Buch des Amokläufers: Polizei in der Kritik
Nach der Amoktat von Alsterdorf kommen Hamburgs Polizei und Innenbehörde zunehmend in Erklärungsnot. Im Raum steht die Frage, ob die Tat hätte verhindert werden hätte können. Fest steht jetzt: Die Beamten wussten Wochen vor der Tat, dass der Schütze ein Buch mit wirrem Inhalt verfasst hatte.
Bei einer Aufarbeitung der Tat vom vergangenen Donnerstag in einer Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas hatten die Beamtinnen und Beamten angegeben, das knapp 300-seitige Buch "Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan" nicht gelesen zu haben. So berichtet es "Zeit online". Demnach erschien das Buch Ende 2022 und enthält viele antisemitische Aussagen. Der Täter erkläre darin den Massenmord im Auftrag Gottes für legitim und Adolf Hitler zu einem Werkzeug Christi. Laut Polizei wurde das Buch seit Dezember 2022 über die Handelsplattform Amazon vertrieben. Die Beamten hätten bei der Überprüfung den rechtlich möglichen Rahmen ausgeschöpft, sagte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Insofern könne er ihnen "keine Vorwürfe machen". Er räumte aber ein, dass der Inhalt des Buchs, wäre es ausgewertet worden, möglicherweise Anlass für weitere Maßnahmen der Waffenbehörde gegeben hätte.
Grote: Buch hätte wohl für psychologisches Gutachten ausgereicht
Im NDR Hamburg Journal erklärte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) am Dienstag: "Die Einschätzung der Waffenbehörde ist, das Buch hätte ausgereicht, um ein psychologisches Gutachten zu verlangen. Das hätte dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit seine waffenrechtliche Ungeeignetheit ergeben. Mit Sicherheit sagen können wir das nicht." Grote tue sich schwer, den Mitarbeitenden der Waffenbehörde einen Vorwurf zu machen. Es gingen häufiger anonyme Schreiben ein, diese würden sich aber immer in Qualität und Ernsthaftigkeit unterscheiden. "Man hat recherchiert. Das ist keine Ermittlungsbehörde, das sind keine Psychologen, die dort arbeiten. Das sind Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die ein im Waffengesetz vorgesehenes Verfahren durchführen", so Grote.
Hinweise auf psychische Auffälligkeit des Täters
Im Januar 2023 war bei der Hamburger Polizei ein anonymes Schreiben eingegangen, in dem es hieß, der 35-jährige Philipp F. sei psychisch krank und hege Aggressionen gegen religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas und seinen früheren Arbeitgeber. Der Mann war bis vor anderthalb Jahren selbst Mitglied der Zeugen Jehovas, hatte die Religionsgemeinschaft nach Behördenangaben dann freiwillig, aber offenbar nicht im Guten verlassen.
Polizei: Keine Handhabe für einen Waffenentzug
Nach Erhalt des Schreibens überprüfte die Waffenbehörde der Hamburger Polizei den 35-Jährigen. Dafür hätten die Beamten und Beamtinnen zwar im Internet nach weiteren Hinweisen auf psychische Auffälligkeiten gesucht. Sie hätten aber das Buch, das damals bereits online erhältlich gewesen sei, offenbar nicht gefunden. Nach einer ersten Aufarbeitung vertrete die Hamburger Polizei die Auffassung, dass dies auch keine weitere Handhabe gebracht hätte, um dem späteren Täter unmittelbar seine halbautomatische Pistole zu entziehen. Das aktuelle deutsche Waffengesetz fordere dafür "Tatsachen", die klar auf eine nicht mehr gegebene charakterliche oder gesundheitliche Eignung hindeuten. Die Aussagen in dem Buch hätten dafür laut Polizei ebenso wie der anonyme Brief nicht ausgereicht.
Grote: Schon vor der Erteilung der Waffenerlaubnis prüfen
"Ich glaube, dass die Situation, wenn jemand die Erlaubnis erst mal hat, fast schon zu spät ist", sagte Grote im Hamburg Journal. "Besser ist es, vor Erteilung der Erlaubnis umfangreich zu prüfen, insbesondere auch die Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses zu verlangen." Es sei außerdem wichtig, die Schwelle, ab wann Waffenbehörden etwas tun können, von "Tatsachen" auf "tatsächliche Anhaltspunkte" herunterzusetzen. Vor der Erteilung einer Waffenerlaubnis sollte etwa die Gesundheitsbehörde angefragt werden, so der Innensenator.
Täter hatte seit Dezember einen Waffenschein
Am Donnerstag hatte der 35-jährige Philipp F. in Hamburg-Alsterdorf in Räumen der Zeugen Jehovas sieben Menschen und dann sich selbst getötet. Zu den Toten zählt die Polizei auch ein ungeborenes Kind. Acht Menschen wurden verletzt, vier von ihnen lebensgefährlich. Der Täter hatte mehr als 100 Mal mit einer halbautomatischen Pistole geschossen. Seit dem 12. Dezember ist er nach Polizeiangaben im legalen Besitz dieser Waffe gewesen. Als Extremist war der Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt.
Zeugen Jehovas sind entsetzt
Die Zeugen Jehovas reagieren entsetzt, dass das Buch nicht rechtzeitig entdeckt und ausgewertet wurde. Das sei ein bedrückendes Gefühl, so ein Sprecher der Religions-Gemeinschaft.