen wir wissen, wir brauchen hinterher ein Intensivbett.

Das können wir jetzt nicht machen, weil Covid-Patienten kommen werden. Das ist für die Kliniken finanziell überhaupt nicht auskömmlich, deswegen haben die Kliniken das jetzt auch nicht gemacht. Und die Politik hat sich dazu auch in vielen Ländern nicht geäußert, wahrscheinlich überall. Ich kenne mich da nicht ganz genau aus, aber das ist es, was ich einfach höre.

Schulmann: Sie haben es gerade schon gesagt, für viele - vor allem Geimpfte - ist die Pandemie schon vorbei. Sie haben genauso viele Kontakte wie vor der Pandemie. Aber sie ist ja nicht vorbei. Lassen Sie uns doch mal überlegen, wie es jetzt weitergehen kann. Was kann man also kurz-, mittel- und langfristig in dieser Lage tun?

Kostenlose Schnelltests

Vielleicht fangen wir mal bei einem Thema an, über das seit ein paar Tagen wieder vermehrt diskutiert wird, nämlich kostenlose Schnelltests. Die sind in Deutschland seit ziemlich genau einem Monat, seit dem 11. Oktober, abgeschafft - mit der Begründung, dass nun alle die Möglichkeit haben, sich durch eine Impfung zu schützen. Gedacht war das wohl offenbar auch als Anreiz für die Menschen, die sich bisher nicht haben impfen lassen, aus welchen Gründen auch immer, sich jetzt doch zu impfen.

Aber es gibt doch massive Zweifel am Erfolg dieser Maßnahme. Jetzt fordern Stimmen aus der Wissenschaft und Politik angesichts der hohen Infektionszahlen wieder kostenlose Schnelltests einzuführen. Wie beurteilen Sie das? Was würde es nützen, kostenlose Schnelltests wieder einzuführen? Wenn wir mal außer Acht lassen, dass viele Testzentren mittlerweile auch geschlossen wurden und wahrscheinlich morgen nicht wieder aufmachen könnten.

Drosten: Ja, gut, diese Realitäten gibt es. Insgesamt ist natürlich die Testung erst mal nichts Schlechtes. Die Frage ist nur, was man davon jetzt erwartet. Wir haben im Moment eine echte Notfallsituation. Das mag noch nicht so drastisch erscheinen. Es liegt aber natürlich daran, dass die schweren Fälle nachschleppen. Wir haben 15 Millionen Leute in Deutschland, die sich hätten impfen lassen können, die nicht geimpft sind. Da sind viele dabei, die ein hohes Risikoprofil haben, weil sie entweder grunderkrankt sind und weil sie alt sind.

Es kommen einige Dinge zusammen, also gerade diejenigen, die vielleicht keinen guten Informationsstand haben, die sind häufig auch gerade gesundheitlich nicht so gut aufgestellt. Die haben Grunderkrankungen und sind besonders gefährdet. Und die sind, gerade weil sie schlecht informiert sind, nicht geimpft. In dieser Situation bewegen wir uns jetzt. Und in dieser echten Notfallsituation, wo jetzt ganz dringend etwas gemacht werden muss, wird vorgeschlagen, es über Testung zu lösen. Da ist natürlich die Frage, ob das in so kurzer Zeit möglich ist. Wir müssen uns dazu mal überlegen, welche Arten von Testungen wir eigentlich haben können.

Massentestung

Das, was da jetzt im Moment angesprochen ist, wenn es dann eben wirklich um eine Wiedereinführung der kostenlosen Testung geht, damit ist wahrscheinlich gemeint, eine echte gesamtgesellschaftliche Massentestung. So, wie wir das beispielsweise im letzten Frühjahr geschafft haben aufzubauen. Zu der Zeit haben wir wöchentlich zehn Millionen Leute getestet wahrscheinlich mit einem Schnelltest. PCR-Testung gab es auch relativ viel, das war in vielen Fällen dann auch eine Bestätigungstestung für die Schnelltests. Aber in Führung waren dabei diese Schnelltests. Das war so zu der Zeit, als wirklich an jeder Straßenecke die Schnelltests zu bekommen waren und sich auch jeder testen musste, weil noch niemand geimpft war.

Zu der Zeit waren ja nur die ganz Alten geimpft. Alle anderen mussten sich eben, um an bestimmten Veranstaltungen oder gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen, vorher testen lassen. Das hat vielleicht dazu geführt, dass die Frühjahrswelle, die dritte Welle, nach Ostern so schnell zum Ende gekommen ist. Wahrscheinlich hat das einen Beitrag dazu geleistet, zusammen mit dem einsetzenden Temperatureffekt. Da wurde es dann ja relativ schnell warm und man hat gesehen, auf einmal ging die Inzidenz weg. Wenn sich viele noch an dieses Frühjahr erinnern können: Ich sehe das noch relativ plastisch vor Augen.

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Ein Pflaster klebt auf dem Arm einer jungen Frau. © Colourbox Foto: Csaba Deli

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Die Frage ist: Wie wäre das jetzt, wenn wir das jetzt machen würden, ohne diesen zusätzlichen Temperatureffekt? Und was hat diese Testung damals in Wirklichkeit bewirkt? Da ist es so, die Testung ist noch nicht so gut ausgewertet worden. Ich höre aber, wenn ich mit Leuten spreche, die das versuchen, dass damals eigentlich relativ wenige positive Ergebnisse aufgetreten sind, viel weniger als man erwartet hätte.

Das spricht natürlich stark dafür, dass diese Massentestung auch einen gewissen psychologischen Effekt, einen sortierenden Effekt in der Gesellschaft hatte, so nach dem Motto: Ich bin eigentlich in einem Risikohintergrund, habe ein bisschen Symptome, jetzt bleibe ich lieber zu Hause als mich testen zu lassen. Dieser Reflex ist wahrscheinlich ausgelöst worden.

Momentane Situation

Und das ist natürlich die Frage, ob das jetzt noch möglich wäre, mit sehr vielen Geimpften, die von ihren Symptomen eher nichts bemerken, obwohl sie das Virus eine Zeit lang ausscheiden, und die sich auch gar nicht testen müssen. Jetzt in einem 3G-Modus müssten die sich nicht testen lassen. Da nützt es jetzt nichts, wenn es Tests für umsonst gibt. Die Geimpften werden sich nicht testen lassen, aber hier liegt auch eine gewisse Infektionslast in der Bevölkerung, die den Geimpften nichts ausmacht.

Schulmann: Ich habe jetzt auch immer öfter mal gehört, dass sich Geimpfte immer noch zu Hause selbst testen, wenn sie es sich finanziell leisten können, bevor sie zum Beispiel die Oma besuchen. Aber eben nicht mehr, bevor sie ins Restaurant gehen, obwohl sie ja wissen, sie könnten auch infiziert sein, ohne Symptome zu haben, und das Virus weitergeben.

Drosten: Richtig, solche Effekte stellen sich dann natürlich ein. Das muss man einfach sagen. Es ist deswegen nicht falsch, solche Tests anzubieten und die auch wieder kostenfrei zu machen. Ich bekomme zum Beispiel erzählt, dass es immer auch Situationen gibt, da sind Leute, die sind auf einer strikten 2G-Veranstaltung gewesen. Und da haben eben paar dann doch milde Symptome bekommen, Durchbruchsinfektionen bekommen. Dann sagen sie, das ist ja schon frustrierend. Wir sind alle irgendwie auf dieser Party, das sind alles gebildete Leute.

Und die wollen das jetzt auch verfolgt haben. Die wollen das nicht weiter übertragen. Also haben sie dann Tests aus eigener Tasche bezahlt. Das ist natürlich ärgerlich. Das soll so ja nicht sein. Aber man muss auch sagen, das ist jetzt nicht wirklich die Diskussion um kostenfreie Tests. Denn diese Untersuchungen hätten ja erstens die Gesundheitsämter veranlassen können, die sind aber überlastet. Zweitens, die Leute, um die es da geht, die haben milde Symptome. Und wer symptomatisch ist, bekommt auch eine Testung.

Keine Notbremse

Es gibt eine Teststrategie, die ist in Kraft. Da bekommen symptomatische Personen natürlich ihre Testung bezahlt. Das ist alles im Moment in der öffentlichen Diskussion so unpräzise. Bei dem Vorschlag, der da gerade in den Medien gemacht wird, da geht es ja eigentlich darum, zu sagen: Wie können wir eine Notbremse machen? Dann wird vorgeschlagen: Aha, wir müssen jetzt die kostenfreie Testung wieder einführen. Das wird im Prinzip als Notbremse hingestellt, und das wird es in keinem Fall sein.

Diese Kraft wird sich hier nicht entfalten, schon gar nicht schnell genug. Es geht ja so weit, dass man jetzt plötzlich ganz neue Vorschläge hört. 1G, also nur noch alle dauernd testen. Das ist aber leider einfach logistisch gar nicht zu bewerkstelligen. Ich finde das schon problematisch, wenn solche Dinge als Patentlösung oder als Strategiewechsel vorgeschlagen werden, wo man doch weiß, dass das einfach logistisch gar nicht drin ist. Man kann doch nicht in einer Notfallsituation Dinge vorschlagen, von denen man eigentlich genau wissen müsste, dass sie nicht funktionieren werden.

Das ist ja verantwortungslos. Diese Situation haben wir ja jetzt. Wir müssen jetzt mit dieser Situation umgehen und damit umgehen heißt ja, sich zu überlegen, in welcher zeitlichen Abstufung man was machen kann. Ich glaube, es ist vielleicht für diese Diskussion hier auch ganz gut, wenn wir uns noch mal mit kühlem Kopf überlegen, was ist langfristig möglich, was ist mittelfristig möglich und was ist vielleicht kurzfristig nötig.

Wie weit sind PCR-Schnelltests?

Schulmann: Eine Möglichkeit, über die wir noch kurz sprechen können, sind die PCR-Schnelltests. Es gibt schon einige Firmen, die solche Laborautomaten entwickeln. Aber bis die flächendeckend eingesetzt werden können, wird es ja wahrscheinlich auch noch eine Weile dauern.

Drosten: Ja, es ist natürlich erst mal richtig, PCR-Testung ist besser als Antigen-Testung. Auch wenn manche das nicht glauben wollen. Es ist in der praktischen Erfahrung so, dass die Antigen-Schnelltests gerade am Anfang der Symptomatik, wo der Patient ganz besonders infektiös ist, noch nicht zuverlässig positiv werden. Und dann werden die positiv, aber man hat die wichtigen ersten Tage verpasst. Das hat man mit der PCR nicht.

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Virensymbole fliegen um die Silhouette einer Person. (Bildmontage) © picture alliance Foto: lamianuovasupermail, stevanovicigor

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Darum wird jetzt an einigen Stellen vorgeschlagen, man soll doch nur die PCR-Testung machen. Ich habe es auch schon gehört, als 3G-Plus-Modell. Dieses Plus heißt nur PCR und keine Antigentestung. Das ist natürlich situativ möglich. Es gibt beispielsweise, wie Sie das auch schon sagen, solche PCR-Schnelltestgeräte in manchen Notaufnahmen von Krankenhäusern. Dort laufen die unter bestimmten regulativen Voraussetzungen in Verbindung mit dem Zentrallabor und man bekommt sofort ein Ergebnis daraus. Es gibt auch einige wenige große Testzentren, die solche Schnelltests vor Ort anbieten.

Da hat man tatsächlich innerhalb von einer halben Stunde oder nach einer Stunde, manchmal auch nach zwei Stunden, auch das gilt noch als schnell, ein Ergebnis vor Ort, ohne dass die Probe mit einer gewissen Logistik ins Labor geschafft werden muss. Aber diese Geräte gibt es nicht wirklich in großer Menge. Man hört diese Vorschläge auch in der Öffentlichkeit und wenn man das jetzt wieder anpreisen will als eine Interventionsmaßnahme in diesem akuten Inzidenz-Anstieg, den wir im Moment sehen, dann ist das einfach kein richtiger Vorschlag, weil es nicht umzusetzen ist. Man kann diese Maschinen so schnell gar nicht kaufen. Und auch die Reagenzien für diese Maschinen gibt es gar nicht in so großer Zahl.

Interessante theoretische Idee

Das ist einfach utopisch. Darum ist das kein valider Vorschlag, sagen wir mal für die Beratung der Politik oder irgendwelche Entscheidungsträger, sondern das ist eine interessante theoretische Idee. Nur funktioniert sie leider nicht. Und auch, wenn wir das jetzt gerade ansprechen, weil auch das wieder als akuter Vorschlag im Moment manchmal mitschwingt, dass man jetzt auf die PCR-Pool-Testung setzt. Die Pool-Testung ist ein enormer logistischer Aufwand. Das liegt einfach daran: Man muss die Proben gewinnen und sie zusammenstecken, entweder im Labor oder vor Ort.

Dort, wo das gemacht wird, muss entweder die Möglichkeit geschaffen werden, eine Rückstellprobe zu bilden, dass man praktisch die Originalproben in Kopie aufbewahrt, bis das Ergebnis da ist, damit man im Fall eines positiven Pooltestergebnisses zu den Einzelproben zurückkehren kann und bestimmen kann, welcher Patient im Pool positiv gewesen ist.

Lolli-Testmodell

Oder man muss die Logistik schaffen, das funktioniert beispielsweise so in diesem Lolli-Testmodell in Nordrhein-Westfalen in den Schulen. Dass man dann am nächsten Tag zurückgeht und alle Patienten noch mal separat testet und durch neue Tests die Poolauflösung, wie wir das nennen, macht. In beiden Fällen ist es ein logistischer Aufwand, der funktioniert, wenn sich jemand darum gekümmert hat, das zu etablieren. Sprich, wenn das über den Sommer oder im Frühjahr etabliert wurde.

Alle haben sich darüber verständigt, wie das funktioniert und die Befehlskette läuft. Und das ist so ein geschmiertes Getriebe, dass das gut funktioniert. Aber das kann man ja jetzt nicht verlangen, dass das in einer Notfallsituation eingeführt wird, in einer gesellschaftlichen Notfallsituation, in der wir uns jetzt befinden. Das kann so schnell nicht funktionieren. Das dauert Wochen und Monate, bis das reibungslos klappt. Und das jetzt in der Öffentlichkeit als neu einzuführende Maßnahme zu fordern, ist verantwortungslos.

Schulmann: Damit kommen wir eigentlich auch schon weg von den kurzfristigen Möglichkeiten hin zu Maßnahmen, die mehr Zeit brauchen, bis sie wirken, nämlich Impfungen.

3-Dosis-Impfstoff statt Auffrischung

Und da genauer gesagt Booster-Impfung. Es ist mittlerweile bekannt, dass die Wirksamkeit der Impfung mit der Zeit nachlässt. Es gibt dazu auch unterschiedliche Zahlen aus verschiedenen Studien. Manche geben die Wirksamkeit nach sechs Monaten etwas höher an, manche etwas geringer. Auf die einzelnen Zahlen wollen wir nicht genau eingehen, denn unabhängig von einigen Prozentpunkten ist ja klar, es braucht Booster-Impfungen.

Die Daten zeigen auch, wie sehr sich das Risiko durch eine dritte Impfung reduziert, vor allem für ältere Menschen. Ist es dann überhaupt noch sinnvoll, weiter von "Auffrischimpfung" zu sprechen? Bedeutet das nicht eigentlich, dass der Covid-19-Impfstoff einer ist, der einfach drei Dosen braucht, um den vollständigen Schutz zu entfalten?

Drosten: Ja, das muss man inzwischen so sehen. Ich finde das eigentlich eine gute Sichtweise. Man kann darüber diskutieren, ob man das am Anfang schon richtig erfasst hat. Ich denke, dass der Plan, am Anfang mit zwei Dosen zu arbeiten, richtig war. Denn, was sich hier geändert hat, war das Virus. Jetzt müssen wir aber einfach anerkennen, der Impfstoff ist nicht speziell auf das Delta-Virus gezielt, sondern auf ein Virus, das heute gar nicht mehr zirkuliert. Das Virus hat sich verändert.

Drei Impfdosen bei Delta

Jetzt haben wir eine erhöhte Übertragungskraft dieses Virus. Dieses Virus dominiert jetzt gerade global, also auf der ganzen Welt hat es die Herrschaft übernommen, dieses Delta-Virus und seine Abkömmlinge und dagegen brauchen wir wahrscheinlich drei Impfungen. Das heißt, wir müssen beginnen, eine vollständige Impfung als eine Impfung mit drei Dosen zu betrachten. Es gibt ganz viele Impfungen, bei denen das normal ist. Nehmen wir bestimmte Hepatitisvirus-Impfungen oder nehmen wir Impfungen gegen Tollwut, gegen Japan-Enzephalitis und so weiter.

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Zwei Ärztinnen und ein Arzt gehen auf einem Krankenhausflur entlang © panthermedia Foto: Kzenon

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Alle diese klassischen Totimpfstoff-Impfungen, die arbeiten fast alle mit drei Dosen. Das funktioniert ganz hervorragend. Die dritte Dosis ist meistens mit einem größeren Abstand zu den ersten zwei, so, wie das jetzt auch bei der Covid-19-Impfung gemacht wird. Das ist jetzt wahrscheinlich einfach die neue Umgangsweise mit der Impfung. Ich finde das richtig. Was jetzt im Moment natürlich empfohlen ist, ist, dass man die alten Leute dann boostert, wenn es sechs Monate nach der zweiten Dosis liegt.

Booster-Zeitpunkt

Nach meiner persönlichen Ansicht, ich möchte da jetzt nicht irgendwie mit bestehenden Empfehlungen ins Gehege kommen, aber man muss sich vielleicht auch klarmachen: Die Welle kommt jetzt. Und diejenigen, die jetzt vier Monate nach der Impfung, nach der zweiten Dosis sind, die würden auch sehr stark von einer dritten Dosis profitieren. Denn wir sehen ja, dass der Impfschutz nicht mehr so belastbar ist, schon nach drei, vier, fünf Monaten, und nicht erst plötzlich nach sechs Monaten verschwunden ist. Das heißt, die besonders alten Leute, die aber erst vor vier Monaten die zweite Dosis hatten, die würden auch jetzt von einer Booster-Dosis profitieren, weil jetzt die Welle kommt. Es geht nun mal um die Welle und nicht um das Datum im Impfpass.

Schulmann: Da gibt es ja die Diskussion um den richtigen Zeitraum. Die Stiko sagt, Auffrischung frühestens nach sechs Monaten nach der zweiten Dosis. Einige sagen aber auch schon, es geht jetzt um Tage. Das heißt, Sie wären auch in der Fraktion: Es geht um Tage und alle sollen sich, oder vor allem die Älteren sollen sich so schnell wie möglich auffrischen lassen?

Drosten: Ich will es jetzt auch nicht dramatisieren. Ich will auch sagen, es gibt Gründe, die dagegensprechen. Natürlich will ich jetzt hier auch nicht die Stiko kritisieren. Die Stiko musste einfach irgendwann auch eine Festlegung treffen. Dieser Punkt lag auch in der Vergangenheit, das hat die Stiko vor vielen Wochen festgelegt, als sie noch gar nicht wussten, wie das jetzt mit der Welle ist, wie schnell das ansteigt. Ich will hier jetzt nicht in irgendeinem politischen Lager stehen, sondern mir geht es einfach nur darum, den Hintergrund zu erklären.

Es gibt eben jetzt die ansteigende Welle. Und wenn wir jetzt gerade die besonders Alten akut schützen wollen, das gilt natürlich beispielsweise ganz besonders für die Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen, dann sollte man nicht so doll auf diese sechs Monate Wartezeit schauen, sondern sich einfach klarmachen: Jetzt kommt die Welle. Hier ist ein alter Mensch. Der sollte jetzt also auch geboostert werden.

Überlastete Praxen

Es spricht ein Argument dagegen, das ist einfach, dass die Überbesorgten, wenn man jetzt gar keine Zeit nennen würde, dann die Arztpraxen überrennen und sagen: Bei mir ist die zweite Dosis erst einen Monat her, aber ich habe so viel Angst, ich will geboostert werden, komme, was wolle. Dass diese Leute dann sowohl die Zeit der Ärzte stehlen als auch die Dosis konsumieren, die eigentlich der ältere Patient unbedingt bräuchte. Da hat man natürlich Bedenken, dass man in so eine Situation reinkommt, und das ist auch vollkommen berechtigt.

Die Ärzte haben da auch alle Hände voll zu tun, so was zu managen. Die müssen selber schauen, die kennen ihre Patienten, die wissen, wo ihre Patienten sind, gerade, wo die gefährdeten Patienten sind. Und natürlich muss der niedergelassene Arzt in diese Entscheidungsfindung auch mit eingebunden sein und nicht einfach im Praxisbetrieb überrannt werden, weil irgendeine Empfehlung plötzlich weggenommen wird. Insofern, das hat schon alles seine Berechtigung, dass man eine Wartezeit formuliert, aber ein gewisses ärztliches Augenmaß an dieser Stelle, gerade bei der Frage, boostere ich jetzt einen besonders gebrechlichen Patienten schon nach vier Monaten, wo ich doch weiß, der ist vielleicht auch in einem Sozialsystem, Pflegeheim oder sozialen Zusammenhang, wo er wirklich eine Gefahr hat, das ist auch im Rahmen der Möglichkeit des ärztlichen Ermessens.

Schulmann: Aber das heißt ja auch, wenn der Impfstoff tatsächlich seine volle Wirkung erst nach drei Dosen entfaltet, dann müssen sich irgendwann auch die Jüngeren boostern lassen. Aber Sie würden sagen, wir machen das in der Reihenfolge nach der altbekannten Impfpriorität.

Drosten: Man muss es die Alterspyramide runter abarbeiten. Zuerst die Älteren, dann die Jüngeren. Das liegt einfach daran, die Älteren haben wirklich auch den Individualschutz vor der eigenen Erkrankung, während je jünger man ist, dann der Nutzen für den Übertragungsschutz im Vordergrund steht. Das ist nämlich das, was wir unbedingt auch noch dazu erwähnen müssen, wenn wir jetzt sagen, das wäre eine vielleicht mittelfristige Lösung für das große Problem, dass wir in diesem Winter haben.

Mittelfristige Lösung: Boostern

Die mittelfristige Lösung bedeutet, wir müssen diese Booster-Impfung auch als ein Rettungsanker für den Übertragungsschutz betrachten. Es geht hier dann nicht mehr, wenn wir anfangen, die jüngeren Leute auch zu boostern, wie das in Israel beispielsweise auch gemacht wurde, die gesamte Bevölkerung wird geboostert und man möchte möglichst die Hälfte der Bevölkerung mit einer Booster-Impfung erreichen, dann würde man sehen, dass der Übertragungseffekt auch wieder greift.

Also dann hätten alle Leute in diesem Winter eine relativ frische Booster-Impfung und die würde das Virus so drücken, dass man auch die Übertragung dadurch verringern würde. Man würde dann tatsächlich den RT-Wert durch die Boosterung senken und könnte statt Kontaktbegrenzungsmaßnahmen auf die Booster-Impfung setzen. Das ist etwas, woran ich auch wirklich glaube. Nur ich glaube nicht daran, dass es möglich sein wird, dass in der jetzigen Notfallsituation zu nutzen. Ich glaube, das können wir vielleicht in ein paar Monaten nutzen. Diese Winterwelle, die wird uns auch noch monatelang beschäftigen, deswegen ist das sicher ein Weg, den man auch gehen muss und wo man ernsthafte logistische Vorbereitung und regulative Vorbereitungen dazu treffen muss.

Endemische Situation als Ziel

Schulmann: Bis alle Menschen die dritte Dosis erhalten haben, das kann, wie Sie sagen, dauern. Erst mal, bis alle den Impftermin haben. Dann dauert es auch noch eine bis zwei Wochen, bis der Booster oder eben die dritte Dosis auch den vollen Impfschutz entfaltet. Sie haben vorhin schon gesagt, alle zu testen, 1G, das klappt auch nicht so schnell, weil die Testzentren teilweise abgebaut wurden, weil die Logistik nicht mehr da ist. Wenn diese beiden Möglichkeiten akut nicht helfen, was kann denn dann helfen? Dann sind wir auch schon fast bei langfristigen Möglichkeiten angekommen.

Drosten: Das ist ja auch etwas, das wir hier mehrmals und immer wieder im Podcast schon angesprochen haben. Langfristig wird es so sein, wir wollen in einen endemischen Zustand mit der gesamten Gesellschaft. Wir sehen jetzt die ersten Länder, die gerade dabei sind, das zu schaffen. Wir sehen das in südwesteuropäischen Ländern, wo die alten Personen praktisch zu hundert Prozent geimpft sind und deswegen die Krankheitslast in der Bevölkerung jetzt nicht mehr die von SARS-2 ist, also mit einer Letalität von 1,5 Prozent in alten Gesellschaften wie bei uns, sondern eher im Bereich von 0,1 Prozent und zum Teil sogar noch weniger, wenn man die etwas Jüngeren auch noch gut impft. Dann sind wir im Bereich dessen, was man auch in einer schweren Influenza-Saison erlebt.

Nachdurchseuchung bei sehr hoher Impfquote

Das heißt, man kann dann eine Nachdurchseuchungswelle in der Bevölkerung erlauben, die dem entspricht, was eine schwere Influenza-Saison ausmacht. Das geht aber nur mit einer ganz durchimpften Bevölkerung bei den Alten. Und das ist jetzt auch wieder einfach die neue Regel, die das Delta-Virus gesetzt hat. Wir können jetzt nicht mehr sagen, wir wollen irgendwie 70 oder 80 Prozent Impfquote haben, sondern wir wollen alle, ohne Ausnahme, alle über 60-Jährigen geimpft haben, mit mindestens zwei Dosen und dann auch schon mit der Booster-Impfung bei den Alten beginnend.

Und wir wollen auch bei den Jüngeren unter 60 schon in einem Bereich landen, der bei 90 Prozent landet. Und wenn wir das schaffen könnten, dann könnten wir wirklich in diese Nachdurchseuchung eintreten, ohne dass wir eine ganz große Übersterblichkeit bekommen, die wir hier in Deutschland gerade, mit unserer Auffassung von Gesundheitsschutz, manche nennen das ein bisschen abfällig Vollkasko-Mentalität in Deutschland, aber man braucht dafür gar keine abfälligen Begriffe zu kreieren.

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Grafische Darstellung eines Coronavirus © COLOURBOX Foto: Volodymyr Horbovyy

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Wir haben hier die Erfahrung in unserer Gesellschaft, dass Leute eine medizinische Versorgung bekommen und nicht unter fast archaischen Verhältnissen an Infektionskrankheiten sterben müssen, aus voller Gesundheit heraus. Das ist, glaube ich, auch eine berechtigte Vorstellung unserer Gesellschaft. Wenn wir da also hinwollen, dann müssen wir das über die Impfung erreichen.

Hoffnung in Sicht in Spanien

Schulmann: Sie haben gerade schon gesagt, südeuropäische Länder. Spanien ist nun an einem Punkt angekommen, an dem es so langsam Raum für Hoffnung gibt, die Impfquote liegt da bei über 80 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Was haben die anders gemacht als wir hier in Deutschland?

Drosten: Na ja, ich bin kein Psychologe. Ich kann mir ableiten, dass es vielleicht daran lag, dass die erste und zweite Welle in Spanien sehr schlimm war und dass sich dann einfach viele Leute klargemacht haben: Das nützt alles nichts. Wir müssen uns impfen lassen, sonst geht das hier so weiter. Ich denke, das war eine gesamtgesellschaftliche Erfahrung. Wir erinnern uns vielleicht daran, dass ein Eisstadion in Madrid zu einer Leichenhalle umgebaut wurde und dass im Erste-Welle-Lockdown das Militär auf den Straßen patrouillierte.

Diese Erfahrung haben wir nicht gemacht, das ist auch gut so. Dennoch haben wir jetzt einfach das Problem, dass sich gerade auch unter den älteren Menschen in Deutschland viele nicht impfen lassen wollen. Und das ist tatsächlich schon eine deutsche, und man muss auch das ausweiten, auch osteuropäische Beobachtung. In Dänemark haben wir ja auch diese sehr, sehr hohe Impfquote und in einigen skandinavischen Ländern bei den bei den Alten. Das ist der Schlüssel dazu.

Die Lage in England

Die andere Version ist eben England. In England hatten wir bei aller guter Wissenschaft in der ersten Welle, und auch in der zweiten Welle, keine sehr strikte, stringente Umgangsweise mit Kontaktmaßnahmen durch die Politik. Wir hatten dort auf die Gesellschaft bezogen, auf die Einwohnerzahl bezogen, doppelt so viele Tote wie bisher in Deutschland. Die zweite Welle ist auch in Deutschland alles andere als gut gelaufen.

Ich erinnere noch mal daran, dieses Lavieren mit einem Teil-Lockdown, das dadurch verursacht wurde, dass im Oktober einfach Stimmen kamen, die die Politik stark verunsichert haben und die Politik sich nicht mehr richtig für eine zeitige zeitgemäße Kontrolle durchringen konnte. Wir hatten dann eben über 60.000 Tote. Wir sind jetzt bei 100.000 Toten absolut. Was jetzt eben in England passiert ist, ist, dass man auf die Bevölkerung bezogen ungefähr doppelt so viele Todesfälle hatte und dem Gegenüber im Hintergrund stehen natürlich auch sehr viele Genesene. Außerdem ist die Impfquote in England ungefähr so bei wie bei uns.

Stärkere Balance bei den Älteren

Aber die Balance der Impfung ist stärker zu den Älteren. Man hat es in England viel stärker geschafft, die Älteren anzusprechen. Natürlich hatte auch die Beobachtung dort, die man im Winter hatte, in der zweiten Welle, mit Warteschlangen vor den Krankenhäusern, Warteschlangen von Rettungswagen, Leute, die im Rettungswagen schon Sauerstoff brauchten und so weiter, das hat sich auch festgebrannt. Zu der Zeit kam die Impfung auf und die alten Menschen in England haben die Impfung sehr gut angenommen.

Man hat also eine stärkere Balance. Man ist nicht bei knapp 100 Prozent, aber man ist deutlich höher. Man ist über 90 Prozent. Das zusammen mit einer hohen Zahl von natürlichen Infektionen bei jüngeren Leuten, die jetzt auch im Sommer nach der Öffnung stattgefunden hat. Das hat seit dem Sommer unter Akzeptanz einer dann schon stattgefundenen Letalität bei alten, älteren Leuten und unter einer Akzeptanz einer hohen Durchseuchung stattgefunden. Man muss auch sagen, unter weiterer Akzeptanz von täglichen Zahlen im Bereich von 150 Verstorbenen am Tag, das ist auch kein Pappenstiel.

Virus schließt Immunitätslücken

Aber man ist jetzt eben zum Herbst und Winter so unterwegs, dass man auch hier jetzt erwarten kann, dass man in eine Nachdurchseuchung oder in so etwas wie einen "herd immunity overshoot" kommt. Das heißt, ein Schließen der verbleibenden Immunitätslücke in der Bevölkerung durch das Virus, während diese Lücken vor allem bei jüngeren Leuten bestehen und dadurch eine Letalität entsteht, die noch gerade gesellschaftlich tolerabel ist.

Schulmann: Das heißt, die Infizierten, also die Infektionszahlen in England, sind ja trotzdem gerade wieder sehr hoch. Sie sagen dann, die Infizierten sind dann in dem Fall eher die Jüngeren.

Drosten: Genau. Das Virus schließt jetzt die Immunitätslücken, in dem Leute, die nicht geimpft sind, aber auch Geimpfte, nachinfiziert werden. Jeweils aber eben nicht mit der Folge von 1.000 oder 2.000 Toten am Tag, sondern nur im Bereich von 150. Das ist natürlich schon ein wichtiger Unterschied, das ist immer noch mehr als man in einer schweren Influenza-Saison hätte. Das dauert auch alles länger als eine Influenza-Saison. Das ist nicht der Optimalmodus, wie das in Großbritannien läuft. Aber so läuft es nun mal. Und die Voraussagen, die dort gemacht werden: Es wird auch dort jetzt zur Beruhigung kommen in nächster Zeit.

Schulmann: Das heißt, das Virus wäre in Großbritannien dann endemisch?

Drosten: Richtig. Wir haben dann demnächst, sagen wir mal im Frühjahr oder im Sommer, den Eindruck, einige Länder haben es geschafft. Die sind jetzt durch. Die sind in der endemischen Phase. Die werden auch im nächsten Winter kein großes Problem mehr bekommen, denn das Virus wird dort den ganzen Sommer weiter zirkulieren. Die Leute kriegen irgendwann schon ihre dritte Infektion oder ihre zweite Durchbruchsinfektion, wenn man das so sehen will, auf dem Boden der Impfimmunität. Aber das wird alles nicht mehr sehr schwere Symptome machen.

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Der Virologe Prof. Christian Drosten und die Virologin Prof. Sandra Ciesek (Montage) © picture alliance/dpa, Universitätsklinikum Frankfurt Foto: Christophe Gateau,

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Ich muss da auch ein Sternchen an diese Aussage machen: Übrigens, das gilt nicht für alle. Diejenigen, die eine hohe Infektionsdosis abbekommen, die kriegen auch im Durchbruch manchmal noch neurologische Symptome, wie länger anhaltenden Geschmacksverlust und so weiter, sodass wir uns alle schützen müssen durch Maske tragen. Wir wollen alle keine hohe Infektionsdosis abbekommen. Aber insgesamt ist dann die Situation dennoch erreicht, ein endemischer Zustand. Ich glaube, der Groschen, der hier noch nicht gefallen ist, ist, dass das nicht nur infektionsbiologisch, epidemiologisch relevant ist, sondern auch wirtschaftlich. Wir werden im nächsten Frühjahr eine Gruppe von europäischen Ländern haben, die durch ist, und eine andere Gruppe, die nicht durch ist.

Endemische Lage für Deutschland noch weit entfernt

Schulmann: Deutschland zum Beispiel.

Drosten: Ich denke, dass Deutschland bis dahin auch nicht durch sein wird, denn wir sind in einer ziemlich schlechten Situation. Wir haben 15 Millionen Leute, die eigentlich hätten geimpft sein können und die geimpft sein müssten. Machen wir mal eine konservative Schätzung. Wir haben die gleiche Impfquote wie England und wir haben aber nicht diese hohe Zahl von natürlich Infizierten. Wir hatten deswegen glücklicherweise auch nicht diese hohe Zahl von Verstorbenen.

Wir hatten immerhin 100.000 Verstorbene. In England ist die Zahl der Verstorbenen jetzt, wo das Ganze in ein etwas vielleicht kontrollierbareres Fahrwasser kommt, wo sich eine endemische Zeit andeutet, doppelt so hoch. Das würde ja, ganz einfach gedacht, bedeuten, dass wir, wenn wir jetzt mit dieser Impfquote arbeiten wollten, auch noch mal die gleiche Zahl von Toten akzeptieren müssten. Also wir müssten uns darauf vorbereiten, noch mindestens 100.000 Tote in Deutschland zu bekommen, bevor sich das Fahrwasser beruhigt.

Und ich sage dazu, das ist eine konservative Schätzung in Richtung der Zahl der Toten, denn die Balance bei uns mit der Impfung ist nicht so stark zu den Alten hin. Wir haben bei den Alten eine größere Impflücke. Darum wäre die Zahl der Toten, die wir tolerieren müssten, sogar noch höher. Daran sieht man schon, das ist kein gesellschaftlicher Modus, mit dem wir umgehen können. Und daran sieht man auch, dass wir die Zeit der Nachdurchseuchung, die wir brauchen, um in die endemische Phase zu kommen, aufschieben müssen.

Kontaktmaßnahmen

Wir müssen jetzt die Infektionstätigkeit durch Kontaktmaßnahmen wahrscheinlich wieder kontrollieren. Nicht wahrscheinlich, sondern sicher. Und das führt jetzt nicht nur dazu, dass wir Dinge diskutieren müssen, die wir eigentlich hofften, hinter uns zu haben. Da müssen wir gleich noch mal im Nachgang darüber sprechen, was das für Dinge sein können. Sondern das führt auch dazu, dass wir vielleicht nach einem sehr anstrengenden Winter, auch für die Wirtschaft sehr anstrengenden Winter, mit neuen, sagen wir ruhig Shutdown-Maßnahmen, auch das böse Erwachen haben, dass wir eben noch nicht durch sind und dass wir dann immer noch mit einer vulnerablen Bevölkerung arbeiten müssen. Damit gehen wir in den Sommer.

Schulmann: Das heißt, wir hatten immer mal wieder davon gesprochen, dass es vielleicht im kommenden Frühjahr so weit sein könnte in Deutschland, das ist jetzt gar nicht mehr realistisch in dieser Situation?

Drosten: Das kann ich so nicht sagen. Ich bin weder ein Prophet noch bin ich Politiker, der die Dinge auch steuern könnte. Ich kann nur ein Szenario entwerfen, das ich bis jetzt in der Öffentlichkeit noch nicht gehört habe, das ich aber wichtig finde. Das Szenario ist eben, dass einige Länder in Europa durch sind mit der Durchsuchung, wir aber nicht und andere auch nicht. Wir sind nicht das einzige Land, das schlecht dasteht. Und dass man dann mit einer nicht endemischen Bevölkerung auch wieder in den nächsten Sommer geht, dann beruhigt sich durch den saisonalen Effekt die Lage wieder.

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Dann gehen wir mit einer dann immer noch nicht geschützten Bevölkerung wieder in den nächsten Winter rein. Und wir müssen damit rechnen, weil das Delta-Virus jetzt weltweit dominant wird, weil sich schon die erste Sub-Variante von Delta, die AY42-Variante, mit noch mal zehn Prozent mehr Übertragbarkeit und vielleicht auch etwas höherer Letalität, das ist noch nicht gesichert, das kommt dann wieder, vielleicht kommt sogar eine echte Immunescape-Variante. Das ist nicht auszuschließen. Wir haben dann im nächsten Winter ein noch größeres Problem. Und das ist ein Szenario, das einfach bedacht werden muss.

Wirtschaftlicher Aspekt

Ich glaube, dieses Szenario ist das Szenario, das man sich auch auf der Wirtschaftsseite, auch in der wirtschaftsseitigen Politikberatung, auch in den wirtschaftsnahen Medien, unbedingt mal durch den Kopf gehen lassen muss. Und wir müssen ja irgendwie eine Position zu diesem Problem finden. Und auch einen Lösungsvorschlag. Wir diskutieren hier wohlgemerkt langfristig, wir diskutieren hier gerade über Frühjahr und Sommer. Und die Frage ist natürlich: Was kann man stattdessen machen?

Und die Antwort ist mehr als einfach: Wir müssen die Impflücken schließen. Wir müssen alle Impflücken bei den Alten schließen und die meisten Impflücken bei den Jüngeren. Das heißt, wir müssen alles Politische tun, was möglich ist. Vielleicht auch Dinge, die man im Moment noch für unmöglich hält, um die Impfquote in der Bevölkerung zu steigern, allen voran bei den Alten.

Dreifach durchgeimpfte Bevölkerung

Bei den Alten müssen wir auch die dritte Impfdosis schon mit einrechnen. Wir müssen uns aber ein wirkliches ideelles Ziel setzen. Das heißt, eine dreifach komplett durchgeimpfte Bevölkerung. Das kann man natürlich auch noch im Frühjahr machen, nachdem man einen sehr schweren Winter hinter sich hatte. Vielleicht ist das auch notwendig, dass man diese Erfahrung erst gemacht haben muss. Ich weiß es nicht. Ich bin kein Sozialpsychologe. Aber es ist einfach von der Infektionsbiologie her vollkommen klar, dass die Impflücken geschlossen werden muss müssen. Oder alternativ, dass wir diese hohe Zahl von Toten noch mal tolerieren müssen, also wahrscheinlich mehr als noch mal 100.000.

Schulmann: Ja, Impflücken, das wären die Anteile der Bevölkerung, die sich gerade impfen lassen könnten, aber es nicht tun. Zum Beispiel Kinder wären da jetzt außen vor. Kinder bis zwölf.

Drosten: Genau, bis zwölf, die sind noch nicht impfbar, die werden aber wohl auch impfbar werden. Und dann würde ich die da auch mit reinrechnen, denn wir sehen im Moment, wie die Inzidenz isoliert im Schulbetrieb gerade nach oben schnellt. Es ist bis jetzt in der gesellschaftlichen Diskussion vergessen worden, dass das alles eine sehr starke Implikation hat, wenn wir anfangen, Länder im nächsten Jahr zu vergleichen, die es hinter sich haben, gegenüber Ländern, die es nicht hinter sich haben.

Schulmann: Einen Vergleich können wir vielleicht aber noch anstellen beziehungsweise einmal ins Nachbarland Österreich gucken.

2G in Österreich

Das führt jetzt landesweit 2G ein. Dort liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 628, habe ich heute gelesen. In Restaurants, zum Friseur, zu Veranstaltungen mit mehr als 25 Gästen und, und, und dürfen jetzt nur noch genesene und geimpfte Menschen. Und das Ganze erhöht natürlich massiv den Druck auf die Ungeimpften, die sich noch nicht haben impfen lassen. Das scheint auch zu funktionieren. Am Wochenende haben wir Bilder von Menschen gesehen, die Schlange standen, um sich impfen zu lassen. Zehntausende haben sich tatsächlich direkt noch ihre Impfung abgeholt. Ist das dann ein Weg, der uns auch in Deutschland erwartet oder erwarten sollte?

Drosten: Ja, da sind wir jetzt bei der Betrachtung der akuten Situation. Wir schauen uns gerade die akute Maßnahme in einem Land an, das sehr ähnlich ist wie unseres und indem jetzt so eine 2G-Regel eingeführt wurde. Ich finde es interessant zu sehen, jetzt aber wieder auch außerhalb meines Expertisenfeldes, dass das offenbar zu solchem Umdenken führt.

Dass also vielleicht sehr viele Leute eigentlich eben doch nicht gar nicht zu überzeugen sind, sondern wahrscheinlich, wenn es dann wirklich die Bewegungsfreiheit absehbar einschränkt, wenn es um so Dinge wie Friseurbesuche geht, dass man sich dann wahrscheinlich eben doch noch einen Ruck gibt. Das ist natürlich erst mal ganz positiv, das so zu sehen. Jetzt wollen wir mal abwarten, ob das tatsächlich die ganze Impflücke schließt. Also dass sich alle Leute einen Ruck geben oder ob das immer noch viele nicht erreicht.

Menschen müssen sich entscheiden

Aber letztendlich, dadurch hat man eigentlich diese Hintertür einer Testmöglichkeit geschlossen und zwingt wohl die Leute dazu, sich mehr entscheiden zu müssen, ob sie weiter normal am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen oder eben nicht, weil sie sich nicht impfen lassen wollen. Das ist natürlich eine der Möglichkeiten, wie die Politik letztendlich Druck ausüben kann. Die Unterscheidbarkeit zu einer generellen Impfpflicht ist dann, das nimmt dann ja auch fließende Grenzen an, denn auch eine generelle Impfpflicht übt einfach eine bestimmte Art von Druck aus. Aber das alles ist keine Infektionsbiologie. Und da sollten wirklich andere drüber sprechen.

Schulmann: 2G in Österreich scheint zu wirken. Würden Sie für Deutschland sagen, das ist ein deutlicher Vorteil gegenüber 3G?

Drosten: Die 3G-Lösung hält eben, wenn man das in diesem allgemeinen Betrieb sieht, die Hintertür auf, dass man sich ja auch testen lassen kann. Gerade, wenn diese 3G eine Antigen-Testung ist. Da haben wir hier schon auch mehrmals im Podcast drüber gesprochen, die Frage ist, ob das wirklich diejenigen schützt, die dann über die Testung in so eine Sozialsituation reingehen.

Wir haben dann einfach immer soziale Situationen, nehmen wir ein Restaurant oder ein Konzert oder irgendetwas, wo die Überzahl der Personen geimpft ist. Wenn wir jetzt eine 3G-Regelung haben, dann lässt sich jemand an der Eingangstür testen und ist negativ und darf rein und infiziert sich dann in dem Raum, weil da unbemerkt infizierte infektiöse Geimpfte sitzen.

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Jemand macht eine Strichliste neben der Abbildung von Viren. © picture alliance, panthermedia Foto: Image Broker

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Im Prinzip ist das auch in Ordnung, dass die dort sitzen, denn wir müssen ja irgendwann auch Kontakt mit dem Virus bekommen, auf dem Boden eines etablierten Impfschutzes. Das ist dieses Beispiel der Testung an der Restauranttür, man kann sich vielleicht so einen Merkspruch sagen: Testung schützt vor Ansteckung nicht.

Möglichkeiten von 3G am Arbeitsplatz

Also das ist, glaube ich, jedem einleuchtend. Es gibt aber dennoch Sozialsituationen, wo das sinnvoll ist und das ist immer dann, wo wir eine stabile Sozialsituation haben und wo wir nun mal einfach auf Biegen und Brechen nichts machen können, um die Impfquote zu steigern. Beispielsweise eben eine Belegschaft. Und das ist ja der Vorschlag, der jetzt im Moment auch politisch auf dem Tisch liegt.

Der ist natürlich irgendwo sinnvoll, zum Beispiel in einer Belegschaft, wo wir eine stabile Sozialgruppe haben, die jeden Tag zusammenkommt und wo einfach ein Teil nicht dazu zu motivieren ist, sich zu impfen. Man darf die noch nicht mal fragen, ob sie geimpft sind. Dann ist es natürlich immer noch besser zu sagen: Okay, dann testen, jeden Tag. Dann wird man das Virus in diese soziale Situation wahrscheinlich nicht einschleppen.

Allerdings, auch hier besteht natürlich das Infektionsrisiko, sagen wir, da am Arbeitsplatz wieder für die ungeimpften täglich Getesteten. Denn die gehen negativ getestet rein und irgendjemand von den Kollegen, der ist geimpft und hat eine asymptomatische, aber virusausscheidende Infektion, dann infiziert sich der negativ getestete Ungeimpfte daran und hat sein alterstypisches Risiko für einen schweren Verlauf. Also da ist dann wenig gewonnen.

3G verpasst einige Menschen

Aber ich glaube, man muss auch mal schauen, welche Möglichkeiten auf dem Tisch liegen. Und was wir einfach sehen, diese jetzigen Pläne zu 3G am Arbeitsplatz, bei Veranstaltungen und in der Gastronomie, so kann man es vielleicht ganz kurz zusammenfassen, leider verpassen diese Maßnahmen alle diejenigen, die keinen Arbeitsplatz haben und die nicht in Veranstaltungen gehen.

Das sind eben alle, die sich vor allem in ihrem privaten Umfeld bewegen. Und jetzt müssen wir einfach mal anerkennen, und es wird höchste Zeit, dass wir das in der Gesellschaft auch mal diskutieren, dass das aber genau die Gruppe ist, die sich im Moment infiziert und die nicht geimpft ist. Wir müssen gerade die Alten, die keinen Arbeitgeber haben, vor der Infektion schützen. Und das sind ganz besonders die Gruppen, die die Informationen nicht bekommen. Die größten Sorgenfälle sind ja die alten informationsfernen Personen in der Gesellschaft.

Das sind Leute mit Migrationshintergrund. Das sind Leute, aus dem vielleicht - ich sage das jetzt einfach mal so, auch wenn dann vielleicht wieder irgendwelche Zeitungen meinen, ich würde mich ungünstig ausdrücken - aber vielleicht eher auch bildungsferne Leute, die älter sind, die müssen unbedingt geschützt werden. Die sind es ja, die sich eher noch nicht so impfen lassen haben. Dann sind es Leute, die auch jünger sind und keinen Arbeitsplatz haben und vielleicht auch eher nicht so nah an der Information sind, am Informationsstand und die leider eben auch häufig dann noch zusätzlich unter Grunderkrankungen leiden.

Dann haben wir in manchen Bevölkerungsschichten, wo vielleicht auch noch sehr klassische Familien und Erwerbsmodelle bestehen, die Spezialsituation, dass gerade die Frauen in den Haushalten, die nicht berufstätig sind, manchmal nicht geimpft sind, während der Mann wegen des Arbeitsplatzes geimpft ist. Diese Konstellation ist nicht so selten. Die haben häufig Kinder in der Schule. Und das Kind bringt es dann aus der Schule mit. Wir haben gerade wirklich explodierende Inzidenzen in den Schulen. Das muss man sich irgendwie, glaube ich, auch mal klarmachen, dass die jetzigen Vorschläge, die auch politisch auf dem Tisch liegen, genau dort nicht wirken. Die wirken gerade da nicht, wo unsere Sorgenzonen in der Gesellschaft sind.

Schulmann: Aber wenn wir diese Menschen mit 2G nicht erreichen, wie sind die dann zu erreichen?

Drosten: Die sind dadurch zu erreichen, dass man ganz gezielt die Impfung zu denen hinbringt oder dass man eine Regelung schafft, dass sie sich einfach impfen lassen müssen. Ich will mich da jetzt auch nicht politisch positionieren. Ich habe da keinerlei Mandat dazu, das überhaupt zu tun.

Politikberatung

Ich bin auch nicht in der Politikberatung involviert. Es gibt nach meiner Wahrnehmung schon längere Zeit eigentlich keine sehr durchgehende Politikberatung mehr. Ich kann nur die Situation so beschreiben, wie sie offensichtlich für viele zutage liegt, wie auch die Sozialwissenschaft das schon formuliert und beschrieben hat. Es gibt da die Untersuchungen, die genau das sagen, die inzwischen schon beschreiben, wer eigentlich nicht geimpft ist.

Und das sind in allen Altersgruppen eigentlich diejenigen, die nicht so nah am Informationsstand dran sind, viele bei den Älteren. Da ist es ganz besonders schwierig. Da sind es gleichzeitig eben auch Leute mit Migrationshintergrund, um die man sich ganz besonders Sorgen machen muss, wo man einfach die Impfung noch besser hinbringen müsste. Und dann sind es eben Leute, die auch gerade über den Arbeitgeber nicht zu erreichen sind. Das ist einfach eine ganz schwierige Situation.

Welche Möglichkeiten haben wir aktuell?

Schulmann: Wir haben jetzt ganz viel über Möglichkeiten gesprochen, die akut nicht funktionieren können. Also die Schnelltests können wir so schnell nicht wieder zurückbringen. Was kann man denn jetzt in dieser Situation machen, um jetzt schnell etwas zu verändern?

Drosten: Wir haben tatsächlich keine gute Situation. Wir sind in einer Notfallsituation. Wir müssen jetzt sofort etwas machen. Diese Notfallsituation ist ein bisschen anders gelagert, einfach deswegen, weil die Decke in den Intensivstationen noch dünner ist. Jetzt kann man natürlich sofort politisch nachregulieren, indem man bestimmte Krankenhäuser wieder finanziell so hinstellt, dass sie sich das überhaupt leisten können, Intensivkapazitäten freizumachen.

Das wird eine Sache der allernächsten Wochen sein. Nur, wir wollen ja auch nicht unbedingt über diesen Weg handeln. Wir wollen eigentlich eben nicht, dass wir Intensivbetten überhaupt brauchen, denn die Therapie auf der Intensivstation ist schrecklich. Wir müssen ja eigentlich Infektionen vermeiden. Da brauchen wir eine gewisse Art von Übertragungsreduktion, von Kontaktmaßnahmen. Ich kann im Moment wirklich nicht voraussagen, wie schwer die Situation werden wird.

Was bringt 2G?

Wenn wir in den nächsten Wochen weiter eine Dynamik sehen, wie wir die jetzt im Moment sehen, da bin ich mir nicht mehr sicher, ob eine 2G-Regelung dazu führt, dass die Inzidenz jetzt akut so stark gebremst wird. In einigen Bundesländern haben wir, wie in Bayern beispielsweise und in Sachsen, diese 2G-Regelung ja jetzt eingeführt. Ob die letztendlich dazu führt, dass die Ungeimpften doch deutlich weniger am Gesellschaftsleben teilnehmen können, das weiß ich nicht.

Denn wir müssen uns vorstellen, die Leute, die davon betroffen sind, die werden sich natürlich eher auch ins Private verlagern. Nachdem aber jetzt die Geimpften das Virus auch mit übertragen können, wird das Virus zu denen einfach nach Hause kommen, auch unter 2G. Es wird nicht zu vermeiden sein, dass sich die Leute, die wegen 2G weniger am Gesellschaftsleben teilnehmen können, zu Hause dennoch infizieren. Und die sind ungeimpft. Die werden dann natürlich dennoch ins Krankenhaus kommen.

Darum, finde ich, ist es natürlich schon vorausschauend, was gerade in Bayern und Sachsen gemacht wurde. Das reflektiert auch nichts weiter als die prekäre Situation, die jetzt in den Krankenhäusern in diesen Ländern schon entstanden ist oder sich zumindest abzeichnet. Aber ich sehe keine Garantie darin, dass das wirklich dazu führt, dass dieser Inzidenz-Anstieg durchbrochen wird.

Verhaltensänderung Gesamtbevölkerung

Ich glaube, dass eher die Verhaltensänderung der Gesamtbevölkerung da vielleicht beitragen wird. Wir haben in den vergangenen Anstiegen der Winterwelle auch solche Effekte gesehen, dass die Leute doch ihr Verhalten ändern und es wieder ernster nehmen. Darum ist, glaube ich, einfach eine geradlinige Kommunikation an die Bevölkerung im Moment auch sehr wichtig, dass der Bevölkerung klargemacht wird, dass es sehr ernst ist im Moment.

Und ich glaube, wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht einen Zeitpunkt verpassen, zu dem man dann eben doch durch allgemeine Kontaktmaßnahmen wieder die Inzidenz kontrollieren kann. Irgendwann wird das kaum mehr möglich sein. Bei all dem, was jetzt die Impfung schon verändert hat, wird es vielleicht auch juristisch schwer sein, ganz breite allgemeine Kontaktmaßnahmen durchzusetzen und durchzuhalten.

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Schulmann: Das heißt, vielleicht kein neuer Lockdown, aber vielleicht fragt sich jede und jeder noch mal, ob sie zur nächsten Großveranstaltung muss oder zum nächsten Geburtstag.

Drosten: Richtig. Das ist vielleicht der Appell. Sie sehen schon, ich kann das auch nur so aus einer Situation heraus aussprechen, in der ich dann auch keine Patentmaßnahmen mehr habe. In der ich vielleicht sagen muss, dass einige der Patenmaßnahmen, damit meine ich jetzt nicht 2G, damit meine ich eher diese Vorstellungen, dass man jetzt mal eben schnell alle testet, die werden nicht tragen. Was ich letztendlich sagen muss, dass wir uns im Moment in einer sehr schwierigen Situation befinden.

Hinweis: Die nächste reguläre Folge läuft am 23. November 2021.

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NDR Info | Das Coronavirus-Update von NDR Info | 09.11.2021 | 17:00 Uhr

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