NachGedacht: Die Kinderbuch-RAF
Heiteres Berufe-Shaming, heitere Berufe-Prahlerei in der deutschen Politik: Alexander Solloch denkt nach über Juristen, Taxifahrer und andere wichtige Berufsgruppen.
Was haben denn eigentlich alle gerade mit Kinderbuchautoren, dass man meint, etwas Schändlicheres könne es kaum noch geben im Himmel wie auf Erden? Ja, Robert Habeck hat, neben vielem anderen, gemeinsam mit seiner Frau auch mal ein Kinderbuch geschrieben, aber er ist ja deshalb nicht gleich ein Migrant oder Klimakleber oder was sonst gerade noch als schlimm gilt in Deutschland.
Gleich kommt noch Alexander Dobrindt um die Ecke und warnt vor der "Kinderbuch-RAF". Klar, Kinderbuchautoren sind allemal etwas wirklich sehr heftig Abzulehnendes, aber das Desaster, das dieser Mensch in seiner Zeit als Verkehrsminister angerichtet hat, könnte auch von tausend miserablen Kinderbüchern nicht überboten werden, was natürlich wieder einmal zeigt, wie inkompetent Kinderbuchautoren sind: Nicht einmal Dobrindt vermögen sie an Unfähigkeit zu überbieten, Dobrindt, diesen … was ist der eigentlich von Beruf, Dobrindt? Tippelditappelditippel … "Soziologe". Oho! Ein Kollege von Norbert Elias und Eva Illouz. Ganz was Gebildetes. Hat er sich gar nicht anmerken lassen, dieser bescheidene Bayer. Ab sofort werde ich nur noch gut von Alexander Dobrindt sprechen.
Kann nicht mal ein Soziologe Bundeskanzler werden?
Dobrindts geschätzter Kollege Andreas Reckwitz hat übrigens neulich gesagt, man solle sich nicht zu sehr auf den politischen Gegner fixieren, sondern auf die Lösung realer Probleme, also, ich glaube, das ist mein neuer Lieblingsberuf. Kann nicht mal ein Soziologe Bundeskanzler werden?
Steht leider erstmal nicht zur Wahl. Stattdessen vielleicht der "Kinderbuchautor". Der hat übrigens vor ein paar Monaten den bayerischen Ministerpräsidenten bei einer Diskussion über die Atomkraft einfach nur mit Fachwissen sehr alt aussehen lassen. Na gut, was ist Söder eigentlich von Beruf? Journalist. "Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können - das macht den Journalisten" - sagte Karl Kraus, abgebrochener Jurist. Söder ist übrigens nebenbei auch noch Jurist. Eine Doppelbegabung.
Immer diese Emotionen und diese Erkläronkelei
Momentweise kann man sich kaum Verdrießlicheres vorstellen, als in einen Vulkan voller Juristen zu fallen. Kleine Abwandlung eines literarischen Zitats: Vom "Vulkan voller Geschichtslehrer" ist die Rede in der Kinderbuchreihe "Mr Gum" des Kinderbuchautors Andy Stanton, eines Mannes mit Phantasie; gern sähe ich ihn als britischen Premier. "Robert Habeck ist Kinderbuchautor - und ich bin Jurist", hat Friedrich Merz gerade mitgeteilt, ein willkommener Beitrag zur Entscheidungsfindung.
Wenn man das so zugespitzt serviert bekommt, wird einem noch einmal manches klar: Natürlich geht einem Habeck manchmal auch auf die Nerven, immer diese Emotionen und diese Erkläronkelei. Aber wenn die Alternative ist: Kinderbuchautor oder Jurist, dann sagt einem doch schon die Erinnerung an die bisherigen Juristen im Amt des Bundeskanzlers, etwa Gerhard Schröder oder Olaf Scholz: Och nö. Nicht schon wieder.
Friedrich Merz, wohnhaft in den 1950er Jahren
Überhaupt: "Der ist nur dasunddas, aber ich bin ganz was Tolles" - das sagt man doch nicht als Mensch mit einigermaßen stabilem Selbstbewusstsein. So hat man vielleicht früher auf dem Schulhof geredet - über seine Eltern: "Mein Vater ist Chirurg, Deiner ist ja nur Sales Operations Manager, Du Blödian!" Haben das die Töchter des CDU-Chefs etwa nie getan? Gut, Merz hat ja auch mal gesagt, wenn er wirklich ein "Frauenproblem" hätte, dann hätten ihm seine Töchter längst "die Gelbe Karte gezeigt"; bei ihnen scheint also eine beharrliche Verweigerungshaltung zu bestehen.
Tatsächlich hat Friedrich Merz natürlich kein Problem mit seinem Selbstbewusstsein, und mit Frauen…? Als er neulich gefragt wurde, ob er zu einem Taxifahrer ins Auto steigen würde, der ein Palästinensertuch trägt, sagte der fabelhafte Jurist: "Als Mann wahrscheinlich ja, als Frau wahrscheinlich nicht. Weil ich als Mann vielleicht ein anderes Selbstbewusstsein habe, aber auch vielleicht einen anderen Respekt beanspruchen kann." Friedrich Merz, wohnhaft in den 1950er-Jahren, besondere Fähigkeit: die Verknüpfung von Xenophobie und Misogynie - was spuckt der Computer der Berufsberatung da aus als Job-Empfehlung? - Ruheständler*in.
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