China-Investition in Hamburg: Falsche Einstufung durch HHLA
Das von Chinesen umworbene Hamburger Container-Terminal Tollerort wurde zu spät als besonders schützenswert registriert. Der Hafenbetreiber behauptete zuvor offenbar fälschlicherweise, es wäre keine kritische Infrastruktur.
Es zog sich, doch Mitte Mai war es so weit: Die Bundesregierung schloss ihre Investitionsprüfung zum Hamburger Hafen ab. Sie erlaubte dem chinesischen Staatskonzern Cosco den Einstieg bei der Betreibergesellschaft des Containerterminals Tollerort (CTT). Damit hatte das Kanzleramt seinen Willen gegen gleich mehrere an der Prüfung beteiligte Ministerien durchgesetzt.
Die Entscheidung war umstritten, zumal erst kurz vor Abschluss der Prüfung bekannt geworden war, dass das begehrte Terminal mittlerweile als kritische Infrastruktur (Kritis) und damit als besonders schützenswert eingestuft wurde. Das Brisante: Diese Registrierung hätte laut Gesetz schon viel früher erfolgen müssen - womöglich wäre das Prüfverfahren dann anders ausgegangen. Wer also trägt die Verantwortung?
HHLA: Tollerort keine kritische Infrastruktur
Nach Informationen von NDR und WDR hat der Hafenbetreiber, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), im Verlauf des Prüfverfahrens mehrmals behauptet, beim Terminal Tollerort handele es sich um keine kritische Infrastruktur. Diese Einordnung war aber falsch. Denn der jährliche Umschlag lag dort deutlich über den in der Verordnung festgelegten Grenze, ab der ein solches Terminal als besonders schützenswert gilt. Eine Sprecherin der HHLA dementierte den Vorwurf auf Anfrage nicht. Sie wies allgemein darauf hin, dass alle beteiligten Behörden jederzeit umfassend und transparent über die Umschlagsmengen informiert worden seien.
Entscheidung unter falschen Voraussetzungen
Das Problem für die HHLA: Das Gesetz sieht vor, dass Betreiber nicht nur Umschlagsmengen mitteilen, sondern auch die entsprechende Registrierung vornehmen müssen - und das unterließ die HHLA über Monate. Gleichzeitig fragte das für die Kritis-Verordnung zuständige Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) lange Zeit nicht bei der HHLA danach. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) soll darauf beim zuständigen Innenministerium (BMI) gedrängelt haben - aber offensichtlich erfolglos. Das Ergebnis: Die Bundesregierung traf in dem Prüfverfahren Entscheidungen unter falschen Voraussetzungen.
Mit der Aufarbeitung des folgenschweren Fehlers beschäftigen sich mehrere parlamentarische Anfragen. In dieser Woche befragte der Wirtschaftsausschuss des Bundestages zudem Vertreter von BSI und übergeordnetem Innenministerium. Die Frage nach der Verantwortung ist dennoch offen.
NDR/WDR-Recherche zeigt mehrere Auffälligkeiten
Die Recherche von NDR und WDR zeigt jetzt mehrere Auffälligkeiten im Laufe des Prüfverfahrens, das sich insgesamt von Sommer 2021 bis Mai 2023 hinzog. Wichtig ist: Anfang 2022 trat eine erneuerte Kritis-Verordnung in Kraft - und sie hätte Folgen haben müssen: Da sich Kategorien veränderten, hätte sich die HHLA mit dem Terminal Tollerort bis Anfang April 2022 beim BSI als kritische Infrastruktur registrieren müssen. Das passierte aber nicht.
Am 29. April 2022 kam in Berlin eine große Runde zusammen, um über die Prüfung zu reden. Neben der HHLA und dem Wirtschaftsministerium sollen auch Vertreter des Innenministeriums, des Kanzleramts und des Auswärtigen Amtes dabei gewesen sein. In der großen Runde zeigten HHLA-Vertreter offenbar eine Präsentation. Darin soll gestanden haben: Bei dem Terminal handele es sich um keine kritische Infrastruktur. Das entsprach zu diesem Zeitpunkt nicht mehr der Kritis-Verordnung - es fiel aber offenbar niemandem auf. Die falsche Einschätzung bahnte sich ihren Weg.
Kanzleramt von Olaf Scholz wollte das Geschäft
Eine korrekte Einstufung zum damaligen Zeitpunkt hätte die Investitionsprüfung vermutlich beeinflusst: Denn selbst ohne die strengere Einstufung wollten alle sechs an der Prüfung beteiligten Fachministerien den Einstieg Coscos nicht zulassen. Das Kanzleramt von Olaf Scholz (SPD) aber wollte das Geschäft. Es drückte im Oktober 2022 nach heftiger öffentlicher Debatte einen Kompromiss für die weiteren Verhandlungen durch. Ein zentrales Argument der Befürworter damals: Tollerort sei ja keine Kritis.
HHLA hielt an fehlerhafter Bewertung fest
Die HHLA hielt an ihrer fehlerhaften Bewertung sogar noch im Herbst 2022 fest. Als NDR und WDR im November nachfragten, warum Tollerort angesichts der Verordnung nicht als Kritis gemeldet sei, antwortete ein HHLA-Sprecher: "Es liegt nicht im Ermessen der HHLA, festzulegen, welche Teile des Konzerns zur kritischen Infrastruktur zählen, sondern das wird durch die geltende Kritis-Verordnung bestimmt." Er führte weiter aus: "Was laut dieser Verordnung zu melden ist, haben wir gemeldet."
Kurz darauf forderte das BSI dann aus bislang ungeklärten Gründen die HHLA auf, Registrierungsunterlagen vorzulegen. Die Regierung sprach zuletzt in der Antwort auf eine Anfrage des Linken-Politikers Pascal Meiser lediglich davon, dass "öffentliche Informationen" eine veränderte Einstufung möglich erscheinen ließen. Ohne dass die Öffentlichkeit davon mitbekam, erhielt das BSI dann Anfang Dezember 2022 eine Bestätigung der HHLA, wonach Tollerort den Schwellenwert der Verordnung überschreite. Jetzt herrschte zwar Klarheit. Doch die wichtige Information wurde nur langsam geteilt.
Innenministerium erstmals im Februar in Kenntnis gesetzt
Erst am 13. Februar 2023 wurde das für das BSI zuständige Innenministerium nach eigener Auskunft über die jetzt erfolgte Registrierung erstmals in Kenntnis gesetzt. Es dauerte dann noch einmal, bis offenbar Anfang März die Fachebene des Innenministeriums die News dem federführenden BMWK mitteilte - erst mal aber nur auf Arbeitsebene. Das BMWK soll darauf gepocht haben, dass die wichtige Information beim heikelsten Prüfverfahren auch auf Leitungsebene übermittelt werde. Das war dann erst Anfang April der Fall. Angesichts der neuen Bewertung des Terminals wollte daraufhin das Wirtschaftsministerium eine komplett neue Prüfung starten. Das Kanzleramt aber lehnte ab. Das Kabinett gab grünes Licht für den Deal.
Kritik von Grünen und CDU
Grünen-Wirtschaftsexperte Felix Banaszak kritisiert die Fehler bei der Einstufung: "Der ganze Vorgang wirft leider kein gutes Licht auf das Unternehmen und auch nicht auf Kanzleramt, BMI und BSI. Es bleibt ein schwerer Fehler, dass der Bundeskanzler eine Neuauflage des Investitionsprüfungsverfahrens auch nach veränderter Sachlage verhindert hat." Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Rouenhoff müssen noch weitere Fragen geklärt werden: "Es gibt Grund zur Annahme, dass die Einstufung des Containerterminals Tollerort als kritische Infrastruktur ganz bewusst erst nach der Kabinettssitzung am 26. Oktober 2022 erfolgt ist." Auch er übt Kritik an BSI und Kanzleramt. Es stehe "die Frage im Raum, ob das SPD-geführte Innenministerium dem Bundeskanzler Schützenhilfe geben wollte und deshalb keine eingehende Prüfung erfolgte", erklärte Wirtschaftsexperte Rouenhoff.