Welt der Musik

Musiker und ihre Häuser - Frédéric Chopins polnische Wurzeln

Donnerstag, 10. Oktober 2024, 19:00 bis 20:00 Uhr

Der polnische Komponist Frédéric Chopin, Kopie von Stanislaw Stattler nach einem Gemälde von Ary Scheffer © picture-alliance/akg-images Foto: akg-images
Frédéric Chopin

"Obwohl du unser Land verlässt - Dein Herz bleibt hier bei uns" - Das sangen Chopins Freunde zu seinem Abschied aus Polen 1830. Das sagte der polnische Dichter Cyprian Kamil Norwid, der wie Chopin im Pariser Exil lebte. Chopins polnische Wurzeln lassen sich in seinem Geburtsort und in Warschauer Palästen und Kirchen nachspüren.

Chopins Geburtsort Żelazowa Wola 2024

Chopin kam 1810 in Żelazowa Wola zur Welt. Es finden sich zwei unterschiedliche Geburtsdaten: der 22. Februar und der 1. März. Fest steht jedoch, dass Chopin am 23. April 1810 in der Kirche von Brochów getauft wurde, auf die Namen Fryderyk Franciszek. Chopins Geburtshaus war zu seinen Lebzeiten ein Nebengebäude im Gutshof des Grafen Skarbek, dessen Familie im Herrenhaus wohnte. Ein schlichter flacher Bau war das damals. Wahrscheinlich hat die Familie Chopin den rechten Teil bewohnt. In den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts hat man dem Gebäude mit einem Säulenportiko den Look eines Herrenhauses verliehen und darin eine Chopin-Gedenkstätte eingerichtet. Die meisten Exponate wurden jedoch im Zweiten Weltkrieg zerstört. Auch der ursprüngliche Grundriss ist verschollen. Im Jahr 1949 öffnete das Geburtshaus offiziell seine Pforten. In den niedrigen, weiß gekalkten Räumen mit den hölzernen Deckenbalken und dem Parkettfußboden herrscht ländliche Behaglichkeit: Kopien von Zeichnungen, Briefen und Porträts der Familie Chopin und ihrer Freunde zeugen von Wohlstand und Geborgenheit. Chopin verbrachte hier die ersten sieben Monate seines Lebens.

Eine Pilgerstätte für Chopinliebhaber

Anfang Mai, an einem sommerlich heißen Tag fährt die Autorin etwa eine Stunde westlich von Warschau nach Żelazowa Wola. Ein riesiger Parkplatz, dahinter der Eingang zu einer Empfangshalle mit Cafeteria, Konzertsaal und Museumsshop. Es ist Samstag, das bedeutet: Im Geburtszimmer wird ein Pianist Werke von Chopin spielen. Die Flügeltüren und Fenster werden zur Terrasse hin geöffnet. Kinder, Erwachsene, ältere Menschen, haben sich auf Stühlen und Bänken versammelt, einige lagern auf Picknickdecken. An den Garten grenzt ein weitläufiger Gedenkpark, der 1933 angelegt wurde. Anstelle einer romantischen Idylle sollte eine modern anmutende Parkanlage entstehen. So präsentiert sie sich auch in unseren Tagen: mit mächtigen Eichen, einem Froschteich, durchzogen von einem Bach. Plätze und Brücken tragen den Namen einer musikalischen Gattung aus dem Klavierwerk Chopins.

Die Chopin-Familie in Warschau

Im Herbst 1810 ziehen Nicolas und Tekla Justyna Chopin mit ihrer älteren Tochter Ludwika und dem Baby Fryderyk nach Warschau, wo Chopins Vater eine Stelle am Lyzeum antritt. Zunächst zieht die Chopin-Familie in das Sächsische Palais auf dem Piłsudski-Platz, wo sich heute das Grabmal des Unbekannten Soldaten befindet. Sieben Jahre verbringt sie dort ein ruhiges Leben. Wenn seine Eltern mit der älteren Schwester Ludwika Hausmusik machen, macht der kleine Fryderyk begeistert mit. Zum Freundeskreis gehört der Musiker Wojciech Żiwny, er erteilt ihm ersten Unterricht. Mit sieben Jahren komponiert Fryderyk sein erstes Werk, eine Polonaise in g-Moll, und bereits im Jahr darauf gibt er sein erstes öffentliches Konzert im Palais des Fürsten Radziwill. Bis zum 13. Lebensjahr wird er zu Hause unterrichtet, dann besucht er das Lyzeum. Sein Musiklehrer ist der Direktor des Konservatoriums Joseph Elsner. Nebenbei spielt er bei Gottesdiensten die Orgel. Doch für ihn gibt es nur ein Instrument, auf dem er sich ausdrücken will: das Klavier. Nach Abschluss des Lyzeums besucht Fryderyk Chopin das Warschauer Konservatorium. "Strenger Kontrapunkt bei Joseph Elsner, sechs Stunden in der Woche!", notiert Chopin.

Traditionelle Tänze als Inspiration für Chopins Lebenswerk

Überall ist der junge Chopin als Sommergast willkommen, denn er weiß seine Gastgeber durch Witz und Musik zu unterhalten. In den Dörfern der Regionen Mazowsze und Kujawsko-Pomorskie lernt Fryderyk Bauernmusik kennen. Bei einem Besuch nordwestlich von Warschau besucht er die Familie Dziewanowski auf ihrem Gut. Er schreibt an seine Familie, wie er sich dort auf den Dorffesten amüsiert: "Die Weiber näselten, die Mädchen einen halben Ton höher, der größere Teil von ihnen hatte die erbarmungslos kreischenden Mäuler weit aufgerissen. Am Ende wurde gehüpft und getanzt, Oberek und Walzer. Ich tanzte zunächst einige Walzer mit Fräulein Tekla und gegen Ende mit Fräulein Dziewanowska. Schließlich kamen alle derart in Schwung, dass sie wie verrückt über den Hof fegten und wirbelten."

Die Abreise Richtung Westen

Schon als 19-Jähriger sammelt Chopin auf Reisen durch westeuropäische Musikmetropolen Anregungen für sein Schaffen. Kurz vor seiner endgültigen Abreise aus Polen im Herbst 1830 stellt er sein 1. Klavierkonzert im Warschauer Nationaltheater vor. Eine Woche danach rollt die Kutsche aus Warschau Richtung Westen. Fryderyks Eltern und seine Schwester bleiben zurück. "Obwohl Du unser Land verlässt - Dein Herz bleibt hier bei uns". In seinen Ohren klingt noch das Ständchen nach, das ihm sein Professor Josef Elsner und ein paar Studenten zum Abschied darboten: "Geboren im polnischen Land soll Dein Talent überall glänzen! Und weilst du auch an der Donau, der Spree, dem Tiber, der Seine - Auf polnische Art sollst Du singen in bewegenden Tönen, wessen Polen sich rühmt: Krakowiak und Mázur, die wir alle lieben." Für seine Fahrt in eine ungewisse Zukunft ist der 20-Jährige bestens gerüstet: Bildung, Haltung und Auftreten sind seine Mitgift. In seinem Reisegepäck hat er seine Noten und ein Gefäß mit polnischer Erde. Fortan nennt er sich Frédéric Chopin.

Die Politische Lage im besetzten Polen

Ende November 1831 erfährt Chopin bei einem Aufenthalt in Wien vom polnischen Aufstand gegen die russische Besatzungsmacht. Er schreibt später in seinem Stuttgarter Tagebuch: "Moskau regiert die Welt! O Gott, gibt es Dich überhaupt? Du bist da und verhinderst das nicht! Wie viele Verbrechen sollen die Russen noch begehen? Oder bist Du gar selbst ein Russe? Knapp 20 Jahre bleiben ihm noch nach der Abreise aus Polen im Pariser Exil bis zu seinem frühen Tod am 17. Oktober 1849. Seine Schwester Ludwika und engste Freunde, die ihn in seinen letzten Stunden begleiten, stehen dem Sterbenden bei. Chopin wird auf dem Pariser Friedhof Pére Lachaise bestattet.

Sein Herz kehrt heim nach Warschau

Ludwika erfüllt den Letzten Willen ihres Bruders und läßt sein Herz aus dem Leib entfernen. Der Überlieferung nach legt man das Herz in ein Glas mit Spiritus, und Ludwika versteckt es in den Falten ihres weiten Rocks. So gelingt es ihr, die preußisch-russische Grenze zu überwinden. Das Herz wird in der Warschauer Kirche Heilig Kreuz beigesetzt. In einer Säule linkerhand vom Hauptgang ist der Epitaph mit Chopins Büste aus weißem Carrara-Marmor. Darunter stehen die Worte aus dem Matthäus Evangelium.

"Wo dein Schatz ist - da ist auch dein Herz"

Doch damit ist die abenteuerliche  Odyssee des Herzens noch nicht zu Ende. Der frühere Priester der Heilig-Kreuz-Kirche Piotr Rutkowski erzählt: "Das Gefäß mit Chopins Herz hat alles glücklich überstanden, den Ersten Weltkrieg und andere schwere Zeiten, sogar das Jahr 1939. Sein Schicksal nahm erst eine dramatische Wende beim Warschauer Aufstand 1944. Neben unserer Kirche befand sich eine Polizeistation. Es war klar, dass hier schwere Gefechte zwischen den Aufständischen und den Deutschen stattfinden würden." Da ging der deutsche Militärkaplan zum Pfarrhaus. Man möge ihm Chopins Herz in Verwahrung geben. Es sei die einzige Möglichkeit, das Herz zu retten. Und so geschah es. Die polnischen Priester überreichten dem deutschen Kaplan die Urne mit Chopins Herz. 1944 begaben sich deutsche Offiziere zum polnischen Erzbischof Antoni Szlagowski. Sie bestellten ihn ein zum Oberbefehlshaber der deutschen Armee, um ihm Chopins Herz auszuhändigen. Der Erzbischof fuhr hin und erhielt das Herz. Und so wurde die Urne bis Oktober 1945 in der Residenz des Erzbischofs in Milanówek verwahrt. Antoni Szlagowski hielt zu Chopins Todestag am 17. Oktober 1945 eine feierliche Messe in der Warschauer Kirche Heilig Kreuz. Chronisten überliefern, dass man das Herz in einem Wagen zu Chopins Geburtsort Żelazowa Wola brachte. Danach fuhr der Kondukt wieder nach Warschau. Schließlich wurde das Herz erneut am alten Ort unterhalb des Epitaphs beigesetzt. Nur hundert Meter trennen den Salon im Warschauer Elternhaus, wo der Wunderknabe Fryderyk Klavier spielte, von der Kirche Heilig Kreuz, in der sein Herz bis heute ruht.

Eine Sendung von Hildburg Heider.

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Eine Gruppe von Menschen tanzt im Sonnenuntergang. © Fotolia Foto: yanlev

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