Etwa 2.300 Teilnehmende bei Islamisten-Demo in Hamburg
Eine erneute Kundgebung des islamistischen Netzwerks "Muslim Interaktiv" am Sonnabend in Hamburg ist friedlich verlaufen. Die Demonstration im Stadtteil St. Georg wurde von einem großen Polizeiaufgebot begleitet, es galten strenge Auflagen.
Rund 2.300 Menschen versammelten sich am Kreuzweg, zwischen Steindamm und Adenauerallee. Nach derzeitigem Stand seien "keine strafrechtlich relevanten Feststellungen" bekannt, sagte ein Sprecher der Polizei Hamburg. Die Demonstration war stationär, ein Demozug war nicht erlaubt. Zu Beginn verlasen die Organisatoren die Auflagen der Versammlungsbehörde in deutscher und arabischer Sprache. Eine der Auflagen untersagte laut Polizei in jeglicher Form, ein Kalifat in Deutschland zu fordern oder zu befürworten. Dies war bei der Demonstration des Netzwerks am 27. April geschehen - und hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt.
Strenge Auflagen bei zweiter Islamisten-Demo
Des Weiteren war es verboten, Gewalttaten wie das Töten, Verletzen oder Entführen von Menschen zu verherrlichen oder dazu aufzurufen, wie die Polizei im Vorwege der Demonstration mitgeteilt hatte. Ebenso waren Äußerungen untersagt, die eine Vernichtung des Staates Israel und/oder seiner Bewohnerinnen und Bewohner propagieren. Ethnische oder religiöse Gruppen durften weder durch Rufe noch Darstellungen in ihrer Ehre verletzt werden.
Verboten war zudem der Aufruf zu Hass sowie Äußerungen, die die Menschenwürde anderer beeinträchtigen. Das Verbrennen oder Beschädigen von israelischen Fahnen war ebenso untersagt wie eine Trennung der Versammlungsteilnehmenden abhängig vom Geschlecht, teilte die Polizei mit. Weil ein abgetrennter Bereich nur für Frauen verboten worden war, demonstrierten Frauen und Männer gemeinsam.
Demonstrierende hielten "zensiert"-Schilder hoch
Am Rande der Versammlung, die unter dem Titel "Gegen Zensur und Meinungsdiktat" angekündigt war, hatte die Polizei unter anderem Wasserwerfer positioniert. Bei der letzten Demo von "Muslim Interaktiv" vor zwei Wochen waren Schilder verteilt worden, auf denen zum Beispiel "Kalifat ist die Lösung" stand. Solche Schilder waren dieses Mal nicht zu sehen, dafür hielten die größtenteils männlichen Teilnehmer weiße Plakate mit den Aufschriften "zensiert" und "verboten" hoch. Zudem wehte eine Vielzahl schwarzer Flaggen ohne Aufdruck.
Keine Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland
Die Organisatoren riefen die Demonstrierenden auf, sich nicht provozieren zu lassen und nicht mit der Presse zu sprechen. Ein Redner, der Student Joe Adade Boateng, berief sich auf die Meinungsfreiheit, die er in Deutschland gefährdet sehe. "Deutschland hat sich verändert.", sagte er. Die mediale Berichterstattung über die erste Demonstration Ende April bezeichnete er als "Hetze", die Muslime zu Staatsfeinden gemacht habe. Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland gab es nicht.
In unmittelbarer Nähe der Kundgebung fanden zwei Gegendemonstrationen mit etwa 120 Menschen statt. Die Teilnehmenden sprachen sich dort auf Plakaten deutlich gegen ein Kalifat aus. Auch diese Demonstrationen wurden von einem großen Polizeiaufgebot begleitet und verliefen ebenfalls ruhig.
Faeser: "Hohe rechtliche Voraussetzungen für ein Verbot von Gruppen"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte im Vorwege die strengen Auflagen für die Demo. Sie ermöglichten ein sofortiges hartes Einschreiten, wenn aus der Demonstration heraus aggressiv nach einem Kalifat in Deutschland gerufen oder gegen Juden gehetzt werde, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Zu Forderungen, Organisationen wie "Muslim interaktiv" zu verbieten sagte Faeser: "Wir können in unserem Rechtsstaat solche Gruppierungen nur verbieten, wenn die hohen rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind."
Jurist: Sehr weitgehendes Recht der Meinungsfreiheit in Deutschland
Die Grundsätze der Versammlungsfreiheit in Deutschland räumten ein sehr weitgehendes Recht ein, Meinungen kundzutun, die eben auch konträr zur herrschenden Meinung gehen, sagte Clemens Arzt, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin im Interview auf NDR Info. Versammlungsfreiheit bedeute Staatsferne und beinhalte die Freiheit, "eine auch sehr abweichende Meinung zunächst mal öffentlich kundtun zu können. Und dann könnten ja gerne auch Menschen, die das anders sehen, auf die Straße gehen und dagegen demonstrieren", so Arzt.
Was das Verbot bestimmter Parolen angeht, zeigte sich Arzt skeptisch, ob sie rechtlich haltbar sind. "Im Grunde gibt es eine Grenze für die Versammlungsfreiheit - und das ist das Strafrecht." Die Polizei könne, wenn es denn zu Verstößen gegen die Rechtsordnung und insbesondere zu Verstößen gegen das Strafrecht kommt, auffordern, diese zu beenden. "Das wäre nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst einmal das erste und mildeste Mittel", sagte Arzt. Am Ende könne man die Versammlung auch auflösen und einen Platzverweis erteilen.
Bei Verstoß gegen Auflagen soll Polizei einschreiten
Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hatte im Vorwege der Demonstration gesagt, wenn die Demo so laufe wie Ende April, "dieses martialische Auftreten, das Skandieren im Chor, dieses durchinszenierte und dann lauthals das Kalifat fordern - dass wir uns dann zutrauen, zu sagen: Das wird nicht geduldet". Wäre gegen die Auflagen verstoßen worden, hätte die Polizei die Demonstration aufgelöst.
Wenige Tage zuvor hatte Grote bei einer Pressekonferenz gesagt: "Niemand will diese islamistische Szene hier auf den Straßen." Er stellte aber klar: "Die Politik steht nicht über dem Recht." Und Gruppierungen wie "Muslim Interaktiv" bewegten sich in der Regel gerade noch innerhalb der Rechtsordnung, ergänzte Jan Hieber, der Leiter des Landeskriminalamts. Ein mögliches Versammlungsverbot sei wie schon vor der Demonstration der Gruppe am 27. April intensiv geprüft worden, hatte Polizeipräsident Falk Schnabel gesagt.
Der Vorsitzende der Hamburger CDU-Fraktion, Dennis Thering, bezeichnete die Genehmigung der Demonstration als "unerträglich". "Es bleibt ein Rätsel, warum der rot-grüne Senat hier erneut diese Anmeldung zulässt." Er warf SPD und Grünen in Hamburg vor, "nicht genügend Härte gegen die Feinde unserer Demokratie" zu zeigen.
"Muslim Interaktiv" wird vom Verfassungsschutz beobachtet
"Muslim Interaktiv" wird seit vier Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Das islamistische Netzwerk hatte sich aus der 2003 in Deutschland verbotenen Bewegung Hizb-ut-Tahrir entwickelt und ist vor allem auf Social-Media-Plattformen aktiv, um möglichst viele Menschen zu erreichen.