Nachgedacht: Wofür ich schreibe? Für die Sterne!
In dieser Woche wurde die neueste Version der Sprach- und Schreibsoftware ChatGPT vorgestellt, aber Alexander Solloch ist immer noch nicht vom Hocker gerissen.
Als das vergangene Jahrhundert verwelkte und in meinem Bekanntenkreis die ersten Menschen, durchaus mit schamvoller Röte im Gesicht, ihre Handys herzeigten, lachte ich den Quatsch noch weg mit den Worten: "Mit so etwas Sinnlosem will und werde ich nie was zu tun haben!" Dieses "nie" dauerte nur ein paar Monate. Na und? "Konsequenz ist der Kobold kleiner Geister", sagte einst der amerikanische Dichter Ralph Waldo Emerson, und das war wohl seine größte Tat, weil sie uns mit nur wenigen Worten aus dem tiefen Tümpel unserer Unzulänglichkeit fischt.
ChatGPT: Misstrauische Lehrer und argwöhnische Prüferinnen?
Es fühlt sich durchaus seltsam an, Gedanken zu entwickeln, von denen ich jetzt schon weiß, dass sie in 20 Jahren (oder in zwei) bestenfalls noch ein mitleidig-verständnisloses Lächeln hervorrufen könnten, wenn sie dann nicht schon zum Glück auf den gnädigen Wortmüllhalden des Vergessens begraben lägen. Aber es ist nun einmal meine feste Überzeugung: Mit so etwas Sinnlosem wie ChatGPT will und werde ich nie was zu tun haben.
Es geht mir nicht um moralische Fragen und nicht um die Zwangsjackenfragen unserer "Leistungsgesellschaft", die jetzt typischerweise wieder aufgeworfen werden: Wenn jeder von einer Software alle möglichen Texte verfassen lassen und sie als seine eigenen ausgeben kann - wie können wir diese Texte dann beurteilen, wie den Prüfling benoten, wie ihn in die passende Schublade einsortieren? Misstrauische Lehrer, argwöhnische Prüferinnen, die solche Sorgen umtreiben, müssen sich vielleicht mal fragen, ob sie den ihnen anvertrauten Menschen überhaupt je nahegebracht haben, wie schön es ist, Texte zu schreiben.
Leben für die Sterne
Wofür leben wir eigentlich? Für die guten Momente, für das kleine Glück, für die Freude - "für die Sterne", wie es in dem wunderschönen Lied von Stefan Ebert und Dota Kehr heißt: "Ich bin nicht hier für die Bilanz, ich bin hier für den Glanz, und ich bin hier für den Tanz, ich bin hier für die Sterne." Die Sterne aber holt einem keine Software vom Himmel herunter.
Es wäre ja verrückt, sich die paar Dinge im Leben, die Spaß machen, vom Computer abnehmen zu lassen: liebe Menschen umarmen, einen Käsekuchen backen und gleich ofenwarm verspeisen, mit dem grunzenden Hund herumtollen - das übernimmt man doch auch alles immer noch sehr gern selbst. Warum sollte man dann das Schreiben delegieren? Es gibt wenig Beglückenderes, als einen Satz zu formulieren, den man für gelungen halten darf; das klappt natürlich gar nicht so oft, aber wer das einmal erlebt hat, wird sich immer wieder auf den Weg machen und nicht mehr aufhören wollen zu schreiben in der Hoffnung, der nächste magische Moment sei nicht mehr fern. "Schreiben beinhaltet ein gewisses Maß an Leid, aber auch die Freude des Gelingens. Man kann süchtig danach werden", sagt - nein: schreibt der Schweizer Autor Peter Stamm.
"Ich schreibe, weil ich nicht weiß, was ich denke, bis ich lese, was ich sage."
Und dann die Heilkraft des Schreibens: Wie aufgeräumt und froh ist das Kind auf einmal, nachdem es sich eine Stunde dem Tagebuch anvertraut hat! Wie sehr muss es dem kürzlich verstorbenen Literatur-Nobelpreisträger Kenzaburō Ōe geholfen haben, seinem Kummer über die Missachtung der Gesellschaft für seinen behinderten Sohn Hikari in der Schrift Ausdruck und Form zu geben, Hikari durch das Schreiben eine Stimme zu verleihen? Schreiben heilt. Schreiben öffnet die Pforte zum eigenen Inneren. Die amerikanische Erzählerin Flannery O’Connor erklärte: "Ich schreibe, weil ich nicht weiß, was ich denke, bis ich lese, was ich sage."
So, jetzt warten Sie sicher noch auf die Pointe, in der ich Ihnen mit gigantischem Originalitätsstolz verkünde, dass all diese Gedanken von ChatGPT formuliert wurden, aber da sag' ich Ihnen was, worauf keine Software je käme: Sie können mich mal im Mondschein besuchen, direkt bei den Sternen!