Welt der Musik

Der ukrainische Barde Taras Kompanitschenko

Sonntag, 25. Februar 2024, 18:00 bis 19:00 Uhr

Taras Kompanichenko mit seiner Bandura © Valentyn Kuzan
Taras Kompanichenko mit seiner Bandura © Valentyn Kuzan
Taras Kompanichenko mit seiner Bandura

Seit dem Überfall Russlands am 24. Februar 2022 ist die Ukraine in ihrer Existenz bedroht. Tausende opfern ihr Leben für die Freiheit. Beinahe alle Männer, die nicht das Land verlassen haben, stehen unter Waffen. Auch der Liedersänger und Musikforscher Taras Kompanichenko meldete sich freiwillig zur Armee. "Zur Verteidigung Kiews ging ich an die Front. Direkt in die Schützengräben, wo die Leute ausharrten, sich umzogen und Kräfte sammelten. Nicht nur, um zu rauchen und etwas zu essen, sondern auch um geistige Nahrung zu bekommen. Dort habe ich Lieder vorgetragen, die nach 2014 entstanden sind, noch während Russland einen hybriden Krieg gegen die Ukraine führte. Und auch die aktuellsten Lieder, die mir im Februar, März, April 2022 eingefallen sind."

Nach einer militärischen Ausbildung zum Unteroffizier dient er jetzt in der Brigade Nr. 241. Seine Waffe ist die Bandura, auf der er sich selbst begleitet, wenn er in Bunkern und Lazaretten auftritt, um den Kameraden Mut zu machen. Speziell für die Kommunion im orthodoxen Gottesdienst komponierte er das Lied "Kommunion der Kämpfer" und sang es drei Tage nach der russischen Invasion in seinem Luftschutzkeller. 60 Saiteninstrumente befinden sich heute in seinem musikalischen Waffenarsenal, viele kostbare Instrumente mussten vor den Bomben in Sicherheit gebracht werden.

Begegnung in Kiew

Vor 20 Jahren lag ein Hauch von Freiheit in der Luft. Die sozialistischen Banner waren verschwunden, stattdessen warben Plakate für westliche Konsumgüter. Auf den Boulevards herrschte das unbeschwerte Treiben, wie wir es aus Rom, Paris oder Wien kennen. Die Autorin Hildburg Heider traf Taras Kompanichenko auf dem Majdan-Platz, auf dem am 22. November 2004 die Orangene Revolution begonnen hatte. Er erzählte von seiner Kindheit und seinem Werdegang.

Künstlerische Berufung und Weichenstellung

Taras Kompanichenko entstammt einer Kosakenfamile. Er kam am 14. November 1969 in Kiew zur Welt, am Tag von Kosma und Damian, dem ukrainischen Allerheiligenfest. Sein Onkel und Großvater waren Opfer von Stalins Terrorherrschaft, sein Vater überlebte als einziger männlicher Nachkomme. Auch seine Großeltern mütterlicherseits waren unter Stalin verfolgt worden. 1930 wurden sie in ein Lager bei Archangelsk am Weißen Meer verbannt. Dort lebten sie fast 30 Jahre - und dort wurde auch seine Mutter geboren. Taras wuchs in einer Familie der sogenannten "wissenschaftlichen Intelligenz" auf: Sein Vater war Metallphysiker, seine Mutter Chemikerin.

Der kleine Taras fuhr oft zu den Großeltern nach Sumy, in den Nordosten der Ukraine, wo jetzt entsetzliche Kämpfe toben. Ihm erschien damals dieser Ort wie ein kleines Paradies: ein Wald, ein Blumengarten wie in Andersens Märchen, eine Idylle mit Fliederbüschen und Rosen, Bäumen mit Äpfeln, Birnen und Kirschen. Die Großeltern lehrten Taras das Vaterunser und zeigten ihm, wie man sich bekreuzigt. Mit ihnen besuchte er auch zum ersten Mal eine Kirche. Weil er fürchtete, seine Großeltern könnten bald sterben, begann er schon als Knabe ihre Lieder aufzuschreiben. Er besaß eine kleine Bandura, auf der er die Melodien nachspielte und dazu sang. Lange Zeit spielte er eine moderne, chromatisch gestimmte Bandura, bis zur entscheidenden Begegnung mit dem Kobzaren Mykola Budnik. Budnik wurde sein neuer Bandura-Lehrer und zeigte ihm, wie man ein historisches Instrument spielt. An der Kunstakademie erhielt Taras Kompanichenko eine Ausbildung zum Bildhauer, Maler, Kunstgießer und Buchbinder.

Neue Begegnung über eine Distanz von 2.000 Kilometern

Anfang 2024 fand ein neues Gespräch statt, allerdings über die Distanz von 2.000 Kilometern. Dank moderner Aufnahme- und Übertragungstechnik konnte die Autorin ein ausführliches Gespräch mit Kopanichenko führen. Themen waren seine Kriegserfahrungen sowie Rolle und Repertoire der Kobzaren, wie man in der Ukraine die Volkssänger nennt.

Die Kobzaren gestern und heute

Die flache Kobza ähnelt einer Laute. Sie hat sich im Laufe der Jahrhunderte vom schlichten zweisaitigen Typ hin zum raffinierten achtsaitigen Instrument entwickelt. Taras Kompanichenko ist Mitglied einer Kobza-Werkstatt, die historische Instrumente wie Laute, Kobza, Bandura und Leier rekonstruiert und auf ihnen das traditionelle Repertoire praktiziert: "Ich sehe meine Hauptaufgabe darin, mein kulturelles Erbe durch und durch zu verstehen und die geistigen Errungenschaften der verschiedenen Epochen zu vermitteln - bis hin zu Mittelalter, Renaissance, Barock oder Klassizismus."

Die bauchige Kobza gab den fahrenden Sängern ihren Namen: Sie hießen Kobzaren und waren im Volk hochgeachtet. Ihnen widmete 1840 der berühmteste Dichter der Ukraine Taras Schewtschenko sein erstes Werk "Der Kobzar". In früheren Jahrhunderten war der Kobzar ein Berufsmusiker mit einem eigenen Repertoire: die nationalen Heldenepen, sakrale Gesänge wie Psalmen oder satirische, historische Lieder, daneben instrumentale Tänze. Die Kobzaren waren in der Regel blind. Um sich ihr Brot zu verdienen, sangen sie auf Beerdigungen, Hochzeiten, Taufen, in Kneipen und auf Festen - überall dort, wo Menschen zusammenkamen: im Sommer unter freiem Himmel, im Winter am Kamin bei Kerzenschein.

Die Verfolgung der Kobzaren als subversive Elemente

Während des Stalin-Regimes wurden Kobzaren als subversive Elemente verfolgt, denn ihre Lieder bezogen sich nicht nur auf uralte Rittersagen. Sie besangen auch brennende Themen der Zeit wie den Hungermord - Holodomor - in den Jahren 1932-33, als Stalin den ukrainischen Bauern das Saatgut entzog und somit drei Millionen Menschen dem Hungertod preisgab. Taras Kompanitschenko hat Ende 2011 bei einem Konzert zur Erinnerung an den Hungermord ein sarkastisches Lied vorgestellt. Wie brisant die Lieder der Kobzaren in der Stalin-Ära waren, zeigt sich an folgender Begebenheit: Im Jahr 1935 lud man die überlebenden Kobzaren nach Charkow ein, angeblich zu einer ethnographischen Konferenz. Eine entsetzliche Falle: Alle Kobzaren wurden hingerichtet. Fortan galten Kobza und Bandura als Symbol des Widerstands. Ihre Interpreten wurden in den Untergrund oder ins Exil gezwungen.

Heutzutage ist ein Kobzar oder ein Bandurist ein Hüter des nationalen Erbes und zugleich jemand, der auf aktuelle Probleme reagiert und moderne Texte schreibt. Kopanichenko bezeichnet die gesungene ukrainische Dichtung des 19. und 20. Jahrhunderts als "Neoepik". Er selbst hat ein flammendes Freiheitslied komponiert, "De Libertate", und zusammen mit seinem Ensemble "Chorea Kozatska" veröffentlicht.

Das Ensemble "Chorea Kozatska"

Taras Kompanitschenko ist heute ein preisgekrönter Barde und anerkannter Musikhistoriker. 2005 gründete er in Kiew das Ensemble "Chorea Kozatska" zusammen mit Musikern, Musikethnologen und Historikern. Der Name "Chorea" leitet sich vom griechischen Wort für "Chor" ab. In der ukrainischen Fachsprache bezeichnet es ein altes Tanzlied. Die Gruppe führt Musik aus verschiedenen Epochen auf - aus Mittelalter, Renaissance, Barock, Klassizismus und Romantik, dazu Werke des 20. Jahrhunderts. Aus historischen Quellen fördern die Musiker immer wieder unbekannte Lieder zutage. Gegenwärtig tritt das Ensemble zu sechst auf, dazu kommt ein Toningenieur. 2023 gastierten sie unter anderem auch in Karlsruhe

Eine Sendung von Hildburg Heider.

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Hier können Sie die Sendung anhören

Taras Kompanichenko mit seiner Bandura © Valentyn Kuzan
56 Min

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