Nachgedacht: Wider das frühe Aufstehen: Es ist nie zu spät!
Wenn Ihnen die folgenden Gedanken besonders ausgeschlafen vorkommen, irren Sie sich. Die Umstände zwingen Alexander Solloch - wie Millionen andere Unschuldige - zum frühen Aufstehen. Dabei ginge es auch anders.
Nun liegt der Tag der Arbeit schon 48 Stunden zurück, und noch immer ist nicht zu erkennen, dass er uns irgendwie zu neuen Ideen verleitet hätte, ach was, "Ideen", zu Taten, zur Veränderung, zum Aufruhr gegen das Immergleiche! Meinen wir etwa, so, wie wir uns die Welt der Arbeit eingerichtet haben, sei sie an Vollkommenheit nicht zu überbieten?
Wir haben uns an so viel Irrsinn gewöhnt
Dass wir immer schon etwas auf eine bestimmte Weise tun, ist noch kein Beweis dafür, dass es nicht auch anders ginge. Wir haben uns an so viel Irrsinn gewöhnt; hier könnte eine Entwöhnung tatsächlich mal Spaß machen. Wenn also z.B. die U-Bahnen, die Straßenbahnen, die Busse morgens nicht überfüllt wären - wie wäre denn das?
Was denken Außerirdische über uns?
Man muss nämlich mal für alle Außerirdischen, die uns beobachten und aufgrund dessen wahrscheinlich zu fatal falschen Erkenntnissen über uns kommen, betonen, dass Menschen (wie übrigens auch alle anderen Säugetiere) es entgegen allem Anschein gar nicht lieben, Haut an Haut, Atem an Atem in Gemeinschaft mit ihnen völlig unbekannten Artgenossen zerquetscht zu werden, obwohl der britische Autor Philip Ardagh in seinem sehr schönen Buch "Herr Urxl und das Glitzerdings" von einer Stadtratssitzung in der Gemeinde Bad Dreckskaff erzählt, in der "Menschen, die auf Stühlen saßen, auf Menschen [saßen], die auf Stühlen saßen, und Menschen, die standen, standen auf Menschen, die standen, die auf Menschen standen, die auf Stühlen saßen, die auf Menschen saßen, die auf Stühlen saßen. Alle Fenster waren offen, und die Menschen fielen nur deshalb nicht aus den Fenstern, weil so viele Menschen durch die offenen Fenster hereinströmten, um bei der Sitzung dabei zu sein." Und so geht es jeden Morgen in deutschen Bussen und Bahnen zu. Weil’s schon immer so war.
Was also tun? Besonders überraschend ist der tägliche Strom der Menschen zur Arbeit, zur Schule, ins Atelier nicht; vielleicht könnte man aus ihm ja doch die Konsequenz ziehen, zu bestimmten Zeiten Busse öfter fahren zu lassen und Straßenbahnen einen oder zwei Wagen zusätzlich anzuhängen. Klar kostet das Geld, aber das tut das Dienstwagenprivileg auch: Mehr als vier Milliarden Euro verliert der Staat dadurch jährlich. Dieser Verlust ließe sich mit mehr Sinn füllen.
Chaos: Weil's schon immer so war
Wer sich also im Dienstwagen (oder im Bus) in der morgendlichen Rush Hour durch die Straßen quält, muss dann noch erleben, dass er alle paar Meter zum Stopp gezwungen wird, weil gleichzeitig auch die Müllabfuhr ihren Dienst tut: immer morgens um halb acht, wenn ohnehin schon ausreichend Chaos herrscht. Warum? Weil’s schon immer so war. Wie wär’s denn aber, wenn die einen zunächst ganz entspannt den Müll abholten und die anderen danach zur Schule gingen? Oder umgekehrt? Aber nichts davon bitte vor neun Uhr.
Ideologie des frühen Aufstehens geht gegen die Natur
Dies ist also bloß eine zarte Erinnerung daran, dass man das Leben auch entzerren kann. Dass es nicht diszipliniert, sondern dumm ist, gegen die eigene Natur der Ideologie des frühen Aufstehens zu folgen. Dass die Wissenschaft - mit der doch nach Auskunft des Bundesgesundheitsministers die Politik unbedingt Schritt halten muss - schon seit Jahrzehnten sagt: Viele Kinder, vor allem Jugendliche brauchen mehr Schlaf, als ihnen die Schulen mit ihren brutalen Anfangszeiten zugestehen. Immerhin, seit neuestem dürfen sich die Schülerinnen und Schüler der 7a eines Gymnasiums in Plochingen in Baden-Württemberg zweimal pro Woche aussuchen, ob sie um 7.50 Uhr oder um 9.40 Uhr zum Unterricht kommen wollen (Erste Erfahrungen sind gut: Schule in Plochingen testet Gleitzeit - SWR Aktuell). Ein schönes Experiment, so zaghaft zwar wie nur irgend möglich, aber im Rahmen der deutschen Gestimmtheit schon radikal mutig. Doch es findet statt in 400 Kilometern Entfernung vom südlichsten Zipfel unseres Sendegebiets. Warum nur Plochingen, warum nicht auch Peine, Pinneberg, Pasewalk? Warum nicht überall?
Mai als Monat des Muts
Kommt schon, der Mai hat begonnen, der Monat des Muts und des Mirakels unserer Möglichkeiten, nicht der Beklommenheit und Bockigkeit, sonst hieße er ja, wie hieße er denn dann, na, dann hieße er ja Bai.
Bye Bye, böser Blödsinn!