NDR Elbphilharmonie Orchester
Freitag, 06. Januar 2023, 20:00 bis
22:00 Uhr
"Mein Fürst", bekannte Joseph Haydn gegenüber seinem Biografen August Griesinger, "war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beifall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert." So ging der Komponist jenseits aller Zwänge von Markt und Mode (an denen Mozart als "freier" Künstler in Wien letztlich scheiterte) mit intellektuellem Kalkül seinem erklärten Ziel nach, das Publikum "durch etwas Neues zu überraschen und auf eine brillante Art zu debütieren".
Vermittler zwischen E- und U-Musik
Auch Alfred Schnittke betonte fast zwei Jahrhunderte später, dass erst "der freie Umgang mit den Regeln - an der Grenze zum Risiko - gerade jener Nährboden" sei, "aus dem die vitalen Elemente der Kunst hervorsprießen" würden: "Damit in der Muschel, die auf dem Boden des Ozeans liegt, eine Perle heranwachsen kann, ist ein Sandkörnchen - etwas 'Fehlerhaftes', Fremdartiges - notwendig. Ebenso in der Kunst, wo das wahrhaft Große sehr oft ‚der Regel zuwider' entsteht." Diese bewusste Intertextualität, die über alle Grenzen der musikalischen Epochen und Stilebenen hinweg geht, findet sich auch in Schnittkes Concerto grosso Nr. 1 von 1976/1977. Denn in diesem mit Cembalo, präpariertem Klavier, zwei Soloviolinen und Streichorchester recht ungewöhnlich instrumentierten Werk finden sich immer wieder Momente des "Gemeinen" und "Banalen", etwa in Form von "vulgärer Gebrauchsmusik" (Schnittke), die in ironischer Mechanisierung, mit absurden Sequenzierungen oder in Konfrontation mit überzogenem Pathos nicht unwesentlicher Bestandteil des Werks wird. Erklärtermaßen schwebte Schnittke hierbei „ein utopischer einheitlicher Stil vor, bei dem die Fragmente der E- und U-Musik keine grotesken Einschübe wären, sondern Elemente einer mannigfaltigen musikalischen Realität.
Tschaikowskys romantisches Scheitern
Die Entstehungsgeschichte der "Manfred-Sinfonie" nach einer Versdichtung von George Byron war lang und verwickelt: Unter dem Eindruck von Hector Berlioz' ebenfalls durch Byrons Dichtung angeregter Sinfonie "Harold en Italie", die der französische Romantiker bei einem Gastspiel in St. Petersburg dirigiert hatte, entwarf Wladimir Stassow im Winter 1867/68 das Programm zu einer Sinfonischen Dichtung. Die sollte eigentlich Milij Balakirew komponieren. Doch dieser lehnte ab und sandte Stassows Entwurf an Hector Berlioz. Doch auch daraus wurde nichts. Schließlich schickte Stassow das Programm im Herbst 1882 an Peter Tschaikowsky, mit der Bemerkung: "Das Sujet ist nicht nur sehr tiefgründig, sondern auch zeitgemäß, denn die Krankheit der modernen Menschen besteht in der Unfähigkeit, Ideale zu bewahren. Sie werden zerschlagen und hinterlassen in der Seele nichts als Bitterkeit. Daher das ganze Leiden unserer Zeit."
Meine beste Orchesterkomposition
Tschaikowskys "Manfred-Sinfonie" fiel bei ihrer Uraufführung am 11. März 1886 in Moskau durch; auch bei weiteren Aufführungen reagierten Publikum und Presse zurückhaltend. Sogar der renommierte Kritiker Hermann Laroche, Tschaikowskys Freund und begeisterter Förderer, ging auf Distanz - aufgrund genereller Vorbehalte gegenüber programmmusikalischen Genres: "Mein Vergnügen als Hörer steigert sich umso mehr, je weniger ich mich an das ursprüngliche Programm erinnere". Ungeachtet dessen hielt Tschaikowsky selbst die "Manfred-Sinfonie" lange Zeit für seine beste Orchesterkomposition.
Zu Gast im Studio: Rodrigo Reichel, Stimmführer der 2. Violinen im NDR Elbphilharmonie Orchester.
Eine Sendung von Stephan Sturm.