Viele Juden in Hamburg haben antisemitische Vorfälle erlebt
Wie weit ist Antisemitismus in Hamburg verbreitet und wie bedroht fühlen sich Jüdinnen und Juden in ihrem Alltag? Das hat eine wissenschaftliche Studie untersucht, die am Montag vorgestellt worden ist.
Nicht jede Beschimpfung oder Bedrohung wird angezeigt und landet so zum Beispiel in der Kriminalstatistik. Es gibt in vielen Bereichen auch ein Dunkelfeld. Und beim Antisemitismus sollte dieses Dunkelfeld im Auftrag der Hamburger Wissenschaftsbehörde aufgehellt werden.
Nur jeder fünfte Fall wird gemeldet
Dazu wurden knapp 550 Jüdinnen und Juden zu ihren Alltagserfahrungen in Hamburg befragt. 77 Prozent von ihnen gaben an, im vergangenen Jahr antisemitische Vorfälle erlebt zu haben. Und mehr als die Hälfte dieser Vorfälle (55 Prozent) könnte auch strafrechtlich relevant sein. Dabei wurden Beleidigungen und Bedrohungen online und auch außerhalb des Internets häufiger angegeben als körperliche Übergriffe, Belästigung oder Verfolgung. Nur jeder fünfte Fall wird auch der Polizei gemeldet.
Großteil vermeidet Zeigen jüdischer Identität
Doch warum kommt es zu solchen Fällen von antisemitischer Diskriminierung? Knapp 60 Prozent der Betroffenen sagen, es liege an der aktuellen Situation in Israel und Gaza. Für viele jüdische Menschen in Hamburg hat das im Alltag Konsequenzen. Denn ein großer Teil vermeidet es laut der Umfrage inzwischen, seine jüdische Identität auch öffentlich zu zeigen.
Fegebank "tief betroffen"
"Mit dieser Studie haben wir erstmalig in Deutschland die Perspektive der Betroffenen wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse machen uns tief betroffen", sagte Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) zu den Ergebnissen.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Philipp Stricharz, meinte, die antiisraelische Hetze im öffentlichen Raum beeinträchtige die Teilhabe jüdischer Hamburger am öffentlichen Leben. "Dieser Hetze muss Hamburg nunmehr entschieden entgegentreten und deutlich die Verantwortung der Hamas für das Leid in Israel und in Gaza betonen." Als sichtbares Zeichen jüdischen Lebens in einer Zeit, in der jüdische Menschen sich kaum noch offen zeigen mögen, werde der geplante Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge umso wichtiger, findet Stricharz.
Polizeipräsident: Schutz jüdischen Lebens hat "höchste Priorität"
Der Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel bezeichnete es als Pflicht Hamburgs, aus den Erkenntnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen und "entschieden gegen Antisemitismus vorzugehen, damit jüdisches Leben in Hamburg wieder uneingeschränkt möglich ist." Polizeipräsident Falk Schnabel sagte, der Schutz des jüdischen Lebens habe bei der Hamburger Polizei höchste Priorität. "Angesichts der aktuellen Studie wird allerdings deutlich, dass wir im Hinblick auf das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden und beim Thema Sicherheitsgefühl noch einiges zu leisten haben." Um Taten zu verfolgen, müssten sie aber auch angezeigt werden.
Die Studie "Jüdisches Leben und Alltag in Hamburg" war als Kooperationsprojekt der Akademie der Polizei Hamburg, der Polizeiakademie Niedersachsen, der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und der Gleichstellungsbehörde auf Initiative des Antisemitismusbeauftragten erarbeitet worden. Jüdinnen und Juden in Hamburg wurden im Zeitraum 13. November 2023 bis 7. Februar 2024 anonym befragt.