Welt der Musik
Sonntag, 11. Februar 2024, 18:00 bis
19:00 Uhr
Freitagvormittag, 19. Januar 2024. Der Festsaal der Alten Pädagogischen Hochschule im Heidelberger Stadtteil Neuenheim ist prall gefüllt. Ein Workshop zum etwas sperrigen ersten Streichquartett von Johannes Brahms. Die quirlige Workshop-Leiterin ist die britische Musikwissenschaftlerin Natasha Loges. Virtuos switcht sie von Englisch zu Deutsch, streut witzige Bemerkungen ein. Und das ebenfalls energiegeladene Cuarteto Quiroga aus Madrid spielt die Musikbeispiele. "Wenn wir so ein Stück hören," sagt Loges, "ist es, als ob wir einen Roman lesen, ganz genauso! Wir haben einen Charakter, ein Ereignis, ein Thema in der Musik. Der Charakter begibt sich auf eine Reise. Und die Aufgabe des Erzählers ist es, uns für die Erlebnisse dieser Person, für dieses Thema, zu interessieren!" Und dabei fiel es Brahms so schwer, überhaupt ein Streichquartett zu schreiben. Der Grund einmal wieder: Beethoven. Der übermächtige Riese, den Brahms immer hinter sich marschieren hörte, wie er sagte. Beethoven hat bei seinen Sinfonien, seinen Klaviersonaten, seinen Streichquartetten einfach Maßstäbe für die Ewigkeit gesetzt. Und ein Perfektionist wie Brahms wollte in Sachen Niveau zumindest in die Nähe von Beethoven kommen.
Lust am Erkenntnisgewinn
"Ich bin ein Streichquartett-Fanatiker, seit 50 Jahren! Die Brahms Quartette habe ich viel gespielt, aber nicht wirklich gekonnt als Laie." Matthias Brandis ist Kinderarzt und Bratschist und der Bruder des Geigers Thomas Brandis, dem langjährigen Konzertmeister der Berliner Philharmoniker und Primarius des Brandis Quartetts. Matthias Brandis gehört zu dem wissbegierigen und begeisterungsfähigen Publikum beim Streichquartettfest in Heidelberg, das Lust am Erkenntnisgewinn hat. "Frau Loges hat mir sehr viel Neues erzählt zu diesen Werken, man spielt dann ein Stück, glaube ich, ganz anders, wenn man die Hintergründe der Entstehung der Komposition versteht, was Brahms‘ Zweifeln bedeutet, wie sich das in den melodischen Entwicklungen zeigt. Einfach unglaublich spannend." Brahms stand im Zentrum beim 20. Streichquartettfest in Heidelberg, dazu kam Brahms‘ zeitgenössisches Umfeld, seine Verbindung zur Tradition mit Haydn-Quartetten. Außerdem wurden Brahms und seine visionären Kompositionstechniken aufgezeigt, mit Werken der zweiten Wiener Schule.
Familiäre Atmosphäre
Vier Tage trifft sich seit fast 20 Jahren ein Publikum von Streichquartett-Fanatikern zum Heidelberger Frühling Streichquartettfest. Mehrere Konzerte am Tag, dazu Workshops zu bestimmten Themen. Begegnungsmöglichkeit für Austausch der eingeschworenen Kammermusik-Gemeinde ist die Festival-Cafeteria. Die Atmosphäre ist familiär.
Fünf Quartette waren in diesem Jahr zu Gast, das älteste war das 2003 gegründete Cuarteto Quiroga aus Spanien, die anderen vier Quartette sind blutjung. Das Ševčík Quartet aus Prag gibt es erst seit 2020, das Arete Quartet aus Südkorea seit 2019. Das dänische NOVO Quartet formierte sich 2018 und das Quatuor Agate 2016. Alle musizierten in Heidelberg auf allerhöchstem Niveau. Wie unorthodox und frech das Arete Quartet Schumann spielte, das erfrischte, auch der unglaubliche musikantisch Zugang zum dritten Brahms-Quartett vom Quatuor Agate. Und das NOVO Quartet brauchte nur Sekunden, um mit seinem brennend intensiven Spiel zu berühren, egal ob Brahms, skandinavische Folklore oder zeitgenössische Musik. Das Ševčík Quartett war bei Smetana und dem unbekannten Komponisten Vladímir Sommer in seinem Element, aber auch die Anmut bei einem Haydn-Quartett überzeugte.
Junge Quartette entdecken
"Wir haben am Anfang auch immer noch sehr renommierte, große Quartette dabei gehabt", erklärt Thorsten Schmidt, der Intendant des Festivals Heidelberger Frühling. "Wir haben aber irgendwann festgestellt, dass es für uns alle reizvoll ist, mehr junge Quartette zu präsentieren, auch, weil das den Quartett-Fans die Möglichkeit gibt, diese Quartette zu verfolgen." Gegründet wurde das Streichquartettfest 2005, damals gab es während des Heidelberger Frühling eine erste Quartett-Werkstatt. Das Publikumsinteresse war noch mager. Aber das änderte sich sehr schnell. Seit 2012 findet das Streichquartettfest immer Ende Januar als eigener Festival-Block zwei Monate vor dem Heidelberger Frühling statt. Thorsten Schmidt: "Das Wichtigste ist eigentlich, einen Kommunikationsraum zu schaffen, d. h. ein Programm so zu gestalten, dass das Publikum unbändige Lust hat, sich mit dem Gehörten auseinanderzusetzen und sich auszutauschen. Der Begegnungsraum und der Austausch basieren auf einer sehr straffen Dramaturgie. D. h. die Auswahl der Quartette und die Dramaturgie sind das Wesentliche." Bei diesem viertägigen, dichten Festival steht wirklich die großartige Streichquartett-Musik im Zentrum. Es ist eine hervorragende Plattform für junge und etwas ältere Quartette, für das kenntnisreiche Publikum. Damit setzt sich das Streichquartettfest in Heidelberg wohltuend von Veranstaltungen andernorts ab, wo es manchmal nur um leicht vermittelbare Unterhaltung geht.
Eine Sendung von Elisabeth Richter.