Welt der Musik
Sonntag, 15. September 2024, 18:00 bis
19:00 Uhr
Der eine, Karlrobert Kreiten (1916 in Bonn geboren) wurde wegen privater politischer Äußerungen von den Nazis ermordet. Der andere, Manfred Reinelt (1932 in Leipzig geboren) beging 1964 in der DDR Suizid. Beide waren äußerst begabte junge Künstler, die prädestiniert waren, als Pianisten in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle zu spielen.
1943 "hingerichtet"
Karlrobert Kreiten wuchs in Düsseldorf auf, trat dort im Alter von zehn Jahren erstmals öffentlich mit Solostücken von Mozart und Schubert in Erscheinung. Er studierte an der Kölner Musikhochschule bei Professor Peter Dahm, einem offenbar ausgezeichneten Pädagogen, denn Karlrobert machte so große Fortschritte, dass er bei wichtigen Wettbewerben (1933 in Wien und Berlin) ausgezeichnet wurde. Längst waren Musikwelt und Kritik auf seine große Begabung aufmerksam geworden.
Ab 1935 studierte er in Wien bei der Gattin des berühmten Liszt-Schülers Moriz Rosenthal, Hedwig Rosenthal-Kanner, zog dann 1937 nach Berlin, um am "Sternschen Konservatorium" bei Claudio Arrau (1903-1991) zu lernen, der Kreiten als "eines der größten Klaviertalente, die mir persönlich begegnet sind", bezeichnete. Karlrobert Kreitens Karriere als gefragter Solist in Klavierabenden und Orchesterkonzerten entwickelte sich bis zum 3. Mai 1943 ganz kontinuierlich. Dann wurde er in einem Hotel in Heidelberg von der Gestapo verhaftet - er hatte privat politische Äußerungen gegen den Nationalsozialismus und über den 2. Weltkrieg gemacht, wurde denunziert und bei der "Reichsmusikkammer" angezeigt. Ein paar Wochen passierte nichts, aber drei fanatische Nationalsozialistinnen ließen nicht locker, und sein "Fall" landete daraufhin im "Propagandaministerium" und schließlich bei der Gestapo. Alle Rettungsversuche - auch vom berühmten Dirigenten Wilhelm Furtwängler - waren vergeblich: Kreiten wurde am 7. September 1943 in Berlin- Plötzensee "hingerichtet". In der Presse erschienen unsägliche Hetz-Artikel gegen ihn.
Glücklicherweise hat er zwischen 1934-1938 in Düsseldorf einige private Tonaufnahmen gemacht, und wir können ihn spielen und seine Stimme hören. Karlroberts Vater, der Komponist Theo Kreiten, hat ein sehr berührendes Buch über seinen Sohn verfasst: "Wen die Götter lieben - Erinnerungen an Karlrobert Kreiten". Es erschien erstmalig 1947 und enthält eine Fülle wichtiger Informationen über den mit 27 Jahren brutal aus dem Leben gerissenen Pianisten. Am 29. September 2019 erlebte - nach einem "sensationellen Notenfund" - die "Fantasie für Klavier und Orchester" von Theo Kreiten, Karlroberts Vater, ihre Düsseldorfer Erstaufführung. 91 Jahre nach ihrer Entstehung!
Suizid 1964
Auch die Karriere des 1932 geborenen Pianisten Manfred Reinelt begann sehr vielversprechend. Bereits als Kind und später an der Musikhochschule in Leipzig studierte er bei Professor Hugo Steurer, einem bekannten Pianisten und gesuchten Pädagogen. Später wandte sich Reinelt auch intensiv der Musikwissenschaft zu.
Der 1991 verstorbene Musikwissenschaftler Eberhardt Klemm hat Reinelt noch im Konzert erlebt: "Einige Musikliebhaber verglichen ihn mit dem jungen Walter Gieseking. Obwohl sich seine Fingerfertigkeit von selbst verstand, arbeitete er an schwierigen Stücken, die ihn besonders reizten, wie ein Besessener. Man wusste: hier ist Musik in guten, absolut verläßlichen Händen. Er war nicht nur ein Pianist von Rang: er galt als musikalische Autorität." Noch zu DDR-Zeiten wurden zwei Schallplatten mit Rundfunk-Aufnahmen Manfred Reinelts veröffentlicht, die ihn als genial begabten Künstler ausweisen, der nicht nur zeitgenössische Werke, sondern u.a. auch Musik von Scarlatti, Bach, Beethoven, Schubert, Schumann, Franck, Skrjabin, Debussy und Ravel spielte. Als Dozent an der Leipziger Musikhochschule kam er - wie mehrere Briefe aufzeigen - in Konflikt mit den damals in der DDR vorgeschriebenen "moralisch-erzieherischen" Normen der Ausbildung, und der Rektor legte ihm auf verschlagen-geschickte Weise die Kündigung nahe.
Die "Datenlage" zu Manfred Reinelt ist zwar auch heute noch recht spärlich, aber im Archiv der Akademie der Künste, Berlin, gibt es einige hochinteressante Dokumente, die uns zumindest ein paar Einblicke in das Leben und die Kunst Manfred Reinelts ermöglichen.
Eine Sendung von Thomas Böttger.